Aus dem Tagebuche eines britischen Legionärs
Aus dem Tagebuche eines britischen Legionärs.[1]
Am 23. August, Morgens neun Uhr, bestieg ich zu Hamburg das Dampfschiff „Helgoland", welches mich nach einer etwa siebenstündigen Fahrt nach dem gleichnamigen Eiland brachte. Außer einer großen Zahl von Vergnügungsreisenden befanden sich auf dem Dampfer auch etwa zwanzig junge Leute, welche in der britischen Fremdenlegion Dienste nehmen wollten. Fast Keiner von ihnen war im hamburger Hafen an Bord gegangen; die meisten waren, wärend wir die Elbe hinunterdampften, auf Kähnen dem Schiffe zugeführt, unbehindert durch die hamburger Polizeibeamten, welche im hamburger Hafen scharf aufzupassen schienen.
Als wir in Helgoland angelangt waren, ging ich in Gesellschaft dieser Leute, welche von zwei Werbern geführt wurden, zur Kommandantur. Hier wies man uns eine der zu diesem Behufe bestimmten Baraken als Nachtquartier an, und bestellte uns auf den folgenden Morgen zur ärztlichen Untersuchung wieder.
Ein Drittel dieser Leute etwa wurde für nicht dienstfähig erklärt, die übrigen wurden theilweise der 8., und da diese alsbald complet war, theilweise, wie ich selbst, der 9. Kompagnie des 2. leichten Infanterrieregiments zugetheilt. Die Ausgeschlossenen erhielten wie immer eine Barake zum Aufenthalt angewiesen, bis nach einigen Tagen ein Segelschiff sie nach Deutschland zurückführte. Außerdem bekamen sie täglich Jeder 6 hamburger Schilling, wofür sie allerdings zu einigen Arbeiten herangezogen wurden. Von ihren glücklichern(?) eingestellten Gefährten wurden sie überdies nach Kräften mit Geld und abgelegten Civilkleidern, hin und wieder auch wohl mit nunmehr unnütz gewordenen Pässen und Wanderbüchern beschenkt.
Vor der Einkleidung ging selbstverständlich die Verlesung der Bedingungen und die Beeidigung voraus. Erstere klangen, mit ähnlichen Verhältnissen auf dem Kontinente verglichen, durchaus nicht ungünstig. Die Eintretenden mußten sich verpflichten, drei Jahre lang, eventuell während der Dauer des gegenwärtigen Krieges und noch ein Jahr lang nach erfolgtem Friedensabschlusse zu dienen, wogegen die Regierung Ihrer Majestät sich vorbehält, die Legion oder einzelne Abtheilungen derselben auch früher zu entlassen. Während der Dienstzeit sind dem Soldaten ein täglicher Sold von einem englischen Schilling (wovon aber der Abzug für die Menage abzurechnen ist) und bei seiner Entlassung der Betrag einer einjährigen Löhnung nebst freier Ueberfahrt nach Amerika oder einer der britischen Kolonien zugesichert. Zugleich wurde erklärt, daß jeder Soldat 40 Pfund Handgeld erhalten solle, wovon aber augenblicklich erst 20 Pfund ausbezahlt wurden, während der Rest theilweise für die kleinen Montirungsstücke, welche der Soldat selbst bezahlen muß, berechnet, theilweise, sobald diese vollständig beschafft, verabfolgt werden sollte. Endlich wurde noch jedem Soldaten, welcher während der Dauer seines Aufenthaltes auf Helgoland (der immerhin nur einige Wochen betragen konnte) sich gut betrüge, namentlich eine Arreststrafe nicht verwirkte, eine Gratifikation von ein Pfund Sterling versprochen, welche ihm nach der Ueberfahrt in Shorncliff ausgezahlt werden sollte.
Ehe ich auf Helgoland eintraf, waren daselbst schon das erste Jägerregiment zu 10 Kompagnien von je 100 Mann und die ersten 8 Kompagnien des zweiten leichten Infanterie-Regiments (das erste wurde in Shorncliff selbst errichtet) gebildet. Das Jägerregiment und die fünf ersten Kompagnien des Infanterieregiments befanden sich indessen nicht mehr auf Helgoland, sondern waren schon nach und nach nach Shorncliff transportirt. Zwei Tage nach meiner Ankunft folgten ihnen die 6., 7. und ein Theil der 8. Kompagnie.
Als ich von Helgoland fortfuhr (1. Oktober), war die Bildung des 2. leichten Infanterieregiments längst vollendet (10 Kompagnien von je 100 Mann) und mit der des 2. Jägerregiments begonnen. Bei meinem Abgange waren beinahe 5 Kompagnien desselben von je 100 Mann complet.
Das militärische Obercommando auf Helgoland führt der Oberst von Steinbach; sein Adjutant ist der Hauptmann Hoffmann, welcher früher als preußischer Offizier in Magdeburg gestanden haben soll. Unter ihnen fungirten beim Stabe eine Anzahl von Unteroffizieren, deren einziges Verdienst wohl nur darin bestand, unter den Angeworbenen die ersten gewesen zu sein, welche leidlich schreiben und rechnen konnten.
Das Leben auf Helgoland war ziemlich einförmig; exercirt wurde nur einige Stunden des Tags, und zwar stets ohne Waffen (nur die jedesmalige Wachtmannschaft erhielt Gewehre). Das Lager befand sich auf dem helgoländer Oberlande, welches bekanntlich von dem Unterlande durch eine künstliche Treppe von nahe an 300 Stufen getrennt ist. Die Badegäste logiren meistentheils im letztern. Im Unterlande befindet sich der Kursaal, dessen Besuch von Militärpersonen nur den Offizieren gestattet war. Die Badegäste wurden durch die Anwesenheit des Militärs gewiß nicht genirt. Uebrigens war zur Zeit meiner Ankunft auf Helgoland den Soldaten der Besuch eines jeden Wirthshauses gestattet. Es wurde das mit der Zeit allerdings anders. Eines Sonntags hatte bei Gelegenheit eines Tanzgelags im Wirthshause zum günen Wasser eine nicht unbedeutende Schlägerei zwischen Civilisten und Soldaten stattgefunden. An diese knüpften sich in den folgenden Tagen fortwährende Reibereien, und das Ende vom Liede war, daß durch einen Befehl der Besuch eines jeden Wirthshauses auf Helgoland den Soldaten verboten und der Aufenthalt im Unterlande ihnen nicht länger als bis sechs Uhr Abends gestattet wurde. Nur den Unteroffizieren blieb der Besuch einer einzigen im Oberlande belegenen Schankwirthschaft (der von Jansen) erlaubt. Die Soldaten waren in dieser Beziehung auf die in einer Barake belegenen, mitten im Lager befindlichen Kantine beschränkt. Indessen kamen Kontraventionen gegen das erstgedachte Verbot bald genug vor, und wurden zuletzt so häufig, daß dasselbe, da sie meist ungeahndet blieben, fast illusorisch erscheinen mußte. Das Verbot mußte auch nicht nur den Soldaten, sondern auch den Helgoländern sehr unwillkommen sein. Denn fast jeder Soldat verzehrte doch Handgeld und Sold bei jenen, und im Oberlande hatte fast jeder Hausbesitzer eine Restauration unter theurer, aber doch viel zu wünschen übrig lassender Bedienung. Ein Seidel Lagerbier z. B. kostete drei Schilling hamburger Courant, und war dabei kaum zu genießen. Ein Beefsteak kostete 12 Schilling. Cigarren und Tabak waren auch hier schon theuer und daher fast immer unter dem Mittelmäßigen. Das bei den Soldaten am Meisten beliebte Getränk, der Rum, war über die Maßen verfälscht; guter Kornbranntwein gar nicht zu haben. Aber das Schlimmste war, daß das Trinkwasser regelmäßig schlecht war, und selbst auf den Gesundheitszustand nachtheilig wirkte.
Das Gros der Soldaten fühlte sich im Allgemeinen auf Helgoland sehr behaglich, namentlich so lange von den erhaltenen 20 Pfund noch etwas vorhanden war. Die, welche ihr Geld verthan, zeigten freilich wohl lange Gesichter und murrten, aber ohne gerechten Grund. Die Behandlung von Seiten der Offiziere und Unteroffiziere war im Ganzen leidlich, und nur Säufer von Profession beklagten sich über die zu große Strenge bei Handhabung [627] der Disciplin. Das tägliche Essen, ein Pfund gekochten Rindfleisches nebst Bouillon mit Reis oder Graupen und Kartoffeln und 11/2 Pfund Schwarzbrot, wurde von den Meisten sehr gelobt, und man kann auch gewiß dreist annehmen, daß eine große Zahl von Handarbeitern in Deutschland eine so gute Nahrung nicht genießt. Jene Behaglichkeit der Menge konnte indessen von den einzelnen gebildeten Elementen leider nicht getheilt werden. Wer dergleichen mit eigenen Augen gesehen und mit eignen Ohren gehört hat, macht sich von der allüberall sich breit machenden Gemeinheit keinen Begriff. Ich spreche hier nicht von der Gemeinheit des Charakters, sondern von jener Gemeinheit der Sitten, welche stets im Schmutze umherwühlend, ohne Zotenreißen nicht existiren kann, und stets die ekelhaftesten Worte und Redensarten im Munde führt. Deshalb glaube man aber ja nicht, daß nur der Auswurf des deutschen Volkes eine Zufluchtsstätte in der britischen Fremdenlegion gefunden. Im Gegentheile, wenn auch einzelne Subjekte sich darunter befinden, welche vielleicht besser einen Platz im Zuchthause einnähmen, die bei weitem größere Mehrzahl sind eben solche Leute, wie man sie zu Dutzenden täglich auf den Landstraßen, in den Herbergen und Werkstätten Deutschlands finden kann.
Höchst widerwärtig muß es auch der Gebildete finden, daß diese Leute von der kuriosen Idee beseelt sind, alle Soldaten, welche nicht avancirt sind, mit Du anreden zu müssen, einerlei, ob, wo und wie sie dieselben früher je gesehen, ob sie mit ihnen auf einem freundschaftlichen Fuße stehen oder im heftigsten Zanke begriffen sind. Es fällt einem schwer, die Anrede mit „Sie“, welche man ja Jedem, den man nicht näher kennt, gern zu Theil werden läßt, für sich selbst zu behaupten. Diese Leute glauben sich unter einander „Du“ nennen zu müssen, weil Keiner von ihnen mehr sei, als der Andere; auch von den Vorgesetzten, welche vorschriftsmäßig die Gemeinen mit „Sie“ anreden müssen, lassen sich die Meisten ganz ruhig mit „Du“ anreden, „weil jene mehr seien.“
