BLKÖ:Heinrich, Anton Philipp

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 8 (1862), ab Seite: 226. (Quelle)
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Heinrich, Anton Philipp (Musiker, geb. zu Schönbüchl Pfarre Schönlinde in Böhmen 11. März 1781, gest. zu New-York in Nordamerika 3. Mai 1861).[BN 1] Erscheint hie und da unter dem Namen Heinrichs, was jedoch unrichtig ist, da er Heinrich heißt. Betrat [227] die kaufmännische Laufbahn; er brachte es in solcher zu großer Wohlhabenheit, besaß mehrere Fabriken und zählte zu den ersten Großhändlern seiner Heimat. Zugleich war er ein großer Freund der Musik, ohne jedoch damals noch tiefere Kenntniß in derselben zu besitzen. In seinem Geschäfte unternahm er weite Reisen und erwarb sich Sprachkenntnisse. Die Finanzkrisis des Jahres 1811, ein gewissenloser Buchhalter und mißlungene Speculationen brachten ihn um sein Vermögen. Der einst reiche Mann, nun fast ganz verarmt, verließ Europa und segelte mit dem geretteten Reste seines Vermögens nach Amerika, um daselbst ein neues Geschäft zu beginnen. Aber es wollte nicht glücken und Alles, was H. in Amerika fand, war eine Frau, mit der er nach Europa zurückkehrte. Die böhmische Luft sagte der Amerikanerin wenig zu und bald, nachdem sie von einer Tochter entbunden worden, begab sich H. mit ihr nach Amerika zurück, die Tochter der Obhut eines Freundes überlassend. In Amerika verlor H. bald darauf seine Frau. Seine Versuche, die in Böhmen zurückgebliebene Tochter nach Amerika kommen zu lassen, scheiterten an der Gewissenhaftigkeit des Freundes, dem er sie anvertraut und der entschieden erklärte, das Kind in Niemands als in des Vaters eigene Arme zu legen. Als H. für sich selbst einen Entschluß fassen mußte, da es mit den Geschäften des Handels nicht recht fort wollte, betrat er als Concertist und Compositeur eine neue Laufbahn; er spielte im Orchester verschiedener Theater in Nordamerika; endlich gelang es ihm Redacteur einer deutschen Zeitung in Kentucky zu werden. Aber je mehr seine Lage sich verbesserte, desto mehr wuchs seine Sehnsucht nach seiner Tochter und Heimat; er verließ also die neue Welt und segelte nach London. Auf der Reise hatte er das Unglück, den Zeigefinger der linken Hand zu brechen, welcher zwar geheilt worden, doch krumm geblieben ist. Nun hatte es auch mit dem Violinspielen, worin er eine große Fertigkeit besaß, ein Ende; überdieß war, als er London erreicht hatte, auch seine Barschaft auf die Neige gegangen. Jetzt verlegte sich H. auf die Composition, zu der er schon früher Talent gezeigt. In Amerika nämlich war von ihm einmal ein Festlied verlangt worden. Ohne alle Kenntniß in der Compositionslehre hatte H., der ein seltenes angeborenes musikalisches Talent besaß, seine Aufgabe gelöst und man war mit seinem Werke ganz zufrieden. Jetzt erst begann er das Studium der Harmonielehre, die ihm ein Deutscher beibrachte. Mehrere Compositionen, die er öffentlich vorgetragen hatte, steigerten seinen musikalischen Ruf in Amerika, was vom Gesichtspuncte der Kunst, die bei den Yankees nicht als solche, sondern nur als Mittel zu prunken gilt, eben nicht zu viel sagen will. Man erzählt sich nun, daß H. in seinem heiligen Feuer für die Musik und im Kummer über alle seine zerstörten Lebenshoffnungen, noch als er in Kentucky lebte, sich in eine Wildniß zurückgezogen und daselbst ausschließlich der Einsamkeit und seinen musikalischen Inspirationen gelebt und in dieser Zeit die meisten gigantischen Werke geschaffen habe, die später seinen Ruf begründeten. Dieser in Amerika erworbene Ruf und diese seine Compositionen waren ihm in London, wo auch weniger der echte Künstler als derjenige vorwärts kommt, dem es gelingt, Bruder John recht zu verblüffen, von Nutzen. Seine Compositionen wurden