Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Aphraates/Abhandlung über die Buße

Textdaten
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Autor: Aphrahat
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Titel: Abhandlung über die Buße
Untertitel:
aus: Bibliothek der Kirchenväter, Band 38, S. 85–103.
Herausgeber: Gustav Bickell
Auflage: 1
Entstehungsdatum: 3./4. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Jos. Koesel’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Kempten
Übersetzer: Gustav Bickell
Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
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[085]
Abhandlung über die Buße.




Es gibt nur einen Siegreichen unter den im Gewande des Leibes Geborenen, nämlich unseren Herrn Jesum Christum. Denn also legt er selbst Zeugniß über sich ab:[1] „Ich habe die Welt überwunden.“ Ebenso bezeugt auch der Prophet[2] von ihm, daß er frei von Schuld sei und kein Trug in seinem Munde gefunden werde. Und der selige Apostel sagt:[3] „Er hat den, welcher von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht.“ Wie aber hat er ihn zur Sünde gemacht, wenn nicht dadurch, daß er die Sünde auf sich nahm, obgleich er sie nicht begangen hatte, und sie an sein Kreuz heftete? Wiederum sagt der Apostel:[4] „Viele eilen in der Rennbahn, aber nur Einer empfängt den Siegeskranz.“ Es gibt keinen anderen unter den Söhnen Adams, der sich in den Kampf begeben hätte, ohne Wunden und Schläge davon [086] zu tragen. Denn die Sünde herrschte seit der Gebotsübertretung Adams, und obgleich sie von Vielen geschlagen wurde, hat sie doch Viele verwundet und Viele getödtet, während Keiner unter den Vielen sie tödten konnte, bis daß unser Erlöser kam, sie auf sich nahm und an sein Kreuz heftete. Aber auch nachdem sie an das Kreuz genagelt war, behielt sie doch ihren Stachel und sticht damit Viele bis zum Weltende, wo ihr Stachel gebrochen werden soll. Für alle Leiden gibt es Heilmittel, wodurch sie ein weiser Arzt beseitigen kann. Aber die Arznei für die in unserem Kampfe Verletzten ist die Buße, welche sie auf ihre Wunden legen lassen müssen, um geheilt zu werden.

O ihr Ärzte, ihr Schüler unseres weisen Arztes, versehet euch mit diesem Heilmittel, um dadurch die Wunden der Kranken zu heilen! Denn wenn die im Kampfe von den Feinden verwundeten Krieger einen weisen Arzt finden, so sinnt dieser auf ihre Heilung, wie er die Verwundeten wieder herstelle; und wenn er den im Kampfe Verletzten geheilt hat, empfängt er Geschenke und Ehrenbezeigungen von dem König. Ebenso, mein Lieber, muß man auch Demjenigen, welcher in unserem Kampfe von dem Feinde überwältigt und verwundet worden ist, das Heilmittel der Buße reichen, wenn nämlich der Verwundete innige Reue empfindet. Denn Gott verwirft die Büßer nicht, wie der Prophet Ezechiel sagt:[5] „Ich habe kein Wohlgefallen an dem Tode des Sünders, sondern daß er sich von seinem bösen Wege bekehre und lebe.“ Der im Kampfe Verwundete schämt sich ja auch nicht, sich einem kundigen Arzte zu zeigen und anzuvertrauen; denn wenn ihn auch der Feind überwunden und verletzt hat, so weist ihn doch der König nach seiner Heilung nicht zurück, sondern reiht ihn wieder in sein Heer ein. Ebenso darf sich auch der Mensch, welchen der Teufel verwundet hat, nicht schämen, seine Sünde zu bekennen, sie zu verlassen [087] und um das Heilmittel der Buße zu bitten. Denn wer sich schämt, seine Wunde zu zeigen, bekommt den Krebs, wodurch sich der Schaden über seinen ganzen Leib ausbreitet. Wer sich dagegen nicht schämt, dessen Wunde wird geheilt, und er kann wieder in den Kampf zurückkehren. Wer sich aber den Krebs zugezogen hat, der kann nicht wieder geheilt werden und die ausgezogene Rüstung nicht wieder anlegen. So gibt es auch für den in unserem Kampfe Überwundenen dadurch eine Rettung und Heilung, daß er sagt: „Ich habe gesündigt“ und die Buße verlangt. Wer sich aber schämt, kann nicht geheilt werden, weil er seine Wunden dem Arzte nicht zeigen will, der die zwei Denare empfangen hat, wodurch er alle Verwundeten heilt.[6]

Es geziemt sich aber auch, daß ihr Ärzte, Schüler jenes unseres allerheiligsten Arztes, die Arznei den derselben Bedürftigen nicht verweigert. Wer euch seine Wunde zeigt, dem gewähret das Heilmittel der Buße; und wer sich schämt, euch sein Leiden zu zeigen, den warnet, daß er es nicht vor euch verberge! Wenn er es euch dann aufgedeckt hat, so stellt ihn nicht bloß, damit nicht um seinetwillen auch die [088] Siegreichen von unseren Feinden und Hassern für Unterlegene gehalten werden. Denn wenn aus einer Heerschaar Getödtete fallen, so rechnen Dieß die Feinde Allen als Niederlage an. Umgekehrt suchen die unverletzt Gebliebenen die Wunden ihrer verwundeten Kameraden zu heilen und offenbaren sie nicht ihren Feinden. Denn wenn sie dieselben einem Jeden kund thun würden, so würde ja das ganze Heerlager dadurch in schlechten Ruf kommen. Aber auch der König als höchster Kriegsherr zürnt über Diejenigen, welche sein Heer bloßstellen, und sie erhalten von ihm härtere Schläge, als die im Kriege Verletzten erlitten hatten.[7]

