Aus den Zeiten der schweren Noth/Nr. 3. Ein Secondelieutenant

Textdaten
<<< >>>
Autor: Fr. Fr.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Secondelieutenant
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 500–504
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[500]
Aus den Zeiten der schweren Noth.
Nr. 3.
Ein Secondelieutenant.

Die beiden unheilvollen Schlachten bei Jena und Auerstädt (am 14. October 1806) waren beendet. Nicht durch den fehlenden Muth der Soldaten waren sie verloren, sondern durch eine unbegreifbare Sorglosigkeit und Verwirrung ihrer Führer und durch ein Geschick, das sich mit aller Schwere gegen Preußen wendete. Preußen hatte große Verluste in den beiden Schlachten erlitten; es würde sie verschmerzt haben, hätte es Männer besessen, welche die aus beiden Schlachten geretteten Trümmer seines Heeres mit besonnenem Muthe gesammelt hätten, wären nicht so schmachvoll feige Männer unter denen gewesen, welchen es einen Theil seiner Macht anvertraut hatte. Es verlor hundert Mal mehr durch die Folgen dieser Schlacht, als durch sie selbst. Die letzten Monate des Jahres 1806 sind die trübste Zeit in Preußens ganzer Geschichte.

Durch den Verlust dieser beiden Schlachten war der ganze preußische Operationsplan vernichtet. Das geschlagene Heer zog sich nicht zurück, es war gleichsam in alle Winde zerstreut, seine Führer hatten jede Besinnung verloren, es dachte nur auf seine Rettung und floh in heilloser Verwirrung. Es wußte nicht, wohin es sich wenden sollte. Ein Theil wendete sich gegen die Unstrut, ein anderer schlug die Straße nach Sondershausen ein, um von dort im Norden des Harzes auf Magdeburg zu ziehen, ein dritter flüchtete gegen Erfurt.

[501]

Lieutenant Hellwig bei Eisenach.

[502] Erfurt war eine schöne, starke Festung. Hundertundzwanzig Kanonen, alle in gutem Stande, blickten drohend von den Wällen herab. Mit Munition war die Festung reichlich versehen, und die großen Magazine in ihr waren gefüllt. Vierzehntausend Preußen warfen sich in sie, an ihrer Spitze der Prinz von Uranien, der Feldmarschall Möllendorf, die Generäle Larisch, Grawert, Lissan und Zweifel. Dem überlegensten Feinde hätte sie tage- und wochenlang erfolgreich Trotz bieten können. Ueberdies hatte die Festung noch durch den Petersberg und die Cyriaksburg zwei sehr starke Stützpunkte.

Bereits am Morgen des 15. Octobers umzingelte der Großherzog von Berg Erfurt. Waren seine Truppen auch an Zahl bedeutend der Besatzung überlegen, so waren sie doch von den starken vorhergehenden Märschen und namentlich von der Schlacht am Tage zuvor erschöpft. Außerdem führten sie kein grobes Belagerungsgeschütz mit sich. Die Festung hatte nichts zu befürchten, denn ein Sturm auf die wohlerhaltenen Mauern wäre ebenso thöricht gewesen, wie er erfolglos geblieben sein würde. Der Großherzog von Berg dachte auch nicht an eine ernstliche Belagerung, die ihn vielleicht wochenlang an diesen Platz gefesselt haben würde, durch Capitulation hoffte er sich in den Besitz der Festung zu setzen, um dann mit seinen Truppen ungesäumt die einzelnen Theile des zerstreuten preußischen Heeres zu verfolgen und aufzureiben, ehe sie Zeit gewännen, sich wieder zu sammeln und zu vereinigen.

