Aus dem Todtentanz der Geschichte

Textdaten
<<< >>>
Autor: Feodor Wehl
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus dem Todtentanz der Geschichte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, 33, S. 309–311, 544–546
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[309]

Aus dem Todtentanz der Geschichte.

Von Feodor Wehl.
1. Wie Fürsten und Monarchen sterben.

Der Tod ist die letzte Handlung des Daseins und muß also mit diesem in einem gewissen psychologischen Zusammenhange gedacht werden. Man stirbt einigermaßen, wie man gelebt hat, das will heißen: die geführte Existenz reflectirt auf das Hinscheiden, breitet ihren verdunkelnden Schatten oder ihre verklärenden Lichter auf dasselbe dergestalt aus, daß sich daraus bis zu einem gewissen Grade deren Schuld oder Verdienst erkennen lassen. Und da Regenten, Herrscher, Fürsten überhaupt in weit höherem Maße, als gewöhnliche Menschen Anlaß und Gelegenheit zu Verdienst und Schuld sich geboten sehen, so ergiebt sich die Folgerung gewissermaßen von selbst: die Exempel aus ihren Kreisen an dieser Stelle voranzustellen. Erscheinen sie doch seltsam genug. Wir sehen die größten und strahlendsten Regenten sonderbarer Weise vereinsamt und in fast menschenfeindlicher Stimmung dahinscheiden; dagegen unglückliche, nicht selten durch eigene Schuld in’s Verderben gestürzte Monarchen einen gewaltsamen Tod mit großer Würde und Ruhe erleiden.

Fast möchte man glauben, daß Natur und Geschichte hierin [310] eine Art Ausgleichungsproceß geübt, daß sie dem Unglück eine gewisse Glorie, dem Ruhm aber eine trübselige Rückseite gegeben, um so auf der einen Seite der Größe ihre menschliche Abstammung, auf der andern der Erniedrigung und Demüthigung den Trost göttlicher Erhebung in Erinnerung zu bringen.

Wahrhaft elend sehen wir nur notorisch von Lastern und Schandthaten erdrückte Monarchen zu Grunde gehen. Die Mehrzahl stirbt mit quälender Angst vor der Verantwortung jenseits und nur wenige mit unerschütterter Hingebung in das Geschick. Immer aber sprechen wir natürlich nur von mit klarem Bewußtsein Sterbenden.

Fassen wir zunächst einige gekrönte Häupter des Alterthums in’s Auge, so weilen unsere Blicke wohl zunächst auf dem römischen Augustus.

Die letzten Worte desselben sollen gelautet haben: „Klatschet, Ihr Freunde!“ und man hat diese Worte sich angelegen sein lassen so zu deuten, als ob er selbst damit in seiner Sterbestunde sich als der Schauspieler bekannt habe, als welchen ihn viele Historiker angesehen wissen wollen. „Es wird indeß kaum einer Beweisführung bedürfen, daß in dieser Form die Ansicht unhaltbar ist,“ sagt Karl Peter im dritten Bande seiner ‚Geschichte Roms‘, „und daß es nicht nur eine große Unbilligkeit, sondern wenigstens für unsere menschliche Beurtheilung eine völlige Unzulässigkeit sein würde, eine vierundvierzig Jahre in Wort und That nach allen Seiten und ohne Ausnahme mild und wohlwollend ohne Ostentation geführte Regierung einer bewußten Heuchelei zuzuschreiben. Dagegen ist insofern in dieser Auffassung etwas Wahres enthalten, als allerdings zu sagen ist, daß das Bessere bei ihm, wie auch das Schlechtere, nicht der unmittelbare Erguß einer auf das Eine oder das Andere gerichteten constanten Gemüthsstimmung, nicht die Wirkung durch Natur und Bildung in ihm vorhandener sittlicher Triebe und Ziele, sondern daß es Berechnung war. Augustus war eine kalte, Alles nach Verstandesgründen abwägende, vorsichtige, selbstsüchtige Natur, nicht ohne ein gewisses Wohlwollen, welches sogar mit der Zeit durch das Gelingen seines Werkes und durch die zahlreichen Beweise von Dankbarkeit und Verehrung zu einiger Wärme gedieh, welches aber im Grunde und von Haus aus auch von jener selbstsüchtigen Art war, die sich gegen Andere freundlich und gefällig erweist, um Unbequemlichkeiten und Unannehmlichkeiten zu vermeiden und ihre Zwecke desto besser zu erreichen“ etc.

Diese Charakterschilderung ist nicht glänzend, aber sie dünkt uns richtig und wohl geeignet, damit nur das Ende und die letzten Worte des Augustus zu erklären, dies umsomehr, wenn wir noch erwähnen, wie Karl Peter dem Augustus einen gewissen Humor, eine „Beimischung von jenem leichten, gemüthlichen Witz“ einräumt, „wie er klaren, verständigen Naturen eigen zu sein pflegt.“ Augustus sah in seiner letzten Krankheit, die ihn auf der Reise ergriff, seinen Tod mit Bestimmtheit voraus und bestellte mit der ihm eigenen Besonnenheit sein Haus. Daß diese Bestellung ihm eine Art Genugthuung bereitete und ihn in eine heitere Geistesverfassung versetzte, ist erklärlich, und ebenso erklärlich ist, daß in dieser ihn jene scherzhafte Laune ergriff, die ihm immer zu kommen pflegte, wenn ihm etwas geglückt oder zu gutem Schlusse zu bringen gelungen war. In dieser guten Laune mochte es ihm wohl anstehen, kurz vor dem Momente des Sterbens seine Freunde zu fragen, ob er auf der Schaubühne des Lebens seine Rolle gut gespielt, und auf ihre bejahende Antwort sie verscheidend aufzufordern, ihm Beifall zu klatschen.

