Ausgewählte Abhandlungen des Bischofs Aphraates/Abhandlung über das Pascha

Textdaten
<<< >>>
Autor: Aphrahat
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Abhandlung über das Pascha
Untertitel:
aus: Bibliothek der Kirchenväter, Band 38, S. 104–118.
Herausgeber: Gustav Bickell
Auflage: 1
Entstehungsdatum: 3./4. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Jos. Koesel’sche Buchhandlung
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Kempten
Übersetzer: Gustav Bickell
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[104]
Abhandlung über das Pascha.




Der Heilige befahl dem Moyses, am vierzehnten Tage des ersten Monats das Pascha zu halten. Denn er sprach zu ihm:[1] „Befiehl der Gemeinde der Söhne Israels, daß sie sich ein einjähriges, fehlloses Lamm nehmen sollen; von den Schafen oder den Böcken sollen sie es nehmen und dem Herrn ein Pascha feiern, alle Söhne Israels.“ Denn er sprach zu Moyses: „Am zehnten des Monats sollen sie das Lamm auswählen und es bis zum vierzehnten desselben Monats aufbewahren, es alsdann gegen Sonnenuntergang schlachten und von seinem Blut an die Thüren ihrer Häuser sprengen gegen den Würgengel, damit er nicht bei ihnen eintrete, während er im Lande Ägypten umherzieht. Die ganze Gemeinde soll dann das Lamm in reisefertigem Zustand verzehren. Und zwar sollen sie es also essen: mit gegürteten [105] Lenden, beschuhten Füßen und mit Stäben in ihren Händen.“ Er schärfte ihnen ein, daß sie es in reisefertigem Zustand und weder roh, noch in Wasser gekocht, sondern am Feuer gebraten verzehren sollten. Auch sollten sie Nichts davon aus dem Hause herausbringen lassen und ihm kein Gebein, zerbrechen. So thaten die Söhne Israels und aßen das Pascha am vierzehnten Tag des ersten Monats, welcher ist Nisan, im Blüthenmonat, dem ersten des Jahres. Siehe aber, mein Lieber, welche Geheimnisse in den Geboten des Heiligen über die Zubereitung des Paschas enthalten sind, indem er ihnen alle seine Vorschriften einschärfte und ihnen befahl, daß es in einem Hause gegessen und Nichts davon aus dem Hause heraus gebracht werden sollte. So gebot ihnen Moyses:[2] „Wenn ihr kommt in das Land, das euch der Herr geben wird, und daselbst das Pascha haltet zu seiner Zeit, so soll dir nicht gestattet sein, das Osterlamm in irgend einer von deinen Ortschaften zu schlachten, ausser an dem Ort, welchen der Herr, dein Gott, erwählen wird; und du sollst dich sammt deinem Hause an deinem Feste freuen.“ Ferner gebot er ihnen auch Dieses:[3] „Ein Fremdling und Gemietheter darf nicht von dem Osterlamm essen; aber ein von dir für Geld erworbener Sklave darf davon essen, wenn zuvor seine Vorhaut beschnitten worden ist.“ Groß und wunderbar sind diese Geheimnisse, mein Lieber. Denn wenn Israel, als es noch in seinem Lande wohnte, das Pascha nirgends ausser in Jerusalem feiern durfte, wie wird es sich dann heute damit verhalten, wo es unter allen Völkern und Sprachen, unter Unreinen und Unbeschnittenen zerstreut ist und sein Brod in Unreinheit unter den Heiden essen muß? Denn so hat Ezechiel über es geweissagt, als ihn Gott anwies, zu einem vorbildlichen Zeichen für das Volk sein Brod in Unreinheit zu essen. Da flehte Jener ihn an:[4] „O Herr der Herren, meine Seele ist noch nie verunreinigt worden, und mein Mund hat nie unreines Fleisch [106] gekostet.“ Da antwortete er dem Ezechiel: „Dieses soll ein Vorzeichen sein, daß die Kinder Israels in Unreinheit ihr Brod essen werden unter den Heiden, unter welche ich sie zerstreuen werde.