Aufruf zur Stiftung eines Ehrengeschenks für Arnold Ruge
Das deutsche Volk, an dem langerstrebten Zielpunkte der Einigung und der nationalen Machtfülle angelangt, hat die Pflicht, für diejenigen seiner Söhne einzutreten, welche mit Einsetzung ihrer ganzen Existenz die Wege der Ehre und Gerechtigkeit gebahnt und geebnet haben. Den Helden des Schwertes schritten die Helden des Geistes voran.
Arnold Ruge steht seit mehr denn einem vollen Menschenalter oben an unter den Männern, welche den Kampf für die höchsten Güter der Nation auf philosophischem und politischem Gebiete tapfer und erfolgreich geführt und für ihre selbstlose Hingabe an die von ihnen erstrebten patriotischen Ziele Gefängniß und Entbehrung geerntet haben. Er war in einer politisch schlaffen und gedrückten Zeit einer der frischesten und unverdrossensten Mitbegründer jener aufrichtigen Denkfreiheit, welche das Fundament zur politischen Ermannung Deutschlands legte. Seine Hallischen und Deutschen Jahrbücher schossen die erste Bresche in das damalige gelehrte und politische Zwinguri; sie lehrten das jüngere Geschlecht, daß die bürgerliche Freiheit geschichtlich und dialektisch auf der Befreiung des Geistes und des Gewissens begründet ist. So hat Ruge seit vielen Jahren vorausgesehen und vorbereitet, was 1866 und 1870 glorreich vollbracht wurde.
Mögen auch, nachdem das Schwerste erreicht ist, für die große Mehrheit der schnell lebenden Zeitgenossen die Anfänge vergessen sein, aus denen der deutsche Staat langsam und mühevoll erwachsen ist, Ruge hat länger denn ein halbes Jahrhundert, von seinen Studentenjahren an als Agitator und Journalist, als Philosoph und Politiker wacker an diesem Bau mitgearbeitet und sich mit seinen tapferen Thaten einen unvergänglichen Ehrenplatz in der Geschichte unserer geistigen Entwickelung gesichert.
Und wie die jetzt zu Männern herangewachsene Jugend von ihm gewaltig angeregt wurde. so leuchtet er auch für die gegenwärtige und für die zukünftigen Generationen als Muster des überzeugungstreuen, uneigennützigen Mannes, der sich trotz persönlichen Mißgeschicks den Kopf frei und das Herz frisch erhalten hat, und der die neue Gestaltung der Dinge in unserem Vaterlande, trotzdem daß sie durch andere Mittel und aus anderen Wegen als den von ihm gewollten bewirkt wurde, mit jugendlicher Begeisterung rückhaltlos begrüßt hat und fördern hilft.
Wenn auch durch unerschrockene Arbeit vor augenblicklicher Sorge geschützt, so bedarf doch der jetzt in seinem dreiundsiebenzigsten Lebensjahre stehende Ruge der Ruhe und Erholung. Ihm diese zu verschaffen, ist der Zweck unseres Aufrufs, den wir der „Gartenlaube“ zur Veröffentlichung übergeben.
Berlin, im Februar 1875.
Ludwig Bamberger, Reichstags-Abgeordneter. Adalbert Delbrück, Banquier. Franz Duncker, Reichstags-Abgeordneter. Friedrich Kapp, Reichstags-Abgeordneter. Eduard Lasker, Reichstags-Abgeordneter. Wilhelm Löwe-Calbe, Reichstags-Abgeordneter. H. B. Oppenheim, Reichstags-Abgeordneter. Benoit Oppenheim. Banquier. Hermann Schulze-Delitzsch, Reichstags-Abgeordneter. Gustav Siegmund, prakt. Arzt. H. V. v. Unruh, Reichstags-Abgeordneter. Rudolph Virchow, Prof. u. Landtags-Abgeordneter.
Der Redaction der „Gartenlaube“ ist Seitens des Comite’s der ehrenvolle Auftrag geworden, für die Veröffentlichung und Verbreitung der obigen Ansprache Sorge zu tragen. Mit voller Ueberzeugung und aller Wärme des Herzens fügt sie den Namen [207] der unterzeichneten Männer auch den ihrigen hinzu. Wie unsere Leser sehen, handelt es sich um eine Ehrengabe für einen unserer hervorragendsten Schriftsteller, für einen hochverdienten Veteranen im langwierigen und leidensschweren Kampfe um die Wiedergeburt und Erlösung des deutschen Volkes. Was er in den Tagen der frischaufstrebenden Jugend und der rüstigen Manneskraft als unermüdlicher Geistesstreiter für die Sache des Vaterlandes gewirkt und geschaffen, gelitten und geopfert hat, das soll ihm in den Tagen des Alters von der Dankbarkeit und liebevollen Fürsorge des Vaterlandes vergolten werden.