In der Stadt herrschte die größte Verwirrung und Furcht. Die Soldaten waren zum großen Theil erbittert und zeigten Lust, sich trotz der am Tage zuvor erlittenen Niederlage auf’s Aeußerste zu vertheidigen oder durchzuschlagen. Ein Theil der niederen Officiere stand auf ihrer Seite und begriff, wie unendlich viel für Preußens Wohl und Rettung davon abhing, wenn der Feind durch Belagerung der Festung außer Stand gesetzt wurde, die einzelnen Theile des preußischen Heeres zu verfolgen, und diese Zeit gewannen, sich zu vereinen. Aber die Führer hatten Kopf und Besinnung verloren. Der Commandant der Festung wie der Citadelle, der Major Karl von Prüschenek, war so verwirrt durch die Furcht und so muthlos, daß er selbst die geringsten Vorkehrungen zu treffen versäumte. Und keiner der in der Stadt anwesenden Generäle trat ihm unterstützend zur Seite – sie waren ebenso muthlos wie er selbst. Die Rettung des Vaterlandes vergaßen sie bei dem Gedanken an ihre eigene Gefahr, so gering diese auch war.

Schon am Nachmittage schickte der Großherzog von Berg einen Parlamentär in die Festung, um sie zur Uebergabe aufzufordern. Der Commandant rief einen Kriegsrath zusammen, an welchem die ersten Generäle, welche sich in der Stadt befanden, Theil nahmen. Die schmachvollste Furcht beherrschte ihre Gemüther, sie schützten die vielen Verwundeten vor, welche sich in der Stadt befanden, hielten die Festung zu schwach besetzt, obschon sie an zehntausend kampffähige Mann in sich barg, und kein Einziger im Kriegsrathe besaß Muth genug, eine Uebergabe mit Entschlossenheit und Verachtung zurückzuweisen und die Andern an ihre Pflicht und Ehre zu erinnern, welche ihnen gebot, die Festung bis auf das Aeußerste zu vertheidigen. Der Commandant stimmte zuerst für die Uebergabe, und Alle sannen nur darauf, die günstigsten Bedingungen zu erhalten.

Der französische Oberst Preval war als Parlamentär in die Stadt geschickt und er selbst war erstaunt, als er die Mittheilung erhielt, daß die Festung capituliren wollte. Die Verwirrung und Muthlosigkeit hatte einen so hohen Grad erreicht, daß er sogar, was nirgends Sitte war, mit unverbundenen Augen durch die Stadt auf die Citadelle geführt wurde. Er hatte Gelegenheit genug gehabt, sich auf diesem Gange von der Stärke der Festung zu überzeugen. Er erhielt die Bedingungen, unter denen die Festung sich übergeben wollte, und da er nicht Vollmacht besaß, dieselben zu genehmigen und zu unterschreiben, kehrte er mit denselben zu dem Großherzog von Berg zurück, um ihm dieselben vorzulegen.

In der Eile des Kriegsraths hatte man folgende Hauptpunkte als Bedingungen aufgesetzt: 1) Die Besatzung solle am 17. October mit allen Kriegsehren, mit Waffen, Effecten und Gepäck, die Bataillonsstücke, Feldbatterien, Bäckerei und Armeetrain mit eingeschlossen, ausziehen. Sie soll mit klingendem Spiel, fliegenden Fahnen und brennenden Lunten nach Halle marschiren.

2) Die verwundeten Officiere, Unterofficiere und Soldaten, welche sich in der Stadt befinden, sollen unter dem ersten Artikel mit inbegriffen sein. Die Transportirungsunfähigen bleiben auf Kosten Sr. preußischen Majestät zurück; sobald sie geheilt sind, kehren sie mit Pässen zu ihren Corps zurück.

3) Um die Mittagszeit des folgenden Tages solle das Johannisthor übergeben werden und von außen besetzt werden, am innern Thor indeß so lange preußische Wache bleiben, als preußische Besatzung in der Festung sei.

4) Da die Effecten der zur Besatzung gehörenden Personen nicht sofort fortgeschafft werden konnten, so solle ein Termin von drei Monaten dafür anberaumt werden.

In ängstlicher Erwartung harrte der Commandant und der Kriegsrath der Wiederkehr und der Antwort des Großherzogs von Berg. In der Festung hatte sich unter den Soldaten das Gerücht, daß die Festung übergeben werden solle, verbreitet und bei den meisten den größten Unwillen hervorgerufen. Eine Anzahl Soldaten eilte sogar vor das Thor der Citadelle, um von dem Commandant eine Erklärung zu verlangen und ihm die Erklärung zu übergeben, daß sie sich in eine so schmachvolle Capitulation nicht fügen würden. In die Citadelle selbst wurden sie nicht eingelassen.