gut aufgenommen und erschienen im Stiche. Sieben Jahre hatte H. in London gelebt und endlich die [228] Mittel zusammengebracht, um die Reise in seine Heimat antreten zu können. Er unternahm die Fahrt und kam 1836 in Böhmen an; mittlerweile war aber seine Tochter, die ihn noch in Amerika wähnte, dahin abgereist. Ihr unmittelbar zu folgen, war H. außer Stande. Verschiedene Versuche, seine Compositionen im Vaterlande zur Aufführung zu bringen, scheiterten; Kummer und Verdruß über sein Mißgeschick warfen ihn in Wien auf’s Krankenlager und barmherzige Brüder übten an ihm die Werke der Barmherzigkeit. Genesen, begab sich H. nach Gratz, wo er einige Zeit bei einem Jugendfreunde, Ferdinand Rößler, gastliche Aufnahme fand, den er aber aus Sehnsucht nach seiner in Amerika lebenden Tochter wieder verließ. Zuvor war es ihm noch gelungen, durch Vermittlung Rößler’s, Mandel’s und Hüttenbrenner’s seine Compositionen in Gratz im großen Rittersaale zur Aufführung zu bringen. Im Februar 1837 trat er von Triest seine dritte Reise nach Nordamerika an, welches er auch glücklich erreichte. Er fand in New-York bald seine Tochter, welche während dieser Trennung die glückliche Gattin eines Straßburgers, des Med. Doctors Scherdlin in New-York, geworden war. In H., dem Greise, der mittlerweile[WS 2] durch seine Kunst von Neuem zu Vermögen gekommen, erwachte noch einmal die Lust und Sehnsucht, die Heimat zu begrüßen; im Jahre 1857 traf H. in Prag ein und die Prager Blätter berichteten damals öfter über den durch seine Schicksale und seine Compositionen berühmt gewordenen Heinrich. Nachdem H. sich einige Zeit in Prag aufgehalten, begab er sich nach Wien, wo über sein am 3. Mai d. J. im Sophiensaale gegebenes Monstre-Concert die Blätter jener Tage ausführlich berichteten; kehrte dann nach Nordamerika wieder zurück, von wo Anfangs Juni d. J. die Nachricht von seinem Ableben nach Europa gelangt war. Als H., 82 Jahre alt. starb, galt er für den Nestor der Compositeurs in Europa. Heinrich, in den vereinigten Staaten seines biederen gemüthlichen Charakters wegen unter dem Namen „Vater Heinrich“ allgemein gekannt, geliebt und geachtet, spielt als Componist eine eigenthümliche Rolle. Der nordamerikanische Charakter des Gigantischen und Grotesken – um das zu harte Wort Charlatanerie zu vermeiden – spricht aus dem Geiste, wie schon aus den Titeln seiner Compositionen. Ein gedrucktes Verzeichniß seiner größeren Werke zählt deren 75 auf, die vielen Hunderte von Liedern und Clavierstücken nicht gerechnet. Die Titel seiner Tongemälde – leider konnte der Herausgeber nur die wenigsten erfahren – sind: „Die Mythen der Wildniss“; – „Das amerikanische Wandertaubenheer“, ein Tongemälde; – „Amor patriae“, eine Cantate; – „Der Condor“, ein Oratorium; – „Die Washingtoniade“; – „La promenade du diable“, eine Tarantelle; – „Paganini’s Incantation“, für das Pianoforte; – „Austria“ ein Vocal-Anthem, u. m. A. H. hat auch Ouverturen und Symphonien, unter letzteren eine für 34 Stimmen gesetzt. Gaßner bemerkt über ihn: „Daß er für ein volles, oft übervolles Orchester ganz eigenthümlich sei, namentlich im Rhythmischen[WS 3], und daß seine schriftliche Sprachdarstellung im Englischen und Deutschen etwas Geniales an sich habe“. Welch’ eines glänzenden Rufes Heinrich in Nordamerika sich erfreute, dafür spricht unter anderen Umständen – abgesehen von seinem Riesenalbum im Urwaldformate, 15 Pfunde Gewicht, den vielen Urtheilen in amerikanischen [229] Zeitungen, wie „The Atlas“, „The Tribune“ u. m. a., endlich den schmeichelhaften Schreiben von zahllosen Gönnern und Musikern u. dgl. m. – die Thatsache, daß außer Henry J. Drowne Esq., der sein Biograph geworden, auch zwei Damen S. Maria Child und Julie de Marguerittes ausführlich über ihn geschrieben haben.

