Textdaten
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Autor: Daniel von Kászony
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Titel: Aus Ungarns Räuberleben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, 25, S. 328–331, 398–400
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[328]

Aus Ungarns Räuberleben.

Von Daniel von Kàszony.
I.

Räuberländer und Räubersorten – Das Assecuranzgeschäft mit den Betyáren – Der Betyárenführer Dombi und sein Ehrenwort – Der Werther der Pußta – Der Räuber Zöld Marczi als edler Wohlthäter und Ehestifter – Ein besonders leuchtender Stern am Räuberhimmel: Sóbri – Enthüllungen des Sóbri-Geheimnisses – Der junge Graf als Student, Reichstagscanzlist, Seemann, Caralerist, Infanterist – Der abgeführte Stuhlrichter – König Lear.

Durch die Tageszeitungen ist die öffentliche Aufmerksamkeit wieder auf eine Persönlichkeit hingelenkt worden, die durch den wildromantischen Reiz ihrer Thaten und Unthaten lange zu den Tagesbeliebtheiten gehörte: Rosza Sándor, hieß es, sei bei Gelegenheit der Taufe des jüngsten Sprossen des Kaiserhauses begnadigt und von Kufstein, seinem Strafsitze, entlassen worden. Diese Nachricht hat sich nicht bestätigt, das öffentliche Interesse hat sich aber der bunten Vergangenheit des ungarischen Räuberlebens für den Augenblick wieder einmal zugewandt, so daß der Verfasser der nachstehenden authentischen Nachrichten über dasselbe den Lesern der Gartenlaube mit deren Mittheilung einen angenehmen Dienst zu leisten glaubt.

Mit der sich immer weiter verbreitenden Civilisation hat sich auch die Zahl derer, die von dem Eigenthume ihrer Mitmenschen gleichwie Hummeln vom Honige der Bienen leben, bedeutend vermindert. In Europa giebt es jetzt nur noch drei Länder, in welchen das Räuberleben in üppiger Blüthe steht: Griechenland, Italien und Ungarn. Doch ist der Charakter der Räuber in diesen drei Ländern von einander sehr verschieden, denn während dieselben in der Nähe von Athen und Piräus oder im Innern von Thessalien blos auf Plündern ausgehen, ohne blutdürstig zu sein, morden die italienischen Briganti ohne Noth und ohne Bedenken; die Betyáren Ungarns stehen zwischen Beiden, nähern sich jedoch mehr ihren griechischen Collegen.

In Ungarn unterscheidet man drei Classen von Räubern: die Csikósche, die Betyáren und die eigentlichen Räuber, welche auf Raub und Mord zugleich ausgehen. Der ersteren Classe legt man jedoch diese Benennung fälschlich bei, denn die Csikosche oder Gestütknechte sind bekanntlich bezahlte Diener von Gestütbesitzern, aber so leidenschaftliche Reiter, daß ihnen die ihrer Wartung anvertrauten Pferde nicht genügen, und nur deshalb stehlen sie in den Gestüten anderer Herrschaften und zwar nur Pferde.

Der Betyár unterscheidet sich vom Csikósch dadurch, daß er sich nicht auf Pferdediebstahl beschränkt, obschon auch bei ihm das Pferd obenan steht; er verachtet aber auch Hornvieh, Schweine und Schafe nicht: das erstere, nämlich Hornvieh, stiehlt er, um es zu verkaufen, die letzteren zumeist nur, um sie abzuschlachten und zu verzehren. Der Betyár ist, im Allgemeinen betrachtet, ein leicht zu behandelnder Bursche, der blos leben will, ohne arbeiten zu müssen. Die Herrschaften pflegen mit den Betyáren gegenseitig bindende Verträge abzuschließen. Die Herrschaft liefert dem Betyár zu gewissen Zeiten eine bestimmte Anzahl von Schafen, einige Seiten Speck, Weizen oder Brod, etwas Schießpulver und einige Gulden in baarem Gelde; dafür verpflichtet sich der Betyár, seinen Untergebenen jeden Diebstahl von den Heerden des Herrn, mit dem er den Vertrag abgeschlossen, zu verwehren, ja er schützt ihn sogar vor anderen Betyárenbanden. Somit wird mit dem Betyár ein förmliches Assecuranzgeschäft abgeschlossen.

Als ich im Jahre 1845 mich auf der Pußta Ináres im Pesther Comitate bei einem Herrn von Schájer befand, beklagte dieser sich bitterlich über die Betyáren, weil ihm acht Stück seiner schönsten Zugochsen gestohlen worden seien. Es war eben zu Weihnachten; um diese Zeit pflegten die Betyáren ihre Contribution bei den Grundherren zu erheben, und Herr von Schájer erwartete sie ebenfalls. Ein anderer anwesender Gast, Herr von Irsay, rieth Schájer, die Schelme, wenn sie es wagen sollten, sich nach begangenem Diebstahl bei ihm zu zeigen, abzufangen und dem Comitate zu überliefern.

„Gott bewahre mich vor einem so unglücklichen Gedanken; in drei Tagen hätte ich den rothen Hahn auf meinem Dache,“ entgegnete Schájer. „Ich werde mit den Kerlen sprechen, sie müssen mir meine Ochsen wieder herbeischaffen.“

„Sie werden es nicht thun,“ stritt Irsay.

„Du wirst sehen, ob ich Recht habe. Ich bin überzeugt, daß fremde Räuber mich bestohlen haben, Leute, welche zum ersten Mal in diese Gegend kamen. Das Vergehen der Inárcser Betyáren besteht blos darin, daß sie den Diebstahl geschehen ließen.“

Herr von Schájer hatte sich nicht getäuscht. Am Abend vor Christnacht meldete ihm sein Leibhusar, daß der alte Dombi, der Führer der Betyárenbande, in der Spinnstube sei und nachgefragt habe, wann er wieder kommen dürfe.

„Laß ihn hereinrufen,“ bat ich Schájer, „ich möchte den Mann gern sehen.“

„Ich weiß nicht, ob er wird kommen wollen,“ entgegnete der Hausherr; „wenn er erfährt, daß Pepi hier sei (Herr von Irsay hieß Joseph, in der Abkürzung Pepi), so kommt er nicht, er glaubt, dieser sei ihm aufsässig.“ Dann wendete er sich zu seinem Husaren und fragte, ob Dombi wisse, wer hier sei.

