Aus der Werkstatt des Bildhauers

Textdaten
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Autor: Friedrich Offermann
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Titel: Aus der Werkstatt des Bildhauers
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 433–436
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus der Werkstatt des Bildhauers.

Von Friedrich Offermann.
Mit Zeichnungen von M. Henze.

Während vom Maler jedermann weiß, daß er seine Schöpfungen mittels Pinsel und Farben auf die Leinwand bringt, vom Architekten, daß er sie mit Reißschiene, Zirkel und Winkel entwirft, stehen im Gegensatz hierzu viele der Bildhauerei fremd gegenüber. Nicht nur, daß der eigentliche Bildhauer – wir wollen später sagen, warum er besser „Bildner“ genannt würde – in einem fort Gefahr läuft, mit dem Stuccateur, dem Steinmetzen oder dem Gipsgießer verwechselt zu werden, man kennt auch durchweg nur wenig von der Art seines Schaffens, weiß nicht, welchen Weg ein Kunstwerk, das man in Marmor oder Bronze bewundert, zu durchlaufen hat. – Die Erinnerung an die vorzugsweise in Marmor schaffenden Bildhauer der Antike oder der Renaissance, nicht zum wenigsten auch der Name Bild„hauer“ selbst hat es zuwege gebracht, daß man sich den Jünger dieser Kunst stets mit Meißel und Hammer arbeitend denkt. Der Wirklichkeit entspricht das nicht. Es giebt vielmehr heutzutage manch einen Bildhauer, der kaum je einen Meißel in der Hand gehabt hat, und gewiß würden die meisten in Verlegenheit sein, wenn sie das, was sie erdacht und gebildet haben, nun auch selber in Stein umsetzen sollten.

Der Schwerpunkt des wirklich künstlerischen Schaffens liegt wie überall so auch hier im Hervorbringen, in der Gestaltung des innerlich Geschauten und Empfundenen. Da dies nur versuchend, ändernd und wieder versuchend geschehen kann, bis endlich der richtige Ausdruck gefunden ist, so braucht man natürlich zunächst ein Material, das dieser Arbeitsweise entgegenkommt, das jeden Fehler verbessern läßt und jede Abänderung gestattet. Man findet es im Modellierthon, einer grau, gelblich oder braun gefärbten fetten Erdart, von Laien nicht selten mit dem Glaserkitt – mit dem es nichts als eine äußere Aehnlichkeit gemein hat – verwechselt.

Die schmiegsam weiche und doch zugleich zähe Beschaffenheit dieses Stoffes, die durch beständiges Anfeuchten erhalten werden muß, giebt dem Künstler jede Freiheit in der Behandlung seiner Arbeit. Er kann beliebig wegnehmen und wieder hinzuthun, so oft er will.

Wie jeder andere schaffende Künstler beginnt auch der Bildhauer mit der Skizze. Sie hat nicht nur den Zweck, einen Gedanken festzuhalten – das würde schon eine gezeichnete thun, während wir es hier mit der modellierten zu thun haben – sie ermöglicht vielmehr auch, daß manches schon im Kleinen geändert wird, was im Großen nur mit vieler Mühe geschehen könnte: sie klärt und berichtigt die Vorstellung des Künstlers. Dieser wird dabei mehr andeutend als ausführend verfahren, im allgemeinen aber doch Stellung, Gewandung und Aehnliches an seinem Bildwerk soweit feststellen, daß er später nicht wesentlich davon abzuweichen braucht.