Das Seitenstück zu den letzten Worten des Augustus bieten diejenigen, die man dem ausschweifenden und verrückten Nero zuschreibt, der, als er, vom Throne gestoßen und von seinen Feinden verfolgt, sich selbst den Tod gab, ausgerufen haben soll: „Welch ein Schauspieler geht in mir zu Grunde!“

Nero, der bekanntlich nichts als ein grausamer Narr war, hatte unter anderen thörichten Einbildungen auch die, ein großer Künstler zu sein. Er hielt sich für einen ausgezeichneten Rhetor und Sänger und spielte deswegen mit Leidenschaft große Rollen in tragischen Stücken, wofür er sich mit Beifall überschütten ließ.

Sollten seine letzten Worte nun auch nur eine historische Erfindung sein, so bleibt nichtsdestoweniger zu bekennen, daß sie für Nero’s Wesen Zutreffendes und Charakteristisches haben. Sie kennzeichnen auf höchst frappante Weise das Scurrile und Lächerliche seines in sich verwaschenen, ganz haltlosen und abgeschmackten Naturells, das ebenso kindisch wie widerwärtig erscheint.

Der Gegensatz zu Nero ist Vespasian, ein Herrscher von strengem militärischem Geiste, der mit außerordentlichem Verstande und geregelter Willenskraft regierte. Seine von dem Gedanken der Regentenwürde ganz erfüllte, männlich stoische und etwas rauhe Kriegerseele bekundet sich schlagend dadurch, daß er bei dem Herannahen des Todes seiner Umgebung befahl, ihn aus dem Bette zu heben und auf seine Füße zu stellen, weil, wie er verscheidend erklärte, ein römischer Kaiser nur stehend sterben dürfe.

Ein qualvolles Ende fand Ludwig der Elfte von Frankreich, ein Mann, dem jeder Zeit Macht vor Recht ging und welcher auch die verworfensten Mittel nicht scheute, wenn er glaubte, durch diese seine Zwecke erreichen zu können. Er ist das französische Seitenstück zu dem englischen Richard dem Dritten. Seine Regierung ist eine fortlaufende Kette von Gewaltsamkeiten, Hinterlisten und Verbrechen. Als er sein Ende kommen fühlte, ergriff ihn eine ungeheure Angst, die ihn weder ruhen noch rasten ließ. Eine Zeitlang reiste er unruhig von Ort zu Ort, und da ihn besonders Nachts böse Träume folterten, ließ er häufig Musikanten, wohl hundertzwanzig an der Zahl, rufen, die ihm durch lärmende Musik den Schlaf fern halten mußten. Zuletzt, weil er überall rächende Hände vermuthete, schloß er sich in die Veste Plessis-les-Tours ein, die von zahlreichen Bogenschützen und mit spitzen Eisengittern und Fußangeln umgeben war. Da sah und hörte man ihn Tag und Nacht durch die Gemächer rumoren und mit sich selber reden. Oft irrte er, in Schweiß gebadet, ein Panzerhemd auf dem nackten Leibe und ein bloßes Schwert in der Hand, keuchend und schreiend, wilde Verwünschungen und Flüche ausstoßend, auf den Zinnen und Wällen zwischen doppelten Reihen von Bogenschützen umher, die ihm den Tod abwehren sollten, den er außerordentlich fürchtete. Vor seinem Arzte lag er oft auf den Knieen, um ihn anzuflehen, ihm das Leben zu erhalten. Nach einer Volkssage soll er zuletzt sogar das warme Blut von Kindern getrunken haben, weil ihm Wunderthäter und alte Weiber dadurch Verjüngung verheißen hatten. Allen angewandten Mitteln zum Trotze mußte aber auch er schließlich erliegen. Sein Tod soll grauenvoll gewesen sein. Er starb mit Schaum vor dem Munde und mit Gebeten, die sich in seinem Schrecken in haarsträubende Verwünschungen verwandelten.

Heinrich der Achte von England, ein gleichfalls ziemlich tyrannischer und mit manchen Schandthaten behafteter König, hat ein nicht minder mürrisches und ziemlich trostloses Alter gehabt. Auch er mochte vom Tode nichts wissen und hatte seiner Umgebung verboten, dieses Wort vor ihm zu nennen. Als er in seinen letzten Augenblicken die besorgten Mienen seiner Aerzte sah, rief er zornig: „Ich lasse Euch köpfen, wenn Ihr nicht erklären könnt, mich zu retten.“ In demselben Momente jedoch war er todt.

