Aus den Werkstätten der Presse

Textdaten
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Autor: Johann Hermann Wehle
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Titel: Aus den Werkstätten der Presse
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 134–137
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe dazu auch Etwas aus der Werkstätte der amerikanischen Presse
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Aus den Werkstätten der Presse.

Wenn jetzt in einem Verzeichniß der unentbehrlichsten Lebensmittel civilisirter Völker auch die Zeitung einen hervorragenden Platz erhielte, so würde dagegen wohl kaum noch von irgend einer Seite her ernsthafter Widerspruch erhoben werden. Was die Zeitung im heutigen Culturgange der Menschheit geworden ist, was sie nach allen Richtungen hin für das Leben der Gesammtheiten und für das tägliche innere und äußere Bedürfniß des Einzelnen bedeutet, das wird jetzt von Unzähligen in allen Schichten des Volkes mehr oder minder deutlich gefühlt oder gewußt. Auch den Charakter und Standpunkt der verschiedenen Preßorgane des Inlandes und sogar des Auslandes, auch ihre Eigenschaften, die Art und Höhe ihrer Verbreitung und ihres Einflusses kennt man im Allgemeinen so weit, um die erforderliche Kritik üben und Stellung zu ihnen nehmen zu können. Während aber die öffentliche Meinung über alle diese Verhältnisse so ziemlich unterrichtet ist, herrscht doch noch eine merkwürdige und kaum begreifliche Unklarheit in Bezug auf einen wichtigen Punkt.

In weiten Kreisen selbst der gebildeteren Zeitungsleser weiß man nämlich so gut wie gar nichts von der täglichen Erzeugung der Zeitung, und nur Wenige legen sich die Frage vor: wie es überhaupt möglich gemacht wird, daß diese so riesigen und doch so eleganten, correct und sauber gedruckten Zeitungsproducte mit der ungeheuren Fülle ihres immer neuen, vielseitigen, wohlgeordneten, meistens auch wohldurchdachten und glänzend stylisirten Inhalts zweimal und vielfach sogar dreimal im Verlaufe von vierundzwanzig Stunden dem heißhungrigen Verlangen eines verwöhnten Publicums sich darbieten können? Wahrlich, ein Gebildeter des vorigen Jahrhunderts würde sich in eine Zauberwelt versetzt glauben, wenn er ein paar Tage hindurch nur dieses regelmäßige Ausschwärmen kolossaler Zeitungsauflagen und ihr massenhaftes und schnelles Hinausfliegen nach allen Himmelsgegenden [135] beobachten könnte. Und in der That gehört denn auch unsere heutige Zeitung, von dieser Seite ihrer Herstellung und Aussendung betrachtet, zu jenen staunenswürdigen Leistungen und Spenden, wie sie nur die moderne Cultur durch die streng organisirte und genau ineinandergreifende Vereinigung hingebender Geistesthätigkeit mit den gewaltigen Mächten technischen Fortschrittes hervorzubringen vermag. Einige Blicke in diese Vielen noch so geheimnißvolle Werkstatt dürften daher den Zeitungsfreunden einen nicht geringeren Reiz gewähren, als dem Theaterfreunde ein kurzes Verweilen hinter den Coulissen des Schauspielhauses. Der Eintritt in die Geburtsstätten der Zeitungen steht nicht Jedermann offen, aber eine Schilderung einzelner Vorgänge wird uns doch ein annähernd deutliches Bild gewähren von dem complicirten und so überaus bewegten Getriebe, dessen begehrte Erzeugnisse an jedem Morgen und Abend fix und fertig in der Familie und den öffentlichen Localen auf den Tischen liegen.[1]