“ Wenn also, wie gesagt, den Israeliten, als sie noch in ihrem Lande wohnten, nicht gestattet war, an irgend einem anderen Orte das Opferlamm zu schlachten, ausser vor dem einen Altar zu Jerusalem, wie können sie dann jetzt das Geheimniß des Paschas feiern? Denn da sie unter fremde Völker zerstreut sind, so ist ihnen jetzt alle Vollmacht entzogen. So bezeugt er auch bei den Propheten über sie:[5] „Viele Tage hindurch werden die Kinder Israel sitzen ohne Opfer und Altar, ohne Ephod und Räucherung.“ Ferner sprach er zu Jerusalem:[6] „Ich will abschaffen ihre Freuden und Feste, ihre Neumonde und Sabbathe.“ Auch über die Bundeslade hat er gesagt:[7] Sie werden nicht mehr sprechen: „Die Lade des Bundes des Herrn; man wird ihrer nicht mehr gedenken, und sie wird nicht wieder angefertigt werden.“ Da er also gesagt hat: „Es soll ihrer nicht mehr gedacht werden, und sie soll nicht wieder angefertigt werden, auch soll sie Niemand sich zu Herzen nehmen,“ wie können Jene dann wagen, sie wieder herstellen zu wollen? Auch Moyses[8] hat über sie geweissagt: „Ich werde sie reizen durch ein Volk, das kein Volk ist, und sie durch ein thörichtes Volk erzürnen.“ Hier nun möchte ich dich fragen, o weiser Schriftgelehrter des jüdischen Volkes, der du die Worte des Gesetzes nicht richtig erwägst: Zeige mir an, wann Dieß in Erfüllung gegangen ist, daß Gott sein Volk durch ein Volk, welches kein Volk ist, gereizt hat, und wann er es durch ein thörichtes Volk erzürnt hat? Wenn du gereizt bist gegen das aus den Heiden bekehrte Volk, so erfüllst du eben dadurch diese Worte der Schrift, welche dir Moyses im Gesetzbuch zum voraus angezeigt bat. Und wenn ihr in den verschiedenen Ländern, wo ihr jetzt als Fremdlinge [107] weilt, das Pascha feiert, so feiert ihr es mit Übertretung des Gesetzes. Denn Gott hat euch ja den Scheidebrief geschrieben. Wenn du Dieß nicht glauben willst, so höre nur, wie er durch den Propheten Jeremias[9] spricht: „Verlassen hab’ ich mein Haus, verlassen hab’ ich mein Erbe; ich habe die Geliebte meiner Seele in die Hand ihrer Feinde übergeben, und das buntfarbige Geflügel ist mir zum Erbe geworden.“ Ich frage dich nun, was unter diesem buntfarbigen Geflügel zu verstehen ist. Offenbar ist damit die Kirche aus den Heiden gemeint. Siehe, deßhalb nennt er sie buntfarbig, weil sie aus vielen Sprachen zu einer Einheit versammelt und aus vielen fernstehenden Völkern nahe gebracht worden ist. Wenn du dich aber immer noch nicht überzeugt hast, daß die Heidenvölker das Erbe Gottes geworden sind, so höre weiter, was Jeremias sagt, indem er die Heiden beruft und Israel verwirft! Denn er spricht:[10] „Erhebet euch auf die Wege und schauet und fraget nach den ewigen Pfaden; sehet, welcher Weg gut ist, und gehet auf demselben! Ihr saget: Wir gehen nicht. Darauf erwidert er: Ich habe Wächter über euch bestellt, damit ihr hören sollt den Klang der Posaune. Sie antworteten: Wir hören nicht.“ Darauf wandte er sich zu der Kirche aus den Heiden, als ihn Israel nicht hören wollte. Denn er sprach: „Höret, ihr Völker, und vernimm es, du Gemeinde unter ihnen!“ Auch David sprach:[11] „Gedenke deiner Kirche, die du von Anbeginne an erworben hast!“ Und Isajas[12] sagt: „Ihr Heiden, vernehmet, was ich gethan habe, und ihr Entfernten, erkennet meine Macht!“ Ferner weissagt Isajas[13] Folgendes von der dereinstigen Berufung der Kirche aus den Heiden: „In den letzten Tagen wird der Berg des Hauses des Herrn die Gipfel aller Berge überragen und über alle Höhen erhaben sein, und alle Völker werden zu ihm aufschauen.“ Was bedeuten diese Worte Isajas’: „Ihr [108] Heiden, vernehmet, was ich gethan habe, und ihr Entfernten, erkennet meine Macht! Die Sünder in Sion sind in Bestürzung gerathen, und ein Schrecken ist auf die Gottlosen gefallen!