Auf den Tod des Schauspielers Hermann Müller

Textdaten
<<< >>>
Autor: Hugo von Hofmannsthal
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auf den Tod des Schauspielers Hermann Müller
Untertitel:
aus: Gedichte
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1899
Erscheinungsdatum: 1922
Verlag: Insel Verlag
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld und Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck in: Zum Gedächtnis Hermann Müllers (Privatdruck) 1899
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[77]
AUF DEN TOD DES SCHAUSPIELERS

 HERMANN MÜLLER

Dies Haus und wir, wir dienen einer Kunst,
Die jeden tiefen Schmerz erquicklich macht
Und schmackhaft auch den Tod.

Und er, den wir uns vor die Seele rufen,

5
Er war so stark! Sein Leib war so begabt,

Sich zu verwandeln, daß es schien, kein Netz
Vermöchte ihn zu fangen! Welch ein Wesen!
Er machte sich durchsichtig, ließ das Weiße
Von seinem Aug die tiefste Heimlichkeit,

10
Die in ihm schlief, verraten, atmete

Die Seele der erdichteten Geschöpfe
Wie Rauch in sich und trieb sie durch die Poren
Von seinem Leib ans Tageslicht zurück.
Er schuf sich um und um, da quollen Wesen

15
Hervor, kaum menschlich, aber so lebendig –

Das Aug bejahte sie, ob nie zuvor
Dergleichen es geschaut: ein einzig Blinzeln,
Ein Atemholen zeugte, daß sie waren
Und noch vom Mutterleib der Erde dampften!

20
Und Menschen! Schließt die Augen, denkt zurück!

Bald üppige Leiber, drin nur noch im Winkel
Des Augs ein letztes Fünkchen Seele glost,
Bald Seelen, die um sich, nur sich zum Dienst
Ein durchsichtig Gehäus, den Leib, erbauen:

25
Gemeine Menschen, finstre Menschen, Könige,

Menschen zum Lachen, Menschen zum Erschaudern –
Er schuf sich um und um: da standen sie.

[78]
Doch wenn das Spiel verlosch und sich der Vorhang

Lautlos wie ein geschminktes Augenlid

30
Vor die erstorbne Zauberhöhle legte

Und er hinaustrat, da war eine Bühne
So vor ihm aufgetan wie ein auf ewig
Schlafloses aufgerißnes Aug, daran
Kein Vorhang je mitleidig niedersinkt:

35
Die fürchterliche Bühne Wirklichkeit.

Da fielen der Verwandlung Künste alle
Von ihm, und seine arme Seele ging
Ganz hüllenlos und sah aus Kindesaugen.
Da war er in ein unerbittlich Spiel

40
Verstrickt, unwissend, wie ihm dies geschah;

Ein jeder Schritt ein tiefrer als der frühere
Und unerbittlich jedes stumme Zeichen:
Das Angesicht der Nacht war mit im Bund,
Der Wind im Bund, der sanfte Frühlingswind,

45
Und alle gegen ihn! Nicht den gemeinen,

Den zarten Seelen stellt das dunkle Schicksal
Fallstricke dieser Art. Dann kam ein Tag,
Da hob er sich, und sein gequältes Auge
Erfüllte sich mit Ahnung und mit Traum,

50
Und festen Griffs, wie einen schweren Mantel,

Warf er das Leben ab und achtete
Nicht mehr, denn Staub an seines Mantels Saum
Die nun in nichts zerfallenden Gestalten.

So denkt ihn. Laßt ehrwürdige Musik

55
Ihn vor euch rufen, ahnet sein Geschick,

Und mich laßt schweigen, denn hier ist die Grenze,
Wo Ehrfurcht mir das Wort im Mund zerbricht.