Wenn jedoch die Verwundeten ihre Wunden nicht zeigen wollen, so kann die Ärzte kein Tadel treffen, daß sie die Verletzungen der Kranken nicht geheilt hätten. Und wenn die Verletzten ihr Leiden verbergen wollen, können sie fortan die Rüstung nicht mehr tragen, weil sie sich den Krebs zugezogen haben. Wenn sie dennoch, obgleich sie am Krebs leiden, es wagen, die Rüstung anzulegen und in den Kampf zu ziehen, so macht ihnen der Panzer heiß, ihre Wunden faulen und eitern, und sie müssen sterben. Wenn dann Diejenigen, vor welchen sie ihre Wunden verheimlicht hatten, ihre Leichen auffinden, so spotten sie über die ganze Verstellung Jener, welche die Schmerzen ihrer Wunden verhehlt hatten, und gestatten nicht einmal, daß sie des Begräbnisses gewürdigt werden, indem man sie als böse und verwegene Thoren betrachtet. Doch auch wer seine Wunde gezeigt hat und geheilt worden ist, möge die geheilte Stelle sorgfältig [089] schonen, damit er nicht abermals an derselben verletzt werde. Denn die Heilung eines zum zweiten Mal Verwundeten ist selbst für einen kundigen Arzt schwierig, weil Wunden auf einer Narbe nicht wohl geheilt werden können. Doch selbst wenn auch ein Solcher wieder geheilt ist, kann er wenigstens die Rüstung nicht mehr tragen. Und wenn er es selbst wagen wollte, die Rüstung wieder anzulegen, so hat er doch auf jeden Fall die Gewohnheit und Geneigtheit, im Kampfe zu unterliegen, angenommen.

O ihr, die ihr mit der Rüstung Christi bekleidet seid, lernet die Kriegsbeute zu gewinnen, damit ihr nicht unterlieget und im Kampfe zu Schanden werdet! Unser Widersacher ist schlau und listig, aber seine Rüstung kommt der unserigen nicht an Stärke gleich. Wir müssen also mit ihm ringen und seine Rüstung erbeuten, indem wir nicht schlafen, sondern wachen. Da er, während er mit uns kämpft, für uns unsichtbar bleibt, so laßt uns unsere Zuflucht zu Dem nehmen, welcher ihn sieht, auf daß Er ihn uns unschädlich mache!

Euch Verwundeten aber rathe ich, daß ihr euch nicht schämen möget, zu sagen: „Wir sind im Kampfe unterlegen.“ Empfanget vielmehr die Arznei, welche euch umsonst geschenkt wird, bekehret euch und rettet euer Leben, ehe ihr getödtet werdet! Euch Ärzte aber erinnere ich an das, was in den Schriften unseres weisen Arztes steht, welcher die Büßer nicht zurückweist. Denn als Adam gesündigt hatte, rief er ihn zur Buße, indem er ihn fragte: „Adam, wo bist du?“ Da wollte Jener vor dem Herzenserforscher seine Sünde verheimlichen und sie auf Eva schieben, die ihn verführt hatte. Weil er also sein Vergehen nicht bekannte, verurtheilte Gott ihn und alle seine Kinder zum Tode. Auch dem trugvollen Kain, dessen Opfer er nicht annahm, gab er Gelegenheit zur Buße, die dieser jedoch nicht benutzte. Denn Er sprach zu ihm: „Wenn du recht handelst, so nehme ich dein Opfer an; wenn aber nicht, so begleitet dich deine Sünde.“ Doch Jener tödtete seinen Bruder in der Bosheit seines Herzens und wurde verflucht; unstät und flüchtig [090] mußte er auf Erden umherirren. Auch dem sündhaften Geschlecht in den Tagen Noe’s gewährte er eine Bußfrist von hundertundzwanzig Jahren; aber sie wollten sich nicht bekehren und wurden nach Ablauf von hundert Jahren vertilgt. Siehe da, mein Lieber, um wie viel heilsamer es ist, daß man seine Vergehungen bekenne und von der Sünde ablasse, da ja unser Gott die Büßer nicht zurückweist. Denn auch die Niniviten hatten schwer gesündigt, nahmen aber die Bußpredigt des Jonas an, als er sie mit dem Untergang bedrohte, und bekehrten sich; da erbarmte sich Gott über sie. Ebenso rief er die mit großer Schuld belasteten Israeliten zur Buße, aber diese nahmen sie nicht an. Denn also rief er ihnen durch Jeremias[8] zu: „Bekehret euch als bußfertige Kinder, so will ich eure Büßerschaar heilen.“ Ferner verkündigte er also an Jerusalem:[9] „Bekehre dich zu mir, büßende Tochter!“ Wiederum sprach er zu den Israeliten:[10] „Thuet Buße und bekehret euch von euren bösen Wegen und von der Gottlosigkeit euerer Werke!“ Und auch so sprach er zu dem Volke:[11] „Wenn du dich zu mir bekehrst, so will ich mich wieder zu dir wenden, und du sollst vor mir stehen.“ Ferner sprach er auch diese strafenden Worte:[12] „Ich habe zu ihr gesagt: Bekehre dich zu mir, o Bewohnerin Israels, von ganzem Herzen; aber sie hat sich nicht bekehrt.“ Ja, er wählte sogar ein Beispiel, wodurch er an eine Vorschrift des Gesetzes erinnerte, und erklärte sich bereit, zu Gunsten ihrer Buße dieß Gesetz aufzuheben. Denn er sprach:[13] „Wenn ein Mann eine Frau nimmt und diese ihn verläßt und sich einen anderen Mann wählt, alsdann aber dieser andere Mann, der sie genommen hat, stirbt oder sich von ihr scheidet, und dann die Frau zu ihrem ersten Manne zurückkehren will, so soll es Diesem nicht gestattet sein, sie wieder zu sich zu nehmen, nachdem sie entweiht ist. Wenn er sie aber doch wieder nimmt, so wird dadurch das Land [091] entweiht und verunreinigt. Nun habe auch ich dich, o Jerusalem, angenommen, und du bist mein Eigenthum geworden. Aber du hast mich verlassen und bist hinaus gegangen, um mit Stein und Holz Buhlerei zu treiben. Bekehre dich nun zu mir, so will ich dich wieder annehmen und um deiner Buße willen jenes Gesetz aufheben.“

