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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Aus dem Reiche Emin Paschas
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 616–621
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Emin Paschas Ausharren als Gouverneur im Sudan während des Mahdi-Aufstands
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Aus dem Reiche Emin Paschas.

Ein zeitgeschichtlicher Rückblick von C. Falkenhorst.

Das Land der schwarzen Menschen, der ägyptische Sudan, beschäftigte seit jeher die öffentliche Meinung Europas. Ein Räthsel- und Fabelland war es in früheren Zeiten, und wunderbare Nachrichten dringen zu uns auch heute aus der Hauptstadt jenes Landes; wir erfahren, daß ein tapferer Christengeneral in der Gefangenschaft des falschen Propheten das Sklavenjoch trage, dem Mohammedaner den Steigbügel halten müsse, wenn sich dieser auf sein Roß schwingen wolle; wir hören, daß gefangene Nonnen, die einst in der Mission wirkten, auf den Straßen von Chartum elend ihr Dasein fristen – Gerüchte melden, daß dort ein „weißer Pascha“ erschienen sei und auf Chartum marschire – und wir wissen, daß ein deutscher Arzt (Dr. Eduard Schnitzer), der berühmte Emin Pascha, im fernen Süden ein Land halte und vertheidige, welches die betheiligten Regierungen Aegyptens und Englands längst aufgegeben haben.

Das sind Nachklänge jener Katastrophe, welche einst die civilisirte Welt mit tiefem Schmerz erfüllte, als am 26. Januar 1885 Gordon und mit ihm Chartum gefallen war. Die europäische Kultur wurde damals in jenen Gebiete sozusagen von dem Halbmond aufs Haupt geschlagen und der ägyptische Sudan auf Jahrzehnte verloren. Wie die Hauptstadt, so fiel auch eine Provinz nach der andern in die Hände der Rebellen, nur die Aequatorprovinz wußte sich zu halten, nur am oberen Nil hielt Emin Bey die ihm anvertraute Fahne aufrecht.

Aber die, für die er stritt und litt, die Regierungen Aegyptens und Englands, hatten auch ihn aufgegeben, und von jener Seite geschah gar nichts, um ihn zu befreien.

Gleichzeitig mit Emin Pascha schwebte der bei ihm weilende Afrikaforscher Dr. Wilhelm Junker in Gefahr, und zu dessen Befreiung wurde von deutscher Seite eine Rettungsexpedition ausgerüstet. Dr. G. A. Fischer, unseren Lesern als Mitarbeiter der „Gartenlaube“ bekannt, war ihr Führer; er mußte jedoch unverrichteter Dinge heimkehren und starb bald darauf in Berlin infolge der Strapazen.

Von anderer Seite wurde inzwischen eine Befreiungsexpedition in großem Stil ausgerüstet und der berühmte Stanley übernahm die Führung derselben. Ein eigenthümliches Dunkel schwebt über den Zielen dieser Expedition, welche augenblicklich verschollen ist.

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Chartum.
Nach einer englischen Vorlage gezeichnet von R. Püttner.

[618] Inzwischen war Dr. Junker nach Deutschland zurückgekehrt und brachte Nachrichten von unserem Landsmann; es wurde eine festere Verbindung zwischen der Aequatorprovinz und der ostafrikanischen Küste hergestellt, und wir wissen heute, was Emin Pascha geleistet, wie er sich zu halten wußte und welche Dienste er der Wissenschaft und der Kultur erwiesen.

Die „letzten Nachrichten“ aus jenem fernen Lande datiren allerdings immer um Monate zurück, und wie sich die Verhältnisse gerade in den letzten Monaten gestaltet haben, das ist uns noch völlig unbekannt. Nur die eine Annahme scheint gerechtfertigt zu sein, daß Stanleys „Befreiungszug“ mißglückt ist, und daraus ergiebt sich für die civilisirte Welt die Pflicht, auf eine andere Weise dem tapferen Emin Pascha beizustehen.

Das Gefühl dieser Pflicht ist in Deutschland besonders rege geworden. Während wir diese Zeilen schreiben, scheint das Zustandekommen einer neuen deutschen Expedition nach der Aequatorprovinz gesichert zu sein. Sie soll von der Ostküste Afrikas, von den Besitzungen der deutsch-ostafrikanischen Gesellschaft aus vordringen. Ihr Zweck besteht nicht in der Heimführung Emin Paschas, der auch jetzt sein Reich nicht verlassen will, sondern darin, ihn in seiner Position zu stärken und durch Gründung von Stationen ihm eine stete Verbindung mit der civilisirten Welt zu sichern.