Ist das gethan, so kann er an die Ausführung im großen denken. Hier gilt es aber zunächst eine Schwierigkeit zu überwinden, die manchmal viel Kopfzerbrechen macht. Man denke sich, es sei eine überlebensgroße Figur mit frei ausgebreiteten Armen zu modellieren, und man wird begreifen, daß eine solche nicht ohne weiteres aus dem weichen und dabei schweren Thon aufzubauen ist. So muß denn zunächst für ein eisernes Gerüst gesorgt werden, stark genug, um eine Last von zwanzig bis dreißig Centnern zu tragen. Mit Hilfe genauer und mühevoller Berechnungen nach der Skizze wird dasselbe fertiggestellt, derart, daß eiserne Stäbe und, wo es angeht, starke Bleirohre, deren Biegsamkeit späteren Aenderungen besser entgegenkommt, dem Körper sammt den Extremitäten einen festen innern Halt geben. Damit aber der Thon nicht etwa durch seine Schwere am Gerüst herabrutsche, ist es noch nothwendig, überall an letzterem Bündel größerer und kleinerer Holzkreuze mit Drähten so anzubringen, daß er davon festgehalten wird. Unsere Abbildung Seite 434 zeigt uns die Fignr eines Christus mit ausgebreiteten Armen und daneben das entsprechende Gerüste mit den Holzkreuzen.

Sind sodann alle Eisentheile mit einem das Rosten verhütenden Lack überzogen, so steht das Ganze auf der Plinthe – einer starken Bohle, die ihrerseits auf einer Drehscheibe ruht – fertig zum Anfangen da. Der Künstler, dem die vielerlei nothwendigen Berechnungen schier den Kopf wirbelig gemacht haben, athmet endlich auf, greift zum wohldurchgearbeiteten Thon und „legt den Akt an“, d. h. zu deutsch, er beginnt mit der nackten Figur. Weil es besseren Anlaß zu verschiedenen Erklärungen giebt, wollen wir annehmen, er mache eine Gewandfigur. Da wird es denn vielen neu sein, daß, obgleich diese etwa einen faltenreichen Mantel tragen soll, zuvörderst doch der „Akt“, der nackte Körper, mit aller Sorgfalt durchgeführt wird. Künstlerische [434] Gründe rechtfertigen das auch vollauf. Mag der Faltenwurf einer Gestalt noch so reich sein, an einzelnen Stellen kommt dennoch der Körper zum Vorschein. Das Verhältniß dieser Punkte zu einander nun würde eine fragwürdige, nicht immer überzeugend richtige werden, wenn der Körper nicht wirklich vorher darunter modelliert würde.

Gerüste mit Holzkreuzen.

Hat der „Akt“ unter der Bearbeitung mit Modellierholz, Schlinge und Fingern den Grad der Vollendung erreicht, den die mehr oder minder reiche Bekleidung erfordert – je weniger Gewand, um so feinere Durchbildung des Nackten ist naturgemäß nothwendig – so wird die Gewandung angelegt. Zuvor aber wird der Körper überall an den Stellen, die bedeckt werden sollen, mit dünner nasser Seide überzogen. Sie verhindert, daß man später bei etwa nothwendigen Aenderungen oder beim Modellieren von Gewandtiefen in den Thon hineingeräth, welcher den Körper darstellt. Ueber eine Gliederpuppe, deren Kugelgelenke gestatten, daß man ihr jede gewünschte Haltung giebt, wird nun mit geduldigem Versuchen und wieder Versuchen – nicht selten währt es tagelang, bis das Gewünschte gefunden ist – ein Gewand gelegt, dessen Faltenwurf den Absichten des Künstlers entspricht, und dann beginnt er es in Thon zu übertragen. Was jetzt folgt, die Ausführung, die bei einer lebensgroßen Figur Monate, ja nicht selten Jahre in Anspruch nimmt, ist im Grunde nichts als ein immerwährendes Verändern und Vervollkommnen der Einzelheiten. Man darf niemals denken, daß ein Bildwerk, welches so, wie es fertig dasteht, in jedem Zuge den Eindruck macht, als könnte es nicht anders sein, so völlig ausgeglichen dem Kopfe des Künstlers entsprungen wäre. Es ist ein Erzeugniß unermüdlichen Schaffens, Wiederzerstörens und bessernden Neuschaffens. Was von einer Seite schön aussah, war es oft nicht von der andern. Dinge, die der Beschauer als selbstverständlich hinnimmt, mögen den Künstler bis zur glücklichen Lösung der Verzweiflung nahe gebracht haben. Er sieht sich nicht selten genöthigt, an einem Tage zu Gunsten möglicher Verbesserungen wieder wegzunehmen, woran er wochenlang gearbeitet hat. Kurz, die Meinung, als ob der talentvolle Künstler seine Arbeiten nur so „aus dem Aermel schüttele“, ist eine durchaus irrige.

Manchem wird wohl mit dieser Schilderung seine Vorstellung von echter Künstlerschaft einigermaßen in die Brüche gehen: dies mühsame Zusammenquälen ist doch gar nicht „genial“! Es ist aber nicht schade um jene Vorstellung, denn sie entspringt nur großer Unkenntniß. Bei einem Kunstwerk handelt es sich vor allem darum, wie es schließlich ist. Ob es mit mehr oder minder Aufwand von Mühe so geworden, ist eine Sache, die nur den Künstler selber angeht. –

Endlich steht das Modell in Thon vollendet da. Das kritische Auge des Urhebers findet nichts Störendes mehr daran, und er zeichnet mit dem Hochgefühl stiller Genugthuung seinen Namen ein. Das Schöpferisch-Künstlerische der Bildhauerei ist damit abgeschlossen. Was nun folgt, bis das Bildwerk in Marmor oder Bronze vor uns steht, ist Sache des Kunsthandwerks.

„Verlorene Form“ über dem Thonmodell und „Stückform“.

Zunächst muß aber dem Modell noch Dauerhaftigkeit verliehen werden. Der Thon, der bis jetzt Tag für Tag angefeuchtet worden ist, giebt dem Bildwerk zwar einen prächtigen lebensvollen Charakter, behält diesen aber leider nicht, wenn er trocken wird. Abgesehen davon, daß er in diesem Zustande keine genügende Festigkeit besitzt, wird er dann stumpfgrau und rissig. So kommt das Werk des Bildners denn zuvörderst unter die Hände des Gipsgießers oder Kunstformers, der aus Gips eine sogenannte „verlorene Form“ darüber macht. In diese wird, nachdem das Thonmodell, das dabei zerstört wird, stückweise daraus entfernt und der Hohlraum mit Wasser gereinigt ist, Gips hineingegossen; ist dieser erhärtet, so wird die Form vorsichtig in Stücken abgeschlagen – daher der Ausdruck „verlorene Form“ – und was vorher Thon war, steht nun in dem beständigeren Gips da.

So einfach sich das liest, so ist doch der Vorgang dabei im einzelnen ein sehr komplizierter. Wir wollen darum den Verlauf dieses „Abgießens“, wie es zum Untterschied vom eigentlichen Formen genannt wird, an einem einfachen Beispiel, einer Büste, erläutern. Nachdem das Thonmodell derselben von einer außen aufgesetzten Wand dünner Zinkbleche, die, wie die obenstehende Abbildung [435] zeigt, vom Fuß der Büste über die Schulterhöhe am Ohr herauf über den Scheitel und an der anderen Seite wieder herunterführt, gleichsam in zwei Hälften geschieden ist, wird Gips mit Wasser angerührt, dem ein wenig rothfärbender Bolus zugesetzt ist. Von dieser Gipsmasse wird nun unter steter Sorgfalt dafür, daß sie in jede Vertiefung eindringe und nirgends Blasen bilde, eine etwa vier bis acht Millimeter starke Schicht nach und nach über die eine abgesteckte Hälfte des Modells gebreitet, die vom Zinkrand begrenzt wird. Ist diese erhärtet, was in fünf bis sechs Minuten geschehen ist, so kommt noch eine stärkere Lage weißer Gips darüber; alsdann wird der Vorgang an der noch unbedeckten Seite wiederholt. Die Büste ist nun „eingeformt“, ringsum von einer unförmlichen Gipsmasse umschlossen, die aber durch die Zinkbleche getrennt ist. Werden diese mit einer Zange herausgezogen, was unschwer möglich ist, so bedarf es nur noch des Eintreibens einiger Keile in die entstandene Fuge, und das weiche Thonmodell, das hierbei natürlich zu Grunde geht, giebt nach – die Form liegt in zwei aneinanderpassenden Hälften da – das genaue Negativ der behandelten Arbeit.

Das Punktieren mit drei Zirkeln.

Die letzten Ueberreste von Thon, die hier und dort noch hängen geblieben sind, werden entfernt, das Ganze sauber ausgewaschen, leicht eingeölt und fest wieder zusammengeschnürt. Nun kommt der eigentliche Guß. Es wird wiederum Gips angerührt und dieser unter Schütteln durch eine Oeffnung in die Form hinein gegossen, bis sie gefüllt ist, sodaß also der Gips nun genau den Platz einnimmt, den vorher der Thon innehatte. Ist die Masse fest geworden, dann geht es ans Wegschlagen der Form mit Hammer und Meißel, zuerst der umhüllenden weißen Lage, dann der inneren rothen. Die letztere sagt dem Arbeiter: hüte dich, hier kommt das Modell! Wäre Form und Ausguß von derselben Farbe, so könnte man leicht mit dem Eisen in den letzteren hinein gerathen. Gleichwohl muß auch so noch mit äußerster Vorsicht verfahren werden. Mit mehr oder minder bedeutenden Abweichungen ist dies das Verfahren beim Abgießen. Es wird schwieriger bei großen zusammengesetzten Werken, weil hier die Form aus mehreren Stücken besteht, einfacher beim Relief. Für das Verständniß ist das aber belanglos.

Wir haben also, was als weicher Thon aus des Künstlers Händen hervorgegangen ist, nunmehr im beständigeren Gips vor uns. Da und dort ist noch eine kleine Beschädigung nachzubessern, sonst steht das Werk – als künstlerische That wenigstens – vollendet da. Was ihm aber noch fehlt, ist der Reiz des Materials! Der Gips, so große Vorzüge er in praktischer Beziehung bietet, hat hiervon wenig oder gar nichts. Seine kreidige Weiße läßt meist keine rechte Freude aufkommen. Wollte man ihn abtönen, so bliebe doch immer noch eine gewisse Stumpfheit. Zudem kann aber von Dauerhaftigkeit auch bei ihm nur im Verhältniß zu dem gänzlich dauerlosen Thon gesprochen werden. Im Freieu würde er gar bald verwittern, in Innenräumen jeder Beschädigung ohne großen Widerstand zum Opfer fallen. Alles das läßt uns also im Gipsmodell immer erst ein Durchgangsstadium erblicken zu der Darstellung in einem haltbaren und edleren Material – Bronze oder Stein, für Kunstwerke vornehmster Art Marmor. Es muß aber noch einmal betont werden, daß alles, was in dieser Beziehung geschieht, bloß ein Nachschaffen, ein Reproduzieren ist, Sache einer oft hochgesteigerten Kunstfertigkeit, aber kein künstlerisches Hervorbringen. Dieses ist mit dem Thon- oder, wenn man will, Gipsmodell abgeschlossen. Der schaffende Künstler, den die Phantasie zu anderen Schöpfungen drängt, giebt seine Arbeit nunmehr in die Hände des Bronzegießers oder des Steinbildhauers.

Es würde zu weit führen, wenn wir die äußerst umständliche Technik des Bronzegusses hier schildern wollten; das verlangt einen Aufsatz für sich. Besser kann das mit der Marmorarbeit geschehen. Im großen Publikum steht man dieser mit ganz besonderer Bewunderung gegenüber, ja eine gewisse Art naiver Kunstbetrachtung hält es eigentlich für das Wesentliche der Bildhauerei, daß ihre Schöpfungen dem glasharten Stein abgerungen sind, und setzt so über die künstlerische Idee, was nur einen Theil der Freude am Kunstwerk ausmachen darf. Nicht um das Verdienst geschickter Marmorarbeiter zu schmälern, sondern bloß um die Bewunderung in richtige Bahnen lenken, sei deshalb hervorgehoben, daß das Arbeiten in Marmor, abgesehen von der nothwendigen oft hohen Kunstfertigkeit in der Behandlung des Nackten, der Haare oder des Gewandes, immerhin nicht mehr ist als ein durch mannigfache mechanische Hilfsmittel erleichtertes Kopieren. „Ohne Gipsmodell kein Marmorwerk“, das gilt, den einzigen Michel Angelo und einige noch dazu fragliche Fälle aus dem Alterthum ausgenommen, für die ganze Plastik.

