Aus Andreas Hofers Heimatsthal

Textdaten
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Autor: Karl Wolf
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Titel: Aus Andreas Hofers Heimatsthal
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 724–727
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus Andreas Hofers Heimatsthal.

Von Karl Wolf.

In dem Wirtshause genannt „Am Sande“ zu Sankt Leonhard im Passeierthal kam 1767 Andreas Hofer, der Führer Tirols im Freiheitskampfe, zur Welt. „Am Sande“ hieß der Ort, weil die hier sich ausdehnenden Thalwiesen infolge der übermäßigen Abholzungen an den steilen Berglehnen durch gewaltige Muhren häufig verschüttet und übersandet wurden. Noch heute steht das Wirtshaus am Sande, der Sandhof, in welchem 1809 die ersten Beratungen zum Aufstande gegen die verhaßte Fremdherrschaft gehalten wurden, von wo aus Andreas Hofer die Tiroler zu den Waffen rief, um dem Lande die Freiheit wiederzugeben. Dort sagte er zu den Anführern, welche aus dem ganzen Lande zur Beratung gekommen waren: „Nun denn mit [725] Gottes Hilf und unter seinem Schutz, so wollen miar die verabredete Botschaft ausschicken: Es ist Zeit! Von alle Kirchthürm soll Sturm gläutet werden. Suacht’s fürer enkere Stutzen und Waffen, laßt’s aufmarschirn die Schwögler und Trummler, Kriag werd, a heiliger Kriag! Auf denn Mander: Mit Gott für Kaiser und Vaterland!“

Hundert Jahre nach Hofers Geburt wurde auf einer dicht bei dem Geburtshaus gelegenen kleinen Anhöhe der Grundstein zu einer Kapelle gelegt, zum Gedächtnis daran, daß sich Tirol in den Jahren der Bedrängnis dem Herzen Jesu verlobte. Diese nach den Plänen des Architekten Josef Vonstedt erbaute „Herz Jesu-Kapelle“, die vom Volksmunde treffend „Die Hofer-Kapelln“ genannt wird, ist jetzt endlich vollendet und am 21. September feierlich in Gegenwart des Kaisers Franz Josef von Oesterreich und des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand eingeweiht worden. Im Gefolge waren ferner der Erzherzog Franz Karl, Erzherzog Eugen, der Hoch- und Deutschmeister, Fürst-Primas Kardinal Haller, ein geborener Passeirer, die Fürstbischöfe von Brixen und Trient etc. Aus allen Gauen waren die Tiroler Schützen, weit über achttausend an der Zahl, in ihren verschiedenen Landestrachten in das Heimatsthal Andreas Hofers gekommen, um dem Feste beizuwohnen – die Enkelkinder jener Tapferen, deren Stutzen am Berg Jsel krachten, bei der Pontlatzer Brücke, an der Mühlbacher Klause und auf dem Küchelberge bei Meran. Tausende trugen dabei noch die Tracht der Vorfahren und die alten Waffen, die als Reliquien allenthalben aufbewahrt werden.

Der Sandhof und die neue Hofer-Kapelle im Passeier.
Nach photographischen Aufnahmen von Wilh. Müller in Gries bei Bozen.

Die zahlreichen Festgäste, welche im Jahre 1867 der Grundsteinlegung der Kapelle anwohnten, konnten nur auf beschwerlichen Wegen in das Thal kommen; die meisten wählten die Uebergänge über den Jaufen, über Tümmels aus dem Oetz- und Schnalserthale. Von Meran aus führte ins Passeierthal nur eine Saumstraße, auf welcher Kraxenträger und zahlreiche schwerbeladene Bötinnen den ganzen Verkehr der Thalbewohner mit der Stadt vermittelten. Auch das Brennholz lieferte das waldreiche Thal der Stadt, Bauholz jedoch konnte auf dem Saumweg nicht gefördert werden. Ueber die Dörfer Riffian-Kuens und den Schildhof Saltaus rechnete man fünf Gehstunden bis St. Leonhard, dem Hauptorte des Thales. Jetzt aber führt eine schöne Straße dorthin und durch sie wurde wieder ein herrliches Stück Tiroler Land dem Verkehre eröffnet. Der schaffensfreudige und unermüdliche Bürgermeister des Kurortes Meran Herr Dr. Roman Weinberger hat dieses Werk, trotz mancher Gegnerschaft, durchgesetzt und damit den ersten Grund zu einem neuen Straßenzug gelegt, welcher zu den interessantesten des Landes zählen wird. Diese neue Straße wird vom Fuße des Brenners bei Sterzing über den Jaufen führen, in ihren Serpentinen, gegen Passeier zu abfallend, einen herrlichen Ausblick in das Etschthal gewähren. Man erreicht das sonnige Meran, durchquert den Fruchtgarten des Burggrafenamtes, um bei Lana, in die Hohe steigend, durch ein Mittelgebirge von entzückender Scenerie, endlich die Höhe des Gampens zu gewinnen und mit ihr den Anschluß an die prächtigen Alpenstraßen Welschtirols.