Das Interesse an dieser Expedition ist so allgemein, die Sympathien für Emin Pascha sind überall so warm, daß unsere Leser es gewiß gern sehen werden, wenn wir im Nachstehenden jenes eigenartige Land und die aufopferungsvolle Thätigkeit Emins zu schildern versuchen.

Vor etwa zehn Jahren wurde der ägyptische Sudan, ein Ländergebiet, das in seiner Größe den Territorien von Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Frankreich gleichkommt, von Gordon organisirt und unter den Provinzen, in welche dieses Reich getheilt wurde, bildete Hat-el-Estiva, die Aequatorprovinz, die südlichste. Sie umfaßte die Gebiete, welche an dem oberen Nil, am Bahr-el-Gebel, gelegen sind. Im Norden reichte sie bis zu dem Kitschlande hinauf, im Süden erstreckte sie sich bis zu dem See Albert-Nyanza und umfaßte das Monbuttuland; im Westen grenzte sie an die Länder des Gazellenflusses. Man wird nicht zu hoch greifen, wenn man sagt, daß diese Provinz etwa so groß war wie das Königreich Preußen. Im Jahre 1878 wurde Dr. Schnitzer, damals noch Emin Effendi, von Gordon zum Mudir, das heißt Gouverneur, von Hat-el-Estiva und zum Bey befördert.

Dr. Schnitzer war schon damals kein Neuling in afrikanischen Angelegenheiten. Er ist Schlesier von Geburt und erblickte zu Oppeln am 28. März 1840 das Licht der Welt. Seine medicinischen Studien hatte er in Berlin beendet, die Sucht nach dem Unbekannten und seine Vorliebe für die Naturwissenschaften trieben ihn in die Ferne. Schon im Jahre 1864 verließ er Berlin und begab sich nach der Türkei. Hier fand er Aufnahme im Gefolge des damaligen Vali Muschir Divitschi Ismael Hakki Pascha, mit dem er die verschiedenen Provinzen des weiten türkischen Reiches, Armenien, Syrien und Arabien, bereist hat. Im Jahre 1873 starb sein Gönner und Dr. Schnitzer kehrte auf kurze Zeit nach Deutschland zurück. Aber schon im Jahre 1876 sehen wir ihn unter dem Namen Dr. Emin Effendi in Diensten der ägyptischen Regierung, welche ihn dem Generalgouverneur des Sudans zur Verfügung stellte. Ueber seinen Namenswechsel hat er bereits im Jahre 1871 aus Trapezunt an seine Schwester geschrieben: „Auch hier in Trapezunt hat mich mein Glück nicht verlassen und ich habe mir schnell als Arzt einen Ruf erworben. Dazu kommt, daß ich des Türkischen und Arabischen mächtig geworden wie selten ein Europäer, daß ich mir Sitten und Gebräuche so angeeignet habe, daß hinter dem türkischen Namen, der mich deckt (keine Furcht, es ist nur der Name und ich bin nicht Türke geworden!), kein Mensch einen ehrlichen Deutschen vermuthet.“

Gordon Pascha erkannte sofort den Werth des ihm zur Verfügung gestellten deutschen Arztes; er betraute ihn zunächst mit Inspektionsreisen durch die neu erworbenen Gebiete und mit Missionen nach Uganda zu dem berühmten König Mtesa, bis er ihm schließlich die hohe Stellung verlieh, in der sich Emin bis jetzt befindet.

Wie war das Land beschaffen, dessen Verwaltung er übernahm?

Um die Lage der Dinge, unter denen er zu wirken hatte, kennen zu lernen, müssen wir zunächst einen Rückblick auf die Vergangenheit des ägyptischen Sudan werfen.