“ Was bedeutet Dieses, daß er vernehmen lassen will, was er thut, und den Entfernten seine Macht kundgeben lassen will, daß er die Sünder in Sion bestürzt macht und einen Schrecken auf die Gottlosen fallen läßt? Nichts Anderes, als daß er die Heidenvöller beruft, um durch sie das jüdische Volk zu reizen, und den Entfernten seine Macht kund thuet, indem er in seinem Zorne über sein Volk Gericht hält und die Sünder in Sion bestürzt macht, welches die heilige Stadt genannt wurde, und Schrecken auf die Gottlosen fallen läßt, nämlich auf die Lügenpropheten, wie er gesagt hat von den Propheten Jerusalems:[14] „Von ihnen ist die Gottlosigkeit über das ganze Land ausgegangen.“

Du hast nun gehört, mein Lieber, in Betreff dieses Paschas, von welchem ich dir erzählt habe, daß jenem vormaligen Volke nur sein Vorbild verliehen worden ist, während seine Wahrheit heut zu Tage unter den Völkern verkündigt wird. Denn sehr verwirrten und unschlüssigen Sinnes sind die unverständigen und unwissenden Menschen darüber, wie sie diesen großen Festtag wohl erkennen und beobachten sollen. Unser Erlöser ist nämlich in Wahrheit jenes einjährige und fehlerlose Lamm, wie der Prophet von ihm sagt:[15] „In ihm war keine Sünde, und kein Trug fand sich in seinem Munde; aber der Herr wollte ihm Demüthigungen und Leiden auflegen.“ Aber einjährig wird er deßhalb genannt, weil er so frei von Sünden wie ein Kind war. Denn also sprach er zu seinen Jüngern:[16] „Wenn ihr nicht umkehret und werdet wie diese Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ Auch Isajas[17] sagt von [109] dem Gerechten: „Der Knabe, welcher sündigt, soll wie ein hundertjähriger Greis sterben, auf daß er verflucht werde.“

Unser Erlöser aß nämlich dem Brauche gemäß mit seinen Jüngern das Osterlamm in der Nacht des vierzehnten Nisan und verwandelte ihnen das vorbildliche Pascha in seine Erfüllung. Denn nachdem Judas sie verlassen hatte, nahm er das Brod, danksagte, gab es seinen Jüngern und sprach zu ihnen: „Dieß ist mein Leib, nehmet, esset alle davon!“ Ebenso danksagte er auch über den Wein und sprach zu ihnen: „Dieß ist mein Blut des neuen Bundes, welches für Viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Ebenso sollt auch ihr zu meinem Gedächtnisse thun, wenn ihr zusammen kommet!“ Dieses sprach unser Herr, bevor er ergriffen wurde, erhob sich alsdann von jener Stätte, wo er das Pascha gefeiert und seinen Leib als Speise, sein Blut als Trank gereicht hatte, und begab sich zu seinen Jüngern an jenen Ort, wo er gefangen genommen wurde. Denn wer seinen eigenen Leib isset und sein Blut trinkt, wird zu den Todten gerechnet. Unser Herr nun hatte mit seinen eigenen Händen seinen Leib als Speise gereicht und noch vor seiner Kreuzigung sein Blut zum Tranke gegeben. Darauf wurde er ergriffen in der Nacht des vierzehnten Nisan und Gericht über ihn gehalten bis zur sechsten Stunde. Um die sechste Stunde verurtheilte man ihn und führte ihn hinaus zur Kreuzigung. Als man ihn richtete, sprach er Nichts und gab seinen Richtern keine Antwort. Denn er hätte ja wohl reden und antworten können, aber es war nicht möglich, daß er, als ein bereits zu den Todten Gerechneter, hätte sprechen können. Von der sechsten bis zur neunten Stunde war dann die Finsterniß, und in der neunten Stunde übergab er seinen Geist dem Vater und war unter den Verstorbenen in der mit dem Anbruche des fünfzehnten Nisan beginnenden Sabbathsnacht und an dem ganzen folgenden Sabbathstage, sowie während dreier Stunden am Freitag. Aber in der Nacht, mit welcher der Sonntag beginnt, stand er von den Todten auf zu