Aus dem Leben eines Verbannten

Textdaten
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Autor: Daniel von Kászony
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Titel: Aus dem Leben eines Verbannten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 584–587
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aus dem Leben eines Verbannten.
Von Daniel von Kászony.

Zu den Männern und Führern in großen Völkerbewegungen, welche von den verschiedenen Parteien entweder mit Koth beworfen, oder bis über die Wolken erhoben worden sind, gehört auch Ludwig Kossuth, der ehemalige Gouverneur Ungarns. Es kann nicht meine Absicht sein, den Lesern eine Biographie Kossuth’s darzubieten, ist doch dessen Wirken und namentlich die Rolle, welche er in den Märztagen von 1848 gespielt hat, allgemein bekannt. Auch enthalte ich mich jedes Urtheils über Kossuth’s neuere und neueste politische Agitationen, ich will nichts weiter als, wie es ja die Ueberschrift der Skizze darthut, einige Züge aus dem Leben des Verbannten zeichnen, wie ich solche zum großen Theile als Augen- und Ohrenzeuge wahrzunehmen Gelegenheit hatte.

Nach der Waffenstreckung Görgey’s bei Világos am 13. August 1849 floh Kossuth nach der Türkei, wo er zwei Jahre zu Kjutahia in Kleinasien internirt blieb. Seine Gattin folgte ihm dahin ebenfalls; seine Mutter, seine Kinder und seine Schwestern blieben zeitweilig gefangen in Ungarn. Im October 1851 kam Kossuth nach England und reiste von da nach Nordamerika. Nach seiner Rückkehr im Spätsommer 1852 ließ er sich in London häuslich nieder.

Hier hatte ich selbst oftmals Veranlassung, mit ihm zusammen zu treffen, ich diente ihm sogar im Jahre 1858 als Secretär, zur Zeit des Demokratencongresses zu London. Er benutzte mich hierzu wegen meiner ausgebreiteteren Sprachkenntniß und weil er meiner Discretion sicher war.

Kossuth arbeitete täglich von Morgen sechs Uhr bis spät in die Nacht hinein; er stand in Briefwechsel mit Victor Hugo, mit dem nordamerikanischen General Caß, mit den französischen Generalen Bedeau, Leflos und dem Obersten Charras in Brüssel, mit Nicolaus Kiß, seinem politischen Agenten in Paris, mit dem Oberst Bangya in Tscherkessien und anderen Häuptern der Volkspartei. An Freitagen ließ er Niemanden vor, weil dies der Tag der Correspondenz mit den Amerikanern war. Es war überhaupt nicht leicht, Zutritt zu ihm zu erlangen, eine ihn umdrängende Camarilla wußte den Eingang zu erschweren. Zuweilen traf man ihn im Kensingtongarten oder im Regentspark, und da war’s eigentlich allein möglich, offen mit ihm zu sprechen.

Kossuth’s Tisch war ebenso einfach wie seine Kleidung. Er trug stets dunkle Röcke und Beinkleider und einen niedrigen sogenannten Kossuthhut, wie dieser während seines Aufenthaltes in New-York zur Mode geworden war. Auch seine Gattin trug sich sehr einfach, gewöhnlich ganz schwarz, nur für Vilma’s, der Tochter, Toilette sorgten ihre Eltern besser; sie war stets nach der neuesten Mode und sehr geschmackvoll gekleidet.

Von den drei Kindern Kossuth’s war Vilma unstreitig das talentvollste und stets ein munteres, liebenswürdiges, anspruchloses Mädchen. Vilma, nebenbei bemerkt, eine wahrhafte Virtuosin am Piano, war eine kleine schlanke Brünette, mit funkelnden Augen, hatte ein kurzes, schmales Näschen und blutrothe etwas aufgeworfene Lippen mit wunderschönen weißen Zähnen. Sie war keine blendende Schönheit, doch konnte man sie nicht sehen, ohne von ihrer Anmuth eingenommen zu sein. Dazu besaß sie die schöne, klangvolle Stimme ihres Vaters und auch ganz sein Gemüth, nur ohne die Anwandlungen von Melancholie, zu welcher die Schicksalsschläge diesen oft herabstimmten. Wie sie sein Leibtöchterchen war, so schmiegte auch sie sich ihm besonders zärtlich an, während die beiden Söhne, wenn sie ein Anliegen an die Eltern hatten, sich eher an die Mutter wandten. Vilma hatte, wie es die Aerzte zu nennen pflegen, einen habitus phthisicus, d. h. ihre Körperbeschaffenheit neigte sich der Schwindsucht zu, und ihr junges Leben blühte auch bald ab.

Von den beiden Söhnen war der ältere, Franz, ein bescheidener Jüngling, der etwas schwerer lernte als Ludwig, jedoch die gelernten Gegenstände besser im Gedächtnisse behielt, als der mit einem schnelleren Fassungsvermögen begabte jüngere Bruder.

Eine Abendgesellschaft im Hause Kossuth’s war etwas sehr Seltenes; Kossuth entschloß sich schwer zu dergleichen, nicht aus Menschenscheu oder Ungeselligkeit, sondern weil schon die Vorbereitungen dazu ihn aus seiner Ruhe, aus seinen Gewohnheiten störten und weil Frau von Kossuth bei solchen Gelegenheiten frühzeitig [585] im ganzen Hause das Oberste zum Untersten kehrte. Alle Zimmer wurden dann gelüftet, damit der Tabaksdampf sich verflüchtige, denn Kossuth war ein starker Raucher; die Cigarre oder die Pfeife kam nicht aus seinem Munde, er konnte nur schreiben, wenn er dabei rauchte. Bei solchen Gelegenheiten verließ er in Begleitung seines Flügeladjutanten sein Haus, und Beide kamen erst zum Mittagsmahl zurück, um hierauf das Haus Nachmittags wieder zu verlassen und erst zur Soirée heimzukehren. Bei diesen Gesellschaften mußten sich die Kinder einer Art Prüfung unterziehen, Gedichte in englischer, ungarischer, französischer oder italienischer Sprache declamiren, und Vilma trug ihre neuesten Stücke am Piano vor. Außer den täglichen Gästen Kossuth’s kam jedoch selten ein Ungar zu diesen Abendgesellschaften.

In London gab es drei Parteien in der ungarischen Emigration; die eine, die Clique Pulszky, die geringste an Zahl, Bildung und Namen, bestand aus Menschen, welche für die von Pulszky hingeworfenen Brosamen ihn vergötterten und sich nie anmaßten, eine eigene Meinung zu haben. Die stärkste Partei war diejenige, welche mit allen Mitteln, jedoch vergeblich, Versöhnung zwischen Kossuth und der Emigration herbeizuführen suchte; zu ihr gehörten viele warme Patrioten, die in Kossuth den einzig möglichen Bannerträger für das Wiederaufleben Ungarns erblickten. Die dritte Partei endlich glänzte mit bedeutenden Namen, wie diejenigen Moritz Perczel’s, des Grafen Casimir Batthyány, des ehemaligen Premierministers Bartholomäus von Szemere, der Bischöfe Michael von Horváth und Hyacinth von Rónai und des Ministers Sabbas von Vukovics; sie hielt sich fern von Kossuth und war ihm in der Emigration ebenso feind, wie sie während der Revolution sein Wirken möglichst abgeschwächt hatte und ihn auch jetzt noch dem Volke zu entfremden sucht. Hätte sich Kossuth dem allgemein geäußerten Wunsche der ungarischen Emigration willfährig gezeigt und Pulszky von seiner Seite entfernt, so würde die letzterwähnte der drei Parteien ganz isolirt von der Emigration gestanden haben. Kossuth war indeß schwach genug, Pulszky nicht zu durchschauen, und so umgab derselbe ihn mit Leuten, die ihn später verriethen, seinen Namen im Auslande compromittirten und die sehr bedeutenden Unterstützungsgelder in nichtswürdigster Weise vergeudeten.

„Wem soll ich trauen,“ sagte Kossuth damals zu mir, „wenn meine ältesten Freunde, wie Pulszky, mich verrathen?“

„Man marschirt besser allein als in schlechter Begleitung,“ erwiderte ich. Wirklich verringerte sich auch Pulszky’s Einfluß seit jener Zeit bei Kossuth, leider war es aber zu spät, denn diesem schädlichen Einflüsse ist das Zerwürfniß Kossuth’s mit der Emigration zuzuschreiben.

Als Kossuth Ungarn verließ, hatte er kaum dreihundert Ducaten in Gold, und dieses Geld war beinahe verzehrt, als er und ein Theil der ungarischen Emigration zu Kjutahia internirt wurden; hier jedoch erhielt er monatlich achtzehntausend Piaster, wovon er seinen Haushalt anderthalb Jahr hindurch bestritt. Da aber sein Gefolge ein sehr zahlreiches war, so genügte diese Summe kaum.

Franz von Pulszky erhielt in England dreizehntausend Pfund Sterling zur Unterstützung hilfsbedürftiger ungarischer Emigranten. Als die Zahl derselben am stärksten war, genügten monatlich zweihundert fünfundzwanzig Pfund Sterling; mithin würde die obige Summe fünf Jahre hindurch ausgereicht haben, sie dauerte indeß nur siebenzehn Monate. Jeder der Emigranten wußte, wie stark die Einnahme, wie groß die Ausgabe sei, und es ist heute der schnelle Verbrauch einer so bedeutenden Summe noch nicht aufgeklärt.

Gegen das Ende des Jahres 1853 wurde Kossuth von der Redaction der „Sunday Times“ aufgefordert, derselben Artikel zu liefern. Er nahm den Antrag an und erhielt jeden seiner Artikel mit zwanzig Guineen honorirt. Damit war jedoch sein Haushalt erst zur Hälfte gedeckt; dies genügte also nicht, und er nahm später den Antrag einer anderen Redaction, der des „Atlas“, mit monatlich einhundert und zwanzig Guineen an; das Blatt erhielt sich jedoch nicht, und folglich waren die Geldquellen von dieser Seite her bald wieder versiecht.

Als Kossuth aus Nordamerika nach London zurückkam, wurde ihm ein gewisser Pöhnisch, ein ehemaliger Kaufmann aus Dresden, gebürtig aus Gera, der sich später in London niederließ, von Pulszky empfohlen, um seine in New-York emittirten Banknoten, denen als Basis die nach einer Revolutionirung Ungarns aus diesem Lande zu beziehenden Staatseinkünfte, dienen sollten, in baares Geld umzusetzen. Das Unternehmen begann. Die Kossuthnoten wurden auf der Londoner Börse von falschen Käufern um Baargeld in vollem Werthe gekauft, dann wieder insgeheim eingelöst. Bald wurde die Nachfrage bei allen Londoner Bankiers nach Kossuthnoten eine ziemlich starke, so daß sich wirkliche Käufer für sie fanden. Namentlich soll der Bankier Spielmann in der Lombard Street derartige Papiere im Nennwerthe von achttausend vierhundert Pfund Sterling angekauft haben, die ihm jedoch später auf dem Halse blieben, Kossuth selbst sah wenig von dem baaren Gelde, das meiste davon wurde von Pöhnisch auf die Regie und auf die Erhaltung und Besoldung der Wechselagenten verrechnet. Kossuth wurde sogar verleitet, einige Wechsel zu acccptiren, denn sowohl Pöhnisch als Pulszky redeten ihm ein, er werde aus seinen Banknoten das Geld in Massen beziehen. Als die Zahlungstermine kamen und Kossuth die von ihm acceptirten Wechsel nicht decken konnte, wurde er durch den Bankier Sieveking, der statt seiner die Wechsel einlöste, aus einer argen Verlegenheit gerettet. Sieveking erhielt sein Geld erst nach mehreren Jahren von Kossuth zurück und zwar zu einer Zeit, wo ihm diese Rückzahlung vortrefflich zu statten kam, denn Sieveking hatte mittlerweile, und zwar in Folge der durch den Frieden zu Villafranca erfolgten Hausse, seine Zahlungen einstellen und Bankerott machen müssen.

