Bürgerlicher Zustand der Mulatten in dem brittischen Westindien
Bürgerlicher Zustand der Mulatten in dem brittischen Westindien.
Die große und reiche Insel Jamaika war während Cromwell’s Protektorat im J. 1655 unter brittische Herrschaft gekommen. König Karl II ertheilte ihr bald nach seiner Rückkehr einen Freiheitsbrief, kraft dessen sie eine Art von Parlament (house of assembly) mit eigner und selbstständiger gesetzgebender Gewalt erhielt. Die Urkunde enthält die Klausel, daß „alle in Jamaika gebornen Kinder brittischer Unterthanen in Hinsicht ihrer bürgerlichen Rechte vollkommen ebenso angesehen werden sollen, als wären sie in Großbritannien geboren,“ – eine Erklärung, die zwar längst als Grundsatz des brittischen Staatsrechts anerkannt war, hier aber zum Beweise dient, wie wenig man damals noch daran dachte, die Hautfarbe als Ausschließungsgrund von dem Genusse bürgerlicher Rechte geltend zu machen. Der Regierung der Königin Anna, wo Freiheitsbeschränkungen aller Art an der Tagesordnung waren, blieb es vorbehalten, durch eine Parlamentsakte vom Jahre 1711 die Farbigen und Indianer von allen öffentlichen Aemtern des Staates und der Gemeinden auszuschließen. Noch weiter ging man unter Georg II, indem man im J. 1733 alle Mulatten bis zum vierten Grade afrikanischer Abkunft ihres activen Wahlrechts beraubte. Ebenso wurde die bisherige Gewohnheit, Mulatten nicht als Zeugen gegen Weiße gelten zu lassen, gesetzlich bestätigt und ihnen nur eben noch aus Gnade zugestanden, gegen einander selbst und etwa gegen ihre schwarzen Verwandten zeugen zu können.
Ungeachtet dieser Bedrückungen einer falschen und engherzigen Kolonialpolitik stieg ihre Zahl, wie ihr Reichthum außerordentlich. Aus einer Zusammenstellung, die durch die Kolonialversammlung im J. 1762 veranlaßt wurde, ergab sich, daß in den letztverflossenen Jahren eine Summe von 2 bis 300,000 Pf. St., vier Pflanzungen mit eingeschlossen, nur allein durch Erbschaft an sie gekommen war. Man glaubte deßhalb, um ihre Macht zu brechen, sowohl ihre Erbfähigkeit, als ihren Grunderwerb einschränken zu müssen, und dieß geschah mit solcher Härte, daß ihnen nur noch bis zu einer Summe von 2000 Pf. St. durch Vermächtniß oder Grundkauf zu erwerben erlaubt blieb. Um J. 1713 machte man sogar auch den Versuch, sie durch ein Gesetz von allen Anstellungen auf Pflanzungen auszuschließen, und da dieses die königliche Genehmigung nicht erhielt, so umging die Kolonialversammlung dieselbe durch jährlich erneuerte „provisorische Verordnungen,“ wodurch den Pflanzern bei schwerer Strafe geboten wurde, alle Stellen auf ihren Pflanzungen mit Weißen zu besetzen. Dieß Verfahren dauerte bis zum J. 1826, wo der Gouverneur seine Zustimmung verweigerte. Andere Beschränkungen waren schon früher beseitigt oder doch gemildert worden. So gestand die Versammlung nach dem Kriege mit den Maronen-Negern im J 1792, wo die freien Farbigen die Kolonie und die Weißen vom Schicksale St. Domingo’s gerettet hatten, ihnen gleichsam als Belohnung und Anerkennung ihrer Verdienste das bedeutende Recht zu, gegen Weiße zeugen zu können, von denen sie beleidigt oder in ihren Rechten beeinträchtigt worden; aber – blos dem Beleidigten allein, nicht auch andern seiner Farbe, die etwa Augenzeugen gewesen seyn mochten! Erst im J. 1813 gelang es, diese und andere Beschränkungen der Zeugschaft gegen Weiße völlig aufzuheben; so auch die Einschränkungen der Erbfähigkeit und des Grunderwerbs. Im J. 1816 ward den Mulatten auch die Küstenfahrt mit eignen Schiffen und die Ausübung der Fracht- und Miethfahrt zu Lande – bisher ebenfalls Privilegien der Weißen – frei gegeben. Dessen ungeachtet dauern immer noch drei Hauptbeschränkungen fort: Die Entziehung des activen und passiven Wahlrechts zu den Colonialversammlungen, die Ausschließung von öffentlichen Aemtern, und, was einen brittischen Bürger am schwersten drücken muß, die Unfähigkeit in der Jury zu sitzen und von seines Gleichen gerichtet zu werden.
Ihre gegenwärtige Anzahl in Jamaika wird auf 30,000 (die der freien Neger außerdem auf 10,000) angegeben, und übertrifft also die der Weißen bei weitem, deren kaum 10 bis 12,000 sind: eine Zahl, die sich noch tagtäglich vermindert. In gleichem Verhältnisse wächst ihr Reichthum, und es finden sich mehrere unter ihnen, die ein Vermögen von 150 bis 200,000 Pf. St. besitzen.
Was soll man nunmehr bewundern, die Ungerechtigkeit jener Kolonisten oder ihre falsche Politik, die ihnen selbst die größte Gefahr droht, da es kaum zu erwarten steht, daß eine gegenwärtig an Zahl wie an Mitteln so überlegene Mehrheit sich von einer eben so schwachen als anmaßenden Minorität auf die Länge ohne Widerstand unterdrücken lassen werde.