derselben Zeit, zu [110] welcher er den Jüngern seinen Leib und sein Blut gegeben hatte. O Weiser, habe nun doch die Güte, mir zu sagen, wo jene drei Tage und drei Nächte zu suchen sind, während deren unser Erlöser bei den Todten weilte! Denn wir finden nur drei Stunden vom Freitag, ferner die Nacht, mit welcher der Sabbath begann, und den ganzen Sabbathstag; aber in der Nacht des Sonntags stand er wieder auf. Gib mir nun an, wo jene drei Tage und drei Nächte zu finden sind? Denn es war ja doch nur ein voller Tag und eine volle Nacht. Aber es verhält sich in Wahrheit so, wie unser Erlöser gesagt hat:[18]„ Gleichwie Jonas, der Sohn Amathi’s, drei Tage und drei Nächte im Bauche des Fisches war, also wird auch des Menschen Sohn im Herzen der Erde sein.“ Denn von der Zeit an, wo er seinen Leib zur Speise und sein Blut zum Tranke reichte, sind es gerade drei Tage und drei Nächte. Es war nämlich zur Nachtzeit, als Judas sie verließ und die elf Jünger den Leib unseres Erlösers aßen und sein Blut tranken. Diese Nacht, mit welcher der Freitag begann, war also die erste Nacht. Die Zeit am Freitag, während deren man ihn richtete, bis zur sechsten Stunde, ist der erste Tag. Wir haben also schon einen Tag und eine Nacht. Die dreistündige Finsterniß von der sechsten bis zur neunten Stunde ist die zweite Nacht, und die drei Tagesstunden, welche nach Beendigung dieser Finsterniß noch vom Freitag übrig blieben, sind der zweite Tag. Jetzt haben wir zwei Tage und zwei Nächte. Hierzu kommt nun noch die ganze Nacht, mit welcher der Sabbath begann, und der ganze Tag des Sabbaths. Mithin war unser Herr drei volle Tage und Nächte unter den Todten; in der Nacht des Sonntags aber stand er von den Todten auf. Denn das Pascha der Juden ist der vierzehnte Nisan mit seiner Nacht und seinem Tag; unser Charfreitag aber, der Tag der hehren Passion, ist der fünfzehnte mit seiner Nacht und seinem Tag. Nach dem Pascha nun ißt Israel [111] Ungesäuertes sieben Tage lang bis zum ein und zwanzigsten Nisan; wir aber beobachten als Ungesäuertes das Fest unseres Erlösers. Jene essen das Ungesäuerte mit bitteren Kräutern; unser Erlöser aber wies den bitteren Becher zurück und nahm die ganze Bitterkeit der Heiden hinweg, als er ihn kostete und nicht trinken wollte. Die Juden gedenken von Zeit zu Zeit ihrer Sünden; wir aber erinnern uns der Kreuzigung und der Schmach unseres Erlösers. Denn jene entgingen am Paschafest der Knechtschaft Pharaos; wir aber sind am Tage der Kreuzigung von der Knechtschaft des Teufels erlöst worden. Jene schlachteten ein Lamm aus der Heerde und wurden durch dessen Blut vor dem Würgengel bewahrt; wir aber sind durch das Blut des auserwählten Sohnes von den verderblichen Werken, die wir begangen hatten, befreit worden. Jene hatten Moyses zum Anführer; wir aber haben Jesum zum Wegweiser und Erlöser. Jenen theilte Moyses das Meer und führte sie hindurch; unser Erlöser aber theilte den Hades und zerbrach seine Thore, als er in denselben eintrat, eröffnete sie und bahnte Allen, die an ihn glauben, einen Ausweg. Jenen wurde Manna zum Essen gegeben; uns aber gibt unser Herr seinen Leib zur Speise. Für Jene floß Wasser aus dem Felsen; für uns aber strömt das Wasser des Lebens aus dem Herzen unseres Erlösers. Jenen verhieß er das Land Chanaan zum Erbe; uns aber hat er das Land des Lebens versprochen. Jenen richtete Moyses die eherne Schlange auf, damit Jeder, der sie anblickte, von den Schlangenbissen genesen sollte; für uns aber ließ Jesus sich selbst am Kreuze erhöhen, damit wir, auf ihn blickend, von dem Bisse der höllischen Schlange errettet würden. Jenen erbaute Moyses die vergängliche Stiftshütte, um darin Opfer und Gaben darzubringen und Sühnung für ihre Sünden zu erhalten; Jesus aber richtete die verfallene Hütte Davids wieder auf. Auch sprach er zu den Juden:[19] „Diesen [112] Tempel, den ihr da sehet, werdet ihr zerstören, und ich werde ihn nach drei Tagen wieder aufrichten.