Am Anfange dieses Jahrhunderts war jenes Land noch völlig unbekannt; allmählich wurde es von Aegypten aus entdeckt und erobert. Schon in früher Zeit fand man einen natürlichen Stützpunkt für das spätere Vordringen. Dort, wo sich der Weiße und Blaue Fluß vereinigen, lag auf einer Landspitze, die den Namen Ras-el-Chartum (Ende des Elefantenrüssels) trug, ein kleines Fischerdorf. Die vorzügliche strategische Lage des Ortes entging nicht der Aufmerksamkeit der türkischen Befehlshaber, und so wurden hier im Jahre 1823 zunächst Strohhütten für türkische Soldaten erbaut. Das Feuer verzehrte sie bald und man baute Lehmhäuser. An das Lager schlossen sich bald Bazars und Moscheen an. Chartum wuchs zu einer Stadt heran und schon im Jahre 1830 war es die Hauptstadt des ägyptischen Sudan. Es ist mit seinen 40 000 Einwohnern bis jetzt diese Hauptstadt geblieben, es war bis zum Machdiaufstande der Sitz der europäischen Kousuln und der Knotenpunkt des nordostafrikanischen Handels mit Elfenbein und Sklaven, mit Straußenfedern und Gummi und auch mit wilden Thieren für zoologische Gärten und Menagerien.

Unsere Illustration veranschaulicht uns diese Stadt zu jener Zeit, da noch Gordon in ihr residirte. Sie liegt in einer öden, strauchlosen Sandebene, von einem Erdwall umgeben und birgt große, mit Citronenbäumen und Palmen bepflanzte Gärten in ihrer Mitte. Die schmutzig grauen Häuser sind aus Luftziegeln erbaut, und von bemerkenswerthen Gebäuden sind nur zwei nach europäischer Art gebaute Regierungspaläste, eine katholische und eine koptische Kirche, eine Moschee und eine Missionsanstalt nebst Schule zu nennen.

Von Chartum aus fuhren die ägyptischen und europäischen Entdeckerbarken nilaufwärts, und namentlich war es der Weiße Nil, auf dem die meisten Fahrten unternommen wurden. Nebenströme wurden entdeckt und im Jahre 1853 befuhr J. Petherick zum ersten Male den Gazellenstrom, an dessen vielverzweigten Gewässern jetzt der „weiße Pascha“ erschienen sein soll.

Der Elfenbeinreichthum des neu entdeckten Landes hatte in früher Zeit Händler herangelockt. Anfangs gab es herrliche Zeiten für die türkischen Spekulanten. Glasperlen, Kupferplatten, Armspangen waren bei den Negern gern gesuchte Artikel, und man konnte gegen 5 bis 10 sogenannte Taubeneier (große Milchglasperlen) einen Elefantenzahn von 80 Pfund und mehr eintauschen; ja, selbst ein Sklave konnte dafür gekauft werden.

In diesen Verhältnissen trat rasch eine Aenderung ein. Der Sudan wurde mit Glasperlen etc. überschwemmt, so daß diese Artikel beinahe werthlos wurden; der Werth der Sklaven aber wuchs immer mehr und dies veranlaßte die Spekulanten, auch Sklavenhandel und Sklavenjagden einzuführen.

Bewaffnete Expeditionen drangen in das Land ein. Plötzlich wurde eine Ortschaft überfallen; die Plünderer machten alles nieder, was sich zur Wehr setzte, trieben Menschen und Vieh bis zum nächsten Stamm fort und tauschten hier die Rinder gegen Elfenbein aus, während sie die Sklaven nach Chartum führten.

1855 hatte der Vicekönig Saïd Pascha diesen Sklavenhandel verboten und dies führte zu einer neuen Organisation des Elfenbeinhandels.

Die europäischen und türkischen Spekulanten sandten Elefantenjäger nach den betreffenden Gebieten, welche hier Seriben, d. h. Handelsstationen, gründeten. Die Elefantenjagd entsprach jedoch nicht den gehegten Erwartungen, und so wurden die Seriben zu neuen Stützpunkten eines organisirten Vieh- und Menschenraubes. Man muß leider gestehen, daß anfangs die Herren Europäer den Türken und Arabern darin mit „gutem“ Beispiel vorangingen.

Die Seriben der Elfenbeinhändler, welche mit starken Palissadenzäunen oder Dornenhecken umgeben wurden, bildeten eine Art von Raubburgen und manche von ihnen waren so mächtig geworden, daß sie selbst der ägyptischen Regierung trotzen durften.

Eine der mächtigsten vielleicht war die Seriba Sibers, welche Schweinfurth in anschaulicher Weise geschildert hat.