Sehr eigenthümlich war die Stellung Kossuth’s zu Napoleon dem Dritten. Letzterer versuchte es zu wiederholten Malen, mit Kossuth in Verbindung zu treten, namentlich im Jahre 1855, während des Krimkrieges, wo er Kossuth in einer ähnlichen Weise benutzen wollte, wie er es später im Jahre 1859 in Italien that, um Oesterreich aus seiner Neutralität heraus zu zwingen. Persigny war zu jener Zeit Gesandter in London; er ließ Kossuth durch einen geheimen Agenten, den Vicomte de Laguéronnière, zu sich bitten. Ich sprach mit Kossuth darüber, dieser aber wollte nichts von einem Bündnis; mit Napoleon wissen. „Napoleon wandelt einen anderen Weg, als ich,“ sagte er zu mir. „Uebrigens,“ setzte er dazu, „will Persigny durchaus mit mir sprechen, so ist es von Albert-Gate um keinen Schritt weiter nach Alpharoad (der Wohnung Kossuth’s), als von hier nach Albert-Gate; fürchtet Persigny, sich zu compromittiren, wenn er zu mir kommt, so habe ich dies noch mehr zu befürchten als er, denn er ist nichts, als der Lakai eines Despoten, während ich der selbstständige Repräsentant eines großen Principes bin.“

Persigny ist damals dennoch mit Kossuth zusammengetroffen, hat aber auf seine Anträge einen Korb erhalten.

Im Jahre 1856 empfing Kossuth aus vielen der größten Städte Einladungen zu Meetings, und er nahm dieselben an. Diese Reisen brachten ihm bedeutende Summen ein; man zahlte die Eintrittskarten zu den Versammlungen mit fünf Schilling, ja sogar höher, und die Meetingssäle waren stets zum Erdrücken voll. Er war ein unübertrefflicher Redner. In Ungarn begeisterte er seine Landsleute, in der Türkei die rohen Natursöhne, in Marseille die Franzosen, in New-York die Yankees, in London die Engländer, und Alle in ihrer Sprache.

Wie sehr Kossuth, wenn er sprach, Alles hinriß, nahm ich, der ich ihn viele Male sprechen hörte, stets wahr. Die Ungarn sind eine leicht entzündliche Nation, doch nicht so die kalten und bedächtigen Engländer, die nebenbei so sehr für ihre eigenen Redner eingenommen sind, daß sie diese über alle anderen der Welt stellen.

Eines Abends befand ich mich mit zweien meiner Freunde, dem Grafen Ladislaus Vay und dem Obersten Emerich Szabó, in Gesellschaft mehrerer englischer Garde-Officiere. Wir sprachen unter Anderem auch über Kossuth und seine Reden; einer der Engländer, ein Gentleman aus einem Vollblut-Toryhause, spöttelte über Kossuth und seine Anmaßung, sich noch immer Gouverneur nennen zu lassen.

„Sie würden anders von Kossuth sprechen,“ meinte der Graf Vay, „wenn Sie eine seiner Reden hörten.“

„Ich glaube kaum; ich bin kein Freund der orientalischen Redefloskeln, mir ist vielmehr eine Rede, wie man sie in unserem Unterhause hört, zum Beispiel eine Disraeli’s, voll kaustischen Witzes, lieber, als all’ der französische und magyarische Redeschwulst.“

[586] „Kommen Sie mit uns in’s Meeting,“ drang Vay in ihn, „dann urtheilen Sie.“

„Gut, ich will kommen. Wo ist es?“

„In einer Halle des City-Road.“

Wir gingen dann zusammen hin. Der Ort der Versammlung war ehemals eine Kornhalle, ein ungeheurer Saal, mit kahlen weißgetünchten Wänden, schlechter Beleuchtung, harten Bänken, die Halle voll von Proletariern, denn es ist ein chartistisches Local und das Ganze war ein Chartistenmeeting. Bedeutende Redner verschiedener Nationalitäten traten auf; nach der in englischer Sprache gehaltenen Rede des Vorstandes hielt Herzen, dann Arnold Ruge, später Louis Blanc und Felix Pyat, die ersteren in deutscher, die beiden letzteren in französischer Sprache, Reden; auf sie folgte Kossuth.

Die vier ersten Redner wurden vom größten Theil der Zuhörer nicht verstanden, eben weil sie in fremden Idiomen sprachen, der Applaus war demnach kein so großer, wie sie es vielleicht erwartet und verdient hätten. Kossuth sprach englisch. Ich stand zwischen den beiden englischen Garde-Officieren, die uns hierher begleitet hatten. Alle Augenblicke hörte ich aus Eines oder des Anderen Munde „very nice“ (sehr hübsch), „that's true“ (es ist wahr) etc. Als er seine Rede, welche wohl über eine halbe Stunde gedauert haben mochte, beendet hatte, rief ihm Niemand im Saale ein so herzliches „Cheer“ zu, wie die beiden Officiere. Der Beifall schien nicht enden zu wollen; die Officiere und auch andere Zuhörer warfen in ihrer Ekstase die Mützen und Hüte in die Höhe, zumal der torystische Officier war ganz exaltirt. Ich fragte ihn jetzt, ob Kossuth wohl einen Vergleich mit Disraeli aushielt. „Ach was, Disraeli; das ist ein Piephuhn im Vergleich mit ihm!“ meinte er und versäumte fortan niemals ein Meeting, wo er Gelegenheit fand, Kossuth sprechen zu hören.

Kossuth kannte die Bedeutung des Neujahrsempfanges, welcher am 1. Januar 1859 dem Baron Hübner in den Tuilerien zu Theil wurde. „Ah, er beißt an,“ sagte er zu einigen seiner Vertrauten. „Er muß sich seinen Thron auf einige Jahre weiter sichern; man wird nöthigenfalls mit ihm gehen, so lange er in derselben Richtung wandelt, wie wir.“

„Jetzt wird wohl eine Allianz zwischen Ihnen, Herr Gouverneur, und ihm zu Stande kommen,“ wagte ich zu bemerken.

„Wenn er die nöthigen Bürgschaften für die Unabhängigkeit meines Vaterlandes leistet, dann kann es wohl sein, daß ich mich zu einem Bündnisse mit ihm entschließe,“ war seine Antwort.

„Werden Sie den ersten Schritt thun?“ fragte ich.

„Auf keinen Fall. Eine solche Demüthigung könnte nicht einmal mein Vaterland von mir verlangen, und ich werde mich sehr bedenken, mich mit ihm in einen Vertrag einzulassen, denn so gut er Mazzini sein Wort brach, wird er es vielleicht auch mit mir thun wollen. Dieser traut ihm nicht mehr, wie würde ich es thun!“

Vier Monate später marschirte Gyulay über den Ticino. Was Jeder von uns ahnte, geschah: Napoleon machte Kossuth Anträge, und zwar durch den ungarischen Obersten Nicolaus Kiß.

Eines Morgens begegnete ich Kiß, der von Paris wieder angekommen war, auf der Straße.

„Du kommst wahrscheinlich im Auftrag Napoleon’s und willst nach der Gower Street (der Wohnung Kossuth’s) gehen?“ fragte ich ihn.

„Ihr wißt davon? Und was sagt Kossuth dazu?“

„Daß er für Euch nicht zu haben sei.“

„Dann werde ich ihm einen Namen nennen, durch welchen ich ihn banne.“

Moritz Perczel?“

„Allerdings.“

„Ein braver Patriot, ein ziemlich geschickter General, doch ein Pechvogel und nicht ganz rein von Verdächtigung geblieben. In Ungarn kann man nur mit einem makellosen Namen durchgreifen. Einen solchen besitzt nur Kossuth. Kossuth’s Name ist Millionen werth.“

„Diese werden bereit stehen, wenn er zugreift.“

„Teufel! Also Bestechung? Und wie hoch beläuft sich die Summe?“

„Drei Millionen Francs, nöthigenfalls auch mehr.“

„Geh’ hin, versuche Dein Glück.“

„Adieu, auf Wiedersehen in Italien.“

Am nächsten Tage lasen wir in der Times unter dem Artikel (Geldmarkt) die Bedingungen, unter welchen sich Kossuth zu einem Bündnisse mit Napoleon herbeiließ. Dieser Artikel wurde durch Rothschild in die Times eingerückt, da ihm die Sache durch Fould, welcher das Geld herbeischaffte, gesteckt wurde. Waren bisher Kossuth die meisten ungarischen Emigranten ausgewichen, so kamen sie nun in Massen herbei. Alle suchten Versöhnung mit ihm, seine erbittertsten Gegner, namentlich der Minister Vukovics, der Bischof Rónay, die Generale Perczel und Vetter, antichambrirten bei ihm und baten vorgelassen zu werden. Ich war gegenwärtig, als Perczel bei ihm eintrat.

„Kannst Du mir verzeihen? Willst Du wieder mein Freund werden?“ sprach Perczel mit Thränen in den Augen.

„Nicht ich habe Dich verstoßen, Du verließest mich,“ entgegnete Kossuth. „Meine Arme standen Dir stets offen.“

Perczel warf sich an die Brust Kossuth’s, und sein Schluchzen hinderte ihn am Sprechen.

„Blos Euch zu Lieb’ verbinde ich mich mit Napoleon,“ sagte Kossuth, „es geschieht gegen meine bessere Ueberzeugung, denn Napoleon wird uns beseitigen, sobald er uns nicht mehr braucht; wir werden eine lächerliche Rolle vor der Welt und namentlich vor Ungarn spielen, wir dienen als Gespenster gegen Oesterreich. Ihr könnt das Opfer ermessen, welches ich Euch bringe, doch ein guter Patriot schuldet seinem Vaterlande Alles, selbst seine Ehre.“

Als Perczel wegging und ich mit Kossuth allein blieb, seufzte dieser und sagte: „Wenn das Geld, das er und die Uebrigen erhalten, verzehrt ist, sind sie wieder Alle meine Feinde.“

Kossuth reiste bald ab; er hatte mit Napoleon eine Unterredung zu Paris und folgte ihm in Begleitung des Senators Pietri nach Italien. Viele von den ungarischen Emigranten reisten ebenfalls dahin, einige jedoch blieben zurück, namentlich Pulszky; dieser witzelte über die abenteuerliche Expedition und sagte unter Anderm: „Im Monat Mai schickt man die Esel in’s Heu.“ Ein in Oesterreich übliches Sprüchwort, ähnlich dem vom „in den April schicken“.

Der Friede von Villafranca war für Viele ein Schlag, aber Kossuth traf er am härtesten. Als er nach London zurückkam, stand er wieder allein und verlassen da, nur der Oberst Daniel Ihász blieb bei ihm, und außer Figyelmesy, dem Bildhauer Alexy und mir besuchte ihn keiner der Emigranten. Die drei Millionen waren unter die Ungarn, welche nach Italien gegangen waren, vertheilt worden. Moritz Perczel, Klapka, Kiß, Ezetz und Vetter hatten Jeder achtzehn bis zwanzigtausend Francs, die Obersten Emerich und Stefan Szabó Jeder zwölftausend Francs etc. erhalten; für Kossuth waren siebenzigtausend Francs entfallen. Napoleon soll ihm noch hunderttausend Francs angeboten, Kossuth aber die Annähme dieser Summe verweigert haben.

Niemals, nicht einmal in Arad am 9. August des Jahres 1849, am Tage, wo er seine Gouverneurswürde niederlegte und Görgey zum Dictator ernannte, sah ich ihn so niedergeschlagen, wie jetzt bei seiner Rückkehr aus Italien.

Ein Jahr hindurch kam in Kossuth’s Hause Politik nicht mehr zur Sprache; ich besuchte ihn nun öfters als früher. Abends pflegte er mit Ihász und mit mir Tarok zu spielen; er lebte einzig und allein seiner Familie und den wenigen ihm treu gebliebenen Freunden, zu welchen Pulszky damals nicht mehr gehörte.

Zur Zeit der Protestantenbewegung in Ungarn (im Jahre 1860) fing er an sich wieder für die Angelegenheiten unseres Vaterlandes lebhafter zu interessiren; die moralische Stärke, welche die Protestanten Ungarns, namentlich zu Miskólez und Debreczin, bewiesen, machte ihn glauben, daß bei seinen Landsleuten noch nicht alle Energie geschwunden sei. Namentlich machte das Benehmen des Barons Nicolaus Vay, nachherigen ungarischen Hofkanzlers, und des Hofrathes Eduard Zsedényi, welcher für seine Rede eingesperrt wurde, einen angenehmen Eindruck auf ihn. [587] Als der österreichische General dem Baron Bay, dem Vorstande der Protestanten-Synode, bedeutete, er würde mit Bajonneten und Kanonen das Abhalten der Sitzung verhindern, und einer der Synodalassessoren, Gedeon von Nagy, sich dahin äußerte, man müsse der rohen Gewalt weichen, sagte Bay: „Wer feig genug ist, sein Leben höher anzuschlagen, als seine Ehre und seinen Glauben, der mag zurückbleiben, ich werde gehen!“ Und Alle folgten ihm.

„Woher diese Energie nach einer zwölfjährigen Knechtung und Unterdrückung?“ rief Kossuth aus.

„Die Ungarn haben, wie man in Wien zu sagen pflegt, den Oesterreichern das neue Jahr abgewonnen und halten sich an den Ausspruch Börne’s: ‚Das Geheimniß jeder Macht besteht in dem Bewußtsein, daß Andere noch feiger sind als wir,‘“ sagte ich.

„Sie mögen Recht haben,“ entgegnete Kossuth, „und jetzt wäre es sehr angezeigt, wenn ich Jemanden in Ungarn hätte, der mir über Alles Bericht erstattete. Sie wären der Mann dazu. In Wien haben Sie mir gute Dienste geleistet; ich erinnere Sie an Ihr mir zu Parndorf geleistetes Versprechen, als Sie mich baten, Sie überallhin zu senden, wo es Gefahr giebt. Doch bin ich nicht reich, ich kann Ihnen wenig geben.“

„Glauben Sie, daß es in Ungarn losgehen wird?“

„Das Silberagio steht zu einhundertsiebenundfünfzig Gulden fünfundsiebenzig Kreuzer.“

„Und die Börsenleute haben eine gute Witterung?“

„Die sicherste.“

„Wohlan, ich werde nach Ungarn reisen; ich habe mir etwas zusammengespart, ich kann die Reise wagen, ohne Ihre Börse in Anspruch zu nehmen.“

„Ich gebe Ihnen weder mündliche noch schriftliche Instructionen. Schicke den Verständigen und sage ihm wenig.“

Ich schrieb ihm einige Briefe über die Stimmung und die derzeitig leitenden Persönlichkeiten in Ungarn zuerst nach London, später aber, als er nach dem Banknotenproceß England verließ und sich in Italien ansiedelte, dorthin. Er beantwortete meine Briefe nicht direct, doch die Proclamationen, welche er erließ, zeigen, daß er sie würdigte. In der ersten Proclamation, die er im Jahre 1861 nach Ungarn entsendete, sagte er es gerade heraus: „daß Ungarn vom Auslande nichts zu erwarten und nur zwischen zwei Alternativen zu wählen habe, um seine ehemalige Verfassung zurück zu erlangen, zwischen einer Revolution und einer Aussöhnung mit der Dynastie, doch nur unter der Bedingung der Wiedereinführung der 1848er Gesetze ohne eine Revision derselben.“

Wie sehr auch jetzt noch, trotz der überwiegenden Majorität der Rechten am Reichstage, Kossuth im Lande selbst verehrt wird, dafür spricht die Thatsache, daß er in mehreren Wahlbezirken Ungarns zum Vertreter gewählt wurde.

Augenblicklich lebt Kossuth mit seinen beiden Söhnen in Turin, nachdem ihm der Tod seine Gattin und seine Tochter Vilma genommen hat. Beide ruhen im Friedhofe von San Benigno zu Genua.

Ob Kossuth noch eine Zukunft hat, ob er berufen ist, wie ehemals Rienzi, zum zweiten Male eine hervorragende Rolle in der Weltgeschichte zu spielen, darüber sind die Meinungen getheilt. Da das Land selbst zwei gänzlich von einander geschiedene Parteien bildet, so daß man füglich behaupten kann, es gebe zwei Ungarn, und zwar das Kossuth-Ungarn, welches die übergroße Mehrzahl der niederen Stände, das ganze Landvolk, den Landadel und die Linke am Reichstage, deren Führer Ladislaus Böszörményi, der Redacteur des „Magyar Ujság“, ist, und das Deák-Ungarn, welches die ungarische Regierung, die Beamten der Comitate und die Rechte am Reichstage für sich hat: so muß eben die Zukunft es zeigen, welche von beiden Parteimächten die überwiegende ist, oder ob Ereignisse eintreten, die stärker sind, als beide.