Karl der Fünfte hat ein allerdings gefaßteres, aber nicht eben ein glücklicheres Ende gefunden, ein Ende, über das uns die genauesten Mittheilungen aufbewahrt worden sind und welches William Stirling in seinem Buche über des Kaisers Klosterleben bis in seine kleinsten Einzelheiten beschrieben. Nach Allem, was daraus ersichtlich, gab Karl der Fünfte seinen Geist gleichsam nach spanischem Ceremoniell und mit dem ganzen Pomp der katholischen Kirche auf. Man weiß, daß seine Unmäßigkeit im Essen und Trinken an seinem frühen Tode nicht ohne Schuld gewesen ist. Obgleich immer leidend, wollte er sich doch nichts versagen. Als er im August 1558 wohl sein Ende kommen fühlen mochte, wandelte ihn die Lust an, gleichsam eine Generalprobe von seinem Begräbniß machen zu lassen. So oft während seines Aufenthaltes in Juste irgend einer seiner Freunde fürstlichen Standes oder von den Rittern des Vließes gestorben war, hatte er nie vergessen, von den Mönchen eine Leichenfeier veranstalten zu lassen, und diese Trauerfeierlichkeiten waren gewissermaßen die Feste und Schauspiele des düstern Klosterlebens. Nun wollte er ein solches auch von seinem eigenem Begräbniß haben. Dasselbe fand am 30. August des eben angeführten Jahres mit aller dabei üblichen Pracht statt. Nachdem dies geschehen, speiste er zu Mittag – diesmal weniger, als er es gewohnt war. Nachdem er eine Weile dann noch in der Sonne gesessen, besah er das Bild seiner ihm vorangegangenen Gemahlin Isabella, später, als ob er die weltlichen Regungen hätte verwischen wollen, Heiligenbilder.

So kränkelte er fort bis tief in den September hinein. [311] Am 20. verlangte er nach dem heiligen Abendmahl und als ihm bemerkt wurde, daß dies nach Empfang der letzten Oelung nicht mehr nöthig wäre, sprach der Sterbende: „Es mag nicht nöthig sein, ist aber doch ein gutes Geleit für eine so lange Reise.“

Um sieben Uhr Morgens wurde demnach eine geweihte Hostie gebracht, die zu sich zu nehmen ihm jedoch außerordentliche Mühe machte. Beängstigt davon, ob er sie auch wirklich verschluckt habe und so ihrer göttlichen Segnungen theilhaftig werden könne, öffnete er den Mund und ließ nachsehen, ob sie auch in der That hinuntergegangen sei. Hierauf lag er lange bebend auf den Knieen, bis sich nach heftigem Erbrechen große Schwäche einstellte und er niedergelegt werden mußte.

Gegen acht Uhr Abends fragte Karl, ob die geweihten Kerzen bei der Hand wären, und als dies bejaht wurde, befahl er sie zu bringen. Allein er lag noch bis gegen zwei Uhr Morgens, den Gebeten seines Lieblingspaters lauschend, wo er diesen endlich unterbrechend sagte: „die Zeit ist gekommen, bringt mir die Kerzen und das Crucifix.“ Dies waren theure Reliquien, die er lange für diesen Augenblick aufbewahrt hatte. Die Kerze war vom Schreine der heiligen Jungfrau von Montserrat und das überaus schön gearbeitete Crucifix war in Toledo seiner sterbenden Gattin aus der Hand genommen worden und tröstete später auch seinen Sohn in seiner letzten Stunde. Der Kaiser griff hastig nach diesen Reliquien, als sie ihm von dem Erzbischof dargeboten wurden, und in jeder Hand eine derselbe haltend, betrachtete er einige Momente schweigend die Gestalt des Erlösers und drückte sie dann an seine Brust. Diejenigen, die ihm nahe genug standen, hörten ihn bald darnach, als gelte es einen Ruf zu beantworten, sagen: „Ja, Herr, jetzt komme ich.“

Damit entglitten Crucifix und Kerze seinen Händen und bald darnach war er todt.

Dieser Tod hat freilich nicht gerade etwas sehr Schreckliches, läßt aber immer doch unter aller Selbstbeherrschung, die Karl dem Fünften eigen war, eine große Beängstigung und das fieberhafte Bestreben sichtbar werden, ein quälerisches Gewissen zur Ruhe zu bringen.

In der That auch hatte dieser Regent sich vielerlei vorzuwerfen. Die Geschichte hat ihn allerdings sehr verschieden, manchmal sehr hart, manchmal sehr milde beurtheilt. Es sind ihm kalte Berechnung, Zweideutigkeit, Wortbrüchigkeit und schonungslose Härte gegen überwundene Feinde zum Vorwurf gemacht worden; dagegen hat man aber seinen Ernst, seine Würde, seine Sparsamkeit, seine Liebe zur Kunst, seine Mäßigung gerühmt, Berühmungen allerdings, die nicht eben sehr stichhaltig sind. Sein an sich haltendes, gemessenes Benehmen entstand aus Mangel an Temperament und Geist, aus Lust zur Intrigue, aus angeborenem Stolz und dem Wunsche zu imponiren; sein geringer Aufwand schrieb sich von seinem Geize her und sein Pflegen der Künste, das an sich nicht viel zu besagen hat, war nichts als ein wohlfeiles Feilschen nach Popularität. Seine Unmäßigkeit im Speisen ist notorisch, war aber nicht seine schlimmste Eigenschaft. Der deutsche, leider früh verstorbene Gelehrte Bergenroth, welcher im Dienste englischer Forschungen die spanischen Staatsarchive durchforscht hat, hat noch weit schlimmere Dinge zur historischen Evidenz gemacht. Karl der Fünfte war grausam und ein so blinder Fanatiker, daß er mit Wissen und Willen seine eigene Mutter Johanna unter dem Vorwande, daß sie wahnsinnig sei, in strengem und hartem Gefängnisse halten ließ, blos weil sie in Sachen des Glaubens und der Religion sich tolerant gezeigt.