Fürchtet euch nicht, o Büßer, vor den Drohungen der heiligen Schrift, welche euch die Hoffnung abzuschneiden scheinen! Denn so geziemt es sich für den Geist Gottes, heilsame Warnungen zu ertheilen. Eine solche furchteinflößende Warnung erließ er durch den Propheten Ezechiel,[14] welchem er sagte: „Wenn ein Mensch sein ganzes Leben hindurch Gesetz und Gerechtigkeit ausübt, aber am letzten seiner Tage Frevel begeht, so wird er wegen dieses seines Frevels sterben. Umgekehrt, wenn Jemand sein ganzes Leben hindurch Frevel begangen hat, thut aber alsdann Buße und übt Gesetz und Gerechtigkeit, so wird seine Seele leben.“ So warnt er durch einen und denselben Ausspruch einerseits den Gerechten, auf daß er nicht sündige und das Verdienst seines Tugendlaufes verliere, und gibt andrerseits dem Sünder Hoffnung, damit er seine Gottlosigkeit verlasse und lebe. Wiederum sagte er zu Ezechiel:[15] Wenn ich gleich dem Sünder keine Hoffnung lasse, sollst du ihn dennoch fortwährend warnen. Wenn ich gleich den Gerechten gutes Muthes zu sein heiße, sollst du ihn dennoch in Furcht erhalten, damit er behutsam wandle. Wenn ich zu dem Sünder sage: „Du sollst des Todes sterben“, und du hast ihn nicht gewarnt, so wird zwar der Sünder um seines Frevels willen sterben, aber sein Blut werde ich von deiner Hand fordern, weil du ihn nicht gewarnt hast. Wenn du aber den Sünder warnst, so wird der durch dich gewarnte Sünder leben, und du errettest deine Seele. Und wenn du zu dem Gerechten sagst, daß er leben werde, und dieser dadurch allzu sicher wird, so mußt du ihn warnen, daß er sich nicht überhebe [092] und sündige; alsdann wird er, zur Behutsamkeit ermahnt, am Leben bleiben, und du errettest deine Seele.“

Höret ferner, o Büßer, von der über euch ausgestreckten, zur Buße einladenden Hand! Denn Er redet auch durch den Propheten Jeremias[16] und bietet die Buße an, indem er also spricht: „Wenn ich über ein Volk oder Reich Ausrottung, Zerstörung, Untergang und Vernichtung bestimme, aber dieses Volk bereut alsdann seine Sünde, so werde ich die über dasselbe verhängte Strafe wieder abwenden. Umgekehrt, wenn ich über ein Volk oder Reich Erbauung und Pflanzung bestimme, aber dieses Volk dadurch in Sicherheit geräth und Böses vor mir begeht, so entziebe auch ich ihm wieder das Heil, welches ich ihm verheissen hatte, und vertilge es um seines Frevels und seiner Sünden willen.“

Höret nun auch ihr, Inhaber der Schlüssel zu den Thoren des Himmels, und öffnet den Büßern die Thüre! Gedenket der Worte des seligen Apostels:[17] „Wenn einer unter euch in Sünde verfällt, so richtet ihr, die ihr geistlich seid, ihn wieder auf in sanftmüthigem Geiste, und hütet euch, daß ihr nicht etwa selbst in Versuchung gerathet!“ Durch diese Mahnung will ihnen nämlich der Apostel eine heilsame Furcht einflößen. Sagt er doch sogar von sich selbst:[18] „Vielleicht könnte ich, der ich Anderen predige, selbst verworfen werden.“ Wer also unter euch an Sünden leidet, den behandelt nicht wie einen Feind, sondern rathet ihm und ermahnet ihn wie einen Bruder! Denn wenn ihr ihn aus eurer Mitte ausschließen wollt, so wird er vom Teufel vollständig überwunden werden. Ferner sagt der Apostel:[19] „Wir, die wir stark sind, sind verpflichtet, die Krankheiten der Schwachen zu tragen.“ Auch sagt er:[20] „Das lahme Glied werde nicht gebrochen, sondern geheilt!“