Weshalb lassen sich die Franzosen und Engländer, welche mit unsern Soldaten in Parallele stehen, nicht mit tu oder thou anreden? Es rührt dies einfach daher, daß jene den Deutschen gegenüber mehr Selbstgefühl haben – eine natürliche Folge ihrer politischen und socialen Institutionen. Jenes Selbstgefühl fehlt den untern Klassen der Bevölkerung Deutschlands ganz und gar; wenn sie nur gut, d. h. genug zu essen haben, so lassen sie sich ruhig mit „Du“ anreden, und wenn sie einen Schnaps bekommen, so lassen sie sich auch zur Noth dafür prügeln. Und doch sind jene Leute dieselben, aus denen der Handwerkerstand, der ja mit den Kern der Nation bilden soll, hervorgeht. Wer das Selbstgefühl in den untern Schichten der deutschen Nation wecken könnte, würde sich um die politische und sociale Zukunft Deutschlands das größte Verdienst erwerben.[2]
Mein Mißgeschick führte mich auf einige Tage in das Militärhospital. Ich hatte hier hinlänglich Gelegenheit, die geringe Meinung von dem englischen Feldspitalwesen, welche sich bei mir durch die Zeitungslectüre während des gegenwärtigen Krieges gebildet hatte, durch eigene Anschauung noch befestigen zu können. Ein einziger Punkt wäre vielleicht zu loben gewesen, die große Reinlichkeit, welche mindestens in dem Lazarethe herrschen sollte. Aber diese Reinlichkeit wurde nur zu sehr auf Kosten der Kranken hergestellt. Das angestellte Unterpersonal des Hospitals that gar nichts; die Kranken mußten das Lazareth, die Apotheke und noch verschiedene andere Räume täglich reinigen; gewiß ein im höchsten Grade unbilliges Verlangen. Als die Errichtung des zweiten Jägerregimentes begann, und die zu diesem Regimente gehörigen Aerzte, Regimentsarzt Dr. med. Steinau (früher Arzt im deutschen Hospitale zu London) und Assistenzarzt Dr. med. Schütz (aus Göttingen, als Arzt schon in schleswig-holsteinischen Militärdiensten) im Hospitale erschienen, wurde dies freilich etwas anders, indem eine Vermehrung des Unterpersonals eintrat. Der bei dem Depot als Oberstabsarzt fungirende Dr. Gammin ist ein Engländer, der kein Wort Deutsch versteht. Er sah nur danach, daß Schmutz und überflüssige Sachen (zu welchen alle nicht unbedingt nothwendigen gezählt wurden) nicht im Hospitale zu finden waren. Sein Assistenzarzt, Dr. med. Siemensen, ist ein geborener Helgoländer. Die Aerzte sind in der Wahl der Heilmittel sehr beschränkt; manche der in Deutschland allergewöhnlichsten fehlen in den englischen Feldapotheken. Dr. Steinau, welcher anfänglich seine Hülfskräfte zu überschätzen schien, verordnete eines Tags, daß einem Kranken Blutegel gesetzt werden sollten; er bekam aber von dem Hospitalsergeanten (der zugleich Feldapotheker ist, obwohl er von der Pharmacie nichts versteht) die Antwort, daß Blutegel nicht vorhanden seien und den bestehenden Vorschriften gemäß von dem Hospitale auch nicht requirirt werden könnten. Dem armen Kranken blieb nun die Wahl, sich die ihm verordneten Blutegel auf eigene Kosten zu verschaffen oder auf dieselben ganz zu verzichten. Es klingt unglaublich, ist aber buchstäblich wahr. Charpie und Linnen waren die seltensten Artikel, und nur mit großer Mühe nach langem Bitten zu erhalten. Die wichtigste Rolle im Lazarethe spielte der lapis infernalis; über zu sparsames Beizen war gewiß nicht zu klagen. Die meisten Kranken hatten ihren Aufenthalt im Hospitale dem Umstande zu verdanken, daß sie auf ihrer Reise nach Helgoland zu lange in Hamburg verweilt und die dort in ihrer Weise genossenen Freuden des Lebens nunmehr abzubüßen hatten.
Desertionen kamen unter dem Militär auf Helgoland sehr selten vor, obwohl die Gelegenheit dazu Jedem, der im Besitz einiger Geldmittel sich befand, leicht geboten war. In der letzten Zeit meines Aufenthalts schien die Anwerbung nicht mehr so gut von Statten zu gehen als vorher; der Grund davon war aber nicht etwa darin zu suchen, daß die Lust unter die Fremdenlegion zu treten, auf deutschem Boden abgenommen, sondern vielmehr in der zeitweiligen Verminderung der Transportmittel vom Festlande ab nach Helgoland. Das Dampfschiff Helgoland, welches während der Badesaison wöchentlich drei Mal von Hamburg nach Helgoland fuhr, machte diese Tour im Monat October etwa wöchentlich nur einmal. Der englische Kriegsdampfer Otto, der gewöhnlich zwischen Hamburg und Cuxhaven kreuzte und fast allwöchentlich einen starken Transport frischer Leute nach Helgoland führte, hatte einen Leck bekommen und ging zur Reparatur nach England zurück. Endlich war gerade in der ersten Hälfte des October der Wind so stürmisch und die See so unruhig, daß die kleinen helgoländer Sloops nicht mehr wie sonst zwischen dem Continente und dem grünen Eilande hin- und herfahren konnten. Während meines Aufenthalts auf Helgoland wurden allwöchentlich etwa 100 Mann im Durchschnitt angeworben.
Endlich kam die Zeit unserer Einschiffung nach Shorncliff heran. Die meisten Soldaten trennten sich ungern von Helgoland; mit den Töchtern des Eilands waren von ihnen unzählige Liebschaften geschlossen; verschiedene Unteroffiziere hatten die kurze Zeit ihres dortigen Anfenthaltes sogar zur Eingehung von Ehebindnissen benutzt. Bei jedem Regimente dürfen sechs verheiratete Unteroffiziere sein, welche alsdann mit ihren Familien in besondern Baraken wohnen.
Am 14. October wurde der Rest des zweiten leichten Infanterieregiments (wobei ich selbst) und etwa 24 Mann Cavalleristen, welche in Helgoland angeworben waren, auf die Schraubenfregatte „Perseverance,“ welche jetzt desarmirt ist und nur als Transportschiff benutzt wird, eingeschifft. Die Perseverance kam von Libau, wo sie eine Anzahl gefangener Russen gegen englische Marinesoldaten, welche in russische Kriegsgefangenschaft gerathen waren, ausgewechselt hatte. Trotzdem die Einschiffung unter anscheinend schlechtem Wetter vor sich ging, war die Ueberfahrt doch eine sehr glückliche zu nennen. Nur sehr wenige Soldaten hatten von der Seekrankheit zu leiden. Schon am 19. Vormittags landeten wir zu Folkestone (vier englische Meilen östlich von Dover). Von dort marschirten wir in einer kleinen Stunde nach dem Lager zu Shorncliff, von wo uns der Generalmajor von Stutterheim mit den ersten acht Compagnien des Regiments unter klingendem Spiele entgegen gezogen war. Rasch bezogen wir hier die uns angewiesenen Baraken und richteten uns, wenn man dies anders so nennen kann, darin ein. Wenige Tage vor uns war das erste Jägerregiment unter Oberstlieutenant von Schröder eingeschifft, die Meinung der Leute schwankt darüber, ob nach Balaklava oder nach Constantinopel. Am 26. October folgte ihnen das erste leichte Infanterieregiment, welches hier gebildet ist und zum größten Theile aus Süddeutschen und Belgiern besteht. Dasselbe steht unter dem Befehle des Oberstlieutenants von Hake. Diese beiden Regimenter bilden die erste Brigade der britisch-deutschen Fremdenlegion unter dem Befehle des Brigadier Oberst Wooldridge. Gegenwärtig befinden sich noch hier das zweite leichte Infanterieregiment unter Oberstlieutenant [628] von Aller, dem als Stabsoffiziere die Majore von Wenck und Bathurst zur Seite stehen, und das dritte leichte Infanterieregiment, welches, wie das erste, hier errichtet ist und zumeist Süddeutsche und Belgier in seinen Reihen zählt. Die Mannschaft desselben spricht zur einen Hälfte deutsch, zur andern französisch, das Commando aber ist deutsch. Außerdem befinden sich hier noch die Anfänge von zwei Cavallerieregimentern, deren jedes 600 Säbel stark werden soll. Beide zusammen haben jedoch jetzt erst eine Stärke von etwa 500 Mann. Die Mannschaft zu demselben wird theils hier, theils in Helgoland angeworben; doch werden in der Regel nur solche Leute genommen, welche früher schon unter der Cavallerie oder reitenden Artillerie gedient haben. Das zweite Infanterieregiment wird nicht lange mehr hier verweilen. Es ist stark davon die Rede, daß es am 3. künftigen Monats eingeschifft werden wird. Als Aerzte fungiren bei diesem, Regimentsarzt Dr. med. Straube (früher Badearzt auf Helgoland, aus Großdölzig bei Leipzig gebürtig) und Assistenzarzt Dr. med. Dierkings (aus Göttingen). Auch das dritte Infanterieregiment wird sobald als möglich von hier abgehen. Die genannten Truppen bilden bis jetzt die britisch-germany legion; von der schweizer Fremdenlegion stehen noch ein Regiment zu Dover und ein zweites zu Canterbury. Auch bei diesen ist das Commando deutsch.
Das Plateau von Shorncliff liegt hart am Kanale, wenige Minuten westlich von dem Flecken Sandgate, welches aber eine englische Meile westlich von Folkestone liegt. Beide Oerter dürfen, so wie der etwa 11/2 englische Meilen westlich von Shorncliff liegende Flecken Hythe, Abends von fünf bis neun Uhr von den Soldaten besucht werden; des Tags über darf Niemand das Lager verlassen. Uebrigens hat jedes Regiment im Lager seine Kantine, wo Porter, Ale, Tabak, Butter, Käse, Eier u. dergl. zu theuern Preisen zu haben sind. Von dem Tabak, der hier gewöhnlich geraucht wird, bekommt man für einen Penny (8 Pf.), gerade zwei Thonpfeifen voll; letztere erhält man allerdings stets gratis. Ein Ei kostet einen Penny. Auch andere Sachen als Lebensmittel, deren man aber doch sehr bedarf, als z. B. Papier, sind hier enorm theuer.
[655]
Sobald wir im Lager von Shorncliff eingetroffen waren, wurden wir vollständig bewaffnet. Von nun an ward der militärische Dienst strenge, indeß ist derselbe den Verhältnissen nach nicht drückend. Den ganzen Tag über wird der Soldat zum Theil mit Exerciren, zum Theil mit Putzen und den im Soldatenlebben unvermeidlichen Intriguen beschäftigt, die Stunden von 5 bis 9 Uhr Abends jedoch gehören ihm, wenn er nicht gerade Wachtdienst hat. Dann geht der Soldat, wenn das Wetter zu schlecht ist oder er nicht Lust hat, weiter zu gehen, in die Kantine, sonst aber nach Sandgate, Folkestone oder auch wohl nach Hythe. Folkestone ist vorzugsweise ein bei den Soldaten beliebter Ort. Alle diese Gänge können übrigens nur stattfinden, wenn der Soldat noch mindestens im Besitze einiger Pence sich befindet, was indessen nicht immer der Fall ist. In der Kantine des zweiten Regiments (jedes Regiment hat nämlich seine besondere Kantine) ist der Aufenthalt übrigens nicht sonderlich interessant. Entweder sind die Leute zu still, zu langweilig, oder das unausstehlichste Geschrei tönt aus ihren Kehlen. Nach echt deutscher Weise ist in dieser Kantine für die Unteroffiziere ein Zimmer reservirt, in welchem der gemeine Soldat nicht geduldet wird, wogegen von Seiten der Unteroffiziere auch auf diejenigen von ihnen scheel gesehen wird, welche sich einmal in das allgemeine Zimmer verlaufen. Die gebildeten Unteroffiziere beklagen sich über diese Einrichtung selbst; sie würden sich oft weit lieber mit den ihnen an Bildung oft noch überlegenen Gemeinen, als mit den ihnen an Rang zwar gleich, aber sonst oft sehr niedrig stehenden Unteroffizieren unterhalten. In der Kantine der übrigen Regimenter (das erste befindet sich freilich schon nicht mehr hier, wo ich schreibe) sitzen Unteroffiziere und Gemeine bunt durcheinander. Hier herrscht bei weitem mehr Leben. Das südlichere Blut, welches in diesen Regimentern vorherrscht, macht sich daher auch mehr geltend. Ein kurioses Kauderwelsch bekommt man oft freilich zu hören; neben den verschiedenen deutschen Dialekten das Französische der Belgier, dazwischen hier und da Englisch, und um die Sache vollständig zu machen, auch mitunter ein Wort Polnisch. Indessen verständigen sich die Leute mit einander so gut, wie es geht, je weniger die Rede sie an einander bindet, um so mehr thun es Porter und Ale.