“ Da erkannten seine Jünger, daß er von seinem Leibe sprach, er wolle ihn, nachdem er getödtet sei, nach drei Tagen wieder auferwecken. In diesem Tempel hat er uns das Leben verheissen und durch ihn werden unsere Sünden gesühnt. Ihre Stätte hieß die zeitweilige Stiftshütte, weil sie nur für eine kurze Zeit bedient wurde; die unsrige aber wird Tempel des heiligen Geistes auf ewig genannt.

Achte aber wohl, mein Lieber, auf die Vorschrift des Heiligen, daß jenes Osterlamm in einem einzigen Hause, nicht in vielen Häusern gegessen werden sollte! Dieses einzige Haus ist die Kirche Gottes. Ferner sagt er: „Lohndiener und Fremdlinge sollen nicht von ihm essen.“ Wer sind diese Lohndiener und Fremdlinge anders, als die vom Bösen verführten Irrlehrer, denen nicht erlaubt ist, von dem Osterlamm zu essen? Denn von ihnen sagt unser Erlöser:[20] „Wenn ein Miethling, dem die Heerde nicht gehört, den Wolf kommen sieht, so verläßt er die Heerde und flieht.“ Ausserdem heißt es noch: „Ihr sollt es nicht roh essen, auch nicht in Wasser gekocht.“ Die Erklärung dieser Vorschrift ist offenbar und deutlich. Denn jenes Opfer, welches in der Kirche Gottes dargebracht wird, ist am Feuer geröstet und wird weder roh noch gekocht dargebracht. Ferner sagt er: „Also sollt ihr es essen, mit umgürteten Lenden, beschuhten Füßen und mit Stäben in eueren Händen.“ Diese Geheimnisse sind sehr groß. Denn wer von Christo, dem wahren Osterlamm, isset, umgürtet seine Lenden mit Glauben und beschuht seine Füße mit bereitwilligem Eifer für das Evangelium und hält in seiner Hand das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes. Ausserdem sagt er noch: „Es soll an ihm kein Gebein zerbrochen werden.“ Dieß ging in Erfüllung an dem Tage der Kreuzigung, als man die Beine der mit Jesus Gekreuzigten, aber nicht die seinigen, [113] zerbrach. Deßhalb wird auch gesagt:[21] „Da erfüllte sich jenes Wort, das geschrieben steht: Es soll an ihm kein Gebein zerbrochen werden.“ Ferner heißt es: „Ein gekaufter Sklave darf erst dann von dem Osterlamm essen, wenn seine Vorhaut beschnitten ist.“ Unter diesem erkauften Sklaven ist der Sünder zu verstehen, welcher sich bekehrt und durch das Blut Christi erkauft ist. Wenn dann sein Herz von bösen Werken beschnitten ist, so gelangt er zur Taufe, der wahren Erfüllung der Beschneidung, wird mit dem Volke Gottes vereinigt und erhält Antheil an dem Leibe und Blute Christi. Daß Er aber gebietet, man solle das Osterlamm gleichsam eilfertig verzehren, wird in der Kirche Gottes vollzogen, indem man daselbst das Gotteslamm eilfertig, in Furcht und Zittern und aufrechtstehend verzehrt, weil man sich beeilt, das Leben zu essen durch die Gabe des Geistes, welchen man empfangen hat. Denn Israel wurde im Meere getauft in jener Paschanacht, am Tage der Erlösung, und unser Erlöser wusch in der Paschanacht die Füße seiner Jünger, um dadurch die Taufe anzudeuten. Damit du aber wissest, mein Lieber, daß unser Erlöser erst von jener Nacht an die wahre Taufe verliehen hat, so vernimm, daß seine Jünger, so lange sie mit ihm umherzogen, noch mit jener Taufe des priesterlichen Gesetzes tauften, mit einer Taufe gleich der des Johannes, welcher sprach: „Thuet Buße über euere Sünden!