Auch euch Büßern sage ich, daß ihr dieses euch zur Heilung verliehene Rettungsmittel eueren Seelen nicht vorenthalten [093] möget. Denn Er sagt in der Schrift:[21] „Wer seine Sünden bekennt und von ihnen abläßt; wird Barmherzigkeit bei Gott finden.“ Betrachtet den verlorenen Sohn, welcher seine Güter verschwendet hatte. Als er aber zu seinem Vater zurückkehrte, freute sich dieser und nahm ihn wieder auf. Er ließ ein gemästetes Kalb für ihn schlachten und war voller Freude über seine Buße, lud auch seine Freunde ein, auf daß sie sich mit ihm freuen möchten, umarmte und küßte ihn und sprach: „Dieser, mein Sohn, war todt und ist lebendig geworden; er war verloren und ist wieder gefunden worden.“ Auch tadelte ihn sein Vater nicht wegen der Vergeudung seines Vermögens. Ferner ermuthigt unser Herr die Büßer, indem er sagt:[22] „Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zur Buße zu rufen, sondern die Sünder.“ Auch sagt er:[23] „Es wird Freude im Himmel sein über einen Sünder der Buße thut, mehr als über neun und neunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.“ Unter der ganzen Heerde ist der Hirte am meisten für das verlorene Schaf besorgt, mehr als für die, welche sich nicht verirrt haben. Denn Christus ist für die Sünder, nicht für die Gerechten gestorben, wie er durch den Propheten sagt:[24] „Er hat die Sünden Vieler getragen.“ Und der Apostel schreibt:[25] „Wenn sich Gott, als wir noch Sünder waren, durch den Tod seines Sohnes mit uns aussöhnte, um wie viel mehr werden wir dann, nachdem wir mit ihm versöhnt sind, durch sein Leben selig werden!“

Wer seine Sünde bekennt, dem vergibt Gott. Denn als David gesündigt hatte, kam der Prophet Nathan zu ihm, um ihm seine Sünde und die dafür über ihn verhängte Strafe anzuzeigen. Da bekannte David, sagend: „Ich habe gesündigt.“ Darauf sprach der Prophet zu ihm: „So hat dir auch der Herr deine Sünde vergeben, weil du sie bekannt hast.“ Als er nun betete, sprach er also:[26] „Dir allein habe [094] ich gesündigt und Böses vor Dir gethan.“ Und wiederum flehte er also zu Gott:[27] „Führe deinen Diener nicht vor Gericht; denn vor dir ist kein Lebender gerecht!“ Auch Salomo spricht also:[28] „Wer kann sagen: Du bist unschuldig, mein Herz, und rein von Sünden?“ Deßgleichen steht im Gesetze geschrieben, daß Moyses in seiner Fürbitte vor Gott Dieses sagte:[29] „Du vergibst Schuld und Sünde, jedoch sprichst du nicht immer los.“ Als Gott dann sein Volk wegen dessen Sünden vertilgen wollte, sprach Moyses unter Gebet und Flehen also: „Vergib deinem Volke seine Sünde, wie du sie ihnen von Ägypten her bis auf diesen Tag vergeben hast!“ Da erwiderte ihm Gott: „Gemäß deinen Worten will ich ihnen vergeben.“ O ihr, die ihr die Buße verlanget, ahmet dem Hohenpriester Aaron nach, welcher, nachdem er durch das Kalb das Volk zur Sünde verleitet hatte, seine Schuld bekannte und deßhalb Vergebung derselben von seinem Herrn erhielt! Auch David, der größte unter den Königen Israels, bekannte seine Sünde, und sie wurde ihm vergeben. Auch Simon, das Oberhaupt der Jünger, hatte geleugnet, daß er Christum gesehen habe, und mit Schwüren und Verwünschungen betheuert, er kenne ihn nicht. Als er aber hierüber Reue empfand und seine Sünde durch Thränen abwusch, da nahm ihn unser Herr wieder an, machte ihn zum Fundament und nannte ihn Kephas, den Felsen, auf welchem der Bau der Kirche ruht.

Seid nicht thöricht gleich Adam, welcher sich schämte, seine Sünde zu bekennen! Auch dem Kain ahmet nicht nach, welcher, als er wegen der Ermordung seines Bruders zurechtgewiesen wurde, antwortete: „Ich weiß nicht, wo Abel ist, da ich nicht sein Hüter bin.“ Erhebet euch nicht in empörerischer, halsstarriger Dreistigkeit gleich jenem verkehrten Geschlecht! Häufet nicht Schuld auf Schuld, und mehret nicht euere Sünden. indem ihr euch selbst zu rechtfertigen sucht, während ihr doch straffällig seid! Höret, wie die Altväter [095] sich selbst verdemüthigten, obgleich sie doch gerecht waren! Denn Abraham sprach:[30] „Ich bin Staub und Asche“ und achtete sich selbst gering. Auch David sprach:[31] „Wie ein Hauch sind die Tage des Menschen.“ Salomo warnt uns also:[32] „Wenn der Gerechte nur mühsam sein Leben bewahren kann, wo wird dann der Sünder und Gottlose bleiben?“