Anthony (Philipp Heinrich), „Vater Heinrich“. Zur Lebensgeschichte des Veteran-Compositeurs, unsers aus der neuen Welt heimgekehrten Landsmannes (Prag 1857, Haase, 8°.). – Der Adler, redigirt von Dr. Groß-Hoffinger, Jahrg. 1838, S. 1302: „Skizze aus dem Leben des Anton Philipp Heinrich“ von F. A. Mussik. – Schilling (G. Dr.). Das musikalische Europa (Speyer 1842, F. C. Neidhardt, gr. 8°.) S. 156. – Tagesbote aus Böhmen 1857, Nr. 17. – Wanderer (Wiener polit. Blatt) 1857, Nr. 209: „Zur Lebensgeschichte Heinrichs“. – Neue Wiener Musik-Zeitung 1857, S. 83. – Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortgesetzt von Eduard Bernsdorf (Dresden, Arnold Schäfer, gr. 8°.) Bd. II, S. 368. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Franz Köhler, 4°.) S. 424. [Gaßner und das Schladebach’sche Universal-Lexikon nennen Heinrich: Heinrichs; Gaßner behauptet sogar, daß Heinrichs der richtige Name sei; dem ist nicht so: der richtige Name ist Heinrich und wurde nur der hie und da gebrauchte Genitiv für den eigentlichen Namen angesehen. Auch bemerkt Gaßner, daß H. zweimal, einmal mit einer Böhmin, das andere mit einer Amerikanerin verheirathet gewesen; andere Biographen wissen nichts von zwei Heirathen, sondern gedenken nur der einen mit der Amerikanerin.] – Allgemeine Wiener Musik-Zeitung 1842, Nr. 31. – Der Zwischenakt (Wiener Theaterblatt) 1861, Nr. 145. Um denn doch das Urtheil eines Musikers über Heinrich als Componisten anzuführen, so sei hier aus einem Briefe Marschner’s an H. aus Hannover 1849 die folgende Stelle mitgetheilt: „Ich kann nicht umhin, meine Freude darüber auszusprechen, daß deutsche Tonkunst in Amerika so würdig von Ihnen vertreten wird. In allen Ihren Compositionen tritt das echtdeutsche Streben nach Charakteristik, Originalität und Gründlichkeit eclatant hervor und nirgend schwören Sie zu der jetzt hochwehenden Fahne der Oberflächlichkeit und Seichtheit, wie es in italienischen und leider auch in französischen Werken seit längerer Zeit zu bemerken ist. Lassen sie sich, verehrter H.. durch Ihre Originalität auch bisweilen verleiten, den Ausführenden zu große Schwierigkeiten zu bieten und der menschlichen Singstimme fast zu großen Umfang zuzumuthen, so entschädigt dafür doch zumeist die Originalität und der tiefinnerste poetische Grundgedanke Ihrer Tonstücke, welche auch im fernen Westen ein glänzendes Zeugniß deutscher Begabung und ernsten Strebens zu geben geeignet sind.“

Berichtigungen und Nachträge

  1. Heinrich, Anton Philipp, hie und da, jedoch irrig, Heinrichs, in Nordamerika allgemein unter dem Namen „Vater Heinrich“ bekannt [s. d. Bd. VIII, S. 226][WS 1], gestorben zu Newyork 3. Mai 1861.
    Recensionen und Mittheilungen über Theater und Musik (Wien, 4°.) Jahrg. 1861, Bd. I, S. 367. [Band 14, S. 474]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: [s. d. Bd. VIII, S. 225].
  2. Vorlage: mittterweile.
  3. Vorlage: Rythmischen.