“ Aber in jener Nacht zeigte er ihnen ein Vorbild der Taufe auf sein Leiden und seinen Tod, wie der Apostel sagt:[22] „Ihr seid mit ihm durch die Taufe in den Tod begraben und mit ihm auferstanden in der Kraft Gottes.“ Wisse aber, mein Lieber, daß die Taufe des Johannes nicht die Kraft hatte, Sünden zu vergeben, sondern nur, zur Buße einzuführen. Denn die Geschichte der zwölf Apostel verkündigt uns hierüber Folgendes.[23] Wenn die Jünger die aus den Heiden und aus Israel Berufenen fragten: „Seid ihr getauft?“ und sie antworteten: „Ja, mit der Taufe [114] Johannis“, so ertheilten sie ihnen erst die wahre Taufe, das Geheimniß des Leidens unseres Erlösers. Aber auch unser Erlöser selbst bezeugt Dieß, indem er zu seinen Jüngern sagte:[24] „Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet mit dem heiligen Geiste taufen.“ Denn als unser Erlöser Wasser nahm, es in das Waschbecken goß, sich mit einem Tuche umgürtete und seinen Jüngern die Füße zu waschen begann, kam er zu Simon Kephas, welcher zu ihm sprach: „Du, o Herr, willst mir die Füße waschen! Nimmermehr sollst du meine Füße waschen!“ Da sprach Jesus zu ihm: „Wenn ich dich nicht abwasche, so hast du keinen Antheil an mir.“ Daraus erwiderte Simon: „Dann, o Herr, sollst du mir nicht nur die Füße waschen, sondern auch die Hände und das Haupt.“ Jesus antwortete: „Wer abgewaschen ist, bedarf weiter Nichts, als daß seine Füße gewaschen werden.“ Nachdem er nun die Füße seiner Jünger gewaschen hatte, nahm er seine Kleider wieder an sich, legte sich zu Tische und sprach zu ihnen: „Sehet, ihr nennet mich eueren Herren und Meister, und ich bin es auch. Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euere Füße gewaschen habe, um wie vielmehr geziemt es sich, daß ihr euch unter einander die Füße waschet! Dieses Beispiel habe ich euch gegeben, damit auch ihr so thuet, wie ich gethan habe.“ Nachdem Er also ihre Füße gewaschen und sich zu Tische gelegt hatte, reichte er ihnen seinen Leib und sein Blut. Die Reihenfolge war mithin umgekehrt, wie beim Volke Israel, welches zuerst das Osterlamm verzehrte und dann in der Wolke und im Meere getauft wurde, wie der Apostel sagt:[25] „Unsere Väter waren alle unter der Wolke und sind alle durch das Meer hindurchgegangen.“

Diese wenigen Worte habe ich dir ausgeschrieben zur Beweisführung und Vertheidigung gegen die Juden, weil sie die Zeit des Paschafestes in Gesetzübertretung unbefugter Weise beobachten und gegen den Befehl Gottes eine Bundeslade [115] anfertigen, ohne die Worte des Propheten zu bedenken: „Sie werden nicht mehr sagen: Lade des Bundes des Herrn; Niemand wird sie sich zu Herzen nehmen, man wird ihrer nicht mehr gedenken noch nach ihr verlangen, und sie soll nicht wieder angefertigt werden.“ Da er also sagt, sie solle nicht wieder angefertigt werden, und Niemand solle sie sich mehr zu Herzen nehmen noch nach ihr verlangen, so schließe hieraus, mein Lieber, daß Derjenige, welcher sie wieder angefertigt hat, einer Gebotsübertretung schuldig ist! Ferner sagt Jeremias:[26] „Die Söhne Israels und Juda’s haben meinen Bund aufgehoben.“ Aber über den Bund, welcher mit dem Volke geschlossen werden sollte, hat er also geweissagt:[27] „Ich will mit dem Hause Israel und dem Hause Juda einen neuen Bund abschließen, nicht einen solchen, wie ich mit ihren Vätern geschlossen habe am Tage, da ich ihre Hand ergriff und sie aus Ägypten herausführte. Denn sie haben meinen Bund aufgehoben, und so habe auch ich sie dann verschmäht.“ Wenn sie aber sagen, es heiße ja doch, daß er seinen neuen Bund mit Israel und Juda schließen wolle, so ist darauf Folgendes zu erwidern. Derselbe, welcher Israel[28] „Fürsten Sodomas und Volk von Gomorrha“ nannte, der hat auch Abraham berufen und ihm die Verheissung gegeben, indem er ihn segnete und sprach:[29] „Dein Name soll nicht mehr Abram genannt werden, sondern Abraham soll dein Name sein, weil ich dich zum Vater vieler Völker gesetzt habe.“ Ferner sagte er zu ihm:[30] „Durch deinen Samen sollen alle Völker der Erde gesegnet werden.“

