Textdaten
<<< >>>
Autor: Hermann von Baudissin
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ausstellungs-Briefe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, 31, S. 456–457, 540–544
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[456]

Ausstellungs-Briefe.

Von Hermann von Baudissin. 0 Mit Originalzeichnungen von G. Theuerkauf.
1. Ein Abend in der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin.


Ihren Wunsch erfülle ich sogleich! Gewohnheit nimmt den Dingen rasch ihren Glanz und ihre Farben und ich möchte Ihnen gern ein Bild der Jubiläums-Ausstellung entwerfen, das noch „staubfrei“ ist, in dem die Gegenstände und Erscheinungen unter dem Reiz der Neuheit ein besonderes Gesicht haben. Ausführliche Berichte mit allen Einzelheiten bringen die Zeitungen, ich muß schon versuchen, Ihnen über das, was ich mit meinen Augen gesehen, was mich insbesondere fesselte, – etwas vorzuplaudern.

Sie wissen, daß selbst die großen Städte noch ihren Taumel haben können, daß kein Fleck Erde so groß ist, daß das Außergewöhnlichste nur wie etwas Alltägliches wirkt. Vielleicht feiern Sie in Ihrem kleinen Provinzialstädtchen gerade das alljährlich wiederkehrende Schützenfest, und Alles rührt und regt sich – wenn auch zum Theil mit erhabener Miene – um daran Theil zu nehmen.

Also: Berlin befindet sich in einem Ausstellungstaumel. Noch sind die Ueberlegungen wegen der Sommerausflüge nicht ernsthaft – noch giebt es keine Blasirten, die schon wieder nach neuen Anreizubgen auslugen – vorläufig ist Moabit der Mittelpunkt des Tages-Vergnügungs-Denkens!

„Wohin gehen wir also morgen?“ „Wo speisen wir um sechs Uhr?“ „Wo treffen wir uns Abends?“ schwirrt’s durch die Gesellschaftsklassen. Und: „Rechts neben der Musik vorm Haupt-Restaurant!“ „Im Kafé!“ „In der Eingangshalle!“ so lauten die Verabredungen.

Ich hatte keine solche. Ich war allein, als ich gestern meinen Weg nach Moabit nahm. Kurz vor dem Eingang blieb ich stehen, um das Gesammtbild ringsum auf mich wirken zu lassen. Eine endlose Wagenreihe und ein dadurch sich stauender Verkehr! Mit der den meisten Menschen anhaftenden Eile, derselben Hast, die man kurz vor dem Beginn der Theater beobachten kann, verlassen die Ankömmlinge die Wagen, schlagen den Kutschenschlag zu und stürmen zur Kasse. An ihnen vorüber einige Hundert, welche eben den „Tempel der Kunst“ verlassen haben und die auf den Gleisen wartenden Pferdebahnwagen benutzen wollen. Eben speien diese ihre Insassen aus. Herrische Rufe der Schutzleute ertönen. Rasch biegen Wagen aus – hier flieht noch ein Verspäteter über den Straßendamm. Nun geht’s ans Erobern der Plätze – – vor mir breitet sich Moabit mit dem gewaltigen Justizpalast zur Rechten aus; links im Grunde auf den großen Terrains der Lehrter Bahn ist noch spätes eilfertiges Hin und Her. Zwischen den rothen, grünen und gelben Lichtern – es ist gegen neun Uhr Abends – rasen Züge und einzelne gluthäugige, dampfende und schreiende Lokomotiven. Jetzt aber stürmt hoch über den Häuptern der Tausende auch ein Vorortszug der Stadtbahn vorüber – und das Auge, hin und herschweifend, bleibt endlich haften an den bewimpelten Spitzen und Thürmen der Ausstellung! Ein reizvolles, großartiges Bild!

Auch ich löse mir jetzt ein Billett und steige die große Treppe hinab. Vor mir der große Kuppelbau, breite Wege, grüne Rasen – das Rauschen des Wasserfalles dringt an mein Ohr. Eilfertig plätschern die silbernen Wellen herab und reinigen mit ihrem Athem die Luft.