Am Morgen des 21. September d. J. zogen von Meran aus auf der neuen Straße nach St. Leonhard die Tiroler Schützen mit ihren Fahnen in kolonnenmäßigem Aufzuge; mehr als dreihundert Wagen mit Festgästen belebten sie; um 9 Uhr trat der Kaiser mit den Erzherzögen unter dem Donner der Böllerschüsse die Fahrt [726] von Meran zum Sandhofe an, wo zwei Stunden später die Ankunft erfolgte. Bereits um 8 Uhr hatte der Fürstbischof von Brixen die Einweihung der Gedächtniskapelle vorgenommen.

Die auf unserer Abbildung rechts sichtbare Kapelle ist ein romanischer Centralbau aus behauenen Steinen, über den sich in der Mitte der kräftige Turm erhebt. Das Innere ziert ein einfacher Steinaltar mit einer Herz Jesu-Statue vom Tiroler Bildhauer Trenkwalder. Die Wände decken historische Gemälde von Edmund v. Wörndle, die Dekorationsmalerei ist von Josef Pattis. Nur von den Seiten, durch die zwölf Fenster, fällt Licht in den Raum, und zum gründlichen Beschauen der Bilder ist es fast nötig, eine Früh- und eine Nachmittagsstunde zu wählen, da das Licht sich selbstverständlich nach dem Stande der Sonne ungleichmäßig verteilt. Diese sehenswerten und besonders für jeden Verehrer Hofers hochinteressanten Gemälde finden eine eingehende Besprechung in der zum Feste erschienenen Schrift von Alois Menghin: „Tirols Ruhmesblatt in der Weltgeschichte“ (bei C. Jandl, Meran), ein wertvolles illustriertes Büchlein, das jedem Freunde Tirols Freude machen wird.

Die Heldenthaten vom Jahre 1809 sind freilich weltbekannt, und was Andreas Hofer in jenen Kämpfen für sein Vaterland geleistet hat, ist hundertfach dargestellt worden. Weniger bekannt aber ist Andreas Hofers Jugendzeit und die Eigenart des Passeirervolkes überhaupt. Da hat nun Herr Dr. Franz Jnnerhofer in Meran, der einer Altmeraner Familie entstammt, einen glücklichen Fund gemacht. Ein unermüdlicher Sammler von Dokumenten der Heimatsgeschichte, hat er ein Manuskript entdeckt, das von einem gewissen Josef Thaler, vulgo Hasler, aus St. Martin in Passeier stammt, einem einfachen, schlichten Bauern, der Zeitgenosse und Freund Hofers war. Obwohl Thaler das Konzept seiner „Hofer-Geschicht“ vollendete, kam er mit der Reinschrift nur bis zum 24. Abschnitt, als ihn der Tod ereilte. Diese Reinschrift vollendete der Direktor der Bozener Bürgerschule Jakob Pöll, auch ein Zeitgenosse Hofers. Dr. Jnnerhofer hat diese Schrift jetzt zum Fest drucken lassen (Meran, Ellmenreichs Verlag). Die Vorrede dieses Büchleins ist in der Originalschreibweise des bäuerlichen Verfassers wiedergegeben. Als ein Beispiel folge hier die Einleitung: Vorrede an den ginstigen Leser. Mein gedreister Leser ich mues Dich ja schon zuvorauf um Verzeichen Biten, das ich mich Joseph Thaler unterstanden Ein geschichten Zu Schreiben oder Ein Buch dariber zu verförtig Weil ich von einer Rechtschreibung ganz und gahr kein Erkentes Besitze, doch wage ich Es und könnte Mihrs Ja Ein Jeder Rechts und wohl gelernter Leser Wohl verzeichen Weil ich das Schreiben Erst in die vierzig Jahr von Mihr selbsten und Hochen alter ohne lehrn Meister gelehrnt hab, Meine Hochgeehrthen leser das ich das geschichten Buech geschriben hab ist Mein Innerlicher und vor Nembster Antrib gewesen, da mit die Nach Welt auch noch sechen kann Was ich in Zeit Meines Lebens von aintausent Siben Hundert finf und Sechzig, bis aintausent achthundert Neun und Zbaunzigesten Jahrs, Neues gesechen Erfahren und Erlebet hab.“ Den übrigen Teil der Geschichte hat Herr Dr. Jnnerhofer in die jetzige Rechtschreibung übertragen.