Es war Abend geworden, als der Oberst Hippolyt Preval mit dem Bescheid des Großherzogs und der Vollmacht zur Unterschreibung der Capitulation in die Stadt zurückkehrte. Ganz im Stillen, um den Soldaten das Vorhaben zu verheimlichen, wurde er auf die Citadelle geführt. Der Kriegsrath wurde auf’s Neue versammelt. Der Großherzog von Berg hatte aus der Muthlosigkeit seiner Feinde erkannt, daß er Alles von ihnen verlangen könne, und hatte die Bedingungen der Uebergabe verschärft. Die Thore der Festung sollten sogleich für die französischen Truppen geöffnet werden, und schon am Mittag des folgenden Tages, am 16. October, sollte die Besatzung mit Waffen, Gepäck, fliegenden Fahnen und den Bataillonskanonen ausziehen, aber auf dem Glacis der Festung die Waffen niederlegen und kriegsgefangen bleiben. Die Officiere sollten ihre Degen und Gepäck behalten, nach Preußen zurückkehren, indeß ihr Wort geben, bis zur Auswechslung nicht zu dienen. Transportmittel für sie und ihr Gepäck sollten ihnen verschafft werten. Die verwundeten Officiere, Unterofficiere und Soldaten sollten unter dieser selben Bedingung stehen, für ihre Pflege sollte man sich auf die französische Großmuth verlassen.

Diese zum Theil so schmachvollen Bedingungen waren selbst den meisten Generälen zu hart, und sie protestirten dagegen und suchten mildere zu erringen. Der französische Bevollmächtigte erwiderte, nicht mehr bewilligen zu dürfen. Da drängte der Commandant Karl von Prüschenek zur Annahme derselben. Er schien nicht frei aufathmen zu können, so lange er sich in der Nähe des Feindes befand. Der Gedanke an eine Belagerung, vielleicht gar an einen Sturm auf die Stadt raubte ihm fast die Besinnung. Was kümmerte es ihn, ob sein König durch ihn mehr denn 10,000 brave Soldaten einbüßte? was kümmerte es ihn, daß sie dem französischen Hochmuthe und Spott preisgegeben wurden, daß sie gezwungen werden sollten, in den Reihen ihrer Feinde vielleicht gegen ihr eigenes Vaterland zu kämpfen? er kam mit unverletzter Haut davon, selbst sein Eigenthum wurde nicht angetastet. Vielleicht hatte er gar auf eine Belohnung des Kaisers für seine bereitwillige Capitulation einer so starken und wohlversorgten Festung zu hoffen.

Abends 11 Uhr, während Tausende in der Stadt keine Ahnung davon hatten, welche schmachvolle That auf der Citadelle vor sich ging, wurde dort die Capitulation von Karl von Prüschenek und Hippolyt Preval unterzeichnet. Preußen hatte eine wichtige Festung verloren, ein schwarzes Blatt war für immer in Preußens Geschichte eingeschrieben, das Leben von Tausenden braver Krieger war durch diesen einzigen Schritt dem Verderben preisgegeben. Am folgenden Mittag zog die ganze Besatzung aus. Auf dem Glacis mußten sie die Waffen niederlegen. Manches Herz blutete, in dem Auge manches Soldaten standen Thränen des Schmerzes und der Verzweiflung, mancher zerbrach die Waffen, die er mit Ehren bis dahin getragen und die er nun niederlegen mußte, weil seine Führer aufgehört hatten, Männer von Ehre zu sein.

Die Kunde von dieser schmachvollen Capitulation der Festung und Citadelle Erfurt, auf deren Widerstand Viele so zuverlässig gebaut hatten, und die von der größten Wichtigkeit war, verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die ganze Umgegend und erregte die allgemeinste Entrüstung. Eine That rief sie aber hervor, welche neben diesem düsteren Flecken wie ein helles Licht erglänzte, welche zeigte, daß es an tapferen Männern und unerschrockenen Herzen [503] in Preußen nicht fehlte, daß alles Unheil dieses Krieges nur von wenigen der Großen verschuldet war. In der Geschichte wird diese That meist gänzlich übergangen, weil es ein einfacher Secondelieutenant war, der sie ausführte. Wir wollen sie der Vergessenheit entreißen, die sie wahrlich nicht verdient. Solche Thaten sind immer ein schöner begeisternder Ruf für die Zukunft.