Siber, ein Nubier von Geburt, war ursprünglich Schreiber bei einem Elfenbeinhändler, begann zunächst kleine Geschäfte auf seine eigene Hand zu treiben, hatte Erfolg auf Erfolg, legte eine Seriba nach der andern an und erlangte eine solche Macht, daß er lange Zeit der eigentliche Herrscher in den Ländern am Gazellenflusse war. Seine Hauptseriba oder Residenz hieß Dem Siber; sie lag auf einem Abhange und war von einem Pfahlwerk von 200 Schritt im Geviert umgeben. Rings um sie erhoben sich Hunderte von [619] Hütten und Gehöften, in welchen eine ägyptische Garnison lag und in denen die kleineren Sklavenhändler, die Danagla, sich unter den Augen der „Beamten“ zu sammeln pflegten, um hier ihre Geschäfte abzuwickeln. Die Zahl derselben in Dem Siber betrug im Jahre 1870 während der Anwesenheit von Schweinfurth gegen 2000! Schweinfurth selbst zog es vor, bei Siber und nicht bei dem ägyptischen Kommandanten Gastfreundschaft zu suchen.

Es ist selbstverständlich, daß die Seribenbesitzer, die ja eigentlich Räuber waren, über eine bewaffnete Macht verfügen mußten. Sie bildeten ihre Truppen aus jüngeren Negersklaven, und so entstand in dem ägyptischen Sudan ein Soldatencorps, welches unter dem Namen „Basinger“ zu einer wahren Plage des Landes wurde. Die Basinger, mit Feuerwaffen ausgerüstet, erhielten ihren „Sold“ in Naturalien und jeder von ihnen hatte seinen eigenen Hausstand, eine oder auch mehrere Sklavinnen und mitunter auch männliche Sklaven. Siber allein verfügte über eine Basingertruppe von 1000 Mann.

Die Seribenbesitzer fühlten sich als unumschränkte Herren in ihren Gebieten und legten den Negern besondere Abgaben an Korn und Nahrungsmitteln auf. Die Neger waren so zu sagen die Honigbienen, welche für die Drohnen arbeiten mußten.

Außer diesen „großen“ Sklavenhändlern gab es im Sudan eine Anzahl von kleinen Leuten, die gleichfalls vom Sklavenhandel lebten, die schon erwähnten Danagla oder Dongolaner, welche mit einem Esel, der die Waarenlast trug, das Land durchzogen und Pulver und Stoffe gegen Sklaven eintauschten. Die gastfreundliche Aufnahme, welche in den sudanischen Seriben jedem zu theil wurde, machte es ihnen möglich, weiteste Strecken zu bereisen; denn das Reisen kostete die Danagla gar nichts; überall erhielten sie freies Obdach, Nahrung für sich und Futter für ihre Esel.

Das Verbot des Sklavenhandels, welches die ägyptische Regierung erlassen hatte, wurde nur an der großen Nilstraße aufrecht erhalten. Diese wurde auch darum von den Sklavenhändlern gemieden und um so üppiger wucherte das Unkraut auf allen entfernteren Landwegen. Die Gegenwart ägyptischer Beamten verhinderte das Treiben nicht; denn diese ließen sich leicht bestechen und machten auch Sklavengeschäfte auf eigene Hand. Ja, die Danagla freuten sich, wenn sie mit solchen Beamten zusammenkamen, da sie in ihnen nur zu oft gute Käufer fanden.

Wir wollen nur einen dieser Beamten schildern, den Schweinfurth in dem ägyptischen Lager vor Dem Siber kennen lernte. Er ist eine typische Erscheinung.

Ibrahim Effendi bekleidete in dem Lager das Amt eines obersten Schreibers und Rechnungsführers. Seine Lebensgeschichte war eine fortlaufende Kriminalgeschichte; denn er hatte sich wiederholt die unglaublichsten Schwindeleien und Betrügereien zu Schulden kommen lassen. Ursprünglich ein Subalternbeamter in einem der ägyptischen Ministerien, hatte er unter Saïd Paschas Regierung das vicekönigliche Siegel gefälscht, um eine Ordre zu fingiren, welche ihn zum Chef eines neu zu formirenden Regiments in Oberägypten ernannte und der Lokalregierung alle Ausgaben behufs Aushebung und Equipirung der Truppen anbefahl. Er hatte die Frechheit, diese Ordre persönlich dem Gouverneur der Provinz zu präsentiren und sich als Regimentsoberst zu geriren. Nur wer die Unordnung und Willkür kennt, welche in allen Zweigen der Verwaltung Aegyptens unter Saïd Pascha herrschte, wird das Beispiellose dieses Betrugs für möglich halten können. Zwei Monate nach der vollzogenen Neubildung des Regiments traf es sich zufällig, daß der Vicekönig eine Nilfahrt stromaufwärts machte, und als er am Ufer so vieler Soldaten ansichtig wurde, erkundigte er sich nach der Nummer ihres Regiments und dem Zweck ihres Hierseins. Wer beschreibt die Ueberraschung Saïd Paschas, als er von einem Regimente hörte, dessen Existenz ihm bisher unbekannt geblieben! Der herbeigeholte Ibrahim warf sich dem Fürsten alsbald zu Füßen und flehte, seine Schuld bekennend, um Gnade; der gutmüthige Saïd, dessen Gewohnheit es war, sich nie zu ärgern, ließ es mit der Verbannung nach Chartum und einigen Jahren Gefängniß bewenden. Kaum aber hatte unser Held Ibrahim die Freiheit wieder, so begann er auch schon in seiner neuen Eigenschaft als Schreiber in einer sudanischen Winkelbehörde die Betrügereien und Unterschleife von neuem, ging mit Kasse und Geldern durch, wurde erwischt und nun nach Faschoda am Weißen Nil gebracht, als dem sichersten Platze des Gewahrsams für gefährliche Leute seiner Art. Es gelang ihm jedoch, wieder eine Regierungsanstellung zu erhalten, und er war bald, wie Schweinfurth sagt, auf dem besten Wege, seine alten Armeereorganisationsgelüste von neuem zu befriedigen.

Das waren die Fremden und Beamten, welche sich in diesem Lande niedergelassen hatten – ein Abschaum der ägyptischen Bevölkerung, ein Gesindel im wahrsten Sinne des Wortes.

So lagen die Verhältnisse, als Anfang der siebziger Jahre die ägyptische Regierung, um dem schmählichen Handel ein Ende zu machen, diesen monopolisirte und die Seriben auf ihre Rechnung übernahm, nachdem sie die Besitzer entschädigt hatte.

Colonel Gordon wurde nach dem Sudan geschickt, um dort Ordnung zu schaffen.

Die Zeit hat aber gelehrt, daß Gordon seine schwierige Aufgabe auf die Dauer nicht durchführen konnte. Wohl gelang es, zeitweilig die Macht der wieder aufsässig gewordenen Seribenbesitzer und der Dongolaner zu brechen, wie dies der Feldzug Gessis gegen Soliman Siber beweist; wohl hatten die Neger, von der Regierung mit Feuerwaffen ausgerüstet, mehr als einmal sich blutig an den Sklavenhändlern gerächt; aber es gährte immerfort im Sudan, die Verhältnisse waren im großen und ganzen dieselben geblieben, die ägyptischen Beamten nicht besser geworden, und mit allen diesen Schwierigkeiten hatte auch Emin zu kämpfen, als er zum Gouverneur von Hat-el-Estiva befördert wurde.

Werfen wir einen Blick auf die Landkarte des ägyptischen Sudan, so erscheint uns die Lage der Aequatorprovinz trotz ihrer weiten Entfernung besonders günstig, da sie von einem großen Strome, dem Weißen Nil, durchschnitten wird. Die Schiffbarkeit des Stromes wird jedoch von Redjaf bis Dufile durch Stromschnellen unterbrochen und von Zeit zu Zeit bilden sich auf ihm die sogenannten Grasbarren, Anhäufungen von allerlei Schilf- und Graspflanzen, welche allen Schiffen die Passage unmöglich machen. Die Bedeutung der Wasserstraße für den Verkehr wird am besten durch die Statistik klargelegt, laut welcher während sechs Jahren nur neunmal ein Dampfer von Chartum nach Ladó, der Hauptstation der Aequatorprovinz, gekommen war.

Emin Pascha war auch in seinem Bezirk auf den Transport zu Lande angewiesen, und in jenen Theilen von Afrika giebt es keine Straßen in unserem Sinne; wir finden hier nur schmale ausgetretene Pfade, auf welchen die Karawanen hin und her ziehen.