Dieß habe ich geschrieben, damit du Bescheid wissest und auch die zu deiner Gemeinde gehörenden Brüder belehren könnest, welche in Bezug auf diese Zeit des Paschas Schwierigkeiten finden. Zwar fällt es Denjenigen, welche gesunden Sinnes sind, nicht schwer, dieselbe kennen zu lernen. Denn wenn der Tag des Passionspaschas unseres Erlösers auf [116] einen Sonntag trifft, so müssen wir ihn dem Gesetze gemäß auf den Montag verschieben, damit seine ganze Woche hindurch seine Trauer und sein Ungesäuertes beobachtet werden kann. Denn nach dem Pascha folgen die sieben Tage der ungesäuerten Brode bis zum einundzwanzigsten. Wenn aber die Passion auf irgend einen anderen Wochentag trifft, so braucht man sich darüber nicht zu beunruhigen.[31] Denn unser großer Tag ist der Freitag. Wenn man dagegen die Zahl des Monatstages angeben will, so ist der Tag der Kreuzigung und des Leidens unseres Erlösers, an welchem er während des ganzen Tages und der ganzen Nacht unter den Todten weilte, der fünfzehnte Nisan, und zwar von der sechsten Stunde des Freitags bis zum Anbruche des Sonntags; denn am Sonntag, am sechszehnten, ist Er auferstanden. An dem Abend, mit welchem der vierzehnte beginnt, aß er nämlich das Pascha mit seinen Jüngern nach dem Gesetze Israels; am Freitag, welcher der vierzehnte Nisan war, wurde bis zur sechsten Stunde Gericht über ihn gehalten; alsdann hing er drei Stunden lang am Kreuze und stieg herab zu den Todten in der Nacht, mit welcher der fünfzehnte begann. Am Sabbath, dem fünfzehnten, verweilte er unter den Todten; in der Nacht aber, mit welcher der Sonntag, der sechszehnte Nisan, begann, stand er auf und erschien der Maria Magdalena und den beiden Jüngern, welche über [117] Feld gingen. Derjenige nun, welcher sich mit Untersuchungen über diese Tage beschäftigt, möge bedenken, daß unser Herr bei Beginn des vierzehnten Nisans das Pascha feierte und mit seinen Jüngern aß und trank; aber von der Zeit des Hahnenschreies an aß und trank er nicht mehr, weil man ihn gefangen genommen und zu richten begonnen hatte. und weil er, wie ich dir schon vorher gezeigt habe, während der ganzen Nacht und, des ganzen Tages des fünfzehnten Nisan unter den Todten verweilte. Wir aber sind verpflichtet, das Fest zur richtigen Zeit zu feiern von Anfang bis zu Ende, das Fasten in Reinheit, das Gebet in anhaltender Ausdauer, den Lobpreis mit Eifer, die Psalmodie in geziemender Würde, das Siegel der Taufe nach der Vorschrift zu ertheilen und die Consekration des Allerheiligsten zu ihrer Zeit vorzunehmen, kurz alle Ceremonien des Festes genau zu beobachten. Denn unser Herr hat gelitten und ist auferstanden; „aber fortan stirbt er nicht mehr, und der Tod hat keine Gewalt über ihn. Denn, daß er gestorben ist, ist er Einmal um der Sünde willen gestorben; daß er aber lebt, lebt er für Gott.“[32] Auch uns, die wir todt waren, hat er mit sich zum Leben erweckt. Wenn wir aber hierin Schwierigkeiten finden und uns nur um den vierzehnten bekümmern wollten, und nicht um das ganze Fest von seinem Anfang bis zu Ende, so könnte es uns gerade so gut belieben, den vierzehnten eines jeden Monats zu beobachten und am Freitag einer jeden Woche zu trauern.[33] Aber es geziemt sich vielmehr für uns, [118] an allen Wochentagen das zu thun, was wohlgefällig ist vor dem Herrn, unserem Gotte.