Man hat die Thronentsagung des spanischen Königs und deutschen Kaisers, sowie seinen daraus folgenden Eintritt in das Kloster des heiligen Hieronymus zu Juste vielfach als einen Act philosophischer Resignation bezeichnet; allein nach Allem, was jetzt über Karl den Fünften vorliegt, ist weit eher anzunehmen, daß seine Abdankung und sein Klosterleben nur aus einem dunklen Drange seines Gewissens erfolgten und daß er glaubte, gravirende Unthaten durch Buße und Gebet vor den Augen des ewigen Richters tilgen zu können. Dieser Ansicht entspricht auch vollkommen sein bigottes und peinvolles Ende.

Noch kläglicher ist das Hinscheiden Karl des Neunten. Dieser unglückliche Monarch, der sich überreden ließ, in die abscheuliche Niedermetzelung der Hugenotten während der Bartholomäusnacht vom 23. zum 24. August 1572 zu willigen, und der selbst während des gräßlichen Blutbades aus den Fenstern seines Schlosses auf seine Unterthanen geschossen haben soll, siechte in Reue und Gewissensbissen elend hin. Er fühlte es, daß ihn Keiner achtete, daß Alle ihn für einen schlechten Menschen hielten. Vergeblich trachtete er, durch die wildesten Jagden, durch angestrengte Leibesübungen sich zu zerstreuen; vergebens suchte er Beruhigung in Dichtkunst und Musik, die er schätzte und selbst übte. Täglich wurde er ängstlicher und finsterer. Wer den hochgewachsenen, mageren, bleichen Mann mit der mächtig gebogenen Nase und dem stieren Blick gebeugt einherschleichen sah, wurde von Grauen ergriffen. Er war ganz den Schrecknissen des bösen Gewissens preisgegeben.

Keinen Menschen konnte er mehr gerade ansehen; bei Audienzen hielt er die Augen meistens geschlossen; öffnete er sie, so wandte er den Blick in die Höhe, senkte ihn aber auch sogleich wieder scheu zu Boden. Schreckhafte Träume riefen ihm die Gräuelscenen der Bartholomäusnacht zurück; überall glaubte er sich von den Schatten der Ermordeten umringt. Solche Aufregungen hörten nicht auf. Die innere Angst verzehrte vollends die ohnehin schwachen Körperkräfte des Königs. In den letzten Wochen konnte er in keiner Stellung ruhig verharren; er zitterte fortwährend; am Ende soll ihm das Blut aus den Poren der Haut gedrungen sein. So starb er, noch nicht vierundzwanzig Jahre alt, am 30. Mai 1574.

[544] Viel leichter als Karl der Neunte schied Jakob der Erste, der Nachfolger, den Elisabeth sich gab und der ein Sohn der Maria Stuart und des Darnley war, aus dem Leben. Nach Allem, was man von ihm weiß, war er ein etwas curioser, sehr gebildeter, aber abergläubischer Mensch, der echte Vorfahre Karl des Ersten, gutmüthig und eigenmächtig zugleich. Er ließ sich im Sterben andächtige Gebete lehren und drückte sich mit eigenen Händen die Augen zu.

Mit einer seltsamen Wahrnehmung schloß Ludwig der Dreizehnte von Frankreich seine Augen. Als er sich dem Tode nahe fühlte, aber wohl noch nicht an sein Ende glaubte, ließ er sich den fünfjährigen Dauphin auf’s Bett setzen, um sich von ihm vorplaudern zu lassen. Nachdem das eine Weile geschehen, fragte er den Knaben scherzend: „Wie heißt Du denn?“

„Ludwig der Vierzehnte!“ antwortete das Kind.

„Noch nicht! Noch nicht!“ stöhnte der Leidende, indem er ein Zeichen gab, den Knaben fortzunehmen, und sich dann zur Wand kehrte.

Nie ist die französische Staatsregel: „Der König ist todt, es lebe der König“, eindringlicher und eclatanter gepredigt worden, als von solchen Kindeslippen.