Auch Transportthiere fehlen fast gänzlich in der Aequatorprovinz; der Neger ist hier das Transportmittel, alle Waaren und Lebensmittel muß er auf seinem Rücken befördern.

Die ägyptische Regierung hatte nun auch in der Aequatorprovinz eine Reihe von Stationen errichtet, welche den Negern Schutz gewähren sollten; dafür aber mußten die Neger Abgaben zahlen, namentlich das nöthige Korn liefern. Trat nun in einer Station und deren Umgebung Mangel an Lebensmitteln ein, so mußte eine günstiger gestellte aushelfen. Da wurden so und so viele Negerträger aufgeboten, jedem wurde eine Traglast von 50 bis 60 Pfund aufgeladen, und nun mußte die Karawane oft sechs bis acht Tagemärsche zurücklegen.

Kleinere Beamte erlaubten sich bei derartigen Kontributionen Ausschreitungen. Kein Wunder also, daß die Neger auch die Aegypter verwünschten und ihre Herrschaft loszuwerden trachteten.

Emin Pascha war redlich bestrebt, diese Abgaben gerecht zu vertheilen und die Neger besser zu behandeln. Gänzlich konnte er jedoch das System nicht aufheben und von einer völligen Versöhnung der Schwarzen konnte nicht die Rede sein. Dabei hatte er nicht einen einheitlichen Stamm zu regieren. Die Völkerkarte seiner Provinz ist recht bunt; da wohnen im Norden die kriegerischen, viehzüchtenden Dinka, welche ihre Selbständigkeit niemals ganz aufgegeben hatten. Im Centrum des Reiches sitzen die Bari, welche Jahrzehnte hindurch ausgeplündert wurden und leicht zu Aufständen sich hinreißen lassen. Besser ist es im Süden bestellt, der zugleich die Kornkammer der Provinz bildet; aber auch hier begegnen wir einer ganzen Anzahl von Völkern, den Schuli, den Luri, den Monbuttu etc. Es muß in der That eine Riesenaufgabe genannt werden, in diesem Völkergemisch, welches noch von Tausenden von Danagla und Fakihs durchsetzt ist, mit Hilfe eines elenden Beamtenthums Ordnung zu schaffen!

Dank Emins Energie begannen sich die Verhältnisse aber doch zu bessern, namentlich in ökonomischer Beziehung war der [620] Zustand der Provinz ein vollkommen befriedigender geworden; da wurde seine Thätigkeit durch den Machdiaufstand unterbrochen.

Aber bevor noch die Truppen des falschen Propheten gegen Bahr-el-Ghasal und Hat-el-Estiva vorrückten, brachen in diesen Provinzen kriegerische Verwickelungen aus.

Abd-el-Kader Pascha, der Generalgouverneur vom Sudan, verlangte, da er vom Machdi bedrängt wurde, die Stellung von 7000 Negern, welche Lupton Bey, Gouverneur von Bahr-el-Ghasal, beschaffen sollte. Lupton Bey, der vor kurzem in der Gefangenschaft der Machdisten gestorben sein soll, mußte dem Befehl nachkommen. Aber welche Mittel mußten angewandt werden, um diese Zahl zu erlangen! Dr. W. Junker sah selbst in einer Station mehrere hundert dieser Unglücklichen, Knaben von 15 Jahren und ältere Männer, gekettet, in die Halsgabel eingezwängt! Eine solche „Rekrutirung“ überstieg doch wohl die gewöhnlichen Thaten der Sklavenräuber; kein Wunder, daß die Dinkaneger zu den Waffen griffen und, von den Machdisten unterstützt, die Macht Lupton Beys schwächten, bis er selbst, von seinen Soldaten verrathen, sich dem Machdistenführer Karamallah ergeben mußte. Der Aufstand der Dinka breitete sich auch auf die Aequatorprovinz aus und trug viel dazu bei, daß der Norden derselben unhaltbar wurde.

Da kam eine Hiobspost nach Ladó. Karamallah theilte Emin Bey die Gefangennahme Lupton Beys mit und forderte Emin Bey auf, seine Provinz zu übergeben und sich bei ihm in Person einzufinden. In einer Sitzung der höheren Beamten wurde die Unterwerfung beschlossen; Emin Bey wollte selbst zu Karamallah reisen und gab sogar den Befehl, sein in Makraka befindliches Maulthier direkt nach Amadi zu schicken, um es von dort reiten zu können.

