Ausflüge in chemisch-technische Werkstätten (2)
Heute führt unser Weg hinauf in’s Gebirge, wo im einsam friedlichen Thale, umschattet von düsterer Fichtenwaldung die Wissenschaft eine Stätte aufgeschlagen hat, die Schätze der Natur auszubeuten und nutzbar zu machen. Das grüßende „Glück auf“ der zur Arbeit gehenden Bergleute belehrt uns, daß wir uns in der Nähe einer Grube befinden, und bald erblicken wir auch auf einer Halde die hölzernen Grubengebäude, unter denen ein knarrendes Göpelwerk die Erze fördert. Nicht edles Metall ist’s, was hier der Kübel dem Tageslicht zuführt: es sind Schwefelkiese, stahlgraue bis messinggelbe, glänzende Erze, die der Hauptsache nach aus je 1 Atom Eisen auf 1 oder 2 Atome Schwefel bestehen, und daher auch richtiger Eisenkiese genannt werden, da der Schwefelgehalt schon durch den Namen Kies angezeigt ist. Das Eisen wird aber in dieser Verbindung oft theilweise durch Kupfer, Zink, Arsen und andere Metalle vertreten und außerdem finden sich noch Stücke der sogenannten Gangart, d. h. desjenigen Gesteins, in welchem das Erzlager sich findet, eingesprengt. Diese Erze bilden das Rohmaterial für die Vitriolhütte, die zu besuchen wir im Begriff stehen und deren Nähe uns ein durch Eisenocker gelbroth gefärbtes Bächlein anzeigt. Bei der Hütte angelangt, finden wir zunächst große Haufen in Verwitterung begriffenen Eisenkieses aufgefahren. Dieses Mineral besitzt nämlich die Eigenschaft, unter dem Einfluß der atmosphärischen Luft und Feuchtigkeit zu zerfallen und sich durch Aufnahme von Sauerstoff in schwefelsaures Eisenoxydul, dem sogenannten Eisenvitriol zu verwandeln. Es finden sich aber auch Kiese, namentlich auf ältern Gebirgen und meist mit zwei Atomen Schwefel, welche nicht freiwillig verwittern, und diese müssen dann geröstet, d. h. durch Hitze aufgeschlossen werden. Man bedient sich zu diesem Zwecke gewöhnlich einer Art thönerner Retorten, deren Abzugsrohr in eine Vorlage mit Wasser mündet, in welchem sich der durch die Hitze theilweise abgetriebene Schwefel ansammelt und so als Nebenprodukt gewonnen wird, während derselbe beim Rösten in Oefen mit freiem Luftzutritt zu schwefeliger Säure verbrennt und meist unbenutzt durch den Schornstein entweicht. Die so behandelten Erze erleiden nun an der Luft die gleiche Verwandlung, wie die freiwillig verwitternden, und ihre fernere Verarbeitung ist daher auch eine ganz gleiche.
Regen und in trockener Jahreszeit aufgepumptes Wasser verrichten das Auslaugen des sich nach und nach bildenden Vitriols, wobei die abfließende schwache Lauge mehre Mal über die Haufen zurückgepumpt wird, um einen größeren Grad der Concentration zu erlangen. Zum Aufsammeln der Lauge dienen gemauerte Behälter, nach denen dieselbe in bedeckten Kanälen hingeleitet wird.
Ist die Verwitterung der Erze beendet, und also eine fernere Bildung von Vitriol nicht mehr zu erwarten, so bringt man sie zu völliger Erschöpfung in große Holzkasten oder in gemauerte Behälter über einen falschen Boden auf Stroh ausgebreitet und mit Wasser übergossen, welche Vorrichtung einen Filtrirapparat bildet, aus welchem die Flüssigkeit durch seitliche Spundöffnungen abfließt. Auch hier wird die Lauge so lange auf neue Portionen verwitterter Erze aufgegossen, bis sie die nöthige Concentration erreicht hat, während die Letzteren durch frisches Wasser völlig erschöpft und dann als ausgenutzt über die Halde gestürzt werden.
Die Lauge führt nun den Namen Rohlauge und wird zum Versieden in große bleierne Pfannen gebracht, die auf gußeisernen Platten über einer besondern Feuerung ruhen.
Nicht in allen Vitriolwerken ist die Gewinnung der Lauge mit gleicher Umständlichkeit verknüpft; so sind z. B. im Rammelsberg bei Goslar in früheren Zeiten die nicht schmelzwürdigen Erze, welche fast nur aus Schwefelkiesen bestehen, zur Ausfüllung abgebauter Grubenräume benutzt worden und sind durch Verwitterung nach und nach zu einer festen Masse, dem sogenannten „alten Mann“ zusammengebacken; bei Salzweiler in Rheinpreußen findet die Röstung des dortigen Alaunschiefers, der auf Alaun und Vitriol benutzt wird, von selbst statt, indem ein darunter lagerndes Kohlenflötz schon seit dem Jahre 1660 sich im Brande befindet; hier wie dort bedarf es zur Gewinnung der Rohlauge eines bloßen Auslaugens mit Wasser.