Ich bitte dich aber, mein Lieber, bei der Barmherzigkeit Gottes, daß du ja nicht deßhalb, weil ich dir geschrieben habe, Gott verwerfe die Büßer nicht, nun etwa in deinen Anstrengungen nachlassest und so der Buße bedürftig werdest. Die Buße ist nur für die gegeben, welche ihrer bedürftig sind. Dir aber möge vielmehr das bessere Loos zu Theil werden, daß du der Buße überhaupt nicht bedürfest! Diese Hand ist nur für die Sünder ausgestreckt, die Gerechten aber brauchen sie nicht zu suchen. Denn auch das Almosen wird nur den Armen gegeben; die Reichen bedürfen desselben nicht. Dem von Räubern geplünderten und ausgezogenen Manne gibt man Kleider, damit er seine schamerregende Blöße bedecken könne. Was du hast, verliere nicht, damit du dich nicht damit abmühen müßest, es wieder aufzusuchen! Denn du findest es dann zwar vielleicht wieder, vielleicht aber auch nicht; und selbst wenn du es wiederfinden solltest, gleicht es doch deinem ursprünglichen Besitzthum nicht mehr. Denn ein reuiger Sünder steht nicht auf gleicher Stufe mit einem, von welchem die Sünde weit entfernt ist. Erwähle dir also lieber den höheren Theil und halte dich von jeder Verfehlung fern! Halte dich tapfer in deiner Rüstung, auf daß du nicht im Kampfe verwundet werdest! Bringe dich nicht in die Lage, daß du das Heilmittel verlangen und dich zu dem Arzt bemühen mußt! Denn wenn du auch geheilt wirst, so bleiben doch die Narben sichtbar, und du traust selbst deiner Heilung nicht recht und erwirbst dir so den [096] Ruf eines Feigen. Bleibe vielmehr über der Buße erhaben! Ein zerrissenes Kleid muß geflickt werden; aber wenn es auch noch so gut wieder zusammengenäht ist, kann es doch Jeder leicht von einem unbeschädigten unterscheiden. Wenn ein Zaun durchbrochen ist, bessert man ihn sorgfältig wieder aus; aber wenn die schadhafte Stelle auch noch so gut hergestellt ist, erkennt man doch leicht die Beschädigung. Wenn Diebe in ein Haus einbrechen, so wird es heimlich ausgeraubt; bald wird der Einbruch bemerkt, aber nur mit schwerer Mühe und Arbeit kann das Verlorene wieder erworben werden. Wer einen Fruchtbaum abschneidet, kann lange warten, bis derselbe von neuem ausschlägt und Früchte bringt. Wessen Wasserleitung einen Riß bekommen hat, der arbeitet sich ab, um ihn zu verstopfen; aber wenn er ihn auch noch so gut verstopft hat, bleibt er doch in Furcht, daß die Wasser anschwellen und ihn wieder aufreissen könnten. Wer einen Weinstock zur Zeit der Blüthe abgepflückt hat, beraubt sich des Genusses der Beeren. Wer gestohlen hat, wagt vor Scham sein Angesicht nicht zu erheben und hat viel Mühe und Noth, bis daß man sich seiner erbarmt. Wer im Weinberg nachlässig gearbeitet hat, empfängt den Lohn gesenkten Hauptes und kann nicht mehr verlangen. Wer die Leidenschaften seiner Jugend überwunden hat, freut sich darüber vor dem Alten der Tage.[33] Und wer von den verstohlenen Wassern nicht getrunken hat, wird an der Quelle des Lebens erquickt werden.

O, ihr zum Kampf Einberufenen, höret auf den Klang des Hornes und fasset Muth! Euch aber, die ihr die Hörner führet, euch Priestern, Schriftgelehrten und Weisen sage ich: Rufet aus und verkündigt dem ganzen Volke: Wer sich fürchtet, möge sich aus dem Kampf zurückziehen, damit er nicht auch die Herzen seiner Brüder muthlos mache, wie sein eigenes Herz! Wer einen Weinberg angepflanzt hat, möge zu dessen Bebauung zurückkehren, damit er nicht über denselben [097] besorgt sei und in der Schlacht unterliege! Wer sich mit einem Weibe verlobt hat und sie heirathen will, der möge zurückkehren und sich mit seinem Weibe freuen! Und wer ein Haus gebaut hat, möge dahin zurückkehren, damit er nicht seines Hauses gedenke und unterlasse, aus allen Kräften zu kämpfen![34] Die Mönche aber sind für den Kampf wie geschaffen, weil sie ihr Angesicht unverrückbar nach vorn gerichtet haben und des hinter ihnen Liegenden nicht mehr gedenken. Denn ihre Schätze liegen vor ihnen; Alles, was sie erbeuten, wird ihr Eigenthum werden, und sie sollen reichlichen Gewinn davontragen.