Der eigentliche Lesestoff oder der geistige und durch schriftstellerische Thätigkeit geschaffene Inhalt einer großen Zeitung wird von einem Redactionspersonale hergestellt, das, außer dem Hauptredacteur, dieser das Ganze übersehenden, leitenden und organisirenden Kraft, aus einem Generalstabe von Ressort- oder Abtheilungsredacteuren besteht. Die Zahl derselben hängt von der Organisation des Blattes ab; in der Regel sind nur die Hauptabtheilungen besetzt, nämlich die Politik, der locale und der volkswirthschaftliche Theil. In einem wohlorganisirten Bureau aber zerfallen diese Ressorts wieder in Unterabtheilungen. Der politische Theil hat da einen Redacteur für das Ausland und einen für das Inland; im volkswirthschaftlichen Theile werden die Waaren- und Marktberichte von dem Börsen- und Bankdepartement getrennt und haben ihre Unterchefs. Der Localredacteur gebietet dann selbstständig über eine kleine Armee von Mitarbeitern, und es stehen unter ihm ein Redacteur der Gerichtsberichte, ein Chef des Theaters, ein oder mehrere Polizeireporter. Ferner hat meistens auch das Feuilleton seinen eigenen Redacteur. Hiermit sind jedoch noch nicht alle einzelnen Fächer aufgeführt, weil jede besondere Specialität, die von einem Blatte gepflegt wird, einen besonderen Redacteur bedingt. Naturwissenschaftliche Beilagen, gewerbliche, Assecuranz-, Marine-Fachblätter erfordern einen Gelehrten oder Fachmann, wenn auch nicht immer als ständigen Redacteur, doch wenigstens als Redactionsconsulenten. Der Redacteur der Parlamentsberichte aber gehört nothwendig zum Redactionsverband, und er hat wieder seinen eigenen Stab von fixen Stenographen. Unter den sonstigen Beamten des Bureaus ist eine wichtige Persönlichkeit der sogenannte „Verantwortliche“, der am besten auch das Amt des Nachtredacteurs oder Revisors ausfüllen kann, weil er für Alles verantwortlich ist und Alles lesen soll. Daß der Theaterrecensent nicht der Letzte auf der Stufenleiter der Redaction ist, versteht sich wohl von selbst. Auch dem Redactionssecretär gebührt sein bescheidenes Plätzchen, nicht weniger sodann dem Manne, der mit flinker Hand auf der Börse die Course, oder auf denn Viehmarkte die Zahl des aufgetriebenen Schlachtviehes notirt. Der größere Theil aller dieser publicistischen Arbeiter versammelt sich nun beim Beginne der Geschäftsstunden in den geräumigen (neuerdings vielfach sehr elegant ausgestatteten und aus langen Zimmerreihen bestehenden) Redactionslocalitäten.

Zwei Umstände bestimmen nun die täglichen Arbeitsstunden einer Zeitungsredaction: die Ausgabezeit des Blattes und die Post. Ein Frühblatt wird in der Nacht, ein Abendblatt in den Vormittagsstunden gemacht. Beim zweimaligen Erscheinen giebt es also auch zweimalige Arbeit. Was die Schicht in den Fabriken, die Wacht auf dem Schiffe ist, das ist die Post in einer Redaction, der Regulator der Arbeit. Diese Verhältnisse sind wohl in allen großen Städten die gleichen, und so darf vorausgesetzt werden, daß so ziemlich in der ganzen Welt die Arbeit für das Abendblatt etwa um zehn Uhr Vormittags beginnt; denn um diese Zeit trifft die Frühpost ein. Die Redactionsdiener schleppen Berge von Zeitungen herbei, die sie von der Post mit oder ohne Wagen oder auch direct von den Bahnhöfen geholt haben. Andere bringen in großen Ledertaschen die eingelaufenen Briefe herbei. Die Zeitungen werden entweder in dem Lesezimmer – wo ein solches vorhanden ist – ausgelegt, oder von den Dienern kurzweg an die verschiedenen Abtheilungsredacteure vertheilt. Die erstere Methode ist aber die vernünftigere. Wo es geht, soll ein gemeinsames Lesezimmer eingerichtet und wenigstens die Lectüre der Hauptblätter gemeinsam vorgenommen werden. Es erleichtert dies wesentlich die Arbeit, indem ein Mitarbeiter den anderen auf das in sein Gebiet Einschlagende aufmerksam machen kann. Der Localredacteur findet eine politische Nachricht in einem Provinzblatte; er streicht sie für den Politiker an, und umgekehrt macht der Redacteur des Auslandes den Anderen auf ein interessantes Localereigniß, auf eine Theaternachricht und dergleichen in einem französischen oder englischen Journal aufmerksam. Hierdurch wird auch der Ideenaustausch gefördert und die erste Sichtung der vorliegenden Zeitungsnachrichten wesentlich erleichtert, indem gleichzeitig in collegialer Berathung entschieden wird, ob dieser oder jener Ausschnitt neu oder interessant genug ist, um ihn zum Abdruck zu empfehlen.

Die eingelaufenen Briefe wandern meistens auf den Tisch des Chefredacteurs, der sie öffnet, schnell durchfliegt und sie je nach dem Inhalte den verschiedenen Ressortredacteuren zuweist. Es ist dies eines der wenigen Routinegeschäfte des Chefredacteurs, das er sich übrigens auch ersparen kann. In diesem Falle werden die Briefe mit den Zeitungen vom Redactionsdiener den einzelnen Redacteuren direct übergeben, die Localbriefe dem Localredacteur, die inländischen dem Inlandredacteur, die ausländischen dem Auslandredacteur. – Die nächste Zeit nach der Lectüre der Briefe und Zeitungen ist sodann der Sichtung des Materials gewidmet. Die allgemeine Ansicht, daß die Zeitungen den Stoff mühsam zusammensuchen müssen, ist eine falsche. Die täglich wiederkehrende Calamität ist im Gegentheil Ueberfülle des Stoffes. Jeder der Mitarbeiter möchte gerade heute einen größeren Raum zur Verfügung haben, um all dasjenige unterzubringen, was nothwendig hinein muß. Und im engen Raume stoßen sich nun die Artikel. Eine hochwichtige Circularnote will dem gleichfalls hochinteressanten Einsturz eines Gerüstes nicht weichen, und der „Gerichtssaal“ macht sich über Gebühr breit und will den Leitartikler gar nicht zum Wort kommen lassen. In diesem Kampf um’s Dasein der verschiedenen Aufsätze ist der Chefredacteur die letzte und entscheidende Instanz. Der Metteur-en-pages, dieser gebietende Lenker des Satzgeschäfts, legt ihm den sogenannten „Spiegel“ vor, jenen Bogen Papier, auf welchem er die Rubriken oder auch die einzelnen Aufsätze mit ihrem jeweiligen Raumanspruch in Zeilen ausgedrückt verzeichnet hat. Der Vergleich der Summe seiner Zeilen mit der feststehenden Ziffer, welche das Blatt aufzunehmen vermag, ergiebt den Ueberschuß. Der Chefredacteur wägt und vergleicht nun die relative Wichtigkeit der verschiedenen Aufsätze, und was vor dieser Prüfung nicht als absolut unentbehrlich bestehen kann, wird unbarmherzig gestrichen und ist mit diesem Strich aus der Welt geschafft. Es führt als „Uebersatz“ eine stille Existenz in den Räumen des Setzersaales, bis es durch den Machtspruch des Redacteurs entweder auf’s Neue auf den Spiegel eines nächsten Blattes gestellt und nicht mehr gestrichen oder, als durch die Ereignisse überholt, „abgelegt“ wird. Das „Ablegen“, nämlich das Auseinandernehmen des Satzes, ist erst der wirkliche Tod des Manuscripts. Es verschwindet für immer aus der Welt, als ob der Aufsatz nie existirt hätte.

Die Richtigstellung des „Spiegels“ ist der Abschluß der Redactionsarbeit. Vorher hat sich bei jeder inzwischen neu einlaufenden Post die Zuweisung der einlaufenden Zeitungen und Briefe einige Male wiederholt. Dazwischen treffen Berichte aus dem Parlamente, aus dem Gerichtssaale, von der Börse etc. ein, die in der Regel keiner weiteren Redaction bedürfen, es sei denn, daß sie wegen Mangels an Raum gekürzt werden müssen. Die einlaufenden Telegramme aber müssen immer redactionell ergänzt und verbessert werden. Sie kommen meist in höchst bedauernswerthem Zustande an. Der Absender hat in der Regel, um in den begrenzten Rahmen einer einfachen Depesche so viel wie möglich einzupressen, den Worten Gewalt angethan. Der telegraphirende Beamte hat aus Unverstand oder Nachlässigkeit einige Verstümmelungen aus Eigenem hinzugefügt, und die Depesche langt in der Form eines Orakelspruches an, dessen Entzifferung nicht [136] allein die volle Kenntniß der Tagesgeschichte, sondern eine wirkliche Enträthselungsgabe von der Seite des betreffenden Redacteurs erfordert. Sehr selten jedoch kommt es vor, daß eine Depesche wegen Unverständlichkeit in den Papierkorb wandert. In den meisten Fällen gelingt es, die Wortungethüme auseinander zu trennen und die verrenkten Sätze grammatikalisch gerade zu richten. Wenn es die Zeit zuläßt, werden sie auch noch zur Noth stylistisch gestriegelt und gebürstet und wandern nach dieser Procedur in die Setzerei. Die Telegramme genießen vor den übrigen Manuscript die Bevorzugung, daß sie knapp vor Schluß des Blattes einlangen dürfen. In diesem Falle beschränkt sich die Fürsorge der Redaction auf die äußerliche Toilette. Die Kritik des Inhaltes bleibt verschoben bis zum Erscheinen des nächsten Blattes, und um diesen Unterschied auch dem Leser kenntlich zu machen, erhalten diese Spätlinge die Aufschrift: „Nach Schluß der Redaction“ oder was dasselbe heißen soll: „Nachtrag“.

Sobald die Formen des Satzes „umbrochen“, das heißt in die dem Format des Blattes entsprechenden Seiten verwandelt sind und in der Maschine liegen, ist die Aufnahme selbstverständlich auch für die Depeschen geschlossen. Nur bei ganz außerordentlich wichtigen Nachrichten entschließt man sich zu einer neuen Auflage. Es braucht deswegen der begonnene Druck nicht eingestellt zu werden, sondern es wird nur die letzte Seite mit der Einschaltung der neuen Nachricht neu zusammengestellt und sodann die früher hergestellte Platte gegen die neue Platte ausgetauscht.

Der Herstellungsproceß ist der gleiche, ob ein Morgen- oder ein Abendblatt zusammengestellt wird. Der Unterschied liegt in der Zeit des Erscheinens, und darnach richtet sich auch der Umfang des Plattes. Ein Abendblatt, das in den frühen Abendstunden ausgegeben werden soll, muß bei den schnellsten Maschinen mindestens um zwei Uhr druckfertig sein. Da aber die Posten spät eintreffen, da Parlament, Börse etc., die erst gegen Mittag ihre Thätigkeit beginnen, berücksichtigt werden müssen, so drängt sich die Hauptmasse des Manuscripts in der Mittagsstunde zusammen. Die Redaction muß sich auf die knappe Mittheilung der Thatsachen beschränken und das Raisonnement für das Morgenblatt aussparen. Dadurch schon wird das Morgenblatt zum Hauptblatt, abgesehen davon, daß zwischen der Herstellung und dem Erscheinen eine ganze Nacht liegt, daher die Zeit zur Redaction und zum Druck viel reichlicher zugemessen ist. Die Redactionsarbeit kann unmittelbar nach dem Erscheinen des Abendblattes begonnen, und bei schnellen Maschinen kann man mit dem Beginne des Druckes bis zu den ersten Morgenstunden warten und dennoch mit den letzten Nachrichten rechtzeitig für den Frühstückstisch erscheinen. Denn eine solche Walter- oder Howe-Maschine bewältigt in einer Stunde eine Auflage von acht- bis zehntausend Exemplaren. In den englischen Redactionen, welche technisch am besten ausgerüstet sind, werden in der That die Berichte aus dem englischen Parlamente noch in das Frühblatt aufgenommen. Bekanntlich tagen beide Häuser des englischen Parlaments in der Nacht, und der Bericht über eine Sitzung, die um vier Uhr Morgens geschlossen, ist in der „Times“ eine Stunde später vollinhaltlich zu lesen.

Auch auf dem Continent sind schon derartige Maschinen eingebürgert, aber die Leistungsfähigkeit derselben wird selten in solchem Umfange ausgenützt. Und in der Regel ist auch keine Nöthigung hierzu vorhanden. Das ganze öffentliche Leben spielt sich in den Tagesstunden ab. Um drei oder vier Uhr haben die deutschen und französischen Parlamente ihre Sitzungen geschlossen. Um fünf oder sechs Uhr kann der Bericht darüber in der Redaction vorliegen. Es kann nach den Angaben des Chefredacteurs der leitende Artikel darüber mit der größten Muße geschrieben werden. Von fünf bis acht Uhr Abends dauert die Ankunft der Posten. Um neun Uhr etwa findet eine Depeschenausgabe statt, und es ist das Zeichen eines besonderen Fleißes, wenn diese Neun-Uhr-Telegramme noch als Artikelstoff benützt werden. Die letzten Depeschen, welche das Depeschenbureau aussendet, treffen meistens in der Mitternachtsstunde ein. Um diese Zeit ist aber die Redaction ausgeflogen; die Berichterstatter aus den Abendversammlungen haben ihre Berichte bereits abgeliefert und die Nachtvögel der Journalistik, die Theaterkritiker, ihre Recensionen schon in die Druckerei befördert. Zurückgeblieben ist nur noch der Nachtredacteur, und diesem fallen die Mitternachts-Depeschen, sowie alle später einlaufenden Privattelegramme zur Verwendung zu. Er sichtet sie, richtet sie ein und übergiebt sie den zurückgebliebenen Setzern, den sogenannten Postsetzern, zum Setzen. Etwa um zwei ober drei Uhr beendet auch der Nachtredacteur seine beschwerliche Amtsthätigkeit. Das Blatt ist für die gewöhnlichen Ereignisse geschlossen. Es müssen ganz außerordentliche Vorfälle sein, welche den zurückgebliebenen Druckereileiter bestimmen können, sich selbst zum Setzkasten zu stellen. Abgesehen von solchen außerordentlichen Ereignissen, bezeichnet die Entfernung des Nachtredacteurs den Schluß des Blattes und den Beginn des Druckes. Ueberall sind dann die Lichter erloschen, nur im Maschinenraume herrscht Leben und Bewegung; die Dampfmaschine stöhnt und ächzt; die Räder drehen sich in fieberhafter Schnelligkeit, und aus den Walzen fließen die weißen Bogen mit denn zahllosen schwarzen Zeichen, das geistige Brod des dämmernden Tages.

Sehr wichtig, aber auch eine besonders kritische Aufgabe für das Redactionsgeschäft sind neben der großen Zahl verschiedenartigster lithographirter Correspondenzen vor Allem die von den Bureaus für telegraphische Nachrichten ausgehenden Depeschen. Die betreffenden Unternehmer stehen leider meistens mit der Regierung in mehr ober weniger intimer Beziehung, und das ist ein Uebelstand, unter dem die ganze continentale Presse zu leiden hat. Denn die Kritik und Sichtung erfolgt nicht nach denn Grade der Wichtigkeit derselben für das Publicum, sondern nach jeweiligen Regierungsanschauungen. Die Zeitungen erfahren durch solche Bureaus nicht dasjenige, was vorgeht, sondern dasjenige, was die Regierung ihnen mitzutheilen für gut findet. Alle Blätter erhalten dadurch denselben officiösen Anstrich, und ein unabhängiges Blatt hat alle Hände voll zu thun, sich nur der bedientenhaften Ueberfluthung durch byzantinische Hofdepeschen zu erwehren. Hohe und höchste Herrschaften namentlich können nicht aus denn Bette steigen, ohne den elektrischen Draht in fieberhafte Bewegung zu setzen, und über irgend ein nichtssagendes Hofcermoniell werden wichtige Nachrichten vernachlässigt. In England und noch mehr in Amerika sind die Depeschenbureaus im Großen und Ganzen unabhängig von Regierungseinflüssen. Sie sind eben Privatunternehmungen, die sich mit dem Vertrieb von Zeitungsnachrichten befassen.

In Amerika haben die Zeitungen aus eigenen Mitteln ein Bureau zur Versorgung mit telegraphischen Nachrichten gebildet. Der Eintritt in diesen Verband kostet allerdings derzeit für jede neu eintretende Zeitung mehrere Tausend Dollars, aber die Leistungen des Unternehmens sollen nach den veröffentlichten Schilderungen großartig sein. Wie vor einiger Zeit in amerikanischen Blättern zu lesen war, besitzt dieses Unternehmen seine eigenen Dampfboote, welche den in New-York etc. einlaufenden Schiffen meilenweit entgegenfahren, um Briefe, Zeitungen, Nachrichten für die Redaction entgegen zu nehmen. Es sind dies der Beschreibung nach kleine Schiffe von großer Fahrgeschwindigkeit, welche nach Uebernahme ihrer Ladung an Nachrichten sofort bei der nächsten Telegraphenstation anlegen und die Essenz des Empfangenen allsogleich allen Verbands-Redactionen telegraphisch zukommen lassen. Lange bevor das Schiff in den Hafen eingelaufen, sind daher die Neuigkeiten, die es gebracht, auf den ganzen amerikanischen Continent bekannt. Wie Grant in seiner „Geschichte der englischen Presse“ erzählt, ist es schon vorgekommen, daß die Botschaft der Königin von England durch die Vermittelung jenes Verbandes in New-York früher bekannt und veröffentlicht war, bevor sie im englischen Oberhause verlesen wurde. – Die meisten unserer continentalen Telegraphenbureaus stehen im Wechselverkehr mit einander und bilden zusammen den internationalen Markt für Zeitungsnachrichten. Alle größeren Zeitungen haben für ihren speciellen Bedarf noch einen eigenen Depeschendienst eingerichtet.

Ist nun mit der Redactionsarbeit von den zahlreichen Zeitungssetzern zugleich das Geschäft des Satzes und Umbrechens, und durch die Stereotypeure und Maschinenmeister sodann auch die Manipulation des „Zurichtens“ für den Druck beendigt (dies Alles wird sich in den demnächst erscheinenden Büchlein ausführlich beschrieben finden), so können bei guten Rotationsmaschinen schon eine Viertelstunde später einige Tausend Exemplare fertig gedruckt sein. Diese werden von der Maschine weg durch den Aufzug in die Expedition befördert, und nun erst beginnt [137] ein sehr wichtiger Apparat zu functioniren, die regelmäßige Expedition der bestellten Exemplare.

Jeder auswärtige Abonnent ist – wenigstens in Oesterreich – in ein Verzeichniß mit genauer Angabe der Adresse eingetragen. Aber dieses Buch liegt dem Expeditionspersonale nicht vor. Es wäre auch viel zu zeitraubend, erst einen dicken Band zur Hand nehmen zu müssen, um nachzusehen, welcher Abonnent ein Exemplar zu empfangen hat. Das Buch ist allerdings vorhanden, nur ist es für die Zwecke der Expedition anders eingerichtet. Es ist in solides Holz gebunden, das heißt, es wird im Expeditionslocale durch eine entsprechende Anzahl von Holzkästen ersetzt. Jeder dieser Kästen repräsentirt einen Band des Abonnentenverzeichnisses, und jedes der zahlreichen Längsfächer entspricht etwa der Seite des Buches, und die einzelnen Zeilen sind durch kleine Querfächer ausgedrückt, in welche die Längsfächer abgetheilt sind. Im großen Verzeichnisse bedeutet jede Zeile, im Holzkasten ein kleines Querfach einen Abonnenten. Dieses kleine Querfach enthält nämlich die gedruckten Adressen des Abonnenten, und zwar so viele Adressen, wie er Tage abonnirt hat. Wenn einer für einen Monat abonnirt hat, so werden für ihn dreißig Adressen angefertigt und in ein besonderes Querfach deponirt. Für einen dreimonatlichen Abonnenten werden neunzig Adressen gedruckt. Die Expedition geschieht nun in der Weise, daß der Expeditionsbeamte aus jedem solchen Querfache eine Adresse herausnimmt. Die entsprechende Marke ist schon früher aufgeklebt worden. Alles, was noch zu geschehen hat, ist, diese Adresse auf die Schleife zu kleben, und das Blatt ist nun zur Expedition bereit. Da aber ein stark verbreitetes Blatt in einem Orte mehrere Abonnenten hat, so werden zur Bequemlichkeit der Postverwaltung diese einzelnen mit Schleife und Adresse versehenen Exemplare zu einem großen Paket gebunden, welches in großen Buchstaben den Namen des Blattes und den gemeinsamen Bestimmungsort aufgeklebt bekommt.

Die Zeitungsunternehmung geht in ihrem Streben, der Postverwaltung die Mühe des Cartirens zu ersparen, noch weiter und bildet aus diesen großen Paketen einen Riesenballen, und zwar für alle jene Orte, welche an derselben Route liegen. So erhält beispielsweise das von Wien expedirte Prager Paket nicht nur die Exemplare für alle Prager Abonnenten, sondern auch für die ganze Umgebung Prags, welche die Zeitung durch die Prager Postverwaltung zugestellt bekommt. Die fertigen Pakete und Ballen werden nun auf die außen harrenden Wagen geladen und zur Post oder, was meistens der Fall ist, direct zu den Bahnhöfen befördert.

In Deutschland bestellt und bezahlt der Abonnent die täglich erscheinenden Zeitungen nicht bei der Administration derselben, sondern bei dem nächsten Postamte, welches dann das aufgegebene Exemplar durch das Postzeitungsbureau des Verlagsortes der Zeitung beschafft. Dieses Hauptbureau expedirt nun regelmäßig jeden Tag an das Postamt, bei dem die Bestellungen durch die Abonnenten gemacht worden, und dieses allein kennt den Namen des Bestellers, während das Hauptbureau, das vielleicht dreißig- bis vierzigtausend Exemplare einer Zeitung vom Verleger bezieht und nach allen Himmelsgegenden hin an die deutschen Postämter versendet, als Abonnenten nur diese kennt.

Wo die Colportage keiner Einschränkung unterworfen ist, da besorgen in der Stadt selber und ihrer Umgebung größtentheils die Zeitungsjungen das Geschäft der Verbreitung. Sie holen entweder direct von der Unternehmung oder vom Hauptspediteur so viele Exemplare, wie sie abzusetzen hoffen, und verkaufen sie mit mehr oder weniger Geschrei auf der Straße, verbreiten sie in den einzelnen Häusern, öffentlichen Localen etc. Aber auf dem europäischen Continente ist die Zeitungscolportage größeren oder geringeren Einschränkungen unterworfen. In Deutschland herrscht principiell allerdings die vollste Freiheit der Verbreitung, aber die Gewerbeordnung, auf welche § 4 des deutschen Reichspreßgesetzes verweist, stellt ausdrücklich die Volljährigkeit als Bedingung auf für das Recht, einen Legitimationsschein zur Colportage zu erlangen.

In der Regel besorgen die bekannten Austräger die Vermittelung zwischen der Lesekundschaft und der Unternehmung zur beiderseitigen Zufriedenheit, und die Fälle, daß der Austräger die Pränumerationsgelder unterschlägt, sind nicht sehr zahlreich. Denn das Austragen ist durchaus kein schlechtes Geschäft. In Wien (wohl auch in anderen Großstädten) giebt es Austräger, die tausend und mehr Abonnenten versorgen. Das macht beim Morgen- und Abendblatte zweitausend halbe Kreuzer oder täglich zehn Gulden, monatlich dreihundert Gulden oder sechshundert Mark. Allerdings sind dies die Großausträger, die ihrerseits wieder ihre Unterausträger haben, gewöhnlich die Familienmitglieder des Austrägers; Frau, Kinder, Magd, Alles muß dazu helfen. Das Geschäft ist ein ziemlich anstrengendes. Es heißt früh auf den Beinen sein, wenn der letzte Abonnent in dem entlegensten Theile der Vorstadt noch zur Frühstücksstunde sein Exemplar erhalten soll. Aber sie helfen sich gegenseitig aus. Der eine Austräger oder die eine Austrägerin – denn das schwache Geschlecht ist in der Majorität – übergiebt die Zustellung einer Anzahl von Blättern dem Collegen oder der Collegin und übernimmt im Tausche andere Blätter, die besser im eigenen Zustellungsrayon gelegen sind.

Wenn Alles in der Ordnung geht, dann kann der Austräger zwischen neun und zehn Uhr mit dem Zustellen der Morgenblätter zu Ende sein. Er kann dann der Ruhe pflegen bis gegen zwei oder drei Uhr Nachmittags. Um diese Zeit beginnt er mit den Abendblättern dieselbe Tour und ist zwischen sechs und sieben Uhr Abends zu Ende. In den ersten Frühstunden aber ist er schon wieder vor der Druckerei oder vor dem Ausgabelocal, um, von Expedition zu Expedition eilend, die druckfeuchten Blätter zu sammeln, das tägliche Bedürfniß für den noch schlafenden Abonnenten und dessen tägliche Ueberraschung.

  1. Die hier nachfolgenden Schilderungen und Mittheilungen sind mit einigen durch die Verpflanzung gebotenen Aenderungen den freundlich uns zur Verfügung gestellten Aushängebogen eines von J. H. Wehle verfaßten kleinen Buches entnommen, das in den nächsten Wochen unter dem Titel „Die Zeitung“ (bei A. Hartleben in Wien) erscheinen und eine ganze Reihe von interessanten und ausführlichen Aufschlüssen über den Gegenstand bieten wird.