Nach und nach trat jedoch eine kühlere Beurtheilung der Verhältnisse ein, und am 3. Juni 1884 verließ nur eine Kommission ohne Emin Bey Ladó, um die Unterwerfung anzuzeigen. Thatsächlich aber erfolgte diese nicht, und bald kam es im Norden der Provinz zu Kämpfen mit den Machdisten, die jedoch nach der Eroberung von Amadi wieder abzogen.

Die Geschichte dieser Kämpfe, in denen Verräther und Ueberläufer ihre Rolle spielen, in welchen Soldaten betrunkene Führer durch Tapferkeit beschämen, ist einzig in ihrer Art. Richard Buchta hat sie in dem jüngst erschienenen Werke „Der Sudan unter ägyptischer Herrschaft“ durch Mittheilung der Briefe Emin Paschas und Lupton Beys zu skizziren gesucht und auch die Berichte Emin Paschas an Schweinfurth geben ein getreues Bild derselben.[1] Nach dieser Schilderung der Verhältnisse können wir uns annähernd in die Lage Emin Paschas versetzen. Nach und nach konzentrirte er seine Macht in dem südlichen Theile der Provinz und hält augenblicklich den schmalen Streifen Landes von Redjaf bis Albert-Nyanza besetzt. Seine „Hauptstadt“ ist jetzt Wadelai, das näher der Kornkammer im Schulilande liegt als das unwirthliche Ladó, welches zuletzt ganz aufgegeben wurde.

Die schlimmste Zeit für Emin Pascha waren die drei Jahre, da er auf seinem verlorenen Posten von Europa gänzlich abgeschnitten war und nur durch Ueberläufer, Spione oder Briefe der Machdisten, die ihn wiederholt aufforderten, sich zu ergeben, Nachrichten über die Ereignisse im Sudan erhielt. Die Nachrichten waren manchmal recht eigenartig. So erzählte z. B. ein Mann, der von Kordofan gekommen war, daß vor seiner Abreise der Machdi seinen Leuten einige geschlossene Körbe gezeigt und gesagt habe, vor vier Tagen sei Gordon an der Spitze von 60 000 Mann, mit Geld und allem reich versehen, von Aegypten abgegangen und komme, um sich mit ihm zu messen. In den Körben seien die Seelen dieser 60 000 Mann – 20 000 werde die Erde verschlingen, andere 20 000 würden in die Lüfte verschwinden und der Rest sich zu ihm, dem Machdi, schlagen.

Diese Nachricht erhielt Emin im Juni 1884 und im April des nächsten Jahres empfing er Briefe vom Emir Karamallah, in welchen der Fall von Chartum und der Tod Gordons, des Feindes Gottes, gemeldet und Emin aufgefordert wurde, zu Karamallah zu kommen und ihn zu begrüßen.

Emin beeilte sich jedoch keineswegs, dieser Aufforderung Folge zu leisten, und Karamallah zog, nachdem er zum Fall Chartums 75 Kanonenschüsse abgefeuert hatte, mit vielen Tausenden von Sklaven von der Aequatorprovinz ab. Emin Bey organisirte indessen seine Provinz auf militärischer Grundlage. „Wir arbeiten,“ schrieb er, „Tag und Nacht, um das Wenige, was uns an Waffen geblieben, in Ordnung zu bringen, d. h. aus 10 alten Gewehren vielleicht 2–3 brauchbare herzustellen. Ich hoffe, in kürzester Zeit im ganzen über etwa 2500 brauchbare Gewehre verfügen zu können.“

Auch nach dem Rückzug der Machdisten gab es um Ladó Kämpfe mit den Dinka und Bari; nach und nach hatten sich jedoch die Verhältnisse geklärt, unfriedliche Elemente wurden abgestoßen oder sonderten sich selbst aus, und zwischen dem besseren Theile der Zurückgebliebenen entfaltete sich ein größeres Vertrauen.