Euch aber, die ihr in die Hörner stoßet, sage ich: Wenn ihr diese Warnung beendigt habt, so blickt auf die, welche zurückkehren, und untersuchet dann Diejenigen, welche da geblieben sind. Führet alle die, welche sich zum Kampf dargeboten haben, an das Probewasser. Alle Muthigen werden durch das Wasser erprobt, aber die Trägen werden bei dieser Gelegenheit ausgeschieden werden. Höre aber, o Lieber, dieses Geheimniß, welches einst durch Gedeon vorbildlich angedeutet wurde, als er das Volk zum Kampfe versammelte! Man beobachtete die Worte des Gesetzbuches und die Aussprüche, welche ich dir oben mitgetheilt habe. Darauf verließen Viele das Heer. Als nun die, welche sich für den Krieg entschlossen hatten, allein zurückgeblieben waren, sprach der Herr zu Gedeon:[35] „Führe sie herab zum Wasser und erprobe sie dort! Wer Wasser mit seiner Zunge leckt, ist bereit und beherzt, in den Kampf zu ziehen; wer sich aber auf seinen Leib niederlegt, um Wasser zu trinken, ist zu schlaff und schwach zum Kampf.“ Groß ist dieß Geheimnis, mein Lieber; denn Gedeon deutete hier im Voraus ein Vorbild der Taufe und ein Gleichniß des Tugendkampfes und ein Bild der Mönche an. Denn schon vor der Prüfung durch das Wasser hatte er eine vorläufige Abmahnung an das [098] Volk ergehen lassen. Als er sie dann durch das Wasser prüfte, wurden unter zehntausend Männern nur dreihundert auserwählt, um den Krieg zu führen. Dieß stimmt überein mit dem Worte unseres Herrn:[36] „Viele sind berufen, aber Wenige auserwählt.“ Deßbalb geziemt es sich also für die Herolde der Kirche, welche in das Horn zu stoßen haben, daß sie dem gesammten Bunde Gottes vor der Taufe Warnungen zurufen. Denjenigen, welche sich selbst entschlossen haben, als gottgeweihte Jünglinge und Jungfrauen in Enthaltsamkeit und Heiligkeit zu leben, sollen die Herolde warnend zurufen: „Wessen Herz auf die eheliche Gemeinschaft gerichtet ist, der möge sich vor der Taufe verheirathen, damit er nicht im Kampfe falle und getödtet werde! Wer sich fürchtet, an diesem Streite Theil zu nehmen, möge umkehren, damit er nicht die Herzen seiner Brüder ebenso feige mache wie sein eigenes Herz! Wer seinen Besitz liebt, möge das Heer verlassen, damit er nicht mitten in der Hitze der Schlacht seiner Güter gedenke und die Flucht ergreife! Denn wer aus dem Kampfe entflieht, zieht sich Schmach zu. Wer sich aber noch nicht angeboten und die Rüstung noch nicht angelegt hat, kann nicht geschmäht werden, wenn er umkehrt. Wer sich dagegen selbst angeboten und die Rüstung angezogen hat, wird, wenn er aus dem Kampfe entweicht, zum Gespötte. Wer in Selbstverleugnung und Abtödtung lebt, ist gut für den Kampf geeignet, weil er Nichts mehr hinter sich hat, dessen er gedenken und zu dem er zurückkehren könnte.“ Nachdem sie nun diese Anzeige und Abmahnung dem ganzen Bunde Gottes verkündigt haben, sollen sie die für den Kampf Bestimmten zum Wasser der Taufe führen und sie dort erproben. Nach der Taufe soll man dann die Kühnen von den Schwachen unterscheiden. Die Kühnen soll man ermuthigen, die Nachlässigen und Schwachen aber offen aus dem Kampf entlassen, damit sie nicht etwa, wenn sie in das Handgemenge gerathen, ihre Waffenrüstung verstecken, [099] entfliehen und unterliegen mögen. Denn er sprach zu Gedeon: „Führe Diejenigen, welche sich selbst dargeboten haben, zum Wasser!“ Als er nun das Volk zum Wasser herabgeführt hatte, sprach der Herr zu Gedeon: „Alle Diejenigen, welche das Wasser mit der Zunge auflecken wie Hunde, die sollen mit dir in den Krieg ziehen. Aber alle die, welche sich niederlegen, um Wasser zu trinken, sollen nicht mit dir ziehen.“ Groß ist dieses Geheimniß, o Lieber, dessen Vorbild hier dem Gedeon im Voraus angedeutet ist. Denn er sprach zu ihm: „Jeder, welcher das Wasser aufleckt wie ein Hund, soll in den Kampf ziehen.“ Nun ist unter allen Thieren, die mit dem Menschen erschaffen sind, keins, welches seinen Herrn so sehr liebt als der Hund. Er bewacht ihn bei Tag und Nacht; selbst wenn ihn sein Herr schlägt, weicht er doch nicht von ihm. Wenn er mit seinem Herrn auf die Jagd geht und dieser von einem gewaltigen Löwen überfallen wird, so stürzt er sich freiwillig für seinen Herrn in Todesgefahr. So sind auch jene Muthigen, welche durch das Wasser ausgesondert werden. Sie folgen ihrem Herrn wie Hunde, geben sich für ihn dem Tode preis, kämpfen beherzt, bewachen ihn bei Tag und Nacht und bellen wie Hunde, indem sie Tag und Nacht über das Gesetz nachsinnen. Sie lieben unseren Herrn und lecken seine Wunden, indem sie seinen Leib empfangen, denselben auf ihre Augen legen und mit ihrer Zunge kosten, gleichwie ein Hund seinen Herrn leckt. Diejenigen aber, welche nicht über das Gesetz nachdenken, werden stumme Hunde genannt, die nicht bellen können. Und Alle, welche nicht eifrig fasten, werden gierige Hunde genannt, die nicht satt werden können. Aber Diejenigen, welche eifrig um Barmherzigkeit flehen, empfangen das Brod der Kinder, und man wirft es ihnen vor.

Ferner sprach der Herr zu Gedeon: „Diejenigen, welche sich niederlegen, um Wasser zu trinken, sollen nicht mit dir in den Krieg ziehen, damit sie nicht im Kampfe fallen und unterliegen.“ Denn sie bezeichneten im Voraus das Geheimniß des Falles Derjenigen, welche in träger Behaglichkeit [100] Wasser trinken. Deßhalb, o Lieber, geziemt es sich für die, welche in den Krieg ziehen, daß sie nicht jenen Trägen ähnlich werden, damit sie nicht aus dem Kampfe entfliehen und allen ihren Mitstreitern zur Schmach gereichen.