Hofers Heimatshaus heißt eigentlich „Zur Krone“ und führt auch eine solche als Schild. Dreiviertel Stunden hinter St. Martin steht das schlichte, einfache Bauernhaus an der Straße, dem ehemaligen Saumwege, und gehört zur Gemeinde St. Leonhard. Der Hof ist nun Eigentum der Tiroler Adelsmatrikel, welche, im Bestreben, das Anwesen aus dem eigenen Pacht- und Bodenertrag zu erhalten, einen argen Mißgriff gemacht hat. Das schon etwas baufällige Haus wurde restauriert – ich möchte mich nicht hart ausdrücken und will daher sagen: in gedankenloser Weise. Das Originellste in einem Passeirerhause ist immer die Küche, die um so mehr Bedeutung im Leben der Bewohner hat, als sie im Winter der Plauschwinkel ist. Darum sagt auch der Passeirer zum Beispiel: „Heunt gian miar zen Kommerer Veita in der Kuchl auf’n Hoamgart“. Auf dem mächtigen Herde, wo immer die Hühnersteige steht, sitzen die Burschen, der Bauer auf dem Herdrande, und rauchen aus den kleinen eisernen Pfeifchen. Ein mächtiges Feuer prasselt auf dem Herde, und an einer aus dem mit Selchfleisch gefüllten weiten Rauchmantel hängenden Kette ist der Kessel befestigt, in welchem die Jungmagd für ihre Ferkel, „die Facklen, a Trankl kocht“. Die Mägde bringen sogar ihre Spinnräder nicht ungern in die Küche, denn da wird allerlei erzählt, von den Hexen, den Erzsuchern, dem Gottseibeiuns, der in Gestalt eines Stieres mit feurigen Augen die „Kellerlahn“, eine große, verheerende Muhre, „angelassen“ hat, und so weiter.

Heute hat Hofers Haus eine mächtige, moderne Küche mit einem Sparherd, an dem die wackere Hoferin sicherlich nicht zurecht gekommen wäre. Eine helle Glasveranda verunziert als Anbau das Haus, an Stelle des alten Schießstandes steht ein vernachlässigter Wagenschuppen, und im Garten, wo unter Hofers Zeiten Rosen und Nelken blühten und der Rosmarin duftete, stehen schlecht gepflegte Cypressen. Wenn es schon nötig war, aus dieser historischen Stätte, um sie zu erhalten, eine Erwerbsquelle zu machen, dann hätten die Herren der Verwaltung für die Matrikelkasse besser gesorgt, wenn sie am Waldesrand hinter Hofers Haus, ohne den herrlichen Ausblick auf das freundliche St. Leonhard, auf die romantische Jaufenburg und das Gebirge zu stören, einen der Bauart des Thales angepaßten Gasthof errichtet hätten zur Unterkunft für die Hofer-Pilger. Aus Hofers Haus aber hätte man sollen ein Museum machen mit Reliquien aus den Jahren 1797 und 1809, deren noch genug vorhanden sind. Es wäre aber durchaus nicht nötig gewesen, eingreifende bauliche Veränderungen vorzunehmen, sondern pietätvoll hätte man dabei das alte Haus erhalten können. Es verdirbt jedem Besucher die Stimmung, wenn er an Sonntagen zum Beispiel zu Hofers Haus wallfahrtet und findet Stuben und Kammern, Hausgang und Söller gefüllt mit zechenden Menschen, die an alles eher denken als an die Heimats- und Geburtsstätte Andreas Hofers, des Helden von Tirol.