Aus der Eingangshalle quillt das fluthende Licht und wirft eigene Reflexe auf das Grün und den weißen Sand der Gänge. Da steht Siemering’s gewaltiges Reiterbild Washington’s zur Linken. Das markige Gesicht schaut in die Ferne; fest hält die kräftlge Faust die Zügel des Riesenthieres. Selbst ein Riesenwächter vor dem Eingange in das Allerheiligste des – Vergnügens!

[457] Das Allerheiligste der Kunst – die Gemäldeausstellung – mit ihren schier zahllosen Schätzen zu beschreiben, muß ich den Kunstbewanderten überlassen. Ich könnte höchstens die Vermuthung aussprechen, daß auch Sie – ohne Hinweis von Seiten der Kundigen – vor den beiden Perlen der Ausstellung stehen bleiben und einmal eines der größten Virtuosenstücke und einmal das Produkt höchster Kunsteinfachheit bewundern würden: Gussow’s und Herkomer’s Portraits einer Dame!

Denken Sie sich zwei große Bilder auf einem weißen Hintergrunde – plastisch zum Erstaunen.

Nur in die Tiefen der gefalteten Hände legte Gussow einen dunklen Ton. Alles ist weiß. Der ganzen Lehre von Schatten und Licht wird ein entzückendes Schnippchen geschlagen!

Herkomer aber, verschmähend alle kleinen Partikelchen, durch welche dieses Bild zu seiner großen Wirkung gelangt, grub einen lebenden Menschen in die Leinwand ein. Man möchte auf die schöne Frau zugehen und ihr die Hand zum Gruße bieten. – Kein Schmuck! Selbst die wundervollen Arme dem Beschauer zu zeigen, verschmähte der Realist. Hochgeknöpfte Handschuhe verbergen die Formen und die Farben; nur oben quillt das vornehme Weiß der Arme zwischen den edlen Linien hervor. – –

Von der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin: Osteria im Ausstellungspark.

Ich stand oben auf dem Plateau der Osteria, welche unser Bild wiedergiebt. Von dem gerade anwesenden genialen und unermüdlichen Arrangeur der Künstlerfeste, dem Bildhauer Neumann, hatte ich mir die Erlaubniß zum Eintritte in das sonst nur den Künstlern und ihren Familien geöffnete „Bijou“ erwirkt. Ich ließ mein Auge über den ganzen Park schweifen. Noch erschienen die elektrischen Flammen wie fremde, ein unberechtigtes Dasein führende Lichter; nur ihre silberfarbenen Töne wirkten mit, um das schöne Bild noch eigenartiger zu machen. Zur Rechten dehnt sich die mit Bäumen besetzte Avenue – eine zweite Lästerallee des zoologischen Gartens – aus. Alles ist dichtgedrängt von Menschen; Tausende wandeln auf und ab. Aus dem Grün der Bäume und Gebüsche schimmern die Lichter wie funkelnde Sonnen. Noch heller strahlt’s hervor aus dem Kafé, besetzt mit hundert Tischen und zahllosen lachenden, schwatzenden und lärmenden Menschen. Bald wälzt sich der Strom vorüber, bald wendet er sich links über die Brücke und entschwindet zeitweilig dem Auge. Mitten aus der großen Fläche erhebt sich eine dichte Waldpartie, durchleuchtet von den Lichtern der kleinen Pavillons und märchenhaft verschönt durch den Millionstaub der silbernen Fontainen, die über den grünen Gebüschen emporsteigen.

Hoch ragt die Kuppel des Haupt-Restaurants empor. Alles ist von Licht umstrahlt, die Militärkapelle spielt; in den Sälen und Glasveranden sitzen Hunderte über Hunderte, ebenso viele drängen, eilen, schleppen, zögern an einander vorüber – ein endloser Rundgang – ein summendes, gurrendes, von der Musik übertöntes Geräusch tönt herüber – Lachen erschallt – Kinder haschen sich – Kellner eilen – Berlin ist lustig!