Die zweite Schwadron des preußischen Husarenregiments von Plöz war durch die Gefechte bei Saalfeld abgeschnitten und dadurch in den Rücken der französischen Armee gekommen. Es stand in der Gegend von Eisenach, während Erfurt übergeben wurde. In dieser Schwadron befand sich der Secondelieutenant Hellwig, ein junger, feuriger und tapferer Mann, der unter all seinen Kameraden für einen der Bravsten galt. Auch er hörte von der schmachvollen Kapitulation, und sein Herz bebte vor Unwillen. Sein Leben würde er hingegeben haben, hätte er diese That ungeschehen machen können, denn sie warf einen Flecken auf die ganzen preußischen Waffen. Zugleich erhielt er aber auch die Nachricht, daß man in Eisenach den Durchmarsch der ganzen gefangenen Garnison von Erfurt, über 9000 Mann, unter einer nur schwachen Bedeckung erwarte.

Ein Gedanke blitzte in ihm auf. Wenn es ihm gelänge, durch eine kühne That zum Theil wieder gut zu machen, was in Erfurt verschuldet war! Und dieser Gedanke wurde sofort bei ihm zum Entschluß, ohne daß er nach den Schwierigkeiten und Gefahren, welche sein Vorhaben darbot, fragte. Ohne Zögern eilte er zu dem anwesenden Flügeladjutanten des Königs, Major Graf v. Götzen, und trug ihm vor, daß er entschlossen sei, die durchmarschirenden Gefangenen zu befreien. Dem Grafen gefiel des jungen Mannes kühner Plan, doch zweifelte er an dem Gelingen; er versprach es in Ueberlegung ziehen zu wollen.

„Nein!“ rief Hellwig, „sogleich müssen Sie sich entscheiden. Gestern in der Frühe sind die Gefangenen von Erfurt abmarschirt, jede Stunde können sie hier ankommen!“

„Es sind über 9000 Gefangene, die Bedeckung wird nicht gering sein,“ erwiderte der Graf. „Ohne einige Compagnien Bedeckung ist ein solcher Transport nicht möglich, und ich kann nicht viel Leute an ein solches gewagtes, ja ich muß sagen tollkühnes Unternehmen setzen.“

„Ich verlange auch nicht viel!“ rief Hellwig begeistert. „Geben Sie mir fünfzig Husaren, lassen Sie mich dieselben aus dem Regiment aussuchen, und ich stehe dafür, daß mein Vorhaben gelingen wird!“

Der Graf lächelte.

„Die Bedeckung wird nicht daran denken, daß sie angegriffen wird,“ fuhr Hellwig fort, „sie weiß nicht, daß wir hier stehen, und sie hat nach der Schmach von Erfurt nicht Ursache, sich vor den preußischen Waffen zu fürchten!“

„Es geht nicht – es ist unmöglich!“ rief der Adjutant, so sehr ein solches Unternehmen auch ihm selbst zusagte. „Sie und all die fünfzig Braven würden sich nutzlos opfern!“

„So lassen Sie uns zum Opfer fallen!“ rief Hellwig. „So wollen wir zeigen, daß es unter den Preußen noch Männer giebt, welche ihr Leben gern für die Freiheit ihrer Cameraden in die Schanze schlagen. Wir wollen zeigen, daß Ehre und Ruhm uns höher gilt als das Leben! Nur fünfzig Mann geben Sie mir, Freiwillige, obschon ich weiß, daß Alle von unserm Regiment mit Freuden bei solchem Unternehmen in den Tod gehen würden! Nur fünfzig Mann!“

Der Adjutant zögerte noch.