Andreas Hofer wurde am 22. November 1767 geboren, in St. Leonhard getauft, und sein Pate war der Junggeselle Johann Pichler auf der „Mörra“. Eine kleine Wallfahrtskapelle stand schon damals bei dem Vaterhause mit einem Gnadenbilde, zu welchem Andreas Hofer immer einen frommen Gruß hinaufsendete, ob er thalaus oder thalein zog. Er war der einzige Sohn im Hause und hatte drei ältere rechte und eine jüngere Stiefschwester. In der Schule war er zwar kein hervorragender Schüler, aber fleißig und gehorsam. Er war der Liebling der Lehrer und auch seiner Mitschüler. Seine rasche Auffassung, seine Geistesgegenwart und seine geradezu verblüffende Ruhe fielen schon in der Jugend auf. Kaum war er der Schule entwachsen, als sein Vater starb. Hofer kam selbstverständlich unter Vormundschaft und dadurch auch wirtschaftlich zu Schaden.

Seine Stiefmutter war keine gute Hausfrau. Sie führte das Hauswesen so ungeschickt, daß sie aus dem Vermögen der Kinder in kurzer Zeit 1700 fl. verhauste. Als die älteste Schwester Hofers heiratete und die Zügel der Wirtschaft in die Hand nahm, begab sich Andreas nach Welschtirol, um die italienische Sprache zu erlernen, denn damals kamen viele welsche Händler und Kaufleute über den Jaufen, und die Passeirer zogen mit ihrem Kleinvieh bis nach Mailand und Genua nach dem Abtrieb von den Alpen: die Passeirer Schafe und Ziegen waren sehr gesucht.

Mit vielen Kenntnissen in der welschen Sprache und der Art und Weise des Handels in Italien, kam Andreas Hofer wieder nach Passeier zurück, ein schöner, kräftiger Bursche, der nicht ungern eine Aufforderung zu den unter den Bergleuten üblichen Ringkämpfen annahm, aus denen er zumeist auch als Sieger hervorging. Ein Zeitgenosse Hofers, das alte „Waltner Anderle“, schilderte mir das Aussehen desselben vor vielen Jahren, und ich habe gelegentlich der Vorbereitungen zu der diesjährigen Hoferfeier die damalige Aufzeichnung wieder hervorgesucht und gebe sie wörtlich, nur die Mundart des Verständnisses halber mildernd, wieder:

„Der Hofer Anderl ist a saubrer Mensch gwest. Stocket in der Gestalt und broat in die Achslen, daß ma gsechn hat, der Mensch, wenn er unpackt zelm kracht’s. ’s Gsicht ist kugelet gwest und die Nasn a fezzele eindruckt, nit grad was die Diandlen sauber hoaßn. Aber mit seine braun Augn hat er rödn kennen, der Anderle, und wenn er a Beichtvater gwest war, in verstockteste Sünder hätt’ er ’s Bekenntniß fürerglockt, a sou hat er schaugn können. Zwegn dem ist er aber döcht sanft gwest; wie a [727] Lampl und um fremds Load ist ’n öfter ’s Wasser in die Augn gschossn, wie um ’s oagne.“

Am 21. Juli 1789 verehelichte sich Hofer mit Anna Ladurner, aus einem in der Meraner Gegend weit verbreiteten Geschlechte. Sie war eine verständige, treue Frau, schweigsam und still, die mit großer Zärtlichkeit an ihrer Familie hing.