Gefaßten Geistes und „mit dem Muthe eines ritterlichen Herrn, mit der Geduld und Milde eines reuigen Christen“ endete Karl der Erste. In der Nacht vor seiner Hinrichtung schlief er vier Stunden überaus fest und ruhig in St. James. Dann ließ er sich von seinem Diener ankleiden. „Gieb Dir Mühe wie sonst mit meinem Anzuge,“ sagte er zu diesem, „ich will heute festlich erscheinen wie ein Bräutigam.“

Bei Tagesanbruch kam Bischof Juxon und der König betete inbrünstig mit ihm, bis der Oberst Hacker meldete, daß es Zeit geworden, sich nach Whitehall zu begeben. Hierauf erhob er sich und ging, von dem Bischof und dem Oberst Tomlinson begleitet, zwischen einem Spalier von Soldaten, festen Schrittes und unter fast heiteren Gesprächen durch den Park, der zwischen seinem Gefängniß und dem berühmten Staatspalaste lag. In seinem Schlafzimmer zu Whitehall empfing er aus Juxon’s Händen knieend das heilige Abendmahl. Um ein Uhr klopfte Hacker an die Thür, zum Zeichen, daß Alles bereit sei. Der König war es auch. Zwischen zwei Reihen Soldaten, die schweigend dastanden, hinter ihnen viele Männer und Frauen, die sich mit Lebensgefahr durchgedrängt hatten und still für den König beteten, schritt er durch den sogenannten Banketsaal, an dessen äußerstem Ende man am Tage vorher eine Oeffnung in die Mauer geschlagen hatte, die gerade auf das schwarzbeschlagene Blutgerüst hinausführte. Dort erwarteten ihn zwei verlarvte Henker zur Seite des Blockes, auf welchem das Beil lag. Unerschüttert von diesem Anblick, trat er festen Fußes an den Rand des Schaffots, um zu dem Volke zu reden. Da er aber sah, daß die Truppen dasselbe weit zurückgedrängt hatten und den Platz rings um ihn einnahmen, wandte er sich an Juxon und Tomlinson, indem er seine Unschuld betheuerte, seinen Feinden verzieh und bat, daß Gott ihre Herzen zur Reue wenden möge. In der Verachtung der Rechte des Herrschers, meinte er, liege der Grund alles Unglücks für das Volk; nicht im Mitregieren bestehe die Freiheit, sondern in den das Leben und Eigenthum schützenden Gesetzen. Nur wenn dies anerkannt werde, könne das Reich den Frieden und die Unabhängigkeit wieder erlangen. Er habe gethan, was seines Amtes gewesen, und sterbe ein Märtyrer des Königthums von Gottes Gnaden. So ungefähr lauteten seine Worte, und da er während derselben bemerkte, daß Jemand der Umstehenden, um die Schärfe des Beiles zu prüfen, verstohlen dessen Schneide mit dem Finger berührte, unterbrach er sich und sagte zu diesem: „Verletzt das Beil nicht, es möchte sonst mich verletzen.“

Nachdem er seine Rede geendet, setzte er sich eine seidene Kappe auf, unter die er vorsorglich sein Haar versteckte. Hierbei gewahrend, daß Jemand sich ziemlich unvorsichtig dem Blocke näherte, rief er abermals: „Nehmt Euch in Acht mit der Axt, ich bitte, nehmt Euch in Acht!“ und sich dann zu Oberst Hacker wendend, fügte er hinzu: „Traget Sorge, daß man mir keinen unnöthigen Schmerz verursacht!“ Dann, als er gesehen, daß einer der Verlarvten die Axt ergriffen, sprach er zu diesem: „Ich werde, wenn ich den Kopf auf den Block gelegt, noch ein kurzes Gebet sprechen und hierauf meine Arme ausstrecken. Das mag das Zeichen für Deine Verrichtung sein.“

[545] Als er Alles soweit angeordnet, kehrte er sich wieder dem Bischof zu mit den an ihn gerichteten Worten: „Ich habe hier unten eine gute Sache und da droben einen gnädigen Gott für mich.“

„Ja, Sire“, erwiderte Juxon, „Ihr habt nur noch einen Schritt zu thun, einen angstvollen, aber kurzen Schritt; bedenkt, wenn Ihr ihn thut, daß er Euch eine große Reise vollbringen und von dieser Welt in jene gelangen läßt.“

„Ich werde es wohl bedenken,“ lautete die Antwort, „ich lasse eine Krone irdischer Unruhe, um eine der himmlischen Ruhe zu erlangen. Was zögre ich also?“

Und somit kniete er nieder, neigte sein Gesicht auf den Block, betete kurz und gab das verabredete Zeichen, worauf der eine Verlarvte mit einem gewaltigen Hiebe das Haupt vom Rumpfe trennte, und der andere, dasselbe hoch in die Höhe hebend und dem Volke zeigend, mit lauter Stimme ausrief: „Seht hier den Kopf eines Hochverräthers!“

So starb Karl der Erste, ein Fürst, der sich durch geistige Bildung, Wohlwollen, Reinheit und Strenge der Sitten sowie durch manche andere gute Eigenschaft auszeichnete. Man begrüßte ihn beim Antritt seiner Regierung mit freudigem Jubel und hoffte das Glück des Landes von ihm. Leider sollten blinde Hartnäckigkeit im Behaupten königlicher Vorrechte, beständige Geldnoth und religiöse Verwirrungen alle diese günstigen Erwartungen vernichten, den Bürgerkrieg heraufbeschwören und den unseligen Mann einem blutigen Verderben weihen.