Nun taucht hinter mir ein vorüberbrausender Zug auf. Wie eine glühende langgestreckte Raupe erscheint und verschwindet dieser. – Stille tritt ein. Die Musik schweigt zeitweilig. Es paßt die größere Ruhe zu dem Eindruck, den ich jetzt, zur Linken mich wendend, empfange. In der Abenddämmerung steigt der riesige vornehme, hochaufgetreppte Tempel von Olympia-Pergamon empor. Ernst, würdevoll, umflossen von einem heiligen Etwas der Unnahbarkeit – ein Sitz der Götter – fesselt er das Auge. Mächtige dorische Säulen stützen das Giebelgebälk, das den Prachtbau krönt. Menschen steigen langsam hinauf und schreiten herab. Winzig erscheinen sie, und Ehrfurcht, meint man, müsse sie durchdringen, wenn sie sich dem Zeusaltar nähern. – Vor dem Tempel – von hier gesehen weniger störend für den Gesammteindruck – der Obelisk, einst im iahre 1878 von Kyllmann und Heyden erbaut als Ovation für unseren großen Kaiser, jetzt – zur Ausführung geplant – noch einmal als Modell dem Beschauer geboten.

Weiterhin, näher der Osteria, bleibt der Blick haften an dem altägyptischen Tempel mit seinen großen eingelassenen Pharaobildern. Ruhende Sphinxe flankiren den Eingang des von Säulen getragenen, mit Inschriften und Zeichen geschmückten und durch eine Kolossalstatue von Ramses gehobenen großartigen Baues. Zu vollerer Wirkung gelangen diese Nachbildungen älterer Kunst durch die flachere und weniger belebte Umgebung. In ihrer einsamen Größe wirken sie überraschend.

Ich steige hinab und trete in die Osteria ein. Diese Kopie einer zum Theil auf altem Gemäuer aufgebauten, durchweg von Künstlern besuchten italienischen Schenke ist so eigenartig schön, daß eine Beschreibung – die beste – hinter der Wirklichkeit zurückbleiben muß. Jedes Künstlerauge wird davon entzückt sein. Mit dem äußersten Raffinement ist jeder kleinsten Einzelheit Rechnung getragen, und doch wirkt das Ganze durchaus unabsichtlich.

Man hat keine träge, abgenutzte Farbe verschmäht, keine Unregelmäßigkeit, keine Spuren des Alters und des Gebrauchs.

Von der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin: Der ägyptische Tempel.

Die hochaufstrebende Säule mit dem Heiligen, der Treppenaufgang, die Seitenmauer, das plätschernde Wasser, das von Weinlaub umrankte Dach, die Wände mit ihrem ziellos aagebrachten Schmuck, das innere mit seiaen Säulen, den besponnenen Flaschen und Zwiebelgewächsen, das kleine Küchenfenster und das Büffett, die Tische, die Stühle – und vor Allem die mit einer wahrhaft genial–übermüthigen Laune von den ersten Künstlern Berlins bemalten Wände – das Alles muß man sehen.

Und zum Schluß bitte ich Sie, noch mit mir einzutreten in das Innere der großea Bauten. Im Pergamon-Tempel breitet sich, von der Sonne umflossen, in den eigenthümlich gedämpften Farben des Südens das Halbpanorama der Stadt und der Burg von Pergamon aus.

Berge, Hügel, Kunststraßen, Plateaus, Villen, Paläste, Tempel, Riesentreppen, Volk, Menschen, Heerzüge, Reiter, Krieger, Elefanten, Gärten, Stillleben, Einsamkeit, ein Häusermeer und eine in Schönheit eingetauchte traumhafte Gegend im Hintergrunde! Die Maler Kips und Max Koch haben diese gewaltige Aufgabe in vollendeter Weise gelöst.

Der ägyptische Tempel enthält das von einer Reihe hervorragender Künstler gemalte Diorana, welches in seinen einzelnen zum Theil äußerst gelungenen Bildern überseeische Begebenheiten zum Ausdruck bringt und an Bekanntes oder Charakteristisches anknüpft. Voran steht Stanley am Kongostrom, dann folgen Nachtigall’s Bestattung, eine Elefantenjagd (äußerst plastisch gemalt), Blutsbruderschaft des mehrfach genannten Dr. Peters mit einem afrikanischen Sultan und endlich eine Flottendemonstration vor Sansibar.

Inzwischen hatte sich vollständige Dunkelheit auf die Erde gelegt.

Als ich die Stufen des ägyptischen Tempels herabstieg, war das elektrische Licht bereits zu seinem Recht gelangt und hatte dem Himmel ein Blau verliehen, als sei ein Riesenpinsel gleichmäßig hinübergeglitten, um das Schönheitsbild zu vervollständigen. Rauschendes, schneeweißes Wasser, ein blauer Himmel, hundert bunte Farben, grüne Bäume und Gebüsche, Spitzen, Thürme, Kuppeln, Fahnen, bewegtes Leben in den Wegen und auf den Plätzen, lustige Fanfaren aus den Musikhallen – und Alles umflossen und verklärt und tageshell erleuchtet von den elektrischen Lichtströmen. Und nun kommen Sie selbst und erfreuen Sie sich an den Eindrücken der Jubiläums-Ausstellung in Berlin!




[540]
2.0 Das Fest der Künstler.

Schwertertanz.

Darf ich Ihnen heute noch einmal etwas von der Jubiläums-Ausstellung vorplaudern? Diesmal will ich von dem Künstlerfeste berichten, dem ‚griechischen Feste‘, welches uns in so wundervoller Pracht das Leben und Treiben des kriegstüchtigen und zugleich kunstfrohen Hellas auf wenige Stunden vorzauberte. – Als ich am Abend des 25. Juni den Ausstellungspark betrat – waren sämmtliche Tribünen bereits besetzt. Was sich in Berlin zur „Intelligenz“ rechnete und das Geld lose in der Tasche fühlte – zwischen zehn und dreißig Mark schwankten die Preise für die Eintrittsbillets – hatte sich eingefunden.

Schon gegen halb sechs Uhr waren alle Sitze vergeben, und selbst der Oberbürgermeister von Berlin, Herr von Forckenbeck, mußte sich mit einem Stehplatze an der Treppe des Pergamenischen Tempels begnügen.

Freilich befand sich hier der Beschauer in unmittelbarster Nähe alles Dessen, was sich in den folgenden Stunden abspielen sollte; denn der Zug, von dem Ausgangspunkt – der Stadtbahn – beginnend, erreichte auf dem Platze vor dem Tempel sein Endziel.

Eine allgemeine Bewegung machte sich bemerkbar, als mit dem Schlage sechs Uhr das kronprinzliche Paar mit seiner Begleitung eintraf.

Der Kronprinz war in blauer Dragoneruniform erschienen und ragte mit seiner Gestalt hoch unter den Mitgliedern des ihn bewillkommnenden Festausschusses hervor.

Nun säuberten die angestellten Beamten den großen Platz um den Obelisken, und der Aufzug begann.

Vorher erschien auf dem Altarplatz des Tempels der Herold. (Professor Hertel) und theilte mit laut vernehmbarer Stimme dem Publikum das Programm mit:

„Posaunen erwecken die alte Zeit,
Lebendig wird Längstvergangenes heut.
Zweitausend Jahre denket zurück,
Ihr Schaut die Tage von Pergamons Glück.
Barbaren bedrohten Reich und Land,
Der König schlug sie mit starker Hand.
Nun kehrt er heim, mit dem Siege geschmückt,
Die Seinen umjauchzen ihn hochentzückt. –
Zu opfern nahet dem Altar
Held Attalos mit Heeresschar.“

Tubenstöße verkündigten alsdann das Herannahen des Herrschers. Ein Zug von etwa 1500 Menschen setzte sich in Bewegung. In feierlichem Schritt erschien zunächst der Areopag, und hinter ihm scharten sich die Musiker mit bronzenen Riesentuben und antiken Pauken. Sodann wälzte sich ein etwa 100 Personen umfassender Volkshaufe, Männer, Frauen, Jungfrauen und Kinder heran, dem ein Treffen von Kriegern folgte.

Diesen reihten sich in einem nicht enden wollenden Zuge die Gefangenen: Parther, Indier, Syrier, sowie auch das nubische Kriegsvolk in einem wunderbar wirkenden Farbengemisch der Kostüme an. Hinter ihnen die Trophäenträger, Flötenbläser, Wagen mit Kostbarkeiten und Beute, umringt von rufendem, schreiendem und musicirendem Volk. Dann Mauerbrecher, Steinschleuderer in großen Haufen, abermals Wagen, nochmals Trophäen, Opferthiere, Schafe, Esel, Kamele begleitendes Kriegsvolk, gefangene Fürsten, Leibwache, Priesterinnen und Tänzerinnen, Knaben und Mädchen mit vergoldeten Körben und Blumen, Fackelträger, Wettkämpfer, gefangene Königinnen auf Pferden und Kamelen, auch ein antiker Wagen aus Cypressenholz, von Ochsen gezogen, und abermals Volk.

Und mitten unter diesem Gewirr von Thieren und Menschen, letztere in glitzernden Harnischen und rautenverzierten Helmen, in phantastischen Kostümen mit Lanzen, Waffen, Tigerfellen, Decken, Panther- und Wolfspelzen – mitten in diesem farbenprächtigen und lebendigen Wirrwarr – der von vier weißen, prächtig

[541]

Das „griechische Fest“ auf der Jubiläums-Kunstausstellung in Berlin:
König Attalos giebt während des Opfers die Gefangenen frei.
Originialzeichnung von A. von Roeßler.

[542] geschirrten Schlachtrossen gezogene, durch die goldene Siegesgöttin beschirmte Triumphwagen des Königs Attalos, in dem er selbst, hochaufgerichtet, das ihn umjubelude Volk begrüßte. Auf seiner Brust strahlte eine goldene Sonne, ein goldgestickter Purpurmantel wallte von seinen Schultern herab. Beim Herannahen des Zuges schritten weißgekleidete Priester die Tempelstufen herab – voran Knaben; dann, von dem Oberpriester geführt, die Priester, die Priesterinnen und der Chor der Sänger. Diese stellten sich an dem vor dem Obeliskenplatze errichteten Triumphbogen auf, empfingen den Herrscher mit Gesang, segneten ihn und schlossen sich dann dem Zuge wieder an. Fanfaren ertönten, und Evoë-Geschrei erhob sich im Volke, als der König die Stufen des Tempels emporstieg.

Der Siegeswagen des Königs Attalos.

Nun nahm der Areopag oberhalb des Altars neben der Athene-Gruppe Aufstellung. Auf diesem selbst wurden die Feuer entzündet, und der Herrscher trat vor denselben.

Inzwischen hatten sich sämmtliche Mitglieder des Zuges in malerischen Stellungen auf die Freitreppe gelagert. Ein wundervoller Anblick!

Zunächst sprach der Oberpriester (Fingerling) in gebundener Rede. Sanfte Flötenmusik erscholl. Dann ergriff dieser noch einmal das Wort, und wieder erklang der Instrumente eigenthümlich eintönige Weise. Nun erfolgte das eigentliche Opfer, welches von Männerchorgesang und Orchestermusik begleitet ward.

Das große Standbild der Pallas Athene ward herbeigetragen und nach feierlichem Umzug hinter dem Opferort aufgerichtet.