Unter schweren Bedingungen übernahmen die jungen Eheleute den Sandhof. Andreas Hofer mußte bei einem Kaufpreis von 12000 Gulden seinen Geschwistern 9000 Gulden verzinsen. Dies war auch der Grund, warum Hofer im Handel mit Vieh, Wein und Branntwein Nebenerwerb suchte und so im ganzen Lande bekannt wurde. Ueberall wurde der Passeirer Wirt freundlich aufgenommen, denn er erfreute sich eines schlagfertigen Witzes und ließ mit seinen Bemerkungen und Anspielungen nicht auf sich warten. Hofer war ungemein gutmütig und nicht sonderlich sparsam, weshalb er eigentlich wirtschaftlich immer zu kämpfen hatte. Er war aber grundehrlich und verabscheute jedes unerlaubte Mittel der Bereicherung.

Eigentlich unmäßig im Trinken war er nicht. Was aber so ein Tiroler Wirt an Wein konsumiert, ist schon ein anständiges Quantum. Auf körperliche Bequemlichkeit in jeder Beziehung legte er wenig Wert und verlachte andere, wenn sie auf Reisen über schlechte Betten und so weiter klagten.

Seine Reisen machte er zumeist reitend, trug auf ihnen immer die Passeirertracht. Er war fromm aus tiefinnerster Ueberzeugung und erfüllte strengstens die Pflichten der Religion.

Andreas Hofer.
Nach dem Gemälde von Wachter.

Das Passeierthal, bis zu seiner westlichen Abzweigung am Fuße des Jaufens, hat ein äußerst angenehmes Klima, in den sonnig gelegenen Hausgärten blühen bis weit in den Spätherbst die Rosen. Die Thalebene ist durch die Passer arg verwüstet, auf allen Geländen aber, auf allen Blößen stehen die sauberen Häuser und Hütten, der Unterteil gemauert, der Oberbau aus Stämmen gezimmert, und in den Dachluken eine Menge von Nelkenstöcken, denn der Bursche liebt es, solange es nur angeht, sich vom Diendl einen frischen Strauß auf den Hut stecken zu lassen. Auch der fremde Gast wird bei einem Besuche selten ohne eine Blumenspende verabschiedet. Herrliche Hochgebirgsscenerien bietet der Hinterpasseier, mit seinen prächtigen Waldungen, den Wasserfällen, Alpen und Firnern. In Außerpasseier findet sich noch Obst und Getreide; die Rebe rankt sogar an manchen Häusern. In Hinterpasseier hingegen leben die Leute nur von der Viehzucht und in manchen Seitenthälern schneien sie im Winter vollständig ein. Einem alten Rechte zufolge kommen die Passeirer dreimal im Winter mit einer Masse von Schafen und Ziegen nach Meran, welche sie selbst schlachten und auf offener Straße ausschroten.

Die Passeirer zeichnen sich aus durch hohen Wuchs und schöne Haltung, durch einen robusten, abgehärteten Körperbau und eine seltene Kraft. Die Leute sind religiös, verständig, manchmal sogar verschlagen, und in Handelsgeschäften außerordentlich gewandt.

Die Passeirer, wegen ihrer Treue und Anhänglichkeit an den Landesfürsten rühmlichst bekannt, genossen die Gunst, daß gewisse Höfe zu „Schildhöfen“ ernannt wurden, die heute noch bestehen. Bei besonders feierlichen Anlässen bildeten die Schildhöfler die Leibwache der Fürsten, und es wurde erst in jüngster Zeit den Passeirern während der Anwesenheit des Kaisers in Tirol diese Ehre zu teil.

Ein Volksbrauch hat sich in Passeier auch noch erhalten, der bemerkenswert ist: „der Ehehaftthading“. Es ist dies ein Volksgerichtstag, an welchem sich die Leute in St. Leonhard versammeln und ohne jeden juridischen oder richterlichen Beistand Streitigkeiten schlichten, Verträge und Geldgeschäfte abschließen etc.

Schildhöfe bestehen heute noch elf. Die Schildhöfler waren die einzigen im Thale, welche dem Rufe zum Ehehaftthadingtag keine Folge zu leisten brauchten. Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß im Jahre 1809 die Passeirer infolge ihrer Ausdauer, ihrer Kühnheit und Verschlagenheit zu den Elitetruppen Hofers gehörten, und allenthalben finden sich in den Häusern noch Waff und Wehr, mit welchen die Vorfahren einst ausrückten unter dem „Hofer Anderl“, dem „Sandwirt von Passeier“.