Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Aus Oberschlesien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 375-379
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[375]
Aus Oberschlesien.
I.
Station Gleiwitz. – Oberschlesien, das preußische Sibirien. – Reich und arm. – Die Hütte. – Das Abstechen eines Hohofens. – Das Gießen und die Former. – Die Kohlenlager von Zabrze. – Eine Fahrt in die Unterwelt. – Die Königshütte. – Nach Laurahütte. – Ein brennendes Kohlennflötz. – Laurahütte und ihre Walzwerke. – Die Geschicklichkeit der Oberschlesier. – Der Ertrag der Laurahütte. – Ronge und das gesellschaftliche Leben in Laurahütte.

„Station Gleiwitz! Zehn Minuten Aufenthalt!“ rief der Eisenbahnschaffner in unser Coupé hinein. Ich verließ dasselbe und meine bisherige Reisegesellschaft, weil ich einige Zeit hier zu verweilen gedachte, um einen alten Freund zu besuchen, der als Hüttenbeamter angestellt war. Mit all’ den gewöhnlichen Vorurtheilen reiste ich so zum ersten Male durch Oberschlesien, das auch ich als eine Art von preußischem Sibirien ansah. Ich war darauf gefaßt, unbebaute, wüste Gegenden, elende Hütten, eine verkommene und verdummte Bevölkerung anzutreffen, und erstaunte nicht wenig, in vielen Beziehungen gerade das Gegentheil zu finden. Noch immer ist Oberschlesien für die meisten Reisenden eine „terra incognita“, lediglich durch die Zeitungen als der Aufenthalt des Hungers und des Typhus seit dem Jahre 1847 bekannt. Damals erfuhr man zum ersten Male überhaupt von seiner Existenz und erhielt eben nicht das wahrste und angenehmste Bild. Ein kurzer Aufenthalt bei meinem hier eingebürgerten Freunde und einige Ausflüge in Begleitung dieses kundigen Führers berichtigten schnell meine vorgefaßten Meinungen. Statt der erwarteten Hütten fand ich häufig herrliche Paläste; mitten in der geträumten Wildniß reich angebaute Länderstrecken und vor Allem eine industrielle Thätigkeit, die meine ganze Bewunderung im hohen Grade beanspruchte. Freilich fehlte es der Medaille auch nicht an der Kehrseite und neben dem Schwindel erregenden Reichthum gibt es hier die entsetzlichste Armuth, wie wir sie in den Fabrikdistricten Englands ebenfalls zu sehen gewohnt sind. Bald wurde mir klar, daß hier die schreiendsten Gegensätze dicht neben einander liegen. Es ist ein eigenthümliches Land, dieses Oberschlesien, arm wie ein Bettler, reich wie ein Millionair; auf der einen Seite elend und verkommen, auf der andern wunderbar sich entwickelnd und emporblühend, unfruchtbar und dürr wie die Sandwüste, mit spärlichen Fichten und elenden Kiefern, oder mit kranken Kartoffeln bepflanzt, aber in der Tiefe die größten Schätze bergend, kolossale Steinkohlenlager, welche für Jahrtausende ausreichen, unerschöpfliche Eisenerze und Galmeigruben; selbst an Silber fehlt es nicht. Vor Allen hat die Steinkohle, dieser dunkle Zauberer, Wunder gethan. Wo sie aus der Erde emporsteigt, da verwandelt sie die ganze Physiognomie der Gegend. Mitten in der Wildniß entstehen in kurzer Frist neue Anlagen, bedeutende Hüttenwerke, großartige Industriepaläste, um welche schnell eine Colonie von Arbeitern sich ansiedelt. Diese ziehen den Gastwirth, den Krämer, den Handarbeiter nach sich und die Colonie wird so zum Dorf, das Dorf zum Städtchen, wo die Wohnungen der meist gut bezahlten Beamten an Eleganz und Comfort öfters den Häusern und Villen der Residenz wenig oder gar nichts nachgeben. Nach den Städten selbst strömen die gewonnenen unterirdischen Schätze, um von da aus weiter vertrieben zu werden, Handel und Wandel nehmen einen nie geahnten Aufschwung, der Wohlstand ist im Wachsen und die Bevölkerung mehrt sich mit jedem Tage. Dies gilt allerdings zunächst nur für die an der Eisenbahn gelegenen Orte, welche den Güterverkehr vermitteln. Als ein solcher hat auch Gleiwitz in jüngster Zeit eine große Bedeutung erlangt, indem es gleichsam den Mittelpunkt des oberschlesischen Berg- und Hüttenwesens bildet. Die Stadt selbst bietet wenig Merkwürdigkeiten; sie ist alt und von dem fortwährenden Steinkohlenrauche stark geschwärzt. Geschichtlich interessant dürfte ihre tapfere Vertheidigung gegen die Schweden im dreißigjährigen Kriege sein, wobei sich besonders die Frauen hervorgethan haben sollen. Diese kochten nämlich nach der Sage Hirsebrei [376] und bewarfen damit den anstürmenden Feind von der Mauer herab so tapfer, daß dieser sich genöthigt sah, seinen Rückzug zu nehmen.

Ein angenehmer Spaziergang führt an dem Klodeitz-Canal nach der Hütte. Längs dem Ufer erheben sich stattliche Gebäude, meist mit Niederlagen für Steinkohlen, Zink und Eisen verbunden. Fortwährend werden Schiffe ein- und abgeladen, welche diese Güter bis nach Oppeln bringen, wo sie dann weiter befördert werden. Ein eben so großer Theil geht jedoch direct mit der Eisenbahn nach Breslau. Um sich einen Begriff von der Großartigkeit dieses Verkehrs zu machen, braucht man nur daran zu denken, daß jährlich Millionen Centner Kohlen und andere Bergwerksproducte hier verladen werden, so daß die oberschlesische Eisenbahn hauptsächlich diesem Umstande ihre große Rentabilität verdankt. Die Hütte besteht aus einer Reihe von Gebäuden, in denen das Eisenerz theils geschmolzen, theils verarbeitet wird. Schon von Weitem verkündigt ein lautes Getöse und dröhnender Hammerschlag die geschäftige Nähe derselben. Den Mittelpunkt bildet der riesige Hohofen, wo das rohe Material geschmolzen wird. Eine der größten Dampfmaschinen mit einem Gebläsewerk verbunden unterhält die nöthige Zuströmung von frischer Luft. So groß ist das Geräusch des sausenden Zuges, daß man beim Vorübergehen taub zu werden fürchtet und kaum einen kurzen Augenblick zu verweilen vermag. Drinnen kocht und siedet die feurige Masse, „der Funke sprüht, die Bälge blasen, als gält’ es Felsen zu verglasen.“ Einen besonders interessanten Anblick gewährt das Abstechen des Hohofens, welchem ich in Gesellchaft meines Freundes beiwohnen durfte. So bald das Erz hinlänglich geschmolzen ist, werden die bisher verschlossenen Pforten von den Arbeitern mit großen Stangen geöffnet. Plötzlich füllt sich der dunkle Raum mit hellem Licht und ein glühender Eisenstrom windet sich, einer Schlange gleich, im feuchten Sande, wo er allmählich erkaltet. Die dabei ausströmende Hitze ist so groß, daß der Boden unter unseren Sohlen zu brennen scheint und die Arbeiter nur mit Hemde und leichter Hose bekleidet ihr schwieriges Tagewerk vollführen. Das so gewonnene Eisen bedarf jedoch noch eines vielfachen Läuterungsprocesses, ehe es zu jedem Gebrauche angewendet werden kann. Meist wird dieses sogenannte Roheisen in den Kaupelöfen und Frischfeuern von den ihm noch anhängenden fremden Bestandtheilen gereinigt und von seiner Brüchigkeit befreit.

Von dem Hohofen treten wir in die Gießerei. Hier arbeiten die Former zuerst die Form der zu gießenden Gegenstände nach bestimmten Modellen, riesige Maschinentheile, kolossale Räder und Walzen, Hausgeräthe aller Art, Töpfe, Kochgeschirr und daneben wahrhafte Kunstgegenstände, prachtvolle Kirchenleuchter, Statuen und selbst die zierlichsten Nippsachen für das Boudoir der Damen. Aus kleineren Oefen strömt dann das Erz in die fertige Form; dazwischen laufen und rennen von Ruß und Kohlenstaub geschwärzte Arbeiter mit größeren und kleineren Gefäßen, worin das flüssige, glühende Eisen getragen wird. Man muß sich in Acht nehmen und es heißt: Vorgesehn! wenn man nicht verbrannt werden will. Während in der einen Ecke ein wahres Ungeheuer von einem Cylinder aus der Erde emporgehoben wird, fällt an einer anderen Stelle die Hülle von einem edlen Bildniß, schält sich hier ein zierliches Gefäß, dort ein luftiges Gitter zu einer Brücke aus der kunstreichen Form. Aber noch bedarf das so erhaltene Product der letzten Vollendung, der Abglättung und Politur, wenn es seinem Zwecke entsprechen soll. Doch auch dafür ist gesorgt durch die mächtigen Drehbänke und Schleifereien. Hier erblicken wir durch ein einziges kolossales Rad unzählige kleinere Räder in Bewegung gesetzt, welche die verschiedenen Gußstücke mit scharfen und schneidenden Messern, Stahlmeißeln und Bohrern in Berührung bringen. Als wäre es weiches Wachs oder Holz, so wird das harte Eisen von dem noch härteren Stahle geschnitten, angebohrt und von seiner rauhen Oberfläche befreit, daß es im hellen Glanze blinkt. Glühend heiß sind die abfallenden Eisenspähne, welche allein durch ihren Wärmegrad die angewendete Kraft und den geleisteten Widerstand verrathen.

Die Zeit drängt und wir haben noch so viel zu sehn: die Schmiede, wo vor unsern Augen der Dampfkessel entsteht, welcher vielleicht schon in wenig Wochen eine Maschine von zweihundert Pferdekraft in Bewegung setzen wird. Wir glauben, in die Werkstätte der Cyklopen zu treten. Die schwieligen Fäuste der kräftigen Männer treiben unter wuchtigen Hammerschlägen fußlange Nägel durch das mehrere Zoll dicke Eisenblech. Der betäubende Lärm und das Getöse verscheucht uns fort nach den stilleren Räumen, wo der Ciseleur den kunstreichen Gebilden des Formers die letzte Vollendung gibt. Aus den Reihen dieser Arbeiter sind schon geniale Künstler hervorgegangen, und der berühmte Bildhauer Kiß, der die Amazonengruppe in Berlin geschaffen, so wie Kallide sind Kinder und auch Zöglinge der Gleiwitzer Hütte.

Endlich gehen wir, nachdem wir den wunderbaren Verwandlungsproceß angestaunt, der vor unseren Augen sich entfaltet hat, die Metamorphose des rohen Erzes zur feinsten Schöpfung des künstlerischen Fleißes anzusehen. Hier feiert der menschliche Gedanke und die Arbeit ihre schönsten Triumphe, indem sie in einer fortlaufenden Reihenfolge das Eisen als den modernen Proteus erscheinen lassen, bald in Gestalt des segensreichen Pfluges, bald als zerstörende Kanonenkugel, bald als Maschine und Hebel der modernen Industrie. – Was ich hier gesehen, machte mich nur begierig, auch die übrigen Hütten und Werke kennen zu lernen, an denen die Umgegend von Gleiwitz und die benachbarten Kreise so überaus reich sind. Mein nächster Ausflug galt den reichen Kohlenlagern von Zabrze, welche mit der Eisenbahn in einer Viertelstunde zu erreichen sind. Nach allen Richtungen erstrecken sich bald in größerer bald in geringerer Tiefe die ungeheueren Steinkohlenflötze in einer Mächtigkeit, welche den Schätzen dieser Art in Wales gleich kommt. Ein Bekannter meines Freundes, der daselbst das Amt eines Obersteigers bekleidete, erschloß mir diese unterirdische Welt, die ich unter seiner Führung betrat. Mit dem schwarzen Kittel des Bergmannes angethan fuhren wir in den Hauptstollen nieder, der sich in ungemessener Ausdehnung unter der Erde erstreckt. Damals war von einem Plane die Rede, diesen Gang bis nach der zwei bis drei Meilen noch entfernten Königshütte fortzutreiben und mit den dortigen Gruben zu verbinden. Mich überkam ein ganz eigenes wunderbares Gefühl, als ich so in der dunklen Tiefe einherwanderte und die Bergleute mit ihrem Lämpchen am Gurt wie irrende Schatten an mir mit ihrem sinnigen „Glück auf!“ vorüberschlüpften. Schwarze Wände bildeten von beiden Seiten ein finsteres Gewölbe, von dem das sickernde Wasser niedertropfte. Geschäftig pochte die Hacke an den Stein und löste die Kohle oft in großen, mächtigen Stücken ab, welche polternd und dröhnend mit dumpfem Falle niederfuhren.

Zuweilen hörten wir ein erschütterndes Krachen, das von einer Pulvermine herrührte, durch die ein größeres Flötz gesprengt wurde. Ein Erdbeben schien im Anzuge zu sein und der Boden zitterte oft wörtlich unter unseren Füßen. Die Unbefangenheit meines Begleiters flößte auch mir Muth ein und ich schritt an seiner Seite rüstig fort, bis wir zu einem unterirdischen Canal gelangten, der von den strömenden Wassern der Tiefe gebildet wird. Wer hätte da nicht an den Styx der Unterwelt gedacht, und richtig, da wiegte sich auch schon Charons Nachen auf der schwarzen Fluth. Mein Führer winkte und der Schiffer, der allerdings nicht griechisch, sondern nur wasserpolnisch sprach, ruderte uns eine ziemliche Strecke auf dem dunklen Gewässer. Unterwegs erzählte mir der Herr Obersteiger von den verschiedenen Gefahren, welchen die Bergleute in den Kohlengruben ausgesetzt sind, unter denen die sogenannten „schlimmen Wetter“, verdorbene und schädliche Gase, welche sich leicht entzünden und durch Explosion tödten, die erste Stelle einnehmen. Außerdem gehören Verschüttungen, Verletzungen beim Sprengen und Anzünden der Minen, Tödtung durch herabgefallene Balken und Gefäße keineswegs zu den Seltenheiten. Die Zahl der jährlich Verunglückten ist ziemlich bedeutend, und erst gestern wurde ein Bergmann, der am Morgen rüstig eingefahren, am Abend mit zerschmetterten Gliedern den armen Seinigen in’s Haus getragen. Dabei ist der Lohn äußerst gering und doch sind die Leute meist mit ihrem Loose zufrieden; selbst zur Zeit der Revolution im Jahre 1848 verhielten sich gerade diese Arbeüer weit ruhiger, als die meisten ihrer Brüder, und verlangten nur in seltenen und vereinzelten Fällen eine Lohnerhöhung. Mein freundlicher Führer unterrichtete mich auch bei dieser Fahrt über die Beschaffenheit und Güte der verschiedenen Kohlensorten, welche hauptsächlich von ihrer Reinheit abhängt, so wie von der Eintheilung in Stück-, Würfel- und Staubkohle, die sich nach dem Volumen und Umfang richtet. Der Preis der ersteren ist ungefähr doppelt so hoch als der letzteren. Der Transport im Bergwerke selbst geschieht auf Eisenbahnschienen und in viereckigen Karren, aus denen sie in Kasten gebracht und so hinaufgewunden werden. Einen derartigen Kasten, nicht eben das angenehmste und reinlichste Fuhrwerk,

[377]

Die Laurahütte.

[378] benutzten auch wir zur Auffahrt und mein erster Gedanke war: Es freue sich, wer da athmet im rosigen Licht!

Von Zabrze brachte uns die Eisenbahn im raschen Fluge nach Königshütte, einem Dorfe, das statt der erwarteten Hütten aus eleganten Häusern und selbst einzelnen palastähnlichen Gebäuden besteht. Das dortige Hotel stand in keiner Beziehung seinen großstädtischen Geschwistern, selbst nicht in der Rechnung, nach. Während wir unser Abendbrod in dem gemeinschaftlichen Speisesaale verzehrten, füllte sich derselbe mit Gästen, reichen Gutsbesitzern und Beamten aus dem Orte und der Umgegend, selbst an Ausländern fehlte es nicht, an Engländern, Franzosen und besonders Russen, welche entweder hier angestellt waren oder die Hüttenwerke und den Bergbau Oberschlesiens praktisch kennen lernen wollten. Es herrschte im Ganzen ein heiterer und ungebundener Ton, bald schäumte der Champagner, der Ungarwein floß, die Würfel klapperten und auch eine Bank mit hohem Einsatz wurde aufgelegt. Trotzdem die wunderbar gemischte Gesellschaft, unter der sich auch ein junger Prinz als angehender Bergmann befand, mir manche interessante Seite für meine Beobachtung bot, so zog ich es doch vor, zeitiger als gewöhnlich mein Bett aufzusuchen, ermüdet von den keineswegs unbedeutenden Anstrengungen des Tages. Als ich in das mir angewiesene Zimmer trat, wurde ich nicht wenig überrascht von einem hellen Glanz am Horizont, der mir von einer Illumination herzurühren schien. Ein Glanz von blauen, grünen und rothen Flammen schimmerte vor meinen Augen, als ich das Fenster öffnete und in die dunkle Nacht hinausblickte. Auf mein Befragen belehrte mich der Freund, daß dieser Schein, den ich für eine festliche Beleuchtung hielt, nur die aufsteigende Gluth unzähliger Hohöfen und Zinkhütten in der Umgegend sei. Ich konnte mich nicht schnell von dem eigenthümlichen Schauspiel trennen und blickte noch längere Zeit nach den Feuerzeichen, welche der unkundige Wanderer für wunderbare Meteore und glänzende Naturerscheinungen zu halten geneigt ist.

Am nächsten Morgen stattete ich der Gießerei und der an derselben gelegenen Zinkhütte meinen Besuch ab. Die Königshütte hat mit den Gleiwitzer Eisenwerken die größte Aehnlichkeit; beide sind königliches Eigenthum und dienten längere Zeit als Musteranstalten, sind aber gegenwärtig von der gestiegenen Privatindustrie fast in den Hintergrund gedrängt worden. In Königshütte bestiegen wir einen Wagen, der uns nach der nahen Laurahütte bringen sollte. Der ganze Weg führte uns fortwährend an Gruben, Dampfmaschinen und ähnlichen Etablissements vorüber. Wir befanden uns in dem eigentlichen Bergwerksdistricte, wo eine kaum geahnte Thätigkeit, ein reges Leben herrscht. Die Chaussee war mit Hunderten von Wagen bedeckt, welche Erze, Kohlen und ähnliche Producte fuhren. Der oberschlesische Bauer zieht es vor, durch diese Frachten statt durch den mühevollen Ackerbau auf leichtere Weise sein Brod zu verdienen. Im Leinwandkittel geht er neben dem Gespann, das aus zwei kleinen Pferden besteht, welche nicht selten kaum die Größe eines ausgewachsenen Kalbes erreichen, so daß man nicht begreift, wie sie die schweren Lasten fortschaffen können. Niemals glaubte ich ähnliche elende Thiere gesehen zu haben. Dabei geht die Feldwirthschaft natürlich zu Grunde, da der Bauer als sogenannter „Vecturant“ sich den ganzen Tag auf der Heerstraße herumtreibt und den schnell erworbenen Verdienst in den zahllosen Schenken durchbringt. Außerdem bleibt das Düngungsmaterial verloren und ungenutzt auf dem Wege liegen. In schlechten Jahren muß dann natürlich der Hunger und die Noth sich einstellen, da der Ertrag der so gänzlich vernachlässigten Felder nicht ausreichen kann. Durch Einführung von Pferdebahnen glaubt man diesem Uebelstande abzuhelfen, der jedoch tief in der Natur der Verhältnisse liegt und zum großen Theil in der Trägheit und dem Nomadensinn der polnischen Bevölkerung begründet ist.

An einzelnen Stellen liegt die Kohle vollkommen zu Tage, nur durch eine leichte Erdschicht bedeckt, so daß ein derartiges Bergwerk dem Beschauer einen offenen Einblick gestattet. Es gewährt dann ein lohnendes Schauspiel, diese Hunderte von Arbeitern bei ihrer Beschäftigung zu sehen, wie sie gleich einem Ameisenhaufen hier in der Erde wühlen. – Zuweilen geräth auch durch irgend einen Zufall ein mächtiges Kohlenflötz in Brand und kann trotz aller Anstrengungen, mächtiger Schutzmauern und Hinzuleitung von Gewässern nicht mehr gelöscht werden. Jahre lang wüthet die Flamme in der Tiefe der Erde, bis sie Alles verzehrt hat oder aus Mangel an Luftzutritt erstirbt. Eine solche Brandstätte ist in dieser Gegend die mächtige Fanny-Grube. In einer Ausdehnung von vielen hundert Morgen ist der Boden ausgedörrt und an einzelnen Stellen verglast. Man glaubt, auf einem Vulcane zu stehen: aus dem geborstenen Erdreich und den zerbrochenen Spalten bricht fortwährend ein schwefliger Dampf hervor, zuweilen mit rothen zuckenden Feuerflammen verbunden. Ringsumher scheint die Vegetation erstorben und die Gegend bietet besonders im Hochsommer einen traurigen Anblick dar. Kein Vogel singt in der verpesteten Luft, kein Thier nähert sich dem heißen Brodem, der unaufhörlich emporwirbelt und nur selten nähert sich ein Mensch dem gefährlichen, glühenden Aufenthalt der entfesselten Geister der Unterwelt. Das Schweigen des Todes herrscht an solchen Orten. Noch weit wunderbarer soll dies Schauspiel im Winter sein, wo die ganze Gegend mit Schnee bedeckt erscheint, während auf diesen Stellen die Wärme den Schnee fortschmilzt und hier in der weißen, erstarrten Ebene ein großer, schwarzer Fleck die unterirdische Gluth verkündet. Dann sprießt wohl auch im Februar wie in einem künstlichen Treibhause eine schnell wieder dahinwelkende Vegetation hervor, und der erstaunte Wanderer erblickt mitten im Winter grünenden Rasen und blühende Maßliebchen, während der eisige Nordwind alles übrige Leben tödtet.

Die Laurahütte ist von dem Grafen Henkel von Donnersmark und den Gebrüdern Oppenfeld begründet; sie liegt neben dem Dorfe Sziemanowitz, welches dem Ersteren zugehört. Auch hier finden wir statt eines eigentlichen Dorfes eine Reihe eleganter Wohnungen für das zahlreiche Beamtenpersonal, schöne Häuser im neuesten Baugeschmack, von Gärten umgeben und mit allem möglichen Comfort und selbst Luxus versehen. Die Hüttenwerke bieten einen imposanten Anblick dar in ihrer Ausdehnung und durch ihren soliden Bau. Wie Pyramiden steigen die gewaltigen Dampfschornsteine empor und gleich Thürmen ragen die verschiedenen Oefen, fortwährend in dunkle Rauchwolken gehüllt, in die Luft. In der Mitte des räumlich ungeheueren Hofes steht ein glänzender Cylinder von kolossaler Größe, welcher die nöthige erwärmte Luft dem Gebläse zuführt. Dampfmaschinen von der verschiedensten Pferdekraft bewegen unaufhörlich bei Tag und Nacht ihre Riesenarme und treiben die Arbeit von vielen tausend Menschenhänden. Laurahütte ist das oberschlesische Seraing und nicht minder bewunderungswerth wie dieser belgische Fabrikort, die Schöpfung des genialen Cockerill. In neuerer Zeit liefert es außer den verschiedenen Sorten von Schmiedeeisen und Blechen aller Art besonders auch Schienen für die Eisenbahnen, welche den englischen den Rang streitig machen. Unter den wuchtigen, centnerschweren Hämmern und Walzen nimmt das Eisen jede beliebige Form und Gestalt an und wird vor unseren Augen aus einer formlosen Masse zum starken, zolldicken Stabe, oder zum dünnen Blatte, so fein wie Postpapier, umgewandelt. Wie in Gleiwitz und Königshütte vorzugsweise geschmolzen und gegossen, so wird hier geläutert, geschmiedet und gewalzt. Der Hammer dröhnt, die Walze ächzt und drückt das sich sträubende Metall wie weiches Wachs zusammen, formt und preßt es so lange, bis es zum Hausgebrauch befähigt als Schmiede- und Schlossereisen nach allen Weltgegenden verschickt werden kann. Zwischen zwei Cylinder, deren Kraft hinreichen würde, einen Elephanten zu zermalmen und die festesten Knochen augenblicklich in Staub zu verwandeln, bringt der athletische Arbeiter ein Stück glühendes Eisen; man glaubt es unter dem gewaltigen Drucke stöhnen zu hören. Nach kurzer Zeit zieht er es glatt gedrückt hervor und von Neuem trägt er es zu dem Ofen, wo es wieder bis zur Glühhitze erwärmt wird. Jetzt steckt es der Arbeiter zwischen zwei andere Walzen, welche es ergreifen, packen, es dehnen und strecken, bis es um mehrere Fuß verlängert erscheint. Aber noch immer wird dem armen Eisen keine Ruhe gegönnt, von Walze zu Walze, von Cylinder zu Cylinder muß es wandern, um endlich als vollkommene Eisenbahnschiene hervorzugehen, jetzt erst geeignet, die schweren Lasten der dahin sausenden Locomotive, der unendlichen Güterzüge zu tragen, ohne zu brechen. Der Reisende, welcher im raschen Fluge darüber fährt, läßt sich gewiß nicht träumen, wie viele Schweißtropfen seine schnelle Beförderung und Sicherheit dem armen oberschlesischen Hüttenmann gekostet hat.

Die meisten dieser Arbeiter sind geborne Oberschlesier und mein Freund versicherte mich, daß dieser so verschrieene Volksstamm eine merkwürdige Geschicklichkeit und Anstelligkeit besitzt. Nehmt einen oberschlesischen Bauer und zeigt ihm eine Dampfmaschine [379] und die Art und Weise ihrer Behandlung; er wird euch sogleich begreifen, den Mechanismus fassen und schon in vier und zwanzig Stunden einen brauchbaren Maschinenwärter abgeben. Ein eben so großeTalent zeigt er für alle andere technischen Arbeiten. Das deutet doch keineswegs auf beschränkte geistige Fähigkeit hin; höchstens fehlt es ihm nur an Gelegenheit, dieselben auszubilden und zu entwickeln. Auch viele Engländer, die jedoch nicht höhere Stellungen bekleiden, haben sich in Laurahütte angesiedelt und scheinen sich ganz eingelebt zu haben. Ich war nicht wenig überrascht, von einem Aufseher, den ich deutsch anredete, eine englische Antwort zu erhalten, was mir noch mehrere Mal in Oberschlesien begegnete.

Der Ertrag der Laurahütte ist, wie man sich denken kann, sehr bedeutend, und man wird sich ungefähr einen Begriff von dem großartigen Umsätze machen können, wenn man erfahrt, daß der reine Gewinn für jeden der beiden Theilnehmer jährlich auf achtzig bis hunderttausend Thaler und auch mehr veranschlagt wird, ungeachtet der bedeutenden Ausgaben für Rohprodukte und Besoldungen der Beamten. Letztere sind meist glänzend gestellt und das Einkommen des Directors der sämmtlichen Hüttenwerke soll den Gehalt von manchem deutschen Staatsminister bei Weitem übersteigen. In Laurahütte lebte wie bekannt auch Ronge einige Zeit als Hauslehrer und Erzieher. Von hier aus erließ er jenen bekannten Brief an den Bischof von Trier wegen der Ausstellung des heiligen Rockes; so daß es diesem im äußersten Winkel der Monarchie gelegenen Orte neben seiner materiellen und industriellen Bedeutung auch an einem gewissen geistigen Interesse nicht gebricht.

An dem Wirthshaustische lernte ich mehrere unverheirathete Beamte kennen, meist gebildete Männer, welche größten Theils zu ihrer Ausbildung Belgien, Frankreich und England bereist hatten. Ich erhielt von ihnen manchen gewünschten Aufschluß über die eigenthümlichen Verhältnisse der Bewohner Oberschlesiens, welche mir einen längeren Aufenthalt wünschenswerth erscheinen ließen, um das Volk nach allen Seiten genauer kennen zu lernen. Was ich darüber hörte, bestärkte mich nur in dem Ausspruch: Es ist ein wunderbares Land, dieses Oberschlesien!