Die Zufriedenheit, welche im Allgemeinen auf Helgoland herrschte, findet man hier nicht mehr. Es ist natürlich, weil der strengere Dienst manchen Mißvergnügten schafft. Die große Theuerung ist wohl mit das Hauptmotiv der Klagen. Dazu kommt, daß die Menage (für welche 8 Pence täglich abgezogen werden, so daß dem Mann täglich 5 Pence bleiben) hier in Wahrheit schlechter ist, als auf Helgoland. Der Mann erhält täglich nur 3/4 Pfund Fleisch, während er auf Helgoland täglich ein Pfund bekam. Sehr viele Leute vermissen hier höchst ungern das deutsche Schwarzbrot, statt dessen nur Weißbrot, das, nach vielfachen Klagen zu urtheilen, nicht in gehörigem Maße verabreicht wird. Bei dem zweiten Regimente hört man bereits auch viele Klagen über die unregelmäßige Zahlung des Soldes, worüber ich die Mannschaften der übrigen Regimenter und der Kavallerie noch nicht habe klagen hören. Es ist möglich, daß die Schuld, wenn nicht an dem Regimentszahlmeister, so doch an den einzelnen Kompagniechefs liegt. Nutzen wird durch ein solches Verfahren wahrhaftig nicht geschafft. Man rechne ferner hinzu, daß von der auf Helgoland versprochenen Gratification von einem Pfund Sterling für gutes Betragen hier gar nicht die Rede ist. So ist es wohl erklärlich, daß die Zahl der Mißvergnügten, und gerade im zweiten Regimente, dessen Disciplin [656] sonst sehr gelobt und anerkannt wird, nicht gering ist. Die neulich von der Times gemachte Aeußerung: „Raisonneure und Unzufriedene gäbe es überall; aber vielleicht seien sie in keinem Corps in so geringer Anzahl vorhanden, als in der britisch-deutschen Legion“ beruht wirklich nicht ganz auf Wahrheit. Der Unmuth macht sich sehr häufig in Witzreden Luft; als Probe davon führe ich Ihnen an, daß der Soldat die glänzenden Buchstaben B. F. L., welche auf allen Knöpfen und an Mütze und Czako prangen, nicht als das officielle „British Foreign Legion“, sondern als „Betrogene Fremde Leute“ deutet.
So ist denn leicht zu begreifen, daß die Desertionen hierorts weit häufiger vorkommen, als von Helgoland aus. Dieselben stehen wirklich in gar keinem Verhältnisse zu einander. Kurz vor meiner Ankunft war sogar eine ganze Patrouille, etwa 35 bis 40 Mann, mit einem Lieutenant vom ersten Jägerregiment an der Spitze, durchgebrannt oder ausgerückt, um mich eines soldatisch-technischen Ausdrucks zu bedienen. Wenige Tage, nachdem ich hierher gekommen, desertirten drei Lieutenants vom 3. leichten Infanterieregimente. Von Desertionen der Gemeinen hört man sehr häufig, jedoch muß ich wieder bemerken, daß bei dem zweiten Infanterieregimente die Desertionen sehr selten sind. In den benachbarten Orten treiben sich sehr viel Seelenverkäufer umher, welche die Soldaten zur Desertion verleiten, um sie für holländische Dienste anzuwerben. Bei den nahen Beziehungen, in welchen der Hof zu Haag zu dem zu Petersburg steht, könnte man versucht werden, an russischen Einfluß zu denken. Indeß muß man erwägen, daß Holland für den Dienst in Ostindien, der sehr viel Leute verschluckt, stets geworben hat. Jenen Werbern wird von hier aus natürlich eifrig nachgespürt und ihre Aufbringung wird mit Prämien honorirt. Aber es gehen weit mehr Soldaten durch, als Werber eingefangen werden. In Betreff der drei Lieutenants vom 3. Regimente, von denen ich Ihnen oben schrieb, kann ich Ihnen noch mittheilen, daß dieselben in London eingefangen sind.
Nach dem, was ich oben schrieb, wird man auch leicht begreifen, daß sehr viele Vorgesetzte bei den Soldaten nicht absonderlich gut angeschrieben sind. Wenn nun auch Verbal- oder gar Realinjurien gegen dieselben fast gar nicht vorkommen, so ging doch eines Tages die Rede, daß nach dem Feldwebel der 6. Kompagnie des 2. Infanterieregiments, Kaiser, eine als berliner Polizist früher nicht unbekannte Größe, von einem Soldaten der 6. Kompagnie geschossen worden sei. Die Sache reducirt sich nun freilich ganz einfach darauf, daß Kaiser, während die Kompagnie ein blindes Feuer unterhielt, unvorsichtig vor die Fronte derselben trat, und so ziemlich dicht vor den Gewehrmündungen durch einen Pfropfen an dem einen Arme gestreift wurde. Man kann aber aus dem Umstande, daß jenes Gerücht leicht vielseitigen Glauben fand, auf die Stimmung im Allgemeinen schließen. Uebrigens ist die Unzufriedenheit ächt deutscher Natur. Wenn die Leute eben von Klagen überfließen über den Betrug, der ihnen angeblich gespielt sein soll, und ihre Vorgesetzten zu allen Teufeln wünschen, so hallen doch im nächsten Augenblicke die Lüfte von den loyalsten Vivats wieder.