Während des Versiedens der Rohlauge entsteht nach und nach ein bedeutender Bodensatz, namentlich von Gyps und basischem schwefelsaurem Eisenoxyd, so daß es nöthig wird, die Lauge davon zu trennen, indem man dieselbe in die sogenannten Läuterkästen abfließen läßt, wo sie der Ruhe überlassen, sich sehr bald klärt. In den Läuterkästen, so wie auch in den Siedepfannen, setzt man gewöhnlich Stücken alten Eisens hinzu, theils um etwa vorhandene freie Schwefelsäure zu sättigen und dadurch mehr Vitriol zu gewinnen, theils um das ausgeschiedene basische schwefelsaure Eisenoxyd wieder in Oxydul zu verwandeln und endlich, um das in Lösung befindliche Kupfer niederzuschlagen und Eisen an seine Stelle treten zu lassen. Das Kupfer scheidet sich in krystallinischen Schuppen metallisch ab und bildet unter den Namen Cementkupfer oft ein nicht unbedeutendes Nebenprodukt.
Die geklärte Lauge wird nun in reine Pfannen zurückgebracht und gar gesotten, d. h. auf den Punkt der Concentration gebracht, daß sich beim Erkalten der Vitriol krystallinisch ausscheidet. Diese Krystallisation geschieht in großen hölzernen Kästen, in welche eine Menge gabelförmig geschnittene Hölzer an darüber gelegten Stangen eingehängt sind, um den Krystallen mehr Anhaltspunkte zu bieten und um sie leichter entfernen zu können.
Der Eisenvitriol bildet blaßgrüne, wohlausgebildete Krystalle, welche auf je ein Atom schwefelsaures Eisenoxydul sieben Atome Krystallwasser chemisch gebunden enthalten. Jedoch ist dieser nun als Handelswaare fertige Vitriol nie vollkommen rein, indem, wie schon erwähnt, die in den Kiesen enthaltenen fremden Metalle oft mit in die Verbindung eingehen. Wurde das Kupfer nicht durch eingelegte Eisenstücke abgeschieden, so erscheinen die Krystalle blaugrün und zwar um so mehr blau, je kupferreicher sie sind. Hierher gehören z. B, die salzburger und admonter Vitriole, auch Adlervitriol genannt, welche gerade ihres Kupfergehaltes wegen, der für gewisse Zwecke sehr erwünscht ist, geschätzt werden. Die Verwendung der Vitriole in den Gewerben ist eine bedeutende, und namentlich bedient man sich derselben in der Färberei zu Herstellung schwarzer Farben für Wollenstoffe.
Der Mutterlauge, d.h. der bei der Krystallisation des Vitriols noch bleibenden Flüssigkeit, wird nun wiederum neue Lauge zugesetzt oder sie wird auch ohne Weiteres für sich eingedampft, und dadurch ein unreiner Vitriol gewonnen, der zur Darstellung des Vitriolöles benutzt wird.
Das Vitriol oder die rauchende Schwefelsäure ist eine schwere, öldicke Flüssigkeit, welche sich von der gewöhnlichen, sogenannten englischen Schwefelsäure dadurch unterscheidet, daß sie ein Gemisch von Schwefelsäurehydrat mit wasserfreier Schwefelsäure ist, d. h. auf 2-3 Atome Schwefelsäure nur 1 Atom Wasser enthält. In offenen Gefäßen entweicht diese wasserfreie Säure theilweis schon bei gewöhnlicher Temperatur als dicker, weißer Nebel, daher denn die Säure auch rauchende, oder nach dem Orte, wo sie zuerst bereitet worden sein soll, nordhäuser Schwefelsäure genannt wird.
Um nun aus dem Vitriol diese Säure abscheiden zu können, muß derselbe zuvörderst seines Wassergehaltes entledigt werden, eine Operation, die in der sogenannten Darre, einem an den zur Destillation dienenden Galeerenöfen neben der Feuerung angebrachten Raume, gewissermaßen nebenbei geschieht. Der geröstete Vitriol wird sodann in Portionen von 2-3 Pfund in die thönernen Retorten gebracht, welche zu 20-30 auf jeder Seite des Ofens in einer Reihe liegen und der Einwirkung eines nach und nach zu verstärkenden Feuers ausgesetzt, bis die Retorten zuletzt eine Zeit lang weiß glühen. Die abdestillirende Säure sammelt sich in den Vorlagen, in welche man zuvor etwas schwächere Säure oder auch nur etwas Wasser gegeben hatte, und wenn man sehr starke Säure erzeugen will, so benutzt man dieselben Vorlagen zu drei oder vier Destillationen hinter einander, ohne sie zuvor zu entleeren.
In den Retorten verbleibt als Rückstand eine braunrothe, erdige Masse, zum größten Theil aus Eisenoxyd bestehend, welche unter den Namen Caput mortuum oder Colcothar in den Handel [93] kommt und entweder als Anstrichfarbe oder als Polirmittel für Stahlwaaren benutzt wird.
Das fertige Vitriolöl kommt in steinerne Krüge mit Schraubenstöpseln, in welchen es zu fernerer Verwendung versandt wird. Seine Hauptverwendung findet es bei der Indigfärberei, da gewöhnliche Schwefelsäure den Indigo nicht auflöst, überhaupt ein anderes eben so billiges Lösungsmittel für denselben nicht vorhanden ist.
Anmerkung des WS-Bearbeiters:
Dieser Beitrag erschien als Nr. 2 in der Reihe Ausflüge in chemisch-technische Werkstätten.
Nr. 1 Ausflüge in chemisch-technische Werkstätten siehe Jahrgang 1855 Heft 51
Nr. 3 Ausflüge in technisch-chemische Werkstätten (3) folgt in Heft 44.