Aus Robert Blum’s Leben (10)

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Autor: Hans Blum
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Titel: Aus Robert Blum’s Leben. 10. Die Septembertage in Frankfurt (1848). Die Wiener Octoberrevolution.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 728–730
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus Robert Blum’s Leben.
10. Die Septembertage in Frankfurt (1848). Die Wiener Octoberrevolution.

Ueber die Septembertage des Jahres 1848 ist in der „Gartenlaube“ schon so oft eingehend berichtet worden, daß wir uns hier begnügen können, an folgende Thatsachen zu erinnern.

Am 26. August hatte Preußen, nach einem glänzenden Siegeslauf, plötzlich den Waffenstillstand von Malmö geschlossen, welcher das durch deutsche Waffen dem Dänen abgerungene deutsche Land Schleswig-Holstein dem Besiegten preisgab. Dahlmann, seit siebenzehn Jahren der treue Vorkämpfer der schleswig-holsteinischen Sache, hatte am 4. September eine Interpellation im Parlament deshalb eingebracht und die Verwerfung des Waffenstillstandes beantragt. Am 5. September wurde der Waffenstillstand vom Parlament mit siebenzehn Stimmen Majorität verworfen; das Reichsministerium Schmerling trat zurück, und der Reichsverweser beauftragte Dahlmann mit der Bildung eines neuen Ministeriums. Da Dahlmann nur mit Hülfe der Linken gesiegt hatte und mit Robert Blum nicht ein Ministerium bilden wollte, gab er den Auftrag an den Reichsverweser zurück. So kam die Waffenstillstandsfrage am 14. September ein zweites Mal vor die Nationalversammlung, und diesmal wurde der Vertrag am 16. September mit einundzwanzig Stimmen Mehrheit genehmigt. Die Rede, die Blum an diesem Tage gegen den Waffenstillstand hielt, ist die reifste und schönste seines parlamentarischen Wirkens, zugleich die letzte, die er in Frankfurt hielt. Er und Lichnowsky sprachen in ihrer letzten Rede versöhnlich, friedlich.

Die ungeheure Erregung über diesen Beschluß theilte sich den Volksmassen mit, die am 17. September, einem Sonntag, auf der Pfingstweide Versammlung hielten. Vergebens warnte Blum vor revolutionären Entschlüssen. Auch hier siegten die Gesinnungsgenossen Jäkel’s. Sie hießen hier Zitz und Schlöffel. Am 18. suchten bewaffnete Banden in die Paulskirche einzudringen, Barricaden erhoben sich in Frankfurt. Mit Todesverachtung ging Blum unbewehrt den Flintenläufen der Empörer entgegen und suchte durch die Macht der Rede den Frieden ohne Blutvergießen zu ermöglichen. Es war umsonst. Die Abgeordneten Fürst Lichnowsky und General Auerswald wurden barbarisch hingeschlachtet. (Siehe Gartenlaube 1873, Nr. 40.) Die Barricaden wurden durch Mainzer und Darmstädter Truppen gesäubert.

Unleidlich im höchsten Maße war durch diese Vorgänge die Stellung der Linken, vor Allem die Blum’s im Parlament geworden. Von der siegreichen Mehrheit unbegreiflicher Weise der Mitschuld an den Septembertagen verdächtigt, von den vernichteten Empörern und ihrem Anhang aus der äußersten Linken des Parlaments als Volksverräther verdammt – nach einem Briefe Wolaczeck’s vom 24. August hatte sich damals schon Arnold Ruge von Blum losgesagt, und jetzt sprach auch Ludwig Bamberger in Mainz ein vernichtendes Urtheil über Blum’s volksfeindliche Haltung aus – hatte er den Schmerz zu erfahren, daß auch weite Kreise seiner Anhänger in der Heimath in der einen oder andern Richtung gegen ihn Partei nahmen. Jäkel schrieb im Tone des Vorsitzenden eines Revolutionstribunals an Günther am 27. September: „Warum tratet Ihr nach dem schmachvollen Waffenstillstandsbeschluß nicht aus dem Parlamente aus und constituirtet ein eigenes? ... Ich habe Blum schon vor einem Monat geschrieben: wir seien entschlossen, Niemanden mehr zu schonen, der nicht ganz entschieden auftrete. Ich weiß nicht, ob er das richtig verstanden hat, aber auf gut Deutsch heißt es: Wir lassen uns für Euch todtschlagen, so lange Ihr die Freiheit mit Kraft anstrebt; wir schlagen Euch aber selbst zuerst todt, sobald Ihr schwankt und durch Aengstlichkeit große Dinge verpfuschen wollt.“

Blum fühlte das Bedürfniß, sich gegen diese Anschuldigungen zu rechtfertigen. Er that es in einem Briefe an Haubold am 3. October: „Dieser unsinnigste und fluchwürdigste aller Straßenkämpfe hat uns fast ebensoviel geschadet, wie die Februar- und Märzrevolution genützt, und man fragt sich oft ernstlich, ob es wirklich ein revolutionäres Frühjahr gegeben habe. Und wie stehen wir persönlich? Von der einen Seite giebt man uns ‚intellectuelle Urheberschaft‘ eines Kampfes schuld, bei welchem nur wir verloren haben und nur wir verlieren konnten. Auf der andern Seite wirft man uns Verrath des Volkes, Feigheit und Unentschiedenheit vor, weil wir die Versammlung auf der Pfingstweide nicht für das deutsche Volk ansehen und uns den Dictaten ihrer exaltirten Abgeordneten nicht fügen wollten ... Soll ich Dir versichern, daß wir keinen Antheil an dem Aufstande haben, daß wir vielmehr als Partei wie als Privatpersonen alles aufgeboten haben, denselben zu hindern? Dummheiten sind auf der Pfingstweide gemacht worden – das ist wahr, namentlich von Schlöffel und Zitz. An einen Aufstand aber hat kein Mensch gedacht; es hat ihn kein Mensch geahnt. Man hat diesen Aufstand gepflegt wie eine Treibhauspflanze.[1] Man hat das Blut unnütz und frevelhaft vergossen; mit einer Compagnie Soldaten war die ganze Kinderei – es war anfangs nichts Anderes – zu beseitigen. Während das Volk nun seine entrüsteten Blicke auf die angeblichen ‚intellectuellen Urheber‘ lenken läßt, wird man ihm Hände und Füße knebeln und es mißhandeln wie früher. Ach, das Schicksal unseres Vaterlandes und unseres Volkes ist doch ein sehr trauriges; es scheint mir oft, als ob es zum Tode verurtheilt sei, und nicht die Kraft zu einer Auferstehung habe.“

An seine Frau aber schreibt er am 4. October: „In der Nationalversammlung verfolgt uns Bosheit; vom Volke in die traurigste Stellung gebracht aus Dummheit, von den Demokraten angefeindet und geächtet aus Unverstand, stehen wir isolirter als jemals und haben vor- wie rückwärts keine Hoffnung. Die Zersplitterung Deutschlands hat nicht blos Staaten und Stämme aus einander gerissen, sie frißt sogar wie ein böses Geschwür an einzelnen Menschen und trennt sie von ihren Genossen, von aller nothwendigen Gemeinsamkeit. Nie bin ich so lebens- und wirkensmüde gewesen wie jetzt; wäre es nicht eine Schande, sich im Unglück von den Kampfgenossen zu trennen, ich würde zusammenraffen, was ich allenfalls habe, und entweder auswandern oder mir in irgend einem stillen friedliche Thale des südlichen Deutschlands eine Mühle oder dergleichen kaufen und nie wieder in die Welt zurückkehren, sondern theilnahmlos aus der Ferne ihr Treiben betrachten. Nicht, weil ich muthlos bin und am endlichen Siege der Vernunft verzweifle, sondern weil ich wirklich müde bin, völlig abgerungen in dieser Sisyphusarbeit, die ewig sich erneuert und kaum einen Erfolg zeigt. Wenn ich denke, ich müßte jetzt nach Leipzig zurück, um dort zu bleiben, ich könnte schwermüthig werden.“

Dieses tiefe Bedürfniß nach einer Ruhepause in dem unablässigen Kampfe, der dem rüstigen Kämpfer nur völlige Ermattung und Niedergeschlagenheit, beinahe Hoffnungslosigkeit eingetragen hatte, sollte mit einem Male in eigenthümlicher Weise befriedigt werden: durch seine Reise nach Wien. Diese untrüglichen Zeugnisse von der Stimmung Blum’s vor Antritt der Wiener Reise bewahrheiten aber zugleich nachdrücklich die Ansicht, daß der Führer der Frankfurter Linken „vor- wie rückwärts keine Hoffnung“ sah, mit der bisherigen Parteitaktik weiter zu kommen, daß ihm namentlich auch ein Anschluß an die „Demokraten, die ihn angefeindet und geächtet aus Unverstand“, in tiefster Seele zuwider war, und daß er daher diese Reise wohl antrat mit dem stillen Vorsatze, mit einem neuen realpolitischen Plane und mit neuer Kraft zu seiner Partei zurückzukehren. Sein Tod aber breitet über die Antwort auf diese Frage das Schweigen des Grabes.

Die Antwort, die der Todte nicht geben kann, giebt indessen sein Verhalten vor seiner Abreise nach Wien.

In Wien war, wie im übrigen Oesterreich und Deutschland, die Reaction zu Anfang October bereits wieder mächtig erstarkt. So unreif auch das Gebahren des siegreichen Radicalismus vom März bis October gerade in Wien zu Tage trat, und so lästig das Regiment der Aula für alle reifen politischen Bürger der österreichischen Hauptstadt sein mochte, gewiß ist, daß das Ministerium Wessenberg schon seit Monaten mit der [729] „Camarilla“ einen Staatsstreich plante, der mit Hülfe des Heeres die Märzverfassung aufheben und das alte absolute Kaiserthum wieder aufrichten wollte. Am 3. October enthüllte sich der andere Theil dieser reactionären Politik. Schon vorher waren Briefe aufgefangen worden, welche verriethen, daß die Regierung den in Ungarn eingefallenen Banus von Kroatien Jellacic heimlich mit Geld und Kriegsmaterial unterstützte. Durch die kaiserliche Verordnung vom 3. October wurde der Banus, der Todfeind Ungarns, zum Oberbefehlshaber aller kaiserlichen Truppen und zum kaiserlichen Statthalter in Ungarn ernannt. Das war die offene Kriegserklärung an Ungarn. Und der Volksinstinct in Wien hatte Recht, wenn er darin nur das Vorspiel zum Umsturze der Märzverfassung erblickte.

Eine bewaffnete Empörung bemächtigte sich innerhalb vierundzwanzig Stunden – dank der völligen Unthätigkeit und der rathlosen Führung der Truppen – am 6. October der Stadt, und ermordete in gräßlicher Weise den Kriegsminister Latour, während seine Grenadiere Gewehr im Arm dem furchtbaren Schauspiele zusahen. So empörend diese scheußliche That des Pöbels auf der einen, die Zuchtlosigkeit der bewaffneten Macht auf der andern Seite ist, so ist das Empörendste an der ganzen Tragödie doch die damalige Haltung der Regierung. Der Deputation des Reichstages, die nach der Revolution treuvertrauend zum Kaiser kam, um ihm zu versichern, daß Wien dem Kaiser nach wie vor gehorsam sei und nur verlange, daß der Kaiser die reactionären Minister entlasse und die Verordnung vom 3. October gegen Ungarn zurücknehme, versicherte er, das werde geschehen. Und die Nacht darauf entwich er mit dem Hofe nach Olmütz und hinterließ der Stadt seine Kriegserklärung, die jedoch ohne Gegenzeichnung irgend eines Ministers ein schlechthin rechtsungültiger Act war. Nach wie vor regierte der Minister Kraus im Namen des Kaisers in Wien. Nach wie vor tagte in beschlußfähiger Zahl der Reichstag. Und der General Fürst Windischgrätz, der sich nun von Prag her gegen Wien in Bewegung setzte, um die Hauptstadt zu unterwerfen, konnte sich nicht einmal auf eine kaiserliche Vollmacht berufen. Wahrlich, die Rechtsverwirrung konnte nicht größer sein.

Daß die Frankfurter Linke versuchte, zu Gunsten Wiens einen Ausspruch des deutschen Parlamentes herbeizuführen, war nur natürlich. Am 12. October brachte der Abgeordnete für Wien in Frankfurt, Joh. Berger, den dringlichen Antrag ein, das Parlament wolle erklären, „daß die deutsche Stadt Wien sich durch ihren Kampf gegen die freiheitsmörderische Camarilla um das Vaterland wohl verdient gemacht habe“.

Es war gleichfalls sehr natürlich, daß das Parlament diesen excentrischen Antrag ablehnte, die Dringlichkeit desselben verneinte. Nun zog Berger den Antrag selbst zurück. Schon vorher hatte jedoch die „vereinigte Linke“ beschlossen, für diesen Fall von sich aus eine Deputation nach Wien zu senden, um die verfassungstreue Majorität des Reichstages und das Wiener Volk zu beglückwünschen. Noch in der Sitzung des Parlaments schrieb Blum auf einen Zettel: „Wenn wir überhaupt eine Deputation nach Wien senden wollen, müssen wir jetzt Beschluß fassen und heute Abend wählen. Die Gewählten müssen morgen früh abreisen.“ Sämmtliche Abgeordnete der Linken setzten ihre Namen darunter, nur der Blum’s fehlte. Da trat Roßmäßler zu Blum und sagte: „Ich möchte mir dieses merkwürdige Document aufheben. Du fehlst darauf.“ Lächelnd setzte Blum seinen Namen in die letzte freie Ecke. Er wußte nicht, daß er sein Todesurtheil unterzeichnete. Ich habe „das merkwürdige Document“ oft bei Roßmäßler gesehen.

Am Abend war die Wahl der Deputation. Rasch waren die Clubs des Donnersbergs und des Deutschen Hauses einig über die Entsendung von Julius Fröbel, Moritz Hartmann, Albert Trampusch. Aber sollte man Robert Blum in Frankfurt entbehren können? Stimmengleichheit ergab sich für ihn und Karl Vogt. Da zog – es ist dies eine persönliche Mittheilung von Karl Vogt an den Verfasser – Blum den Freund hinaus und beschwor ihn, bei der Stichwahl zurückzutreten, damit Blum aus der dumpfen Frankfurter Atmosphäre hinauskomme und Zeit zu fruchtbarer Sammlung und Erholung gewinne, die der ganzen Partei zu Gute kommen werde. Vogt trat zurück, und Blum wurde gewählt.

In der Nacht des folgenden Tages kam er in Leipzig an. Noch einmal schlief er im eigenen Hause – die letzte Nacht – herzte die Kinder, umarmte die Gattin – dann ging es am Frühmorgen des 14. October über Breslau nach Wien in einem wahren Triumphzuge. Am 17. erreichte er mit den Genossen Wien. Von den Behörden, dem Volke wurden sie feierlich empfangen. Sie nahmen Wohnung in „Stadt London“. Die Proclamation, welche die Frankfurter Deputation am 18. October an die Mauern Wiens heften ließ, in der sie den Wienern „den Bruderkuß von vielen Tausenden“ überbrachte und ihnen versprach, „wenn das Schicksal will, die Gefahren mit ihnen zu theilen, mit der Wiener Bevölkerung zu stehen und zu fallen“, entsprach dem Tone jener Tage und war der Feder des Dichters Moritz Hartmann entflossen. Am 17. schreibt Blum an seine Frau: „Unter dem ersten Eindrucke dieser ungeheueren Stadt kann ich Dir nur anzeigen, daß wir ohne oder doch mit sehr geringer Gefahr hier angelangt sind. Wien ist prächtig, herrlich, die liebenswürdigste Stadt, die ich je gesehen; dabei revolutionär in Fleisch und Blut. Die Leute treiben die Revolution gemüthlich, aber gründlich.“ Doch später heißt es: „Nur Eins fehlt: wahrhaft revolutionärer Muth in den Behörden; man zerrt sich dort gar zu sehr mit Halbheiten herum und lavirt immer, um auf dem gesetzlichen Boden zu bleiben. Energie dort im ersten Augenblicke, und die Sache wäre schon entschieden. Hoffentlich bekommt Wien unter dem Kanonendonner auch dieses Fehlende noch. ... Wann ich zurückkomme, kann ich allerdings jetzt nicht bestimmen, aber jedenfalls reise ich diese Woche noch ab, denn eine Entscheidung erfolgt in den nächsten Tagen.“

Ganz richtig und treffend urtheilt hier Blum über die Zaghaftigkeit der Behörden, die allein die Ursache zur Unterwerfung Wiens durch Windischgrätz wurde. Wenige Meilen von Wien, an der Grenze Oesterreichs, stand das siegreiche ungarische Heer unter Moga, von dem Jellacic in die Flucht geschlagen worden war. Sehnsüchtig harrte man in Pesth auf ein einziges Wort des Wiener Reichstages, um Wien zu entsetzen. Kossuth hielt alle Waffenkräfte des Landes, die Windischgrätz später mit einer weit größeren Truppenmacht, als er nun gegen Wien führte, nicht zu bezwingen vermochte, bereit, um sie auf den leisesten Wunsch des Reichsrathes nach Wien zu führen. Doch dieses Wort, dieser Wunsch wurde niemals ausgesprochen.

In bitterem Unmuthe über die Täuschung, die aus der Ferne so herrliche Revolution in der Nähe als eine so klägliche Parodie erkannt zu haben, schrieb Blum auch am 19. Morgens an seine Gattin: „In aller Eile die Nachricht, daß ich wahrscheinlich Sonntags mit dem ersten Zuge von Dresden komme; doch kann’s auch Montag werden, aber wahrscheinlich Sonntag.“ Also nirgends ein Anhalt für die weitverbreitete Meinung, Blum habe von Haus aus in Wien siegen oder sterben wollen. Ihm selbst ganz unerwartet kommt die völlige Cernirung Wiens durch Windischgrätz’ Heer. Am 20. Nachmittags schreibt er der Gattin: „Du erwartest mich Sonntag oder Montag, und ich bin indessen hier fest eingeschlossen, sodaß Niemand mehr heraus kann. Gestern ist dies vollendet worden, und heute sieht man eifriger und sehnsüchtiger als je der Entscheidungsschlacht entgegen. Wir sind also völlig in die Hand des Kriegsglückes gegeben, und wo wir herauskommen, wann wir fortkommen, wohin wir den Weg nehmen – davon haben wir in diesem Augenblicke noch keinen Begriff. ... Sobald die Entscheidung gefallen und dann irgend ein Weg offen ist, gehen wir. ... In Wien entscheidet sich das Schicksal Deutschlands. Siegt die Revolution hier, dann beginnt sie von Neuem ihren Kreislauf; erliegt sie, dann ist, wenigstens eine Zeit lang, Kirchhofsruhe in Deutschland. ... Sei so unbesorgt als möglich! Ich bin in sehr heiterer Stimmung und werde es bleiben bei jeder Wandlung, denn die Sache ist groß. Hoffentlich sehen wir uns wieder – und bald.“

Auch diese bessere Ansicht von der Sache, die nun um Leben und Tod kämpfte, ist durchaus erklärlich. An die Spitze der eigentlichen militärischen Leitung war der That, wenn auch nicht dem Namen nach der energische und tüchtige Pole Bem getreten. Vom Reichsrath und Gemeinderath erwartete man stündlich den Hülferuf an die Ungarn ergehen zu hören. Inmitten einer Bevölkerung, in der fast alle waffenfähigen Männer sich zur Wehr setzten, ergriff Blum, den energischen Mann, allmählich der Drang, in der belagerten Stadt sich nützlich zu machen, so gut er konnte. Als daher L. Hauk am 24. October einen Aufruf erließ, in [730] welchem zur Bildung eines Corps d’élite aufgefordert wurde, dessen Zweck sein sollte, den Ordnungsdienst in der Stadt aufrecht zu erhalten, nahmen Blum und Fröbel Volontairstellen an. Das Corps bestand aus Nationalgarden, Mitgliedern der akademischen Legion und Arbeitern. Die Mannschaften wählten Blum zum Hauptmann der ersten, Fröbel zum Hauptmann der zweiten Compagnie. Ein kleiner schmächtiger Student von achtzehn Jahren bot sich Blum als Freiwilliger an und wurde mit herzlichem Händedruck willkommen geheißen. Der junge Mann hatte soeben in Breslau seine Studien begonnen und war hierher geeilt: er hieß – Eduard Lasker. Bald machte nun der fühlbare Mangel an Kerntruppen die Verwendung dieses Corps, das lediglich zum Sicherheitsdienste in der innern Stadt bestimmt war, im Feuer, gegen den Feind nöthig, was um so leichter anging, da dasselbe unter Befehl Messenhauser’s stand. So wurde Blum in’s Gefecht commandirt und konnte selbstverständlich nicht Nein sagen. Am 26. October stand er mit seiner Compagnie an der Sophienbrücke, am 28. an der Nußdorfer Linie in heißem Gefecht. Alle Betheiligten geben ihm das Zeugniß eines trefflichen, muthigen, kaltblütigen Führers. Charakteristisch für seine Haltung ist sein Wort an seine Leute, während er und sie im Gefecht an der Nußdorfer Linie mit Kugeln überschüttet wurden: „Kinder, die Kugeln die Ihr pfeifen hört, thun Euch nichts.“ An seine Gattin schrieb er am 30.: „Ich habe am Samstag noch einen sehr heißen Tag erlebt; eine Streifkugel hat mich sogar unmittelbar am Herzen getroffen, aber nur den Rock verletzt.“

So sehr es nun menschlich erklärlich ist, daß Blum so handelte, wie er that, und so sehr seine Betheiligung am offenen Aufstande verziehen und straflos war durch die Capitulationsbedingungen vom 30. October, so war doch diese Betheiligung bei ihm, dem Fremden, dem Abgeordneten, ein schwerer politischer Fehler, welcher in dem Irrthum wurzelte, als ob „in Wien sich das Schicksal Deutschlands entscheide“. In Wien konnte sich dieses Schicksal nicht entscheiden. Auch die Rede, welche er am 23. October in der Aula hielt und die später neben seiner Betheiligung am Aufstand den übeln Vorwand für seine Verurtheilung zum Tode abgab, bewies, daß ihm jede Detailkenntniß der österreichischen Zustände abging.[2] Darin allein aber bestand die Betheiligung Robert Blum’s an der Wiener Revolution. Mehr haben ihm auch die Argusaugen seiner Richter nicht vorwerfen können, und es ist daher unbegreiflich, wie z. B. Anton Springer sich zum Colporteur des albernen Gerüchtes machen konnte: man habe bei Blum eine Proscriptionsliste von 6000 Namen gefunden, und in seiner Aula-Rede habe er den Arbeitern zugerufen: „Ihr müßt noch 200 Aristokraten latourisiren“ – Gerüchte, denen schon vor Ende November 1848 einer der obersten Officiere Messenhauser’s, Fenner von Fenneberg, in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ entgegentrat.

Zweifellos war es aber die Erkenntniß der schiefen Stellung, in welche sie sich begeben, welche Blum und Fröbel veranlaßte, bereits am 28. October Abends ihre Commandos niederzulegen. Ihre Demission wurde den 29. früh angenommen. Seit dieser Zeit sind die Abgeordneten ruhig in ihrem Hôtel zur Stadt London geblieben. Sicher ist, daß Blum in den kurzen Stunden, die er vom 29. October außerhalb seines Hôtels zubrachte, seinen Einfluß dazu benutzte, die Ueberzeugung von der Nutzlosigkeit ferneren Widerstandes zu verbreiten und namentlich von dem ruchlosen und wahnsinnigen Bruch der am 30. geschlossenen Capitulation über die Unterwerfung der Stadt abzumahnen. Als zu diesem Frevel die Verzweifelten unter den Vertheidigern durch das Herannahen der Ungarn und deren Gefecht an der Schwechat sich dennoch verleiten ließen, zieht er sich ganz in das Haus zurück und denkt sehnsüchtiger als je an die Heimkehr. Am 30. schreibt er der Gattin: „Mein Herz ist zerrissen von Zorn und Wuth und Schmerz. Ein Theil des städtischen Heeres will die Waffen nicht niederlegen, besonders die übergetretenen Soldaten sind in wahrer Raserei. – Sobald der Verkehr wieder beginnt, reise ich ab und komme nach Leipzig. Lebe wohl, auf baldiges Wiedersehen!“

„Auf baldiges Wiedersehen!“ – wie schmerzlich sollte diese Hoffnung getäuscht werden!

Am 1. November zog das siegreiche kaiserliche Heer in die bezwungene Stadt ein. Noch am nämlichen Tage erfolgten zahlreiche Verhaftungen, die in den nächsten Tagen schon nach Hunderten zählten. Unbekümmert und unbelästigt saß Blum in seinem Hôtel und bat den sächsischen Gesandten Herrn von Könneritz um einen Paß. Der Vertreter der heimathlichen Macht bot Blum seinen – Sophakasten zum Asyl an, da er Pässe durch die Soldaten nicht geben könne. Robert Blum begab sich nicht in dieses würdevolle Asyl, sondern blieb ruhig in Stadt London wohnen. Was sollte er auch befürchten? Sein Name war unter den Personen, deren Auslieferung Fürst Windischgrätz vor Abschluß der Unterwerfungsconvention vom 30. October verlangt hatte, nicht genannt. Ja, Fürst Windischgrätz hatte damals den Unterhändlern, die um Pardon selbst auch zu Gunsten militärischer Deserteure baten, auf diese Bitte selbst die trostreiche Antwort gegeben: „Ich werde mich an Großmuth nicht überbieten lassen.“ Nein, Blum hatte in der That nichts zu fürchten, so lange er nicht selbst mit Fröbel den unglückseligen Einfall hatte, sich daran zu erinnern, daß er Abgeordneter des deutschen Parlaments und als solcher vielleicht eher als Andere zur Erlangung eines Passes empfohlen, vor Allem unverletzlich sei. Bis dahin kümmerte sich die siegreiche Reaction nicht um Blum und hatte nicht einmal eine Ahnung von seiner Existenz in Wien. Sowie er aber in den Anachronismus verfiel, dem siegreichen Feldherrn gegenüber auf seine Vorrechte als Abgeordneter zu pochen, rief er den tragischen Conflict hervor. Daß Robert Blum so handelte, war das wahre tragische Verhängniß seiner demokratischen Natur, seines unbeugsamen Glaubens an die Macht und Majestät der deutschen Nationalvertretung.

Hans Blum.
  1. Diese Darstellung stimmt mit der mündlichen Mittheilung eines leider jüngst verstorbenen Augenzeugen an mich, Julius Faucher’s. Faucher erzählte mir, er habe damals Germain Metternich, den Hauptagitator der Pfingstweide, im Palais des Herrn von Schmerling aus- und eingehen sehen. Neu wäre der Vorgang nicht. Schon zur Zeit des Frankfurter Attentates 1833 hatte die k. k. Bundestagsweisheit die Revolution zum Ausbruch kommen lassen, um nachher eine frische fröhliche Reaction heraufzuführen.
  2. Die völlige Harmlosigkeit des Satzes, der ihn des Todes würdig erscheinen lassen sollte, springt in die Augen. Er lautet: „Man möge an die Stelle des früheren Bandes der Gewalt, welches die verschiedenen Nationalitäten des österreichischen Kaiserstaates zusammengehalten, das Band gemeinsamer Freiheit setzen“. Das Kriegsgericht verstand darunter die Republik – während die ganze Wiener Bewegung durchaus monarchisch – aber allerdings constitutionell-monarchisch war!