Die hölzernen Baraken, in welchen hier im Lager die Soldaten liegen, fassen je 25 Mann. Der Raum in ihnen ist ziemlich beschränkt, so schmal auch die einzelnen Bettstellen sind. Letztere waren auf Helgoland breiter und bequemer. An sonstigem Mobiliar hat jede Barake zwei bis drei Tische. Seine wenige Habe, die der Soldat nicht immer in den Tornister oder Brotbeutel stecken kann, muß er auf dem sich an beiden Längeseiten der Barake befindlichen Gesims über seinem Bette verwahren. Die Wände der Küchen wie die der Kantinen sind ganz von Eisenblech. Letztere, deren Einrichtung auf Helgoland höchst unangenehm war, muß man in Betreff der darin herrschenden Reinlichkeit und im Interesse der Sittlichkeit loben. Jedes Privet ist abgesondert für sich, was auf Helgoland nicht der Fall war.
Durch das fortwährende Regenwetter ist das Lager fast zu einer großen Pfütze geworden. Für die Instandsetzung der Wege ist namentlich, wo das 2. Regiment liegt, noch gar nichts geschehen, was für den Soldaten um so schlimmer ist, da in Betreff der Sauberkeit seines Anzuges doch immer gewisse Ansprüche an ihn gemacht werden. Die Unannehmlichkeit des Schmutzes wird noch erhöht durch die furchtbare Finsterniß, welche des Abends im Lager herrscht. Freilich befinden sich zur Befestigung von Laternen an den geeigneten Stellen längst die eisernen Arme, aber die Laternen lassen noch immer auf sich warten.
Mit dem 1. Infanterie-Regimente ist auch der Feldprediger, welcher der ersten Brigade beigegeben ist, von hier fortgegangen. Bis dahin war, wenn es das Wetter irgend erlaubte, jeden Sonntag Kirchenparade. Der Feldprediger besuchte auch wöchentlich regelmäßig die Hospitäler der einzelnen Regimenter, und gab den Kranken die Schillingsbücher des „Rauhen Hauses“ zu Hamburg, sowie, was Vielen gewiß willkommener war, auch die berliner Vossische Zeitung und die Indépendance belge zum Lesen. In jedem Hospitale befinden sich zwei deutsche Bibeln zum Gebrauch für die Kranken. Sehr viele Soldaten haben sich dabei auf eigene Kosten die Stereotypausgabe des neuen Testaments der britischen und ausländischen Bibelgesellschaft zu London angeschafft. Ein Exemplar kostet sechs Pence. Angeboten werden sie im Lager von Umherträgern, gerade wie Brot, Butter, Käse, Eier und andere Sachen, genugsam. Es macht einen eigenen Eindruck, diese Bücher oft in den Händen solcher zu sehen, deren Mund sonst von Gemeinheiten überfließt. Die praktischen Leute haben sich kleine Lehrbücher der englischen Sprache angeschafft. Leider hat man aber zum Studiren nur zu wenig Zeit, und ungestört ist man fast nie. Sonst ist hier an gute deutsche Lektüre nicht zu denken. Vielleicht würde eine deutsche Leihbibliothek von nur mäßigem Umfange in Sandgate ganz gut rentiren. Die sehr unvollkommene Leihbibliothek auf Helgoland wenigstens erfreute sich bei den Soldaten eines sehr guten Zuspruchs, und konnte durch den oft raschen Abgang mancher Leser nicht leicht zu Schaden kommen, da der Bibliothekar, so unkultivirt er sonst war, doch die Schlauheit besaß, kein Buch ohne einen Einsatz von einem Thaler Courant zu verleihen.
Die Witterung ist übrigens schon sehr empfindlich, und man muß stark heitzen, um die Baraken nur einigermaßen warm zu erhalten. Vielen wird deshalb die Uebersiedlung nach einem südlichern Klima sehr erwünscht. Soldaten sowohl als Offiziere erfahren jedoch vorher nichts Gewisses darüber. In Ermangelung positiver Nachrichten wimmelt es daher auch von Gerüchten, deren eines in der Regel noch unsinniger ist als das andere. So wurde kürzlich als ganz bestimmt versichert, daß zwischen den Alliirten und Rußland ein Waffenstillstand bis zum Mai künftigen Jahres abgeschlossen sei; dann hieß es wieder, Preußen und Oesterreich hätten den Westmächten den Krieg erklärt; zuletzt kam gar noch die Nachricht, daß in Berlin eine große Revolution ausgebrochen sei. Mancher Betheiligte wurde durch das Gerücht beunruhigt, die dänische Regierung habe diejenigen ihrer Unterthanen, welche in die Fremdenlegion getreten, reklamirt; eine allgemeine Sensation wurde aber durch das Gerede hervorgerufen, Rußland würde die Legionäre nicht als Kriegsgefangene vom englischen Heere betrachten, sondern dieselben einfach an ihre betreffenden Regierungen ausliefern. Manchem, wie z. B. mir, könnte diese Eventualität durchaus nicht in einem unangenehmen Lichte erscheinen; indessen möchte manchem Legionär das Wiedersehen ihrer Heimath vor dem Ablauf gewisser Verjährungsfristen wohl nicht gerade willkommen sein. Das letztgenannte Gerücht hat noch am Meisten einen Anstrich von Glaubwürdigkeit, der jedoch bei näherer Betrachtung verschwinden muß. Trotzdem, daß eins jener Gerüchte stets das andere verdrängt, und noch niemals eins sich als wahr erwiesen hat, findet doch die Fama hier ihre Gläubigen schaarenweis, und ich armer Teufel habe ob meiner skeptischen Natur deshalb viel zu erdulden.
Trotzdem, wie ich sagte, die Witterung jetzt schon ziemlich rauh ist, stellt sich das Verhältniß der Kranken zu den Gesunden doch durchaus nicht ungünstig heraus. Mehr als 4 bis 5 Prozent Kranke sind nicht vorhanden, Todesfälle sind, so lange ich hier bin und so viel mir bekannt ist, mit Ausnahme eines einzigen, gar nicht vorgekommen. Das Lagerleben selbst hat gewiß noch keine Krankheiten erzeugt, namentlich keine Spur von Epidemien (ich berücksichtige da bei aber nicht den verflossenen Sommer).