Relief mit Punktierungszeichen.

Die Art nun, wie dieses Uebertragen geschieht, wollen wir in den Grundzügen an einem einfachen Beispiel (vergleiche hierzu die beiden nebenstehenden Abbildungen) veranschaulichen. Bekanntlich kann man von zwei Punkten aus mittels Zirkelschlags einen Punkt in der Ebene bestimmen; fügt man einen dritten hinzu, so giebt er die Höhe an. Wäre nun ein Relief in Marmor auszuführen, das eine rechtwinklige Grundfläche hat, so würde man zuvörderst an den Endpunkten der einen Seite des Modells zwei, etwa in der Mitte der gegenüberliegendett Seite eine dritte Einsatzstelle für Zirkel schaffen. Nachdem am rohbehauenen Marmorblock alsdann die Grundfläche des Modells angeschlagen ist, werden genau an die entsprechenden Stellen die drei Einsatzpunkte gesetzt, so daß die Masse, welche das Figürliche enthalten soll, hoch dazwischen stehen bleibt. Nun wird die höchste Stelle des Modells mit einem Punkt versehen und die Entfernung von ihm zu jeder der Einsatzstellen je in einen Zirkel genommen. Werden mit diesen Zirkeln von den entsprechenden Einsatzstellen am Marmorblock Zirkelschläge nach der Mitte zu gethan, so müssen sie dort irgendwo zusammentreffen, sofern nicht noch zuviel Stein dasteht. In diesem Falle wird unter beständigem vorsichtigen Messen vom Stein weggeschlagen, bis die Zirkelbogen haarscharf in einem Punkte zusammentreffen. Das ist der Punkt, der genau der höchsten Stelle des Modells entspricht, und man kann nun sorglos [436] wegschlagen, was seitwärts über diesen hinausragt. In gleicher Weise werden weiterhin die anderen Höhenpunkte gefunden, bis Modell und Stein derart mit einem Netzwerk von Punkten bedeckt sind, daß schließlich die centimetergroßen Entfernungen zwischen den einzelnen freihändig bearbeitet und zusammengeführt werden können. Dann treten wieder mehr künstlerische Anforderungen an den Ausführenden heran, denn jetzt gilt es, mit den verschiedenartigsten Meißeln, mit Bohrer und Raspel hier der feinen Zeichnung der Haut, dort der flotten Behandlungsweise von Haar und Kleidung gerecht zu werden, mit einem Wort, das Leben, das der Künstler dem fügsamen Thon verliehen hatte, nun auch dem spröden Stein abzugewinnen.

Auf diese Weise – „mit drei Zirkeln punktieren“ heißt der fachmännische Ausdruck – können natürlich nur Reliefs und ähnlich geartete Bildwerke bearbeitet werden; große und hochaufragende entziehen sich solcher Behandlung. Sie werden mittels sinnreich konstruierter Hilfswerkzeuge (vergleiche nebenstehende Abbildung) und auf mancherlei Arten punktiert. So verschieden diese aber auch sind, alle stimmen darin überein, daß sie die Uebertragung nicht dem „genialen“ Blick, dem beliebten „Künstlerauge“ überlassen, sondern zuverlässigen Meßwerkzeugen. Wer einmal der außerordentlich mühevollen und langsam fortschreitenden Arbeit eines Marmorbildhauers zugesehen hat, der wird einsehen, daß ein schöpferischer Künstler damit seine beste Zeit verlieren würde. Die Kunst der Gegenwart stellt nebenbei so hohe Anforderungen an technische Geschicklichkeit, daß ihnen nur entsprechen kann, wer ununterbrochen mit Hammer und Meißel arbeitet.

Marmorbildhauer, mit der Punktierungsmaschine arbeitend.