Endlich sprach auch der König (Professor Paulsen) mit lauttönender Stimme zu dem Volke. Nach ihm hielt die Priesterin (Fräulein Geßner vom Deutschen Theater) eine Ansprache, und unter den Klängen des von Professor Joachim komponirten Hymnus begann jetzt die Opferhandlung. Priester und kerzenschwingende Priesterinnen umkreisten den Altar. Als der Oberpriester seine heilige Handlung verrichtet, begann der Reigentanz der Priesterinnen, die mit anmuthiger Bewegung Blumenkränze schwangen, um sie endlich auf den Altar niederzulegen. Und jetzt ein brausendes Evoë-Rufen des Volkes, da die Gefangenen vom König freigegeben worden waren. Abermals Musik und abermals Chorgesang und ein bewegtes Treiben auf und ab und hin und her unter den zahlreichen Menschen. Damit hatte das eigentliche Opferfest sein Ende erreicht und es folgten die Kampfbelustigungen auf dem freien Raum vor dem Tempel: Athletenspiele, Schwertertänze, Wettläufe, Ring- und Faustkämpfe, Lanzenwerfen, Wettlaufen mit Fackeln, Turniere der berittenen Fürsten und die Verleihung des Siegerkranzes durch den König Attalos. Den größten Beifall fand der Reiterkampf, welchen unser Künstler in seiner untenstehenden Illustration wiedergegeben hat. Einem der Reiter wurde das Schwert aus der Hand geschlagen, aber er verlor keineswegs die Geistesgegenwart; kurz entschlossen, umschlang er den Gegner und hob ihn aus dem Sattel.

Endlich gelangte noch auf der Freitreppe eine von Dr. Emil Jacobson, Dr. Stinde und Bildhauer Neumann erdachte und geleitete Pantomime „Der Bildhauer von Tanagra“ zur Darstellung, welche, von frischem Humor durchweht, die kleinen Nöthen und den Triumph des Künstlers der Gegenwart unter glücklich gewählter antiker Maske wiedergab.

Nach Beendigung dieses Schlußspiels verließ Fürst Attalos mit seinem bunten Gefolge den Tempel, und das großartige Volksfest, eingeleitet durch ein von Musik und Männerchor begleitetes Opfer am Dionysostempel vor dem Eingang des Platzes, nahm seinen Anfang.

Reiterkampf.

Bei diesem Abzug ward den Zuschauern die erste Gelegenheit geboten, alle Einzelheiten in der überaus großen Mannigfaltigkeit der Anzüge näher in Augenschein zu nehmen. Viele der jüngeren Künstler haben wochenlang studirt, um aufs Peinlichste ihr Kostüm der vergangenen Zeit anzupassen. Die Führer der einzelnen Züge mußten zum Theil monatelang ihre sonstige Thätigkeit einstellen, um ihrer verantwortlichen Aufgabe gerecht zu werden. Schmuck: Ringe, Ohrringe, Armreifen, Taschen, Stäbe, Kopfbedeckungen, Sandalen, Schwerter, Kostüme etc. wurden mit Fleiß herbeigeschafft, und in Allem machte sich eine Treue und Gediegenheit bemerkbar, welche auch bei Tageslicht [543] Stand hielt. Kurz vor Beendigung des Opferfestes wandte ich einmal den Blick zurück und überschaute das ganze Bild. Gerade tauchte die Abendsonne den Platz und seine Umgebung in unnachahmliche Farben. Hell flimmerte das Haupt der Siegesgöttin vom Triumphwagen des Königs. Von den Epauletten der Officiere, dem Schmuck der Damen, aus den Gläsern und Opernguckern blitzten tausend kleine goldene Fünkchen, und das Grün der Bäume und Gebüsche war von dem Gold des Himmels durchgluthet. Und ringsum in den Fenstern, auf den Dächern der anliegenden Straßen Tausende von Zuschauern, die auf das Schauspiel herabsahen.

Reigen der Priesterinnen.

Von der Physiognomie des in immer wieder wechselnden Farben auftauchenden Parkes mit seinem Gewühl und Treiben und allen Sehenswürdigkeiten eine erschöpfende Beschreibung zu geben, ist schwer.

Denken Sie sich den großen Garten mit seinen herrlichen von elektrischem Licht umflossenen Springbrunnen, seinem von tausend glitzernden Lichtern umgebenen See, die großen Tempel, eingetaucht bald in rothes, bald in grünes magisches Licht, aus den Gebüschen hervorlugende schneeweiße Statuen, Götterbilder, Nachbildungen der Kunst, bald ernst, bald launig, Altäre, kleine Tempel, daneben Verkaufsbuden, phantastisch aufgeputzt, bemalt und beschrieben mit griechischen Inschriften, in ihren Räumen buntgekleidete Nubier, Perser und Griechen, Tausende von kleinen Flammen in bunten Gläsern, die entweder ein kleines Theater oder eine Schaubude umrahmen – teppichbelegte und mit vielfarbigen Stoffen umhüllte Tribünen mit singenden, auf griechischen Instrumenten musicirenden Menschen im Kostüm des Alterthums. Ausrufer und Anpreisende, geschmückt mit Perlen, Federn und Pelzen, herumziehende Kapellen, dann Lager für die Krieger mit Zelten und Waffenplätzen, wieder Schaubühnen, dekorirt mit persischen und indischen Stoffen. Ueberall Rufen, Schreien, Singen, Musiciren, Tanzen! In den Wegen alle die Tausende, unter ihnen die Künstler und deren Frauen: griechische Krieger, Priesterinnen, rosengeschmückte Jungfrauen, behelmte ergraute Feldherren! Und aus den Restaurants, aus dem Café das Schwirren, Summen und Lachen der Menge, das Hin und Her der Dienenden, die Musik, das Treiben, das Auf- und Abwogen aller dieser der fröhlichsten Lust sich hingebenden, zahlreichen Menschen. Das für Eindrücke empfänglichste Auge war kaum im Stande, das Alles aufzunehmen. Eine solche Fülle von Licht, Farben, Tönen, ungewohnten Bildern und ungewohnten Erscheinungen war sinnverwirrend. Das Publikum zog von einem Schautempel zum anderen. Unterwegs hielten Inhaber der Verkaufsbuden Vorübergehende auf. Ueberall erscholl das Angebot: Schmuck! Schmuck! Pergamenische Postkarten! Oliven! Oliven! Kauft Blumen! Wegweiser durch das pergamenische Gedränge! Vasen, Perlen, Broschen, Armbänder hier, griechische Getränke dort. –

Im Hades.

Das trojanische Pferd, die Menagerie, das griechische Tingel-Tangel, die Osteria mit ihrer märchenhaften Umgebung, der große Restaurantsaal mit seinen essenden, trinkenden, schwatzenden, rauchenden Menschen: überall, wohin man sah, ausgelassenstes Leben! Selbst das Reich der stummen Geister, der dunkle Hades, wurde von frohen Scharen bestürmt. Man hatte einen der kleinen Teiche des Parks durch hohe „Felswände“ von Pappe in den Styx umgewandelt. Charon hielt mit seinem Nachen am Ufer, verhüllte Jedem, der nach der Unterwelt begehrte, das Haupt mit einem fahlgrauen Mantel und fuhr ihn für zwanzig Pfennig hinüber. Drüben spie ein dreiköpfiger Cerberus den Ankommenden Feuer und Qualm entgegen. An diesem aus Thon gefertigten Ungeheuer vorbei führte der Weg in eine enge Felsenhöhle, von der aus man durch Spalten unabsehbare Scharen der Abgeschiedenen einherschweben sah. Nach kurzer Wanderung im Stockfinstern gelangte man endlich in eine kleine Grotte, wo zwei mitleidige jungfräuliche „Schatten“ den durstigen Seelen in [544] antiken Krügelchen „Lethe“ reichten – den Trank der Vergessenheit. Doch wer von diesem Lethestrom, der wie ein trefflicher Wein mundete, gekostet hatte, dem entschwand keineswegs die Erinnerung für das herrliche Fest der Künstler, welches allen Theilnehmern unvergeßlich bleiben wird. – Tausende haben geholfen, das Fest zu Stande zu bringen, ungeheure Summen hat es gekostet – und beispiellos war das Gelingen! Berlin wird sich desselben noch in spätester Zeit erinnern – in einer Zeit, wo hoffentlich nicht minder die Verhältnisse gestatten, sich an den Werken des Friedens, der Kunst und Schönheit zu erfreuen.