Eine bedenkliche Folge hat die hier herrschende Theuerung, verbunden mit der Unregelmäßigkeit in der Auszahlung des Soldes, von der ich oben sprach, bereits gehabt. Die meisten Soldaten finden durchaus nichts darin, mancherlei Gegenstände, namentlich Kartoffeln, Kohlen, Holz etc., wo sie dieselben nur antreffen, an sich zu nehmen, und in ihrem Nutzen zu verwenden. In der Soldatensprache wird dieses Verfahren „Punktiren“ genannt; die gewöhnliche Sprache wird freilich kein anderes Wort als Stehlen dafür haben. Auch hat es bei den genannten Gegenständen noch nicht [657] sein Bewenden. Unternehmende Punktirer suchen die Kantinen und Wirthshäuser der benachbarten Oerter heim, und wehe den Flaschen, Gläsern und überhaupt allen transportabeln Gegenständen, welche der Wirth nicht wie ein zweiter Argos zu bewachen versteht. Dieses Punktirsystem muß nothwendig auf die Demoralisation der Truppen hinwirken. Schon hört man vielfach über Kameradendiebstahl klagen; gebe Gott, daß es nicht noch schlimmer kommen möge!
Ich erzählte Ihnen oben von dem frühern Konstabler-Wachtmeister Kaiser. Noch eine andere berliner Pflanze ist jetzt hierher versetzt, Herr Gödsche, Postsekretär a. D., bekannt geworden als Zeuge im Prozeß Waldeck. Er ist gegenwärtig Unteroffizier bei der 7. Kompagnie des 2. Infanterie-Regiments. Auf geschehene Anrede soll indeß der hiesige Gödsche erklärt haben, daß er durchaus nicht jener berliner Gödsche sei und mit jenem nichts zu schaffen habe.
Es ist übrigens erstaunlich, nach und nach zu erfahren, wie viel Leute bei der Anwerbung ihren Namen verändert und einen falschen angenommen haben. Es kommt daher oft vor, daß wenn Jemand hört, es befinde sich noch ein Landsmann von ihm aus dem gleichen Orte, wie er, bei dem Regimente, und man nennt ihm den Namen desselben, er sich nicht erinnern kann, jemals einen Menschen mit solchem Namen gekannt zu haben; sobald er den angeblichen Landsmann aber selber erblickt, erkennt er in ihm einen alten Freund, den er schon lange, aber freilich bis jetzt immer unter einem ganz anderen Namen gekannt hat. Manche Namen der Legionäre sind gar zu kurios gewählt, als daß man es ihnen nicht auf den ersten Blick ansehen müßte, daß die jetzigen Inhaber sie nicht von ihrer Geburt an getragen haben.
Wegen des fortwährenden schlechten Wetters habe ich von den drei erlaubten Ortschaften bis jetzt nur Sandgate, dieses aber bereits verschiedene Male besucht. Sandgate ist ein Flecken, in welchem seiner angenehmen Lage wegen während des Sommers viel wohlhabende Leute wohnen, während der Ort sonst im Winter ziemlich verödet sein soll. Gegenwärtig hat Sandgate noch ein einigermaßen lebhaftes Ansehen. Der Ort ist gewiß nicht so groß als Buxtehude oder Schöppenstedt, hat aber Läden, die an Eleganz und Reichhaltigkeit hinter denen von Hannover und ähnlichen Städten nicht zurückstehen. Und Sandgate hat seine Gasbeleuchtung. Ach, wenn werden Buxtehude oder Schöppenstedt jemals von Gasflammen erhellt werden! Man merkt hier leicht den Unterschied zwischen den deutschen und den englischen Verhältnissen. Uebrigens bietet sich unsern Blicken in Sandgate ein deutsches Bierhaus dar, welches auf seinem Schilde nicht nur diese Worte trägt, sondern auch die schwarz-roth-goldene Fahne von seinem Giebel aus wehen läßt. An welchem Orte Deutschlands kann man jetzt noch diese Fahne so frei flattern sehen? Uebrigens ist in diesem deutschen Wirthshause nichts weiter deutsch, als der Kellner und die Zeitung, Speisen und Getränke sowohl als deren Preise sind vollkommen englisch. Die Zeitung, welche man hier findet, ist die kölnische. Für jede Nummer, welche man liest, muß man einen Sixpence (4 gGr.) deponiren, welchen man bei der Wiederabgabe des Blattes zurückerhält. Zu dieser Vorsicht ist der Wirth gewiß durch früheres „Punktiren“ der Soldaten gekommen.
Heute beginne ich mit einigen Nachträgen. Jene Offiziere vom dritten leichten Infanterieregimente, welche desertirt und in London wieder eingefangen worden waren, hatten, als ich meinen vorigen Bericht an Sie abschickte, ihr Urtheil noch nicht empfangen. Sie wurden später gefangen in’s Lager geführt, und am 14. November wurde ihnen vor den sämmtlichen hier anwesenden in Parade aufgestellten Truppen das Urtheil gesprochen, welches der Generalmajor von Stutterheim mit einer wahren Donnerstimme verkündete. Alle drei, von Woina, Rotzol und von Proczinsky (von Geburt Preußen) wurden infam kassirt und mit Schimpf und Schande von der Legion fortgejagt. Zwei von ihnen wurden nicht nur des Verbrechens der Desertion, sondern auch des Diebstahls für schuldig erklärt (richtiger wohl der Unterschlagung), indem sie Kompagniegelder, im Betrage von etwa 80 Pfund Sterling, mit sich fortgenommen. Zwei der Inkulpaten hatten auf der Flucht ihre Degen in’s Meer geworfen, „sie mögen dort rosten,“ sagte der General; der dritte Degen wurde Angesichts seinem frühern Inhabers vom Profoß zerbrochen. Als die Unglücklichen ihr Urtheil empfangen, wurden sie von einer geringen militärischen Bedeckung bis an das Ende des Exercierplatzes in der Richtung nach Hythe zu geführt, dann aber ihrem Schicksale überlassen.