Höre nun an, mein Lieber, was ich dir zu sagen habe! Deßhalb, weil ich dir aus den heiligen Schriften bewiesen habe, daß Gott die Büßer nicht verwirft, werde ja nicht sicher, und sündige nicht etwa um so dreister! Und weil ich Dieß gesagt habe, werde der Verwundete ja nicht lässig und säumig, die Buße zu verlangen! Denn es geziemt sich, daß er alle Tage in Bußtrauer verbringe, damit er nicht übermüthig werde und sein Strafurtheil empfange. Der Knecht, welcher gegen seinen Herrn gesündigt hat, legt Trauerkleider an, damit ihm sein Herr wieder gnädig werde, und erscheint früh und spät vor ihm, damit er ihn wieder wohlgefällig aufnehme. Wenn dann sein Herr sieht, daß er in treuer Ergebung zu ihm ausharrt, verzeiht er ihm sein Vergehen und söhnt sich mit ihm aus. Denn wenn er zu seinem Herrn sagt: „Ich habe gesündigt,“ so nimmt ihn dieser wieder in Gnaden auf. Wenn er aber, obgleich er gefehlt hat, zu seinem Herrn sagt, er habe nicht gesündigt, so vermehrt er nur dessen Zorn. Gedenke, mein Lieber, an den Sohn, welcher seine Güter vergeudet hatte, aber von seinem Vater Vergebung seiner Schuld erlangte, sobald er sie bekannt hatte! Auch jene Sünderin hatte sich schwer verschuldet; als sie aber unserem Herrn nahte, vergab ihr dieser ihre vielen Sünden und begnadigte sie. Auch der Zöllner Zachäus war ein Sünder; aber er bekannte seine Sünden, und unser Herr erließ sie ihm. So sagt ja unser Erlöser:[37] „Ich bin nicht gekommen, um die Gerechten zur Buße zu rufen, sondern die Sünder.“ Denn unser Herr ist für die Sünder gestorben, und seine Ankunft ist nicht wirkungslos geblieben. Auch der Apostel sagt von sich selbst aus:[38] „Ich war ein Lästerer, Verfolger und Schmäher; aber Gott hat [101] sich meiner erbarmt.“ Deßgleichen sagt er:[39] „Christus ist für uns gestorben.“ Denn das verlorene Schaf wird von seinem Herrn vor der ganzen übrigen Heerde aufgesucht, und wenn er es gefunden hat, so freut er sich über dasselbe. Ebenso freuen sich die Engel im Himmel über einen Sünder, der sich von seiner Gottlosigkeit bekehrt. Denn der Vater im Himmel will nicht, daß ein einziges von diesen Kleinen verloren gehe, welche gesündigt haben und der Buße bedürfen.[40] Denn unser Herr ist nicht gekommen, die Gerechten zur Buße zu rufen, sondern die Sünder. Lasset uns das Leid eines jeden unter uns Erkrankten mittragen und um jeden Gefallenen eifern! Wenn eines unserer Glieder erkrankt, so müssen wir so lange für seine Wunde besorgt sein, bis sie geheilt ist. Wenn eines unserer Glieder verherrlicht wird, so ist der ganze Leib herrlich und würdevoll. Wenn aber eines unserer Glieder erkrankt, so ergreift das Fieber den ganzen Körper. Wer einem von diesen Kleinen Ärgerniß gibt, verdient mit einem Mühlstein am Hals in das Meer geworfen zu werden. Wer sich über das Unglück seines Bruders freut, dessen Untergang steht bald bevor. Und wer seinen darniedergestreckten Bruder mit Füßen tritt, wird keine Vergebung erhalten. Für die Wunde des Spötters gibt es keine Heilung, und die Schuld des Hohnsprechers wird nicht erlassen werden. Denn wer eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, und wer einen Stein wälzt, trifft sich selbst damit.[41] Wer gestrauchelt und gefallen ist, der möge nicht wünschen, daß alle Menschen ihm gleichen, ebenso wenig wie ein in Armuth gerathener Reicher wünschen sollte, daß alle Reichen in seine eigene Lage gerathen. Denn wenn sein Wunsch erhört würde, wer bliebe dann übrig, um seinem Mangel abzuhelfen?

Dieses alles habe ich dir geschrieben, mein Lieber, weil es in unserer Zeit Solche gibt, welche sich freiwillig angeboten haben, Einsiedler, Mönche und Asceten zu werden. [102] Wir nun führen einen Kampf gegen unseren Widersacher, und unser Widersacher streitet gegen uns, um uns wieder in das weltliche Leben, aus dem wir ausgeschieden sind, zurück zu verleiten. Einige unter uns sind auch wirklich unterlegen und besiegt; aber, obgleich sie schuldig sind, suchen sie sich dennoch zu rechtfertigen. Obgleich uns ihre Sünden bekannt sind, wollen Jene, die in dieser verkehrten Gesinnung verharren, doch nicht zur Buße hinzutreten, und sterben so wegen ihrer falschen Scham des zweiten Todes, ohne an die Erforschung ihres Gewissens zu denken. Wiederum gibt es Andere, welche zwar ihre Sünden bekennen, denen aber keine Buße bewilligt wird. O Hausverwalter Christi, gewähre deinem Mitbruder die Buße und gedenke, daß dein Herr die Büßer nicht zurückwies! Als das Unkraut auf dem Acker gesäet war, erlaubte der Herr der Saat seinen Knechten nicht, daß sie vor der Erntezeit das Unkraut aus dem Waizen austilgten. Auch aus dem in das Meer ausgeworfenen Netz wurden die Fische nicht eher ausgewählt, bis es wieder heraufgezogen worden war. Ebenso empfingen die Knechte Geld von ihrem Herrn, aber der träge Knecht wurde erst später von seinem Herrn verurtheilt. Der Waizen ist mit der Spreu vermischt, aber dereinst wird der Herr der Tenne diese ausscheiden und jenen reinigen. Viele sind zum Gastmahle geladen, aber Denienigen, welcher keine Festkleider hat, stößt sein Herr hinaus in die Finsterniß. Die klugen und thörichten Jungfrauen stehen zusammen da; aber der Bräutigam weiß, welche er hineinführen wird.