„Nun, so sei es!“ rief er endlich, indem er Hellwig die Rechte entgegenstreckte. „Schlagen Sie ein, Lieutenant! Zehn Jahre meines Lebens wollte ich darum geben, hätte nur ein Mann mit Ihrem Herzen und Ihrem Muthe in dem Kriegsrathe zu Erfurt gesessen! Bei Gott, es wäre anders gekommen!“

„Wir wollen die Schmach sühnen!“ entgegnete der junge Mann, indem er die dargebotene Rechte ergriff. „Falle ich, so soll zum wenigsten ein Jeder sagen: Er hat seine Pflicht gethan, wie’s sich für einen braven Soldaten gebührt!“

Der Graf vermochte eine innere Bewegung nicht zu verbergen. „Kommen Sie – kommen Sie, Lieutenant!“ sprach er und eilte mit ihm hinaus zu den Husaren. Mit wenigen Worten theilte er ihnen Hellwig’s Vorhaben mit, und über hundert meldeten sich sofort als Freiwillige.

Fünfzig Husaren und fünf Unterofficiere wählte Hellwig selbst sich aus, und keiner von ihnen zweifelte an dem Gelingen, denn sie kannten den kühnen und unerschrockenen Sinn des Lieutenants.

„Wir bringen Euch 9000 freie Cameraden mit!“ rief er heiter seinen zurückbleibenden Gefährten zu und sprengte mit seiner kleinen Schaar rasch davon. Er ritt auf die Landstraße zu, welche von Erfurt über Gotha nach Eisenach führt, und dort bei Eichrodt, kaum eine Viertelstunde von Eisenach entfernt, stellte er seine Husaren in einem kleinen, bis an die Straße reichenden Gehölze versteckt auf. Mit seinem Plane hatte er sie bereits bekannt gemacht. Die große Anzahl der Gefangenen mußte einen langen Zug bilden. Wie es bei solchen Transporten in der Regel zu geschehen pflegte, marschirte eine Abtheilung der Bedeckung voran, während die andere den Zug beschloß. Zu beiden Seiten pflegten Voltigeurs zu marschiren oder Husaren zu reiten, um das Entweichen einzelner Gefangenen zur Seite zu verhüten.

Ruhig, ohne sich zu verrathen, wollte er fast den ganzen Zug an sich vorbei marschiren lassen und sich dann plötzlich mit Ungestüm auf die letzte Abtheilung werfen. Erst nachdem diese überwältigt, wollte er auf die vordere Abtheilung der Bedeckung sich stürzen, und der mehrfach erprobte Muth seiner Husaren gab ihm die Gewißheit, daß keiner von ihnen zagen werde, wenn der Feind ihnen auch an Zahl mehrfach überlegen war. Auf das Strengste hatte er den Husaren befohlen, sich nicht eher zu rühren und auch durch günstigste Gelegenheit sich nicht zum Hervorbrechen bewegen zu lassen, als bis er ihnen das Zeichen dazu gegeben.

Er selbst stieg, von einem Unterofficier begleitet, auf eine kleine Anhöhe in der Nähe des Gehölzes. Ihre Pferde hatten sie zurückgelassen. Um sich zu verbergen, streckten sie sich hinter einen Busch und schauten erwartungsvoll durch ein Fernrohr die nach Gotha und Erfurt führende Straße hinab. Stunde auf Stunde verrann, und die Erwarteten erschienen nicht. Einzelne kleine versprengte Haufen des preußischen Heeres zogen auf der Straße vorüber, und der Unterofficier schlug vor, sie an sich zu ziehen, um sich durch dieselben zu verstärken. Hellwig lehnte es ab. „Wir sind stark genug,“ sprach er, „und wir dürfen unsern Plan nicht Unbekannten anvertrauen. Hätte ich den Major von Götzen um eine größere Schaar gebeten, er würde sie mir gegeben haben, aber ich freue mich darauf, daß man später erzählen wird, ein halbes Hundert preußischer Husaren haben dem Feinde 9000 Gefangene abgenommen. Die Bedeckung wird auf unsern Ueberfall nicht vorbereitet sein, er muß gelingen, und glaubst Du, daß die Gefangenen, sobald wir nur einen geringen Vortheil errungen haben, uns nicht selbst unterstützen werden?“

„Sie sind ohne Waffen,“ warf der Unterofficier ein.

„In der Noth wird jeder Stein am Wege, jeder Stock zu einer gefährlichen Waffe, und die bloße Faust eines unerschrockenen muthigen Mannes ist noch mehr zu fürchten, als ein Säbel in der Hand eines Feiglings!“ rief der junge Lieutenant mit begeistertem Muthe. Er richtete das Fernrohr wieder auf die Landstraße und er hätte laut aufjubeln mögen, denn in der Ferne erblickte er die Erwarteten in langem Zuge. Es war gegen 5 Uhr Abends.

„Sie kommen – sie kommen!“ rief er seinem Begleiter zu. „Eile hinab zu unsern Gefährten und präge ihnen noch einmal ein, daß sie bis auf meinen Befehl ganz ruhig bleiben! Doch nein – warte,“ fügte er seinen Entschluß ändernd hinzu, „ich selbst will hinabeilen!“

Er sprang auf, verließ vorsichtig, halb kriechend die Anhöhe, und eilte in das Gehölz, wo die Seinen in größter Ungeduld harrten.

„Haltet Euch in Bereitschaft!“ rief er ihnen zu. „Sie kommen! Aber noch einmal hört meinen Befehl: keiner rührt sich, bis ich das Zeichen gebe!“

Er eilte wieder hinauf auf die Anhöhe. Das Herz schlug ihm schnell, laut. Der Augenblick nahte, der die Entscheidung für ihn brachte: Sieg und Ruhm oder – Tod!

Der Zug war nahe gekommen. Auf’s Deutlichste erkannte er die den Gefangenen voran schreitenden französischen Soldaten. Ihre Gewehre blitzten in der Abendsonne. Er konnte sie überblicken, sie marschirten ziemlich sorglos, aber in Einem war er falsch berichtet: die Bereitung war nicht so schwach. Eine ganze Compagnie Linien-Infanterie marschirte dem Zuge voran und eine nicht geringe Anzahl Voltigeurs zu beiden Seiten. War die den Schluß bildende Bedeckung ebenso stark, so hatte er eine schwere [504] Aufgabe – gleichviel, er blieb fest entschlossen, den kühnen Streich zu wagen.

Ruhig ließ er den Zug vorbei marschiren. Es war ein langer Zug. Das Herz blutete ihm, als er auf die Reihen der Gefangenen niederschaute, die ein Opfer der Feigheit ihrer Führer geworden waren. Er glaubte, den Schmerz und die Niedergeschlagenheit auf ihren Gesichtern lesen zu können, und im Geiste hörte er schon ihren Jubel, wenn sie wieder frei waren – befreit durch ihn. Schon nahte der Schluß des Zuges, auch er bestand aus einer Compagnie Linien-Infanterie. Schnell hatte er ihn überblickt. Er gab seinem Begleiter ein Zeichen, und ungesehen glitten sie von der Anhöhe hinab. Wenige Augenblicke darauf stand er vor seiner kleinen Schaar, die ihn zum Kampfe bereit empfing. Schnell schwang er sich auf sein Pferd, zog den Säbel, gab das Zeichen zum Losbrechen und sprengte der Schaar voran aus dem Gehölze. Kaum hundert Schritte war er noch vom Feinde entfernt. Dieser war indeß nicht so sorglos, wie er erwartet hatte. Die Franzosen wandten sich gegen ihn, eine Reihe von Gewehrläufen blickte ihm drohend entgegen, aber unerschrocken rief er den Seinen zu: „Immer vorwärts!“ In einer Entfernung von ungefähr 60 Schritt empfing ihn eine Gewehrsalve der ganzen Compagnie, die Kugeln pfiffen über den Köpfen der Husaren hin, diese sprengten unerschrocken auf sie zu und hieben ein. Der Kampf war nur ein kurzer, so heftig sich die Franzosen auch wehrten. In kaum zehn Minuten war die ganze Compagnie überwältigt und streckte die Waffen. In größter Eile wurden ihnen dieselben abgenommen und eine Anzahl der Gefangenen damit bewaffnet.

Hellwig’s tapfere Schaar hatte in diesem Kampfe einen nur unbedeutenden Verlust erlitten. Ohne Zögern wollte sich der Lieutenant nun auf die erste Compagnie werfen, aber die Voltigeurs hatten sich in ein Gebüsch geflüchtet und feuerten aus demselben. Mehre Husaren und Pferde wurden schwer dadurch verwundet. Ein Husar und ein Gefangener fielen dicht an Hellwig’s Seite. Erbittert sprengte er auf das Gebüsch zu, seine Tapfern folgten ihm, und in wenigen Minuten waren die Voltigeurs, welche im Ganzen 140 Mann stark gewesen waren, zum Theil gefangen, zum Theil in die Flucht getrieben.