Als Cromwell, der Besieger des unglücklichen Königs, dessen Kopf aus dem Sarge nahm und ihn betrachtete, murmelte er leise für sich in den Bart: „Es war ein kräftiger Körper, der ein langes Leben verhieß.“ Auch er selbst war von starker Constitution und schien für ein langes Dasein geschaffen, dennoch erreichte er nur das Alter von neunundfünfzig Jahren, obschon er mäßig, äußerst gesetzt und wie ein bürgerlicher Hausvater lebte. „Er war ein treuer Freund, ein zärtlicher, liebevoller Gatte und Vater, gegen seine alte Mutter voll der höchsten Ehrfurcht bis an ihren Tod, als Feind versöhnlich, bei allen religiösen Verirrungen ein frommer Christ, als Feldherr voll Heldenmuth und glücklich, als Regent nur auf das Wohl des Volkes bedacht, so daß er die innere Verwaltung des Landes geordnet, das Ansehen desselben nach außen befestigt hinterlassen konnte. Seine Soldaten ehrten ihn; das ganze Land gehorchte ihm; von allen auswärtigen Mächten wurde er gefürchtet.“ Aber die Sorgen und Mühen einer stürmischen Regierung rieben ihn auf. Er wurde sehr bald mürrisch, trübsinnig, verschlossen und mißtrauisch. Seine Lage war keine glückliche. Ein Feldherr von ausgezeichnetem Talente, wie alle und selbst seine strengsten Beurtheiler einräumten, fand er nach der Besiegung der Royalisten und der Vertreibung der Stuarts nirgend mehr eine rechte Gelegenheit dasselbe zur Geltung zu bringen. Macaulay hat ohne Zweifel Recht, wenn er sagt: „Nichts hatte Cromwell in seinem eigenen wie in dem Interesse seiner Familie so sehr zu wünschen Ursach, als einen allgemeinen Religionskrieg in Europa.“ In einem solchen Kriege hätte er der Führer der protestantischen Armeen sein müssen. Wäre er wie Gustav Adolph ausgezogen, seine Mannszucht, sein Puritanerwesen, sein militärisches Genie würden Wunder gewirkt haben. Er war der echte Held eines Glaubensheeres und er hätte unbedingt, wo er auch immer gekämpft, in seinen Kämpfen große Erfolge errungen. Daß aber das Herz Englands mit ihm gewesen wäre und man seine Siege mit einem einstimmigen Enthusiasmus begrüßt hätte, wie er seit der Vernichtung der spanischen Armada im Lande unbekannt geblieben, das liegt außer allem Zweifel, und eben so wenig zu bezweifeln ist, daß solche kriegerische Triumphe den dunklen Flecken sehr verwischt und übertüncht hätten, den die Hinrichtung des Königs nicht nur auf seinen Namen, sondern auch wohl auf sein Gewissen geworfen hatte. Er würde in sich noch mehr und bestimmter, als ohne dies, das Rüstzeug Gottes erkannt und im Sturm und Drang großer Ereignisse sich über den Zwiespalt hinweggesetzt haben, dem in einer stilleren und ruhigeren Zeit seine Seele und zum Theil auch sein Charakter zum Opfer gefallen sind.

Ein Mann des Schwertes und der Abgott seiner Soldaten, wagte er nicht, sich zum Könige krönen zu lassen, weil diesen puritanischen Kämpen und Gottesstreitern das Königthum zuwider war, und doch kam er in die Lage, zuweilen despotischer zu regieren, als das je ein König zu thun sich erlaubt hatte. Würde er das mit der Krone auf dem Haupte und dem Purpur um die Schultern gethan haben, die Cavaliere hätten ihm das sicherlich verziehen und nach und nach an seinem Hofe sich eingestellt, um als hohe Peers des Königreichs ihre Obliegenheiten wieder aufzunehmen. Sie konnten wohl die Stuarts, nicht aber den Verlust ihrer eigenen Staatsstellung verschmerzen. Cromwell war klug genug, dies einzusehen, zermarterte sich aber vergebens den Kopf nach einem Auskunftsmittel. Mit seiner Armee durfte und mochte er es nicht verderben. Sie war seine Hauptstütze und er liebte sie. Auch hatte wohl der königliche Pomp nur wenig Reiz für ihn. Er begriff indeß vollkommen, daß er desselben der Gentry gegenüber bedurfte. Hätte er als König von England nach dem alten Brauche die Peers des Königreichs zu sich in’s Parlament berufen, viele wären sicher einem solchen Rufe gefolgt. Aus Rücksicht für das Heer konnte er das jedoch nicht, und so kam es, daß er den Häuptern der ersten Familien als Lord Protector – ein nur klägliches Auskunftsmittel in dieser politischen Verlegenheit – vergebens Sitze in seinem neuen Senate anbieten ließ. Er blieb die ganze Zeit seiner Regierung hindurch so zu sagen zwischen Baum und Borke, und dieser Zustand, der unausgesetzte Reibungen, Aufstände und Mordpläne hervorrief, rieb ihn auf, quälte ihn, machte ihn sorgenvoll und unruhig. Cromwell hat traurige Tage verlebt und ist zuletzt sogar uneins mit seinem Gott geworden, mit dem er sich doch sonst immer gut gestanden. Als er mehr und mehr hinfällig wurde und sich seinem Ende nahte, hörte man ihn häufig sehr geängstigt rufen: „O, es ist eine gar fürchterliche Sache, sterbend in die Hände eines ewig lebenden Gottes zu fallen!“ Ein anderes Mal stöhnte er: „Ich empfinde wohl, daß ich die elendeste Creatur der Erde bin, aber ich liebe Gott, oder richtiger gesagt, doch bin auch ich von Gott geliebt.“