Nachdem wir so dem Bildwerk bis zur Fertigstellung in Marmor gefolgt sind, erübrigt es noch, einiger Vervielfältigungsarten zu gedenken, insbesondere derjenigen in Gips. Sie ist wie das oben beschriebene Abgießen Sache des Kunstformers und hat zur Grundlage das Gipsmodell, das wir aus der „verlorenen Form“ haben herauswachsen sehen. Soll z. B. ein Reliefbild, das man sich als einen vergrößerten Thaler vorstellen kann, vervielfältigt werden, so ist das auf zweierlei Weise möglich. Am häufigsten geschieht es mittels einer Leim- oder Gelatineform. Ueber das schellackierte und geölte Modell wird hierbei eine etwa fingerdicke Thonschicht gebreitet und diese wiederum mit einer stärkeren Lage Gips überdeckt; man nennt die letztere die „Kappe“. Ist sie fest geworden, so nimmt man sie ab, entfernt den Thon und legt sie wieder über das Modell. Zwischen Kappe und Modell ist jetzt ein leerer Raum vorhanden, der nun durch eine Oeffnung mit zähflüssigem Leim angefüllt wird. Nach drei bis vier Stunden erkaltet dieser zu einer elastischen Masse, welche natürlich alle Einzelheiten des darunter liegenden Modells angenommen hat. Diese Masse bedarf noch des Firnissens und Oelens und giebt dann die Form ab für eine ganze Reihe von Ausgüssen, solange, bis der Leim durch allmähliche Verdunstung wieder eintrocknet. Ein Vorzug derartiger Vervielfältigung ist die verhältnißmäßige Leichtigkeit der Herstellung; auch weisen die gewonnenen Güsse keine oder, bei größeren Stücken, nur eine „Naht“ auf.

Wollte man auf gleiche Weise eine Form, die dauern soll, aus Gips herstellen, so würde sie vom Modell nicht loszunehmen sein, weil sie sich selbstverständlich in alle Tiefen, aus denen sich der Leim noch herausziehen läßt, festklemmen würde. Daraus folgt, daß eine Gipsform aus so viel Stücken bestehen muß, als sich einzeln losnehmen lassen.

Man nennt sie aus diesem Grunde Stück oder Keilform. Sie erhält sich bei guter Behandlung sehr lange, hat aber den Nachtheil, daß die Güsse mit sehr vielen „Nähten“ – Erhöhungen, die da entstehen, wo die Formstücke zusammenstoßen – bedeckt sind. Mehr oder weniger sorgsam bearbeitet, entstehen auf die angegebenen Arten besonders alle die Gipsabgüsse, die wir im Handel sehen. Manche werden nach der Fertigstellung noch einem siedenden Stearinbade ausgesetzt; der Gips wird dann als „Elfenbeinmasse“ bezeichnet.

Von anderen Vervielfältigungen wären endlich noch die Figuren aus gebranntem Thon zu erwähnen. Sie werden in einzelnen Theilen in Formen gequetscht, zusammengesetzt und dann im Ofen gebrannt. Hierfür ist es erforderlich, daß sie möglichst hohl sind. Da sie nach dem Zusammensetzen natürlich noch einmal übermodelliert werden müssen und das nicht immer von künstlerischer Hand geschieht, so ist viel Minderwerthiges darunter. Sie sind deshalb nicht mit Originalterrakotten zu verwechseln, denen wir in Kunstausstellungen begegnen. Hier haben wir es vielmehr mit der eigenen Arbeit des Künstlers zu thun, die nach dem Modellieren ausgetrocknet und gebrannt ist. Naturgemäß werden für solche Arbeiten auch ganz andere Preise verlangt als für jene.

Kommen wir nach den mannigfachen Abschweifungen noch einmal auf den eigentlichen Künstlerbildhauer zurück, so müssen wir feststellen, daß er seinen Namen, der früher nicht unberechtigt war, in unserer alles spezialisierenden Zeit mit Unrecht trägt. Er „haut“ nicht, er „meißelt nicht in Bronze“, wie man öfter in sogenannten Künstlerromanen lesen kann, sondern er modelliert. Mag hie und da eine Ausnahme stattfinden, im allgemeinen ist das Regel. Das ist der Grund, weshalb man den Bildhauer besser „Bildner“ nennen sollte.