Das Verbrechen der Geächteten erscheint um so auffallender und unverzeihlicher, wenn man erwägt, daß dieselben, oder mindestens zwei von ihnen, während der kurzen Zeit ihres Hierseins das rasche Avancement von Privaten (gemeinen Soldaten) bis zum Ensigne (Fähndrich, oder nach deutschen Verhältnissen Secondelieutenant) durchgemacht hatten. Ihre Strafe muß in den Augen eines jeden Offiziers als die schlimmste erscheinen, die sie treffen konnte, aber mit dem Maße der Offiziere messen bei weitem nicht alle Soldaten. Manche von diesen beneiden geradezu die Geächteten. „Nun haben sie ja, was sie wollten,“ ist eine Aeußerung, welche in Bezug auf dieselben unzählige Male gemacht worden ist. Gewiß hätte man besser gethan, die Unwürdigen, wenn man sie mit der Todesstrafe verschonen wollte, mit einer mehrjährigen Deportation zu bestrafen.
In Betreff des angeblichen Goedsche aus Berlin, muß ich Ihnen melden, daß das fragliche Individuum, welches sich übriegens Götsch nennt, von vielen Berlinern nicht für Gödsche, sondern für dessen Geistesverwandten Ohm, der im Prozeß Waldeck eine wo möglich noch zweideutigere Rolle spielte, gehalten wird. Daß der mysteriöse Götsch übrigens eine jener beiden berüchtigten Persönlichkeiten sei, daran zweifelt bei uns fast Niemand.
Am 10. November führte ein stationirtes Transportschiff 750 Mann (71/2 Kompagnie) vom zweiten Jägerregiment nebst einigen Kavalleristen von Helgoland hierher. Mit der Bildung der noch fehlenden 21/2 Kompagnien jenes Regiments wird auf Helgoland fortgefahren. Die Bildung des dritten leichten Infanterieregiments hierselbst ist vollendet, und man hat mit der Errichtung des vierten so eben begonnen. Sobald in Helgoland das zweite Jägerregiment kompletirt ist, wird man vermuthlich mit der Bildung des fünften leichten Infanterieregiments den Anfang machen.
Der Feldkaplan für die zweite Brigade ist angelangt. Es ist ein Herr Wilmans, früher Pastor-Adjunkt in irgend einem hannoverschen Orte. Der neue Feldprediger ist ein Mann von einnehmendem Aeußern, und, wie ich gute Gründe habe anzunehmen, der pietistischen Richtung, für welche hier durch unentgeltliche Austheilung von Traktätchen und Betgesängen fleißig gewirkt wird, nicht sehr zugethan.
In Verfolg des in meinem vorigen Schreiben erwähnten Vorfalls, welcher sich mit dem frühern berliner Constabler-Wachtmeister Kaiser zugetragen, kann ich Ihnen jetzt den durch denselben veranlaßten Regimentsbefehl vom 11. October mittheilen. Derselbe lautet: „Durch einen Zufall, welcher sich bei der an diesem Nachmittag stattfindenden Uebung mit Platzpatronen ereignete, empfing der Feldwebel Kaiser eine leichte Verwundung an der Schulter. Major Bathurst fühlt sich veranlaßt, dem ganzen Regiment zu versichern, daß er nach angestellter Untersuchung überzeugt ist, daß der Vorfall ein ganz zufälliger und wahrscheinlich durch die mit Bindfaden zusammengebundene auf das Pulver festgesetzte Patronenhülse veranlaßt worden ist. Major Bathurst glaubt, daß in der sechsten Kompagnie so wenig wie im ganzen Regimente ein Mann ist, der sich einer solchen feigen Handlung, als einen Angriff auf das Leben eines non commission officier, schuldig machen wird.“
Nachstehend lasse ich den Legionsbefehl vom 6. November folgen, die Einschiffung des ersten Jägerregiments nach Skutari betreffend: „Den Truppen der Legion wird hierdurch zur Kenntniß gebracht, daß das erste Jägercorps am 2. d. M. zu Skutari gelandet und dort von dem Brigadier Wooldridge in Empfang genommen worden ist. Das Corps hat auf der Ueberfahrt einen empfindlichen und beklagenswerten Verlust erlitten durch den Tod des Major Lettgau, eines durch die glänzendsten militärischen Eigenschaften ausgezeichneten Offiziers, dem in den Herzen Aller, die ihn kannten, stets das ehrendste Andenken bewahrt bleiben wird. Auch der Hauptmann Hake ist einem Leiden, das schon länger ihn heimsuchte, auf der Seereise erlegen.“
Zu den beunruhigenden Gerüchten, mit welchen die hiesige Luft geschwängert ist, gesellte sich in diesen Tagen auch das, daß das erste leichte Infanterieregiment, welches etwas später als das erste Jägerregiment von Portsmouth eingeschifft wurde, Schiffbruch erlitten habe und mit Mann und Maus untergegangen sei. Am [658] 16. November ist jedoch eine Depesche hier angelangt, nach welcher das erste leichte Regiment in Malta gelandet sei, von dort aber nach kurzem Aufenthalt dem ersten Jägerregimente nach Skutari folgen werde.
In meinem nächsten Schreiben werde ich Ihnen die Offizierlisten der verschiedenen Regimenter mittheilen, die vielleicht nicht ohne Interesse für manchen Freund und Bekannten im Vaterlande sein dürfte.
- ↑ Wir geben die Mittheilungen des jungen Mannes, eines braunschweiger Landeskindes, ohne Abänderung, ganz in der schlichten Weise, wie sie geschrieben sind. D. Redakt.
- ↑ Steht es mit dem Selbstgefühl in den obern Schichten in den meisten Fällen besser? Moralische Prügel nehmen sie mit derselben Ruhe hin, wie jene die Faustschläge.D. Red.