Seine letzten Lebenstage brachte er in unausgesetztem Gebet zu. Die Worte, die man zuletzt von ihm hörte, waren die folgenden: „Ich möchte wohl noch leben, um auch ferner Gott und seinem Volke zu dienen; aber mein Werk ist gethan. Gleichwohl wird Gott mit seinem Volke sein!“

Im Uebrigen hörte man ihn nur noch unverständliche, abgebrochene Reden führen, Reden, in denen er sich selbst schwer anzuklagen und mit vernichtender Schärfe sein eigenes Handeln zu verurtheilen schien. Bis in seine Sterbestunde hinein spielte also der Zwiespalt seines Lebens, und er gab seinen Geist gleichsam unter dem Druck und den dunklen Schatten desselben auf.

Ganz ruhig, in Gott gefaßt, starb Maria die Zweite von England, die Gattin Wilhelm des Dritten, die sich dem Tode willig hingab, so glücklich und ruhmreich sie auch mit ihrem Gemahle lebte. So oft man sie auf ihrem Sterbebett fragte, was ihr wohl Linderung und Erleichterung verschaffen könne, stets antwortete sie: „Nichts thut mir so wohl als Gebet.“

Wilhelm der Dritte, der bei ihrem Tode in Verzweiflung gerieth und jammernd ausrief: „Ich war der glücklichste Mann auf Erden und werde hinfort der allerunglücklichste sein. Sie ist ohne Fehler gewesen; Niemand kann wissen, wie gut sie war, als ich!“ – Wilhelm der Dritte folgte ihr in einigen Jahren in den Tod nach und erlitt ihn ganz ebenso ergeben und gefaßt wie sie. Er traf alle nöthigen Anordnungen und nahm einen rührenden Abschied von seiner Umgebung und seinen Freunden. In seinen letzten Augenblicken ruhte unablässig seine Hand auf seiner Brust und als er geschieden war, zeigte sich, daß sie dort ein Stück Silberband gehalten, welches er auf der bloßen Brust trug und worin sich der Trauring und eine Locke seines ihm vorangegangenen Weibes befand.

So bürgerlich starb Wilhelm, einer der klügsten Monarchen und besten Kriegsherren, die es je gegeben, dabei ein Mann, der meist einsylbig, verschlossen und von wenig romantischem Wesen erschien.

Traurig und ziemlich trostlos ist der Lebensauslauf von Ludwig dem Vierzehnten, diesem prächtigen und pomphaften Herrscher, der sich von dem Königthum eine fast göttliche Vorstellung gebildet. Nach einem geräuschvollen, glänzenden und glücklichen Dasein überschlich ihn ein trübseliges, stumpfsinniges und langweiliges Alter. Seine Politik litt überall Schiffbruch, seine Armee Niederlage über Niederlage, rings um ihn raffte der Tod alle seine Lieblinge hinweg. Still und einsam saß er zu Versailles, diesem Memphis der bourbonischen Dynastie, [546] wie eine geschminkte und aufgeputzte Leiche, um in die frommen Unterhaltungen der Frau v. Maintenon hineinzugähnen. Als er kaum noch sich aufrecht zu erhalten vermochte und bereits ein ganz entstelltes Gesicht hatte, ließ er doch noch Gesellschaft um sich versammeln und von Lully’s Capelle heitere Weisen spielen. Er repräsentirte bis in den Tod hinein, dieser Grand Seigneur, der da meinte, daß er damit auch schon ein großer König sei.

Nichts ist gravirender und schneidender für seinen Ruhm und sein ganzes langes Leben als jener Spottvers, den man seiner Leiche nachsang und der da lautet:

Daß er im Grabe endlich ruht,
Das ist für ihn und Alle gut.
Auf seinem Thron, im Sarg von Erz,
Stets ist er Herrscher ohne Herz.

Sein Herz wurde bei der Einbalsamirung bekanntlich herausgenommen und besonders in einem goldenen Behälter aufbewahrt.

Ludwig der Fünfzehnte sollte beim Austritt aus dieser Welt noch eine ganz eigene Erfahrung machen. Als dieser allerabsoluteste König im Sterben lag, verordnete ihm sein Arzt noch eine Medicin, die er sich jedoch zu nehmen weigerte. „Er muß! Er muß!“ rief der Doctor, indem er den Dienern befahl, dem Herrscher die Medicin einzugeben. Als derselbe sie verschluckte, murmelte er zwischen den Zähnen: „Muß, muß!“ Er hatte nie in seinem Leben gemußt; nun sollte er im Verscheiden noch kennen lernen, daß es auch für Könige ein Muß giebt.

Friedrich dem Großen blieb von all seinem Ruhme, seinen Siegen im Tod nichts als eine menschenverachtende Bitterkeit. Er verlangte in Einem fort von seinem Kammerdiener, neben seinen Hunden und Pferden begraben zu werden. Von Menschen wollte er nichts wissen. „Wohl uns, der Berg ist überschritten!“ lautete sein letzter Seufzer. Wie bekannt, war es nur der General Möllendorf, welcher Friedrich den Zweiten beweinte, dessen fast alleiniger Gesellschafter er in den letzten Lebensjahren gewesen. Das Dasein des großen Königs und Feldherrn lief in Vereinsamung, Verkennung und Trostlosigkeit aus. Von den schönen, musikdurchrauschten Nächten zu Reinsberg, von dem heitern Umgange mit französischen Gelehrten und Dichtern, von epochemachenden Siegen und Eroberungen blieb dem großen Regenten nichts als Podagra, grämliche Tage, gründliche Menschenverachtung und Liebe zu seinen Hunden.

Dieses traurige Ende ist vielen Geschichtsschreibern die Veranlassung geworden, den genialen Monarchen in seinen Thaten und Erfolgen zu verketzern. Onno Klopp hat daraus eine Menge von Anklagen und Verdächtigungen geschmiedet und selbst Macaulay Manches gefolgert, das für das Ansehen und den Ruf des großen Königs gravirend ist. Nur freilich ist der englische Historiker weit davon entfernt, mit der Verbissenheit und blinden Wuth zu verfahren, wie unser deutscher historischer Klopffechter. Jener weiß doch immer die Vorzüge Friedrich’s zu schätzen und seine schließliche Verlassenheit und Verstimmung in den richtigen Ursachen zu suchen.

Die unaufhörlichen Kriege, welche Preußen so wesentlich vergrößert und zur Großmacht erst eigentlich gestempelt, hatten allerdings das Land entvölkert und verwüstet und ihm damit die Unbefangenheit genommen. Die Leiden, welche die damalige Bevölkerung erduldet, waren viel zu niederdrückender Art, als daß man über sie hinweg sofort zur Würdigung des Geleisteten hätte kommen können. Erst die Nachwelt konnte das thun. Friedrich selbst jedoch mußte den Rückschlag seiner siegreichen Feldzüge schmerzlich genug empfinden und diese Empfindung durch den hier schwer in’s Gewicht fallenden Umstand gesteigert sehen, daß er durch die strenge, unliebsame und bärbeißige deutsche Erziehung seines Vaters sich aus natürlicher Opposition recht geflissentlich in die französische Bildung und Literatur hineingetrieben sah. Von classischen Studien fern gehalten, vergaffte er sich in deren steife und unfruchtbare Nachahmung so sehr, daß er dadurch dem Geiste des deutschen Volkes sich entzog und schließlich als Fremdling in seiner eigenen Schöpfung dastand.

So weit reicht seine Schuld, aber nicht weiter, und Alles, was Onno Klopp zu folgern sich bemüßigt sieht, ist leergedroschenes Stroh auf der Tenne der Parteilichkeit.

Ludwig der Sechszehnte nahm seinen Tod hin, wie er Alles hingenommen, was ihm zustieß, ohne Größe, ohne Geste, ohne Declamation. Man hat eine Art Tagebuch von ihm gefunden, und dieses Tagebuch kennzeichnet den Mann, wie er war, in erschreckender Weise. „Nichts“ – dieses kurze, einsilbige Wort ist die einzige Notiz, die sich darin unter dem Datum des 14. Juli 1789 findet. Nichts! Und an diesem Tage nahm das Volk die Bastille!

In einem gelblichen Ueberrocke, mit dem Hute in der Hand, erschien er vor dem Convent. Der Präsident giebt ihm die Erlaubniß sich zu setzen, und er setzt sich, um auf die abgeschmacktesten Anklagen in beinahe umständlicher Auseinandersetzung zu antworten. Nichts beleidigt oder empört ihn. „Mein Gewissen ist rein,“ versichert er, indem er hinzusetzt: „man wirft mir vor, ich habe Blut vergießen wollen, und diese Beschuldigung zerreißt mir das Herz.“ Diese Auslassung ist von rührender Einfalt, nein, beinahe abgeschmackt. Ludwig’s Geist war allem Affect, aller Emphase fern, unbeholfen, linkisch. Es wäre ihm leicht gewesen, zu rühren, zu erschüttern. „Ihr klagt mich an, daß ich habe Blut vergießen wollen. Hätte ich’s vergossen, so flösse jetzt meines nicht!“ Wie nahe lag ihm eine solche Wendung! Aber sie kam ihm nicht in den Sinn. So zugespitzt, so scharf, so dramatisch zu sprechen, lag nicht in seiner Art. Breit erging er sich, ängstlich, daß man ihm etwas Uebles nachsagen möchte. Die Geister zu entflammen, das Mitleid zu wecken, seine Feinde niederzudrücken mit der Wucht seiner Rede, seines Blickes – das fiel ihm nicht ein. Er war der echte Philisterkönig, der Monarch, der im Purpur wie in einer ungewohnten Verkleidung ging. Er starb wie ein Spießbürger.