„Er weiß nur so viel,“ sprach der Husar, „daß Euer Gnaden Gäste haben, und auch die Mädchen in der Spinnstube wissen es nicht, wer hier ist.“

„Schau zu, daß Du ihn auf eine gute Art herein lockst,“ befahl Schájer.

Der Husar entfernte sich und kam erst in einer halben Stunde wieder, doch auch dies Mal allein.

„Nun, wo ist Dombi?“ fragte ihn der Herr.

„Er will nicht kommen, er hat den Wagen des gnädigen Herrn (Irsay’s) erkannt, er sitzt noch immer in der Spinnstube.“

[329] „Dann muß ich selber zu ihm gehen.“

„Schade, daß ich den Mann nicht sehen kann,“ sagte ich.

„O, Du könntest ihn wohl sehen, komm mit mir.“

Ich ging mit Schájer in den Hof, es war Mondenschein, doch nicht sehr hell. denn es hatten sich Wolken vor die glänzende Scheibe gestellt. Der Husar ging indeß in die Spinnstube, um den Betyár herauszurufen.

„Wir hätten auch in die Spinnstube gehen können,“ meinte ich.

„Nein,“ erwiderte er, „ich will meinen Respect bei den Weibern nicht dadurch einbüßen, daß ich in ihrer Gegenwart mit dem Betyár spreche. Stelle Dich ein wenig abseits, damit er Dich nicht gleich bemerkt, er könnte Dich für einen Pandurencommissär halten. Ich muß ihn erst auf Deine Gegenwart vorbereiten.“

Bald kam der Betyár aus der Spinnstube in den Hof. Er zog vor Schájer seinen Hut ab, nahm die Pfeife aus dem Munde und erst als dieser ihm befahl, sich wieder zu bedecken und weiter zu rauchen, that er es. Der Mann hatte einen Schafpelz über seinem Hemd und der Gatya (eine weitschößige Leinwandhose), über dieser war sein Ledergürtel und ich konnte die Schafte zweier Pistolen, welche in demselben steckten, wahrnehmen; in der Rechten hielt er seinen Fokosch, einen langen Stock mit einer Art Beil von Messing als Griff. Nachdem Schájer ein paar Worte mit ihm gewechselt, rief er mich beim Namen und ich trat hinzu.

„Fürchte Dich nicht, Peter,“ sprach Herr von Schájer zum Betyár, „dieser Herr ist kein Commissär, er ist mein guter Freund, mein ehemaliger Camerad.“ Dann aber wendete er sich zu mir: „Sieh diesen Kerl gut an, er ist der einzige Betyár, der sein Wort nicht hält, man hat meine besten Ochsen gestohlen und dieser Hallunke ließ es geschehen. Weißt Du, Dombi, daß ich gute Lust hätte, Dich niederziehen und Dir fünfzig Stockstreiche geben zu lassen? Verdient hast Du sie.“

„Sie werden die Ochsen wieder bekommen,“ antwortete der Betyár ruhig. „Sie sind nicht von Betyáren aus dieser Gegend geholt, sondern von Neograder Palóczen; diese haben die Ochsen über Bugyi getrieben, während wir in Pilis waren. Man kann doch nicht überall gegenwärtig sein. Wir hatten bei Ihrem Herrn Schwager, dem Grafen Beleznay zu thun, auch seine Ochsen wurden weggetrieben, wir brachten sie von Kis-Telek zurück. Den Ihrigen, gnädiger Herr, sind wir auf der Spur, Sie werden sie noch vor dem neuen Jahr zurückerhalten. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf.“

„Ich will Dir noch dies Mal glauben,“ sagte Schájer, „bringst Du sie mir, so sollst Du zum neuen Jahr einen fetten Hammel bekommen. Was willst Du aber jetzt?“

Der Betyár kratzte sich hinter den Ohren, ohne eine Wort zu sagen.

„Ihr werdet doch nicht wieder Etwas brauchen?“ sprach Schájer, „wenn Ihr in Pilis wäret, so müßt Ihr ja dort Euer Weihnachtsgeschenk erhalten haben.“

„Die Kammern waren leer, der Graf hat sein Getreide den Juden gegeben, seine Schweine nach Dabas geschickt, um sie zu verkaufen; er ist uns diesmal schuldig geblieben. Die Wirthschaft geht dort schlecht.“

„Ihr werdet das Eure später bekommen,“ tröstete ihn Schájer.

„Ja wohl, aber bis dahin müssen wir auch leben, und es ist uns bereits Alles ausgegangen.“

„Und da wollt Ihr, daß ich Euch aushelfen soll?“

„Sie haben doch so viel, gnädiger Herr, Sie können es thun, Sie werden uns arme Bursche nicht verhungern lassen,“ bat Dombi.

„Wenn ich aber meine Ochsen nicht zurück erhalte?“

„Sie werden sie vor dem neuen Jahre haben.“

„Kann ich darauf mit Sicherheit rechnen, auf Betyárswort, he?“

„Ich soll ewig Wasser saufen, wenn Sie sie nicht haben werden.“

„Nun, dann sollt Ihr jetzt zwei Seiten Speck und ein kleines Fäßchen Wein erhalten. Mein Beschließer wird Euch das Alles übergeben.“

„Und etwas Schießpulver?“ fragte der Betyár.

„Auch das noch’, und zwar zwei Pfund. Bringt Ihr mir die Ochsen zurück, so sollt Ihr mehr haben; auch eine gute Kugelbüchse will ich Dir geben.“

Der Betyár ging und hielt redlich Wort: in fünf Tagen waren die Ochsen im Stalle, Dombi und seine Leute hatten sie den Neogradrern in der Gegend von Pataj abgenommen.

Es giebt Namen unter den Betyáren, welche eine gewisse Celebrität erlangt haben und noch jetzt im Munde des Volkes leben, sie sind zum Gegenstand von Balladen, Novellen und Theaterstücken geworden. Solchen Nachruhmes erfreut sich unter Andern Oldal Janko. Dieser hauste in den oberen Comitaten, namentlich in Abaúj, Torna, Hevesch und Borschod und war einer der geschicktesten Pferdediebe; namentlich wurde Szent-Péter, ein Marktflecken im Borschoder Comitat, von den durch ihn verübten Pferdediebstählen so berüchtigt, daß es zum Sprüchwort geworden ist: „Dem die Pferde zu Szent-Péter nicht ausgespannt, der Koffer zu Miskólcz nicht vom Wagen gestohlen und der zu Putnok nicht betrogen worden sei, könne ungefährdet durch die ganze Welt reisen.“ Ein anderer noch berühmterer Betyár war Angyal Bandi. Er raubte allerdings nur Pferde, hatte aber ein ganzes Gestüt gestohlener Rosse zusammengebracht und war im ganzen Lande als der schönste Mann und der kühnste Reiter bekannt. Man kann noch jetzt in den Dorfschenken sein Portrait hängen sehen. In seiner Liebe war er zärtlich und treu bis in den Tod; er würde bei seinem fast schwermüthigen, tiefen Ernst vielleicht ein Werther geworden sein, wenn er anstatt auf der Pußta in einer Stadt gelebt hätte.

Ganz der Gegensatz Angyal Bandi’s war Zöld Marczi, ein lustiger Geselle, der aber mehr als Csikósch und Betyár war, denn er beraubte jeden Reisenden, der ihm begegnete. Er war sehr geschickt in Verkleidungen, besuchte die Märkte, zumal jene von Pesth und Debreczin, erschien zuweilen als Student, manchmal als Officier verkleidet an der Tafel der Gasthöfe, kundschaftete hier aus, wer an diesem oder jenem Tage abreisen werde und wer viel Geld bei sich führe. Zöld Marczi hatte es hauptsächlich auf Juden abgesehen; wo er einen solchen antraf, plünderte er ihn. Zuweilen überkam ihn eine großmüthige Laune, wenn er einen reichen Menschen um große Baarschaft erleichtert hatte. Dann verschenkte er wohl das geraubte Geld an Nothleidende. Stiftete er doch sogar Ehen, indem er die Väter beraubte und das Geld den jungen Verliebten gab. Auch er ist in mehreren, mehr oder minder gelungenen Gedichten, Novellen und sogar in einem Theaterstück verherrlicht worden.

Alle diese Räuber lebten zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts. Von 1820 bis 1836 gab es Keinen, der sich einen allgemeineren Ruf erworben hätte; das Betyárenthum bestand nach wie vor, ohne einen in dieser Beziehung besonders leuchtenden Stern aufweisen zu können.

Vom Jahre 1836 bis 1838 erwarb sich Sóbri durch seine Kühnheit und die Geschicklichkeit, mit welcher er allen Verfolgungen entging, einen Namen in ganz Europa. Sowohl über seine Geburt, als über sein Ende herrscht ein tiefes, niemals gelichtetes Dunkel; man kann mit voller Bestimmtheit annehmen, daß das, was am allgemeinsten über diesen Räuber erzählt wird, daß er in einem Gefechte gegen die kaiserlichen Uhlanen in den Wäldern des Tolnaer Comitates geblieben sei, völlig unbegründet und niemals erwiesen worden ist, die Annahme hingegen, daß er der Sohn aristokratischer Eltern gewesen – und daß er noch jetzt lebe, als viel richtiger erscheint. Da jedoch der Nome einem der ersten Geschlechter Ungarns angehört, so werde ich ihn hier, wo ich das, was ich über Sobri weiß, zum ersten Male vor die Oeffentlichkeit bringe, nur mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnen.

Der Graf L… besaß eines der hübschesten und größten Gestüte in einem der Theißcomitate, einer seiner Roßwärter hieß Sobri und war ein Csikósch, sonst nichts; der wirkliche Sóbri benutzte nur dessen Namen. Der Graf hatte sieben Söhne, der zweitälteste, Joseph, studirte zu Sáros-Patak im reformirten Collegium. Bei den Studenten der Collegien ist es Sitte gewesen, eine Verbrüderung zu bilden, die sie Comitat nannten, denn sie nahmen die Comitatsorganisation, wie dieselbe bis zum Jahre 1848 bestanden hatte, an, sie hatten ihre Vicegespäne, Stuhlrichter, Notare, Fiscale, Perceptoren und Commissärs; der Chef der Comitate ist der Obergespan. Zu dieser Stelle wählten sie den Reichsten unter sich, den jungen Grafen Joseph L…. Allein dieser nahm die Wahl nicht an.

„Ich will außer dem Gesetze stehen,“ sagte er, „ich werde allerhand Schelmenstreiche verüben, fangt mich, überweist mich, daß ich dieses oder jenes gethan habe, wenn Ihr es könnt! Ich werde Euch ein Schnippchen schlagen, und das wird mir mehr Spaß machen, als bei Euch zu präsidiren. Ein Comitat ohne Räuber taugt [330] nichts und ich will Euer Räuber sein! Nennt mich fortan nicht Graf, sondern Sóbri.“

Graf Joseph hielt sein Wort. So oft den Professoren eine Nase gedreht, etwas aus dem Museum, ein Buch aus der Bibliothek entwendet wurde, wußten die Studenten, daß dies von Niemandem sonst, als von Sóbri, wie sie ihn nannten, verübt worden, doch konnte man ihn niemals dabei erwischen. Außerdem aber bestahl der junge Graf auch seines Vaters Gestüt, er schlich sich bei Nacht in dasselbe, hatte es bald weg, wie man mittelst der Schlinge ein Füllen fangen könne, und holte so die hübschesten Rosse aus dem Gestüte, ritt sie so lange, bis sie unter ihm zusammenbrachen und ganz lahm wurden, und wenn er eines nicht mehr brauchen konnte, fing er es bei einem andern an.

Der alte Graf sandte seinen Sohn auf den Preßburger Landtag, wo er Reichstagscanzlist sein sollte. Hier trieb er jedoch so arge und so allgemein empörende Stänkerei, daß der alte Graf, um jedem ferneren Scandale auszuweichen, ihn zum Militär gab und zwar recht fern von Ungarn: er schickte ihn nach Venedig, in die Marineschule. Graf Joseph blieb gerade einen Tag auf dem Schiffe, dann schrieb er seinem Vater, er wolle kein Seemann werden, er möge ihn zur Cavalerie geben. Auch das geschah; Joseph wurde Cadet im ersten Chevaux-legers-Regimente. Widersetzlichkeit und Streiche tollster Art veranlaßten endlich die Versetzung des gräflichen Thunichtgut zu einem Regimente, welches die Garnison einer Festung bildete, da hier die Aufsicht eine größere und Excesse schwerer zu verüben seien, als bei der Cavalerie. So kam Graf Joseph als Cadet zum Infanterieregimente Franz Ferdinand nach Peterwardein.

In den ersten Wochen, ehe der junge Graf Bekanntschaften gemacht hatte, ging Alles ziemlich gut, der commandirende General, Freiherr von Csollich, war ein intimer Freund des alten Herrn, er lud den jungen Wildfang zu sich ein, dieser verliebte sich in die hübsche Tochter des Generals und ihrer Fürsprache hatte er es zu danken, daß ihm mehr Freiheiten gestattet wurden, als anderen Cadeten, ja, daß man ihm sogar Pferde zu halten erlaubte. Diese Vergünstigung mißbrauchte er in kurzer Zeit auf so waghalsige, die allgemeine Sicherheit der Straße so arg gefährdende und endlich sogar den Commandirenden bloßstellende Weise, daß letzterer ihm endlich ein für alle Mal alles Reiten und Fahren auf öffentlichen Plätzen untersagte und Uebertretungen dieser Verbote mit strengem Arrest bestrafte.

Das Leben in der Festung ward ihm nachgerade ebenso unleidlich, als ehemals jenes auf dem Schiffe, und eines Tages verschwand er, ohne daß man über ihn siebenzehn Monate hindurch etwas erfahren hätte. Dies geschah zu eben jener Zeit, als Sóbri und seine Bande durch ihre Räubereien im ganzen Lande bekannt wurden. Graf Joseph, den man sowohl damals als später damit aufzog, daß er Sóbri sei, stellte dies nicht sehr in Abrede, obschon er sich niemals damit brüstete, daß er und der berüchtigte Räuber eine und dieselbe Person gewesen; dennoch pflegte er einige seiner Abenteuer, die darauf hindeuten, daß an dem Gerüchte doch etwas Wahres sein müsse, und die in diesen Zeitabschnitt fallen, gern zu erzählen. Namentlich sind es zwei dieser Abenteuer, die ihn charakterisiren.

Das erste fand in der Bácska statt. Er reiste daselbst mit seinem Freunde Madarasy herum; er und sein Freund saßen auf dem Bocke, während der Kutscher und der Jäger auf dem Rücksitze Platz nahmen. Der Graf war erst kürzlich vom Regiment desertirt, trug jedoch noch seine Uniform, über dieser aber einen Civilrock. Auf dem Sitze lag ein wattirter Schlafrock. Madarasy war ebenfalls in Civilkleidern, der Kutscher hatte einen dunkelgrünen, mit rothem Plüsch ausgeschlagenen Livrérock, einen dreieckigen Hut mit weißen Federn auf dem Kopfe, der Jäger hingegen einen hechtgrauen Rock mit Goldtressen und ebenfalls einen dreieckigen Hut mit grünen Federn. Die Livrée des Letzteren glich also sehr einer österreichischen Generalsuniform.

So fuhren sie über Roglatitza nach Baja; an beiden Enden des Dorfes unterhielten sie sich damit, daß sie auf Krähen, die sich in großer Menge dort eingefunden hatten, Jagd machten, und es war ziemlich spät Abends, als sie zu Baja ankamen. Der Kühle wegen hatte der Graf seinen Schlafrock, auf welchem er gesessen, angezogen, ebenso setzte er seine raizische bunte Mütze auf den Kopf, die ziemlich die Form einer in jener Gegend von den Bäuerinnen stark getragenen Kopfbedeckung hatte. Als sie im Wirthshause ankamen, ließ der Graf ein Zimmer öffnen, einheizen und ein paar Gläser Punsch bringen. Der Kellner hielt ihn offenbar für ein weibliches Wesen. Als das Zimmer wärmer wurde, warf der Graf den Schlafrock und die gehäkelte Mütze von sich und der Kellner machte große Augen, als er die junge Dame zu einem schmucken Cavalier entpuppt fand, und sein Erstaunen verwandelte sich später in Schrecken, als der Graf, vom Punsch noch mehr erwärmt, auch den Oberrock ablegte und in Uniform den Gürtel mit Pistolen und einem Kandjar besteckt, dastand. Später gingen die jungen Herren in den Speisesaal, um daselbst zu soupiren; sie setzten sich abseits an einen Tisch, während der andere bereits mehrere Gäste zählte.

„Stellt Euch mein Pech vor,“ sprach ein junger Cavalier zu seinen übrigen Freunden am langen Tisch, „ich hätte heute ein reicher Mensch werden können, wenn ich bessere Rosse gehabt hätte.“

„Wie so?“ riefen die Uebrigen.

„Ich hätte den berüchtigten Sóbri beinahe gefangen,“ sagte der junge Herr. „Er selbst war in russischer Generalsuniform, dunkelgrün, mit rothem Kragen, Rabatten und Aufschlägen, einen Dreimaster (dreieckigen Hut) mit weißen Federn auf dem Kopfe. Sein Adjutant Milfait Ferko war in österreichischer Generalsuniform, hechtgrau mit Gold; zwei Andere seiner Bande, Pap Andor und Karálábé, saßen in Civilkleidern auf dem Bock; sie hielten Jagd auf Krähen. Der Wagen selbst, in welchem sie saßen, war grün, inwendig mit scharlachrothem Tuche ausgeschlagen.

Vier Rothschimmel, welche er sicherlich aus dem Horváth’schen oder Sándor Latinovics’schen Gestüte gestohlen haben muß, fuhren sie wie der Blitz an mir vorbei. Ich peitschte meine Pferde so gut ich konnte, doch vom Einholen war keine Rede; ich würde gerne zweitausend Gulden für einen solchen Zug geben. Hätte ich ihn gefangen, so würde ich bei ihm gewiß eine tüchtige Summe Geldes gefunden haben.“

„Kennst Du den Menschen, welcher soeben gesprochen?“ fragte der Graf seinen Freund Madarasy.

„O ja, es ist der Stuhlrichter Gusti Piukovics.“

Hierauf erhob sich der Graf, ging an den andern Tisch und redete Herrn von Piukovics an; er sagte ihm, er habe vernommen, daß er einen Wagen und Pferde kaufen wolle; er könne ihm mit beidem dienen und lud ihn ein, diese im Stalle zu besehen. Der Angeredete ließ sich nicht lange bitten, sondern folgte dem Grafen, welcher, als er sich zum Abendessen begeben, wieder den Civilrock über die Uniform angezogen hatte, in den Hof, wo der Wagen stand.

„Dies ist mein Wagen,“ sagte der Graf, „gefällt er Ihnen?“

Herr von Piukovics machte schon große Augen, als er den rothgefütterten Wagen sah. Hierauf gingen sie in den Stall, wo die Rothschimmel standen.

„Sehen Sie da meine Pferde? He, Philipp!“ rief der Graf.

Der Kutscher in seiner russischen Generalsuniform erschien.

„Wo ist mein Jäger?“

„Hier, gräfliche Gnaden!“ entgegnete der Jäger in der österreichischen Generalsuniform.

Herrn von Piukovics ward nicht recht wohl zu Muth und der junge Graf weidete sich an seiner Angst; er blickte ihn an, wie die Schlange den zum Opfer erkorenen Vogel, und knöpfte seinen Oberrock auf, unter welchem sein mit Pistolen besetzter Gürtel sichtbar wurde. Herr von Piukovics wußte nicht, was er sagen, welche Miene er machen sollte.

„Und Sie wollten Sóbri fangen?“ fuhr ihn der Graf an, „Sie, der Sie schon beim Anblick dieser beiden Bursche, meines Kutschers und Jägers, die Sie für Generale hielten, zittern? Sóbri würde mit Ihnen noch sehr gnädig umgehen, im Vergleiche dazu, wie ich es gleich thun werde, wenn Sie nur nicht allsofort vor allen den Herren, vor welchen Sie prahlten, Abbitte thun.

Ich bin der Graf L… und kann mich als solcher ausweisen, Sie haben mich für Sóbri ausgeschrieen, Sie werden Ihre Worte zurückziehen, sonst sollen Sie eine üble Stunde erleben.“

„O, wenn es nur Das ist, Herr Graf, von Herzen gern!“ sagte Herr von Piukovics, begleitete den Grafen in den Speisesaal, wo er ihm in der Weise, wie es ihm der Graf vorgeschrieben, die gewünschte Abbitte leistete und noch froh war, so wohlfeilen Kaufes davon zu kommen.

Der zweite Fall, den ich und viele meiner Freunde ebenfalls aus dem Munde des Grafen hörten, ist noch charakteristischer.

[331] Im Verlaufe desselben Winters reiste der Graf im Stuhlweißenburger Comitate und kam einmal ziemlich spät bei Nacht nach Czecze. Das Thor des Wirthshauses war schon geschlossen und er befahl seinem Jäger, mit seinem Hirschfänger auf die Fensterläden zu klopfen, um die Leute zu wecken. Der Jäger vollzog den Befehl seines Herrn, trommelte so lange an den Läden, bis man das Thor öffnete und den Wagen einließ. Auch hier führte der Graf die Scene mit dem Kleiderwechseln auf, so daß man ihn zuerst für ein Frauenzimmer, später für einen jungen Herrn, dann für einen Militäristen hielt. Hierdurch wurden die Leute stutzig und sie machten darüber beim Dorfnotar eine Anzeige, denn auch hier hatte man schon Vieles über die von Sóbri begangenen Räubereien gehört, man glaubte ihn in der Nähe und die vom Comitate getroffenen Anstalten zu seinem Habhaftwerden waren sehr streng.

Als der Graf am nächsten Morgen weiter reisen wollte, meldete ihm sein Jäger, das Wirthshaus sei ganz von Comitatspanduren umstellt, so daß er nirgends herauskommen könne. Ihn setzte dies nicht in Verlegenheit, er nahm einen großen Theaterzettel, in welchen die Epauletten seines Jägers eingewickelt gewesen waren, hervor, drückte sein Grafensiegel auf denselben und befahl dem Jäger, einen der Panduren zu ihm in’s Zimmer zu schicken. Der Mann trat ein und erhielt, nachdem durch ihn der Graf überzeugt worden war, daß seine Weiterreise von der Prüfung seines Passes durch den Dorfnotar abhängig sei, die Weisung, den Notar zu schicken. Dieser kam, der Graf versicherte sich vor Allem, daß derselbe Englisch und Französisch gar nicht und Deutsch nur sehr wenig verstehe, und dann spann sich folgendes Gespräch zwischen Beiden ab: „Wie wollen Sie nun aber meinen Reisepaß lesen? Er ist in den drei von mir erwähnten Sprachen, das Meiste ist Deutsch, dies werden Sie vielleicht verstehen, aber das Französische und Englische nicht.“

„Wollen Sie so gut sein, ihn mir blos zu zeigen und dann vorzulesen, vielleicht werde ich es doch verstehen.“

„Sehr wohl. Hier ist der Paß,“ dabei faltete er den Theaterzettel auseinander und wies auf das große beigedruckte Siegel. „Hören Sie also.“ Nun begann er zu lesen: „Mit allerhöchster Bewilligung – verstehen Sie dies?“

„Ja, gnädiger Herr,“ entgegnete der Notar, dem schon das große Siegel Respect eingeflößt hatte.

„,Pesth, den 23. September 1836, verstehen Sie dies?“

„O ja.“

„,König Lear’. Sehen Sie, hier steht der Name mit großen Buchstaben, hier weiter unten mit kleinen: ,Lear, König von Britannien’.“

„Ah!“ rief der Notar verlegen.

„,Der Herzog von Cornwall, der Herzog von Albanien, der König von Frankreich’, hören Sie?“

„So große Herren!“

„,Der Graf von Gloster, der Graf von Kent’. Hören Sie?“

„Ja, ja, ich höre.“

„Hier folgen die Namen der Secretäre: Herr Wagner, Herr Demini, Herr Posinger, Herr Grohmann, Herr Melchior, Herr Schmidt’.“

„Ah, es ist genug, der Paß ist in bester Ordnung.“

„Sie müssen mich aber weiter reisen lassen, ehe meine Zeit um ist. Denn sehen Sie, was hier gedruckt steht:, Anfang um halb sieben, Ende nach zehn Uhr’. Ich muß also bald fort, denn es ist nahe an acht Uhr.“

„Sehr wohl, Herr –“

„Graf Verywell und Baron von Howdoyoudo.“

„Gnädiger Herr Graf, vergeben Sie mir, daß ich Sie belästigte; hätte ich gewußt, mit welch hoher Herrschaft ich die Ehre haben werde –“

„Entschuldigen Sie sich nicht, Sie haben nur Ihre Pflicht gethan, und ich werde es nicht versäumen, Ihrer bei allen den Hohen Herren, deren Namen Sie hier auf dem Reisepässe gelesen, als eines im Dienste eifrigen Mannes zu erwähnen.“

„Ah, Sie sind zu gnädig, Excellenz,“ sprach der Notar und entfernte sich unter zahllosen Bücklingen, befahl dann den Panduren, ein Spalier zu bilden, und Alle standen entblößten Hauptes da, als der Graf weiter fuhr.



[398]
II.
Treue von Sóbri’s Adjutanten. – Sóbri und sein Jäger. – Rósza Sándor und seine Bande. - Der schöne Räuber - Kaspar Noszlopy - Kossuth und die Betyáren.


Im Sommer des Jahres 1837 wurde Sóbri’s Adjutant Franz Milfait, nachdem er in einem Gefechte gegen die Panduren eine schwere Fußwunde erhalten und sich einige Zeit in einem Bauerngehöfte des Bakonyer Waldes verborgen hatte, durch Verrath einer Dirne gefangen und kam unter das Standrecht. Man befrug ihn über Sóbri und wollte ihn bereden, dessen Aufenthaltsort anzugeben, doch Milfait verweigerte es.

„Ich helfe mir dabei doch nicht,“ sagte er den Standrechtsrichtern, „man wird mich jedenfalls hängen, und Sóbri war mir ein zu guter Herr und Freund, als daß ich ihn verriethe. Zudem würde es Ihnen auch wenig nützen; ihn bekommen Sie doch nicht, er hat die Bande verlassen, als er erfuhr, daß man mich gefangen habe, er versprach mir, dies zu thun. Wenn Sie ihn auch je kriegen sollten, thun Sie ihm doch nichts, denn Sóbri ist der Sohn eines großen Herrn.“

Diese Worte Milfait’s wurden, wie seine ganze Aussage, zu Protokoll genommen und die Actenstücke darüber befinden sich noch jetzt im Archiv des Veszprimer Comitates, wo die Hinrichtung Milfait’s stattfand.

Es ist gewiß, daß nach Milfait’s Hinrichtung die Räubereien, obschon sie nicht ganz aufhörten, dennoch abnahmen, auch waren sie nicht so geschickt entworfen und ausgeführt, wie früher. Die Räuber wurden immer mehr auf ein engeres Terrain gedrängt und endlich im Februar des Jahres 1838 im Walde von Szekesö im Tolnaer Comitate von den kaiserlichen Uhlanen angegriffen und theils niedergemacht, theils gefangen genommen. Einer der Räuber, als er sah, daß kein Ausweg zum Entkommen sei, erschoß sich, so daß sein Gesicht ganz unkenntlich wurde; diesen hielten Viele für Sóbri, er war es aber nicht, sondern einer seiner Bande und zwar Pap Andor, obschon die Aussagen der gefangenen Räuber sich in dieser Beziehung widersprachen. So viel ist gewiß, daß weder Sóbri noch Pap Andor lebendig gefangen wurde, und da der Letztere niemals wieder zum Vorschein kam, so ist die Annahme, daß Sóbri die Bande gleich nach der Gefangennahme Milfait’s verlassen habe, die richtigere.

Ein weiterer Beleg hierzu ist der Umstand, daß der junge Graf, von dem sein Vater über ein Jahr nichts gehört, im Augustmonate in einem Badeorte, einem Besitz seines Vaters, plötzlich erschien; er kam dort mit zwei glänzenden Equipagen und drei wunderschönen Reitpferden au. Als sich sein Vater wunderte, wo sein Sohn dies Alles und noch achtzigtausend Gulden in Banknoten, die er ihm vorwies, nebenbei auch sehr kostbare Ringe, Uhren, Uhrketten etc. hergenommen habe, sagte der junge Graf lachend: „Dort her, wo der König sein Land.“

Im Jahre 1841 befand sich der junge Graf in Pest. Er lebte flott, machte Schulden, hatte eine Equipage, Reitpferde und war mit allen Cavalieren sehr intim, denn das Gerücht, er und Sóbri seien eine und dieselbe Person gewesen, wurde durch andere neuere verdrängt; man hielt ihn sogar nicht für energisch genug, um Stückchen, wie sie Sóbri begangen hatte, auszuführen. Er selbst aber strafte diese Gerüchte Lügen.

Ich befand mich in jener Zeit ebenfalls in Pest. Ein ehemaliger Jäger, der auch bei mir gedient hatte, bat mich, ihn Jemandem, der ihn in Dienst nehmen würde, zu empfehlen. Ich sagte ihm, er möge zum Grafen Joseph L… gehen; dieser suche, wie ich vernommen, einen Jäger. Der Bursche ging dahin und trat bei ihm in den Dienst. Ich begegnete ihm einige Zeit später und fragte ihn, ob er mit seinem Dienste zufrieden sei.

„Es mag hingehen; wenn er Geld hat, geht es einem gut, wenn nicht, dann hungert man. O, ich kenne ihn schon seit lange her, noch aus jener Zeit, als er Sóbri hieß und sich im Bakonyer Walde und in den Vérteser Gebirgen herumtrieb. Damals begegnete ich ihm einmal, er fand Gefallen an mir, denn ich that in seiner Gegenwart ein paar gute Schüsse; er wollte mich bereden, in seine Bande einzutreten, ich wollte es jedoch nicht, ich hatte keine Lust zum abenteuerlichen Leben, wo man am Ende doch gehangen wird. Jetzt ist’s etwas Anderes, jetzt ist er wieder Graf, obschon nicht so bei Casse, wie damals.“

„Sollte denn dies wirklich wahr sein?“ fragte ich ungläubig.

„Es ist so gewiß, wie das Amen im Gebet. Er beschenkte mich damals mit einem aus Lindenholz geschnitzten Trinkbecher, den ich noch gegenwärtig besitze.“

„Und es genirt ihn nicht, Dich bei sich zu halten, der Du ihn als Räuber gekannt hast?“

„Er nahm mich blos deswegen auf, verbot es mir aber, Jemandem darüber etwas zu sagen, daß ich ihn zu Devecser schon gesehen habe, denn dort war es, wo ich ihn als Hauptmann der Szegény legények (wörtlich: arme Kerle; diese Benennung führen die Bakonyer Räuber) antraf. Ich habe es auch Niemandem außer Ihnen gesagt, gnädiger Herr, und Sie werden mich sicherlich nicht verrathen. Ich werde es jedoch nicht lange bei ihm aushalten, entweder ich gehe ihm oder er geht mir durch.“

[399] Einige Monate darauf befand ich mich zu Devecser im Abaújvárer Comitate, im Hause des Herrn von Fáy, als der Graf L… ebenfalls hierher kam. Wir saßen Alle auf dem Balcone, als seine Equipage in den Hof fuhr. Das Stubenmädchen, welches soeben, von der Hausfrau citirt, zu uns herantrat, rief, als sie den Grafen erblickte, entsetzt aus: „Jesus Maria, das ist ja der Sóbri!“ Sie wurde dabei todtenbleich. Ihre Herrin nahm sie in’s Verhör; sie war aus der Gegend von Veszprim gebürtig und hatte Gelegenheit gehabt, den Räuber öfters zu sehen, und diesen erkannte sie in dem soeben angekommenen Gast.

Nimmt man alle diese sprechenden Umstände zusammen, so bilden sie ein nur zu starkes Conglomerat von Beweisen, daß der Graf Josef L… in seiner Jugend ein Räuberleben geführt habe. Wem fiel es aber jemals ein, als Kläger gegen den Grafen aufzutreten? Sein Vater war einer der reichsten und angesehensten Magnaten Ungarns, er würde seinen Sohn nicht haben stecken lassen. Die ganze Sóbri’sche Geschichte gerieth in Vergessenheit. Zu jener Zeit konnte so etwas noch angehen, heutzutage würde es schwerer fallen, eine ähnliche Sache zu vertuschen. Damals war der Adelige ziemlich straffrei; man mußte ihn bei einer That erwischen, um ihn vor Gericht ziehen zu können, ja es ereigneten sich sogar Fälle, wo der Adelige auf frischer That ertappt wurde und dennoch mit heiler Haut davonkam. –

Nicht minder berüchtigt als Sóbri war der Betyár Rósza Sándor, der sich zu einer historischen Celebrität emporschwang. Nicht als ob er kühnere Thaten verübt hätte, als irgend einer der von mir zu Anfang dieser Bilder angeführten Räuber, sondern weil er das Räuberleben mit dem eines Guerillaführers vertauscht hatte. Im Sommer des Jahres 1848, als der Krieg gegen die Raizen in der Bácska ausgebrochen war, hielt Rósza Sándor um eine Amnestie bei der ungarischen Regierung an, welcher er sich und seine berittene, achtzig Mann starke Betyárenbande als Freiwillige zur Verfügung stellte; er erlangte sie auch und hielt seinen Einzug zu Szegedin, woraus er in’s ungarische Lager gesendet wurde. Diese Bande that sich in offenen Feldschlachten niemals stark hervor, sie war nur gut bei kleinen Scharmützeln, bei Ueberfällen, zum Fouragiren; doch sie hielt ziemlich streng auf Mannszucht und man hatte keine Ursache, sich über sie zu beschweren. Sie machte den Krieg in der Bácska mit und kam später unter Dembinski’s Commando, endlich aber unter dasjenige Görgey’s.

Nach der Waffenstreckung des Letzteren bei Világos am 13. August 1849, hatte sich die Bande Rósza Sándor aufgelöst.

Von Görgey bethört und in dem Wahne, Rußland werde sich mit den Ungarn gegen Oesterreich verbünden, hatten sich die Allermeisten der Görgey’schen Armee den Russen ergeben. Dennoch fanden sich Einzelne, die heller sahen, als die Uebrigen, und es vorzogen, sich entweder bis nach Komorn durchzuschlagen, oder wie dies nach Beendigung der meisten Feldzüge, zumal nach Revolutionen, zu geschehen pflegt – Freibeuterbanden zu bilden und den Krieg auf eigene Faust fortzusetzen. Zu den Ersteren, zu jenen, die nach Komorn zu kommen trachteten, um hier den Ausgang der Revolution abzuwarten, gehörte ich und auch andere meiner Freunde. Wir konnten es jedoch nicht wagen, in Karawanen zu reisen; Jeder that es für sich, so gut er es konnte, denn es war keine Kleinigkeit, eine Strecke von fünfundsechszig Meilen, wo man sich überall durch die Lager der Russen und Oesterreicher durchschleichen mußte, zu durchwandern. Ich kannte jedoch alle Straßen im Lande sehr genau und machte mich auf den Weg.

Zwischen Berettyó-Szent-Márton und Berettyó-Ujfalu begegnete ich einem reisenden Bauer. Ich hatte nur zu Keresztes-Püspöki einen Wagen genommen und lud den Mann ein, mit mir zu reisen, denn er schien mir sehr ermüdet. Als er aufblickte, erkannte ich in ihm sofort den ehemaligen Betyár und zuletzt Guerillamajor Rósza Sándor. Er nahm mein Anerbieten an und setzte sich an meine Seite. Obschon er mit mir gleich im Range war, erkannte er doch den Abstand, den Geburt und Erziehung zwischen uns gezogen hatten: er wollte mich nicht „Du“ nennen, wie dies in der ganzen österreichischen Armee bei allen Officieren von gleichem Range Brauch ist, ich mußte ihn dazu nötigen.

„Was gedenkst Du zu unternehmen?“ fragte ich ihn.

„Ich werde meine Leute wieder finden, wir fangen den Krieg von Neuem an!“ entgegnete er.

„Trachtet nach Komorn zu kommen!“

„Zu Klapka – ah, der wird’s auch nicht besser machen, als der Verräther Görgey; er ist im Stande, mich und meine Leute den Oesterreichern auszuliefern.“

„Dies ist aber das ungünstigste Terrain für einen Guerillakrieg, die offene Haide, man sieht Euch ja auf tausend Schritte.“

„Im Gegentheil, für Leute wie ich und die Meinigen ist es das beste; denn erstens ist mir das Landvolk hier überall zugethan, ich kann mich verpflegen, die Leute haben Getreide in großer Menge; ferner sind die Ortschaften von einander sehr entlegen, die Feinde können uns niemals erwischen, denn wir besuchen niemals größere Ortschaften, und geschieht es ja, so wissen wir, ob sie von unseren Feinden und wie stark sie besetzt sind; wir können sie leicht überfallen. Werden wir hingegen stark gedrängt, so finden wir in den sumpfigen Gegenden bessere Rückzugspunkte und Schlupfwinkel, als in Wäldern und Gebirgen, wo wir am Ende doch ausgehungert werden können.“

Rósza Sándor stieg vor der Stadt Debreczin vom Wagen herab.

Seine späteren Räubereien tragen zumeist ein politisches Gepräge; niemals beraubte er Jemand, von dem er wußte oder auch nur ahnte, daß er der Sache Ungarns zugethan und ein Revolutionsmann gewesen sei; es ist sogar gewiß, daß er mehreren im Lande sich verbergenden Patrioten Mittel an die Hand gab, aus Ungarn in’s Ausland zu entkommen, und daß er auch den nach Ungarn gesendeten Emissären Kossuth’s seine Dienste anbot.

Er verband sich gleich nach seinem Entkommen aus Világos mit Joseph Geszten, einem der energischsten und stärksten Betyáren. Dieser Joseph Geszten war einer der schönsten Männer, die ich jemals gesehen. Er gerieth noch vor der Revolution in Gefangenschaft; man ließ ihn im Februar frei und er erhielt den Auftrag, Moritz von Szentkirályi, Havas, Máthus, und selbst den Fürsten Windischgrätz, wenn er ihnen beikommen könnte, niederzustechen; man versprach ihm dafür einen Hut voll Ducaten. Im ersten Augenblick ging Geszten auf den ihm gemachten Vorschlag ein; sowohl das Wiedererlangen seiner Freiheit, als das Gold reizte ihn; doch später reute es ihn. Er kam zu mir nach Erlau, wo ich Regierungscommissär war.

„Das ist keine Aufgabe für mich,“ sagte er; „Jemand aus dem Hinterhalt zu erstechen, das mag gut sein für Walachen, aber nicht für einen Ungar. Ich habe es den Herren in Debreczin zugesagt, kann es aber nicht halten. Sie sind hier Regierungscommissär, schicken Sie mich gebunden zurück, denn ich mag kein Meuchelmörder werden!“

Ich übergab ihn einem Courier, den ich nach Debreczin entsendete; Geszten benutzte die Gelegenheit nicht, um zu entwischen, denn er hatte mir darauf sein Wort gegeben; deshalb ließ ich ihm keine Fesseln anlegen. Als er jedoch nach Debreczin kam, wurde er auf Kossuth’s Befehl, dem ich zu Gunsten Geszten’s eiligst geschrieben hatte, frei gelassen. Uebrigens hatte Geszten viel von seiner ehemaligen Energie und Kraft eingebüßt; er war durch einen Schuß im Halse schwer verwundet, so daß ihn Rósza Sándor nicht viel benützen konnte.

Alle die damals im Lande zerstreuten Banden erkannten auch später niemals einen Andern denn Kossuth als Staatsoberhaupt an und empfingen durch seine Emissäre die gemessensten Verhaltungsbefehle; diese waren jedoch mehr verbietend als gebietend, es wurde ihnen niemals geheißen, Diesen oder Jenen zu berauben, sondern verboten, sich an dem Eigenthums wahrer Patrioten zu vergreifen.

Zur Zeit, als man in Komorn mit den Oesterreichern über die Uebergabe dieser Festung unterhandelte, war der Regierungscommissär Kaspar von Noszlopy, aus einer der urältesten adeligen Familien Ungarns, noch aus Arpád’s Zeiten (im zehnten Jahrhundert n. Chr.), in Veszprim geblieben, um hier für die Besatzung von Komorn Recruten zu werben. Er fand keine Gelegenheit, sich wieder in die Festung einzuschleichen, und blieb draußen. Auch er gehörte unter die Proscribirten Haynau’s. Aus den angeworbenen Recruten bildete er eine Guerillabande und hielt sich mehrere Jahre im Bakonyer Walde mit bestem Erfolge. Von ihm hatte Rósza Sándor ebenfalls Befehle erhalten, sie fanden sogar einmal Gelegenheit, ihre Banden zu verbinden, und da war es, als sie mit den kaiserlichen Jägern und Gensd’armen zusammengeriethen; es kam zu einem äußerst mörderischen Gefechte zwischen Abony, Nagy-Körös und Kecskeméth; die Guerillas hatten den Vortheil des Bodens, den sie genau kannten, für sich, [400] der größte Theil der Kaiserlichen wurde hier niedergemetzelt. Diejenigen, welche von den Betháren aufgegriffen wurden, ließ Rósza Sándor oder, wie Andere behaupten, Noszlopy aufknüpfen, es sollen sechsundzwanzig (? d. R.) gewesen sein, für jeden der durch die Oesterreicher hingerichteten Ungarischen Generale zwei Oesterreicher. Die Nachrichten über dieses Gefecht wurden von der kaiserlichen Regierung so gut wie möglich vertuscht, dennoch erfuhren wir in London Alles, trotzdem daß die österreichischen und ungarischen Zeitungen hierüber das tiefste Stillschweigen beobachteten. Rósza Sándor ließ einmal die kaiserlichen Gensd’armen hart an sich herankommen, es war vor dem Thor des Hortobágyer Wirthshauses; erst als sie auf Sprachweite waren, rief er ihnen ein „Eljen Kossuth!“ zu, schwang sich in den Sattel und war davon gesprengt.

Bis zum Jahre 1853 stand Rósza Sándor sowohl mit Noszlopy als mit Kossuth selbst – mit letzterem freilich nur mittelbar - in Verbindung; es ist gewiß, daß sowohl der Erstere als der Letztere von Kossuth Ernennungen, und zwar Noszlopy als Statthalter von Ungarn, Rósza als General, erhielten, wogegen alles das, was über die von ihm begangenen oder auf sein Geheiß vollzogenen Mordthaten geschrieben und gedruckt wurde, in den Bereich der Unwahrheiten gehört; es hat sich niemals herausgestellt, daß er selber Jemanden ermordet hätte, kein einziger der Zeugen, die ihm bei seinem Verhöre entgegengestellt wurden, sagte es, und nur diesem Umstand hat er es zu verdanken, daß die vom Gerichtshöfe gegen ihn ausgesprochene Todesstrafe auf dem Wege der Gnade in jene der lebenslänglichen Gefangenschaft verwandelt wurde. Auf welche Art er in die Hände der Gensd’armen gerieth, wie er verurtheilt worden, wo er gefangen sitzt, wenn das Gerücht seiner Begnadigung falsch sein sollte, sind zu allgemein bekannte und durch Zeitungen veröffentlichte Thatsachen, als daß sie hier neuerdings aufgewärmt werden sollen. Rósza Sándor überlebte die meisten seiner Genossen, wie den Regierungscommissär Noszlopy, welcher im Jahre 1854 hingerichtet wurde, Joseph Geszten, welcher im Comitätskerker zu Nagy Kálló starb, Patkó, der im Jahre 1863 gefangen und hingerichtet wurde, und endlich den alten Bogár und sechs seiner Söhne, welche ebenfalls theils standrechtlich hingerichtet wurden oder im Kampfe gegen die Gensd’armen und Comitatspanduren fielen.

So sind wohl auch die meisten übrigen der damaligen Betyáren gefallen; doch das Betyárenthum selbst besteht noch jetzt. Ob es aber einem geregelteren Staatsleben und geordneteren Rechtsschutz, wie die jüngste Zeit Beides mit dem gesammten österreichischen dem Volk und Lande der Ungarn verheißt, Trotz bieten wird? Darüber hat die Zukunft allein zu entscheiden.