Hellwig nahm sich nicht Zeit, sie zu verfolgen. Die Spitze des Zuges mit der ersten Compagnie der Franzosen hatte bereits das Thor von Eisenach erreicht, und er wollte sich auf sie werfen, ehe sie Zeit gewannen, sich in den Häusern festzusetzen. Er erreichte sie vorn in der Stadt, hier wurde der Kampf indeß gefährlicher für ihn, da die Franzosen sich in mehrere Straßen vertheilten und ein nachdrückliches Feuer unterhielten. Ihr Oberst fiel durch den Säbelhieb eines Husaren. Dies erbitterte sie noch mehr. Der bis dahin errungene Erfolg hatte indeß die Kühnheit der Husaren bis zur todesfreudigen Begeisterung gesteigert. Einzelne von ihnen stürzten sich unerschrocken auf den zehnmal überlegenen Feind, ein Theil der Gefangenen, der sich Waffen verschafft hatte, unterstützte sie, und noch war keine halbe Stunde verflossen, so war der Kampf beendet. Die ganze französische Compagnie war zerstreut, geflohen, ein Officier und 15 Soldaten wurden zu Gefangenen gemacht.

Die Gefangenen waren befreit. Mit lautem Jubelrufe wurde der kühne junge Lieutenant begrüßt, und er konnte diesen Gruß dreist annehmen, denn 9000 brave Krieger hatte er seinem Könige und Vaterlande erhalten. Er selbst hatte eine Wunde empfangen, er achtete indeß nicht darauf, denn eine andere Sorge ruhte schwer lastend auf ihm. Der erste Schritt seines Unternehmens war geglückt; sollte es ganz gelingen, so blieb ihm noch die schwere Aufgabe, die Befreiten sicher aus dieser rings von Feinden umgebenen Gegend zu führen. Er ließ den Muth nicht sinken. Die Befreiten wurden mit all den Waffen, welche aufzutreiben waren, und mit den Carabinern und Pistolen der Husaren armirt, die Bürger Eisenach’s brachten Alles, was sie besaßen, zur Erfrischung derselben herbei, und nach kurzer Ruhe brach Hellwig noch an demselben Abend mit ihnen auf und führte sie bis Creutzburg und von dort nach Hannöversch-Münden. Dort übergab er sie dem General Zweifel, der sicher nicht ohne Beschämung auf diese That des Secondelieutenants blickte, denn er selbst war in Erfurt gewesen, als die Festung capitulirte und die nun Befreiten dem Feinde preisgegeben wurden. Hellwig kehrte zu seinem Bataillon zurück, welches er bei Nordheim antraf.

Der edle Herzog von Weimar, Karl August, beschenkte jeden der tapferen Husaren, welche an diesem kühnen Handstreich theilgenommen, mit einem Louisd’or. Die Unterofficiere verbaten sich dieses Geschenk und wünschten dafür ein Ehrenzeichen. Der Commandant von Erfurt, Major Karl von Prüschenek, wurde durch einen Befehl des Königs Friedrich Wilhelm vom 11. December 1806 seiner unverantwortlichen Capitulation wegen ohne Abschied aus dem Militärdienste entlassen – und der Secondelieutenant Hellwig? Wir wissen nicht, ob er eine Belohnung für seine herrliche That empfangen.

Der Moniteur in Paris veröffentlichte wenige Tage darauf ein Bülletin aus Weimar vom 16. October, in welchem mit hochtrabenden Worten und in übertriebener Weise die Capitulation der Festung und Citadelle und die dadurch erlangten Vortheile mitgetheilt wurden, selbst die Bedingungen der Capitulalion wurden wörtlich beigefügt, aber in keinem der folgenden Bülletins, welche stets neue Siege verkündeten, ist erwähnt, daß ein preußischer Secondelieutenant mit fünfzig Husaren 9000 Gefangene befreit.

Mögen diese kurzen thatsächlichen Zeilen ein Denkmal für den Braven sein!

Fr. Fr.