Emin konnte im April 1887 schreiben: „Bei uns ist alles beim Alten. Wir säen, ernten, spinnen und leben in den Tag hinein, als ob das ewig so dauern könnte.… Ich verlasse keineswegs meine Leute. Wir haben trübe und schwere Tage mit einander durchgemacht, und ich hielte es für schamvoll, gerade jetzt von meinem Posten zu desertiren. Meine Leute sind trotz vieler Mängel brav und gut.“

Im März 1886 erhielt auch Emin Nachrichten von seiner ägyptischen Regierung über Sansibar. Es ist interessant, zu erfahren, wie er sich in einem Briefe an Schweinfurth darüber äußerte:

„Die ägyptische Depesche, französisch geschrieben, sagt mir, daß es dem Gouvernement unmöglich sei, uns beizustehen, da man den Sudan aufgebe, und giebt mir carte blanche bezüglich der zu ergreifenden Maßregeln, falls ich mich entschlösse, von hier fortzugehen; bewilligt mir auch Kredit beim englischen Generalkonsul in Sansibar. Eine kühle Geschäftsdepesche im vollen Sinne des Wortes – nicht ein Wort der Anerkennung für drei Jahre Sorgen und Kämpfe mit Danagla und Negern, Hunger und Nacktheit; nicht ein Wort der Aufmunterung zu der mir bevorstehenden übermenschlichen Arbeit, die Soldaten heimzuführen. Ich bin übrigens an dergleichen gewöhnt. Als ich in den Jahren 1878 bis 1880, während durch 22 Monate der Fluß verstopft war, Land und Leute zusammenhielt und zum ersten Male zeigte, daß es möglich sei, uns durch eigene Kräfte ohne jede Zufuhr von Chartum zu erhalten, als ich dem Gouvernement in jener Zeit nicht allein Ersparnisse machte, sondern auch praktisch bewies, daß die Provinz bei regelrechter Verwaltung ihre Ausgaben decken und noch Ueberschüsse liefern könne, als ich begann, Reis und Zucker zu pflanzen, die Verwaltung zu ordnen, die Provinz zu erweitern: wer hat da auch nur ein gutes Wort für mich gehabt? Passons là-dessus! Der verstorbene Serdar Ekram Omer Pascha sagte mir einst, daß man im Orient, um Anerkennung zu finden, entweder mächtige Protektionen, oder viel Geld, oder eine hübsche Frau haben müsse; sollte er recht gehabt haben?“

Auch nach der Abreise Dr. W. Junkers ist Emin nicht der einzige „Franke“ in der Aequatorprovinz unter Negern, Türken und Kopten geblieben. Der italienische Afrikareisende Casati hielt sich bei ihm auf; aber auch er verließ die Aequatorprovinz, allerdings mit der Absicht, seinem Freunde Emin zu dienen. Emin mußte alles dran setzen, um an der Südgrenze seines Reiches bessere nachbarliche Verhältnisse zu erhalten, und so ging Casati zu Kabrega, dem Herrscher von Unyoro, um an dessen Hofe sozusagen die Rolle eines Gesandten von Emin zu spielen und zugleich den Weg zur Ostküste offen zu halten.

So spielt sich, wie wir nur anzudeuten vermochten, im fernen Sudan ein Stück Weltgeschichte ab, reich an Schlachten, Siegen und Niederlagen und ebenso reich an diplomatischen Intriguen an den Höfen brauner Cäsaren. Bewundernd aber müssen wir zu dem Manne emporblicken, welcher sich selbst „Der Getreue“ (Emin) genannt hat und mit aufopferungsvoller Treue in allen diesen Wirrnissen Stand zu halten weiß.

Durch Englands kurzsichtige und engherzige Politik ist der Nordweg nach dem ägyptischen Sudan vielleicht für Jahrzehnte der Kultur verschlossen worden. Hoffen wir, daß es deutscher Thatkraft gelingen wird, von Süden her das Land von neuem zu erschließen. Hoffen wir, daß Emin ausharre, bis ihm deutsche Landsleute Hilfe bringen, und daß es uns vergönnt sein werde, einmal an dieser Stelle den frohen Augenblick zu schildern, wo unter Salven der schwarzen Karawanen die Fahnen Emins am fernen Nil die Standarten der deutschen Rettungsexpedition begrüßen!

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Emin Pascha.


  1. Vergl. „Emin Pascha“. Herausgegeben von Dr. Schweinfurth und Dr. Ratzel (Leipzig, F. A. Brockhaus, 1888).