O ihr Hirten, Jünger unseres Herrn, weidet die Heerde und leitet sie auf rechter Bahn! Stärket die Schwachen, pfleget die Kranken, verbindet die Verwundeten, heilet die Verstümmelten und erhaltet die Gesunden dem Herrn der Heerde! Gleichet nicht dem rohen und thörichten Hirten, welcher in seiner Thorheit die Heerde nicht zu weiden verstand. Sein Arm verdorrte und sein Auge erblindete, weil er gesagt hatte: „Du sollst des Todes sterben und zu Grunde gehen, und die Schafe, welche verschont bleiben, [103] sollen das Fleisch ihrer Gefährten fressen.“[42] Wenn nun der höchste Hirte kommt, so wird er diesen rohen und thörichten Hirten verurtheilen, weil er seine Mitbrüder nicht mit heilsamer Weide versorgt hat. Wer aber die Heerde gut weidet und leitet, wird ein guter und eifriger Knecht genannt, welcher die Heerde unversehrt dem Oberhirten zuführt. O ihr Wächter, wachet sorgfältig und warnet das ganze Volk vor dem Schwerte, damit nicht das Schwert komme und die Seelen hinwegraffe! Sonst wird zwar eine solche Seele wegen ihrer eigenen Sünden hinweggerafft werden, aber ihr Blut würde von eueren Händen gefordert werden. Wenn aber eine Seele hinweggenommen wird, nachdem ihr sie gewarnt habt, so wird sie nur wegen ihrer eigenen Sünden hinweggerafft, und euch kann dann kein Vorwurf treffen. O ihr kräftigen Schafe, stoßet die Schwachen nicht, auf daß ihr nicht im Gerichte verurtheilt werdet, wenn unser großer Hirte kommen wird!

Nimm nun, mein Lieber, diese Ermahnung an, welche den Büßern zur Bekehrung und den Gerechten zur Warnung dienen soll: Diese Welt ist eine Zeit der Gnade, und man kann so lange Buße thun, bis sie zu Ende geht. Alsdann aber naht die Zeit, wo die Gnade aufhört und die Gerechtigkeit herrscht; in dieser Zeit kann man keine Buße mehr wirken. Gegenwärtig ruht die Gerechtigkeit, weil die Gnade in ihrer gewaltigsten Glut strahlt. Wenn aber die Zeit der Gerechtigkeit gekommen sein wird, so wird die Gnade die Büßer nicht mehr annehmen wollen, weil ihr das Weltende oder der Tod als Grenze gesetzt ist. Nach demselben gibt es weiter keine Buße mehr. Lies und lerne Dieß, mein Lieber; erkenne und siehe ein, daß jeder Mensch derselben mehr oder weniger bedürftig ist! Denn Viele laufen in der Rennbahn, aber der Edle trägt den Siegeskranz davon, und ein Jeder empfängt seinen Lohn gemäß seiner Arbeit.




  1. Joh. 16, 33.
  2. Is. 53, 9.
  3. II. Kor. 5, 21.
  4. I. Kor. 9, 24.
  5. Ez. 18, 23; 33, 11.
  6. Wir haben hier eine schöne Anspielung auf das Gleichniß vom barmherzigen Samaritaner. Dieser ist Christus, welcher den unter die Räuber Gefallenen zuerst verbindet und seine Wunden mit Öl und Wein heilt, d. h. den Menschen von der Sünde erlöst und seiner Gnade theilhaftig macht, alsdann aber ihn zur weiteren Pflege in der Herberge der Kirche zurückläßt und dem Wirthe (dem Priesterthum) zur Bestreitung der Pflegekosten zwei Denare gibt; vgl. Luk. 10, 35. Unter diesen zwei Denaren versteht Aphraates auf jeden Fall das Bußsakrament, ausserdem vielleicht auch noch die hl. Eucharistie. An Buße und Taufe zu denken, scheint deßbalb weniger zutreffend, weil die Taufe doch wohl mit der vom Samaritaner zunächst und persönlich ausgeübten heilenden Thätigkeit zusammenfällt, also nicht nochmals bei der dem Wirth übertragenen ferneren Pflege vorkommen kann.
  7. Bei dieser ganzen Warnung, die Büßer nicht bloßzustellen, ist nicht etwa von einer Verletzung des Beichtsiegels die Rede, sondern Aphraates ermahnt die Priester, sich mit der geheimen Beichte zu begnügen und nicht nach einer im christlichen Alterthum häufigen Praxis von ihren Pönitenten ein öffentliches Sündenbekenntniß als Bedingung der Absolution zu verlangen, damit nicht die Sünden der Gläubigen den Feinden der Kirche bekannt werden und Diesen Stoff zu Lästerungen geben möchten.
  8. Jer. 3, 22.
  9. Jer. 3, 12.
  10. Jer. 25, 5.
  11. Jer. 15, 19.
  12. Jer. 3, 7.
  13. Jer. 3, 1.
  14. Ez. 33, 18–19.
  15. Ez. 3, 17–21; 33, 7–9.
  16. Jer. 18, 7–10.
  17. Galat. 6, 1.
  18. I. Kor. 9, 27.
  19. Röm. 15, 1.
  20. Hebr. 12, 13.
  21. Spr. 28, 13.
  22. Mark. 2, 17.
  23. Luk. 15, 7.
  24. Is. 53, 12.
  25. Röm. 5, 10.
  26. Ps. 50, 4.
  27. Ps. 142, 2.
  28. Spr. 20, 9.
  29. Num. 14, 19–20.
  30. Gen. 18, 27.
  31. Ps. 143, 4.
  32. Spr. 11, 31; I. Petr. 4, 18.
  33. Vgl. Dan. 7, 9.
  34. Vgl. Deuter. 20, 2–8.
  35. Richt. 7, 4.
  36. Matth. 20, 16.
  37. Matth. 9, 13.
  38. I. Timoth. 1, 13.
  39. I. Thess. 5, 10.
  40. Vgl. Matth. 18, 12–14
  41. Sprüchw. 26, 27.
  42. Zachar. 11, 9. 17.