Durch diese wenigen Worte, die ich dir geschrieben habe, laß dich nun überzeugen und sei unbekümmert um die in Wortgezänke vorgebrachten Schwierigkeiten. Denn Derartiges bringt keinen Nutzen, sondern ein reines Herz, welches das Gebot und das Fest und die Zeiten und Bräuche des Tages beobachtet.




  1. Exod. 12, 3.
  2. Deuter. 16, 5.
  3. Exod. 12, 43.
  4. Ezech. 4, 13.
  5. Osee 3, 4.
  6. Osee 2, 11.
  7. Jerem. 3, 16.
  8. Deuter. 32, 21.
  9. Jer. 12, 7. 9.
  10. Jer. 6, 16–17.
  11. Ps. 73, 2.
  12. Is. 33, 13.
  13. Is. 2, 2.
  14. Jer. 23, 15.
  15. Is. 53, 9
  16. Matth. 18, 3.
  17. Is. 65, 20.
  18. Matth. 12, 40.
  19. Joh. 2, 19.
  20. Joh. 10, 12.
  21. Joh. 19, 36.
  22. Koloss. 2, 12.
  23. Apostelgesch. 19, 3.
  24. Apostelgesch. 1, 5.
  25. I. Kor. 10, 1.
  26. Jer. 11, 10.
  27. Jer. 31, 31.
  28. Is. 1, 30.
  29. Gen. 17, 5.
  30. Gen. 22, 18.
  31. Wenn der 14. Nisan (d. h. der Vollmondstag nach dem Frühlingsäquinoctium), welchen Aphraates für den Tag der Kreuzigung hält, auf einen Sonntag trifft, so darf das Osterfest nicht schon an diesem Sonntag, sondern muß an dem nächstfolgenden gefeiert werden, und das (vom Quadragesimalfasten zu unterscheidende) Passionsfasten beginnt dann mit dem auf jenen Sonntag, den 14. Nisan, folgenden Montag, ähnlich wie einst bei den Juden nach dem 14. Nisan noch sieben weitere Tage der ungesäuerten Brode folgten. Fällt aber der 14. Nisan auf irgend einen anderen Wochentag (selbst auf den Sabbath, in welchem Falle früher manche Kirchen den Ostersonntag ebenfalls eine Woche später ansetzten), so soll stets der unmittelbar folgende Sonntag als Ostertag gelten.
  32. Röm. 6, 9.
  33. Bei Bestimmung der Osterfeier muß man sowohl den Monatstag (den 14. Nisan) als auch den Wochentag (Charfreitag und Ostersonntag) in der vorher angegebenen Weise berücksichtigen. Die Quartodecimaner, welche ihr Pascha in jedem Jahre am 14. Nisan feiern, ohne sich um den Wochentag zu kümmern, handeln ebenso verkehrt, als wenn man umgekehrt den Tod Christi an irgend einem beliebigen Freitag feiern wollte. Hiermit hängt auch die verkehrte Praxis der Quartodecimaner zusammen, ihr Fasten schon am Nachmittag des 14. Nisan zu beendigen, obgleich doch Christus erst Sonntags am 16. Nisan auferstanden ist.