Wer noch an sich selber das aufrüttelnde Wehen des neuen Geistes erfahren, der einst in trüber vormärzlicher Dämmerzeit aus Ruge’s Hallischen und Deutschen Jahrbüchern zu den Denkenden der Nation und namentlich zu der wissenschaftlichen Jugend gesprochen, wer sodann später mit Verständniß für das Werden der Dinge die Früchte jener ausgestreuten Geistessaat emporblühen sah in großen und segensreichen Bewegungen, einem gewaltigen Um- und Aufschwünge des ganzen Volks- und Staatslebens, der kann nur mit herzlicher Theilnahme auf die persönlichen Geschicke des Mannes zurückblicken, der sich um diese wunderbare Entwickelung unbestreitbar hohe Verdienste erworben hat. Immer nur seinem Ideale, einer besseren Zukunft Deutschlands, nachstrebend, hat Arnold Ruge an seine Aufgabe die beste Kraft seines Lebens gesetzt, das ein Leben unausgesetzten Leistens, freudiger und hingebungsvollster Arbeit gewesen ist. Die Herabdrücker des Volksgeistes aber, wider die er mit seinen Genossen das Feuer einer vernichtenden Kritik richtete, waren nicht gewillt, ihre auf der Umnebelung und Fügsamkeit der Geister beruhende Gewalt durch eine so flammend aufleuchtende Gedankenmacht erschüttern zu lassen; es war natürlich, daß sie den ihnen erstandenen Widersacher haßten und den gefürchteten Gegner zu vernichten suchten.
Dadurch ist sein Dasein, welchem reichlich die äußeren Mittel zu vollem Behagen gegeben waren, ein meistens unstätes und ruheloses geworden, das Dasein eines Verfolgten, ein Leben im Kerker, auf der Flucht, in der Verbannung. Die Revolution von 1848 hatte ihn eine Zeitlang in der geliebten Heimath und im Vordergründe ihrer Bewegungen gesehen, aber von Neuem mußte er vor der wiedererstarkten Reaction den Wanderstab ergreifen, nachdem ihm die Hoffnungsstürme jenes großen Frühlings die letzten Reste eines beträchtlich gewesenen Vermögens unwiederbringlich verweht hatten. Aus eigenem, ziemlich genauem Wissen können wir bezeugen, daß unserm Ruge bei vier polizeilichen Unterdrückungen schön aufblühender Journalunternehmungen nicht weniger als siebenzigtausend aus seiner Tasche geflossene Thaler verloren gegangen sind.
Als ein mittelloser und längst nicht mehr jugendlicher Flüchtling landete er 1849 an der Küste Englands. Dort hat er sich und den Seinen ein neues Heim gegründet und mit seinen reichen Kenntnissen eine hochangesehene Stellung als Lehrer erlangt. Von dort hat er uns oft genug mit schriftstellerischen Producten erfreut, die Zeugniß gaben von der Ungebrochenheit seiner Geistesfrische und von seiner unverstimmten Theilnahme für alle vaterländischen Fragen auf dem Gebiete der Politik, der Wissenschaft und Literatur. Unvergessen wird es bleiben, wie der Verbannte deutsche Mann in den Jahren 1866 und 1870 jubelnd seine Stimme gemischt hat in den brausenden Erhebungsjubel seines Volkes.
Inzwischen aber sind wiederum mehrere Jahre verflossen, und Freunde, die den ausgezeichneten Landsmann in Brighton besucht, bringen die Meldung zurück, daß für ihn die Zeit gekommen, wo jedem Sterblichen ein Ausruhen von heißem Lebenswerke dringend zu wünschen ist. Jeder nächste Tag kann dem Hochbejahrten eine Mäßigung seines noch immer emsigen Fleißes gebieten, ohne daß er gegen die Folgen dieses naturgemäßen Verhängnisses eine Sicherung besitzt. Dürfen wir theilnahmlos warten, bis drüben auf fremdem Boden über den großen deutschen Schriftsteller und Denker, über den stolzen Patrioten und makellosen Charakter ein so widriges Geschick hereingebrochen ist und eine schwere Trübung den reichverdienten Frieden seines Lebensabends stört? Unbedingt nicht!
In Arnold Ruge lebt uns noch immer der muthigste Bahnbrecher, einer der wirksamsten Entzünder jener reformatorischen Verjüngungskraft, die endlich stark und unwiderstehlich geworden in dem Schwerte, das im Jahre 1870 unsere Geschicke entschieden hat. Zur Abtragung der Ehrenschuld an ihn eröffnen wir hiermit eine Sammlung und sprechen die Zuversicht aus, daß eine lebhafte Betheiligung in allen bewußten Classen des Volkes, denen die Jünger Ruge’s wie die nachgeborenen Erben seines Wirkens, deine zahlreichen Verehrer und Freunde diesseits und jenseits des Oceans mit gutem Beispiele vorangehen mögen, den Ertrag zu einem unseres Vaterlandes würdigen gestalten wird.
Leipzig, den 6. März 1875.