Auf Wolfsjagd in Kroatien

Textdaten
<<< >>>
Autor: Alfred Brehm
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auf Wolfsjagd in Kroatien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, 18, S. 276–279, 282, 293–296
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[276]
Auf Wolfsjagd in Kroatien.


Von Brehm.


„Seit drei bis vier Tagen hat es ununterbrochen geschneit; das Thermometer zeigt acht bis zehn Grad Kälte, und das Fahren mit dem Wagen, ja das Reisen selbst ist äußerst erschwert, wenn nicht gar unmöglich geworden. Da kommt Abends der Pferdewächter, auf ungesatteltem Gaule mühsam durch den fußhohen Schnee sich quälend, nach Hause und meldet, daß in dem in nächster Nähe gelegenen Wäldchen sich die Spuren von fünf starken Wölfen zeigen, welche dort ein geraubtes Schaf zerrissen und sodann nach dem eine gute Meile weit gelegenen großen Buchenwalde sich zurückgezogen haben. Diese Nachricht setzt Alt und Jung, d. h. jeden männlichen Dorfbewohner, welcher ein Schießgewehr behandeln oder wenigstens den Treiberknittel führen kann, in nicht geringe Aufregung, und bald ist es auf der ganzen Pußta bekannt, daß in den nächsten Tagen eine großartige Wolfsjagd abgehalten werden wird. Schon am folgenden Abende sitzen die Würdenträger der Pußta hinter dem gewaltigen Ofen beisammen; der große steinerne Krug wandert abwechselnd in den Keller und dann wieder von Hand zu Hand, und weiser Rath erblüht bald auf dieser, bald auf jener bärtigen Lippe. Darüber einigt man sich in Kurzem, daß das alte Pferd im Stalle des [277] Wirthschaftsbesitzers, welches beim letzten Getreideaustreten im Spätherbste sich den Vorderhuf spaltete und jetzt noch den ihm spärlich zugetheilten Mais unnützer Weise frißt, geopfert werden müsse, um die Jagd zu sichern, d. h. um die vollgefressenen Wölfe in der Nähe des Aases festzuhalten, und der Vogt erhält deshalb auch den Auftrag, das Thier trotz seines elenden Zustandes noch heute Nacht in den Wald zu führen und dort nieder zu stechen, da man von der alten, unmenschlichen Sitte, es lebend anzubinden, denn doch absehen will, um nicht bei diesem und jenem Thierschutzvereinler zu verstoßen.

Der Auftrag wird ausgeführt, und noch ehe der Knecht wieder zu Hause angekommen ist, schmausen die Wölfe wacker von der erwünschten Beute, fressen sich ungestört den Wanst beinahe ebenso voll wie der böse Wolf im Märchen vom Rothkäppchen und thun sich in der Nähe nieder. Am folgenden Morgen aber ziehen auf weiten Umwegen unter Berücksichtigung des Windes fünfzehn bis zwanzig Schützen und die doppelte bis dreifache Anzahl mit tüchtigen Knitteln bewehrter Treiber nach dem Walde, umstellen den Theil desselben, in welchem die Wölfe liegen; ein Schuß giebt das Zeichen zum Beginn der Jagd, und unter Geschrei und Lärmen nähern sich die Treiber. Die Wölfe erheben sich schon beim ersten Geräusch, blinzeln und schnüffeln nach allen Seiten hin und suchen die Treiberlinie zu durchbrechen, werden aber durch einen Höllenlärm zurückgescheucht und kommen endlich schußgerecht vor die Schützen, welche mit mehr oder weniger Geschick und Glück ihre Schüsse abgeben und günstigen Falls einen oder den andern Wolf in das Jenseits befördern. Nicht selten, und namentlich wenn das Jagdrevier ein dichter Rohrwald ist, gelingt es den Wölfen, durchzubrechen, und die Jagd ist dann gründlich verdorben.

Ich muß sagen, der letztere Fall ereignet sich häufiger als der günstigere, und die meisten Wolfsjäger wissen von weit mehr ergebnißlosen als gelungenen Jagden zu erzählen. Wurde der Wind nicht gehörig beachtet, stellten sich die Treiber nicht lautlos genug auf, und gingen sie anfänglich nicht mit größter Ruhe vorwärts, oder hatte man gar übersehen, daß die Wölfe den Wald Nachts bereits wieder verlassen, oder schossen endlich die Jäger aus Unkenntniß oder vom Jagdfeuer hingerissen weiter auf Isegrim, als sein dicker Pelz gestattet, so ist alle Mühe umsonst, und die ebenso frechen, als namenlos feigen Raubthiere kommen glücklich durch und treiben ihr Unwesen von Neuem. Dann entschließt man sich endlich, angespornt durch die unterbrochenen Verluste an Hausthieren, zu umfassenderen Maßregeln; und wenn man vollends eines Morgens die Ueberreste eines zerrissenen Weibes oder Kindes aufspürt, mischt sich auch die hohe Obrigkeit in die Sache und veranstaltet eine Kreisjagd. Zu ihr werden zwei bis dreihundert Treiber aufgeboten, die Wölfe von sachverständigen Leuten genau abgespürt und nun am bestimmten Tage das großartige Treiben ausgeführt. Dann ist das Ergebniß in der Regel aus leicht begreiflichen Gründen ein besseres, obschon es wohl immer noch hinter Ihren Erwartungen zurückstehen mag.

Dies, mein verehrter Freund, ist der gewöhnliche Verlauf ungarischer Wolfsjagden, und ich begreife wahrlich nicht, weshalb Sie um solcher Kleinigkeit willen sich mit Ihren Freunden von Berlin aufgemacht und in dieser abscheulichen Winterkälte eine so weite Reise unternommen haben.“

Der also zu mir sprach, war Freund Herklotz in Wien, mit welchem ich schon seit Jahren im Briefwechsel stehe, und den ich heute zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht kennen gelernt hatte. So viel konnte nicht bestritten werden: das Wetter war bei unserer Abreise von Berlin abscheulich, nämlich unangenehm kalt und die Reise somit nicht ganz ohne Beschwerde gewesen; auch hatte man in Berlin in Freundeskreisen vorher bedenklich die Köpfe geschüttelt ob der tollen Idee, mitten im Winter zur Jagd nach Kroatien zu reisen. Für mich freilich handelte es sich keineswegs in erster Reihe darum, einen Wolf zu erlegen, sondern darum, im Kreise ansprechender und liebenswürdiger Menschen einige Tage zu verleben, ein von uns Nord- und Mitteldeutschen wenig besuchtes Land und seine Bewohner kennen zu lernen und mit Isegrim und Braun, welche mir in Norwegen und Spanien hartnäckig ausgewichen, zusammen zu kommen. Und die tolle Idee fand auch bei Anderen Anklang. Mein lieber Freund Hermes, mit welchem ich bisher blos dürftige Jagdgefilde der Mark durchstreift, schloß sich ohne langes Bedenken mir an; der Reisende Mohr fand, als er von der beabsichtigten Wolfsjagd in Kroatien vernahm, die Bremer Luft urplötzlich dick und unerquicklich; Rittergutsbesitzer Beer und der Reichsabgeordnete Gerlich erklärten sich ebenfalls für die Theilnahme; und so war eine Reisegesellschaft zusammen gekommen, welche jenes Kopfschütteln durchaus nicht berücksichtigt und sich heiteren Sinnes aufgemacht hatte, um wo möglich ein leichtes Abenteuer zu bestehen. So waren wir also abgereist und saßen jetzt guten Muthes im tiefen Keller beim weltberühmten Dreher’schen Biere und ließen uns von Freund Herklotz das Vorwort zu dem beginnenden Werke geben.

„Von Gefahr,“ fuhr dieser fort, „kann bei einer Wolfsjagd kaum die Rede sein; es sei denn, daß der Grund und Boden Hindernisse in den Weg legt. Daß die ungarischen Waldungen sich mit Ihren wohlgehegten Forsten nicht vergleichen lassen, brauche ich Ihnen nicht zu sagen; es geschieht also gar nicht selten, daß einer oder der andere Jäger plötzlich in tiefen Schlünden oder Felsspalten verschwindet, welche der Schnee leichthin überdeckt, daß beim Stürzen sich sein Gewehr entladet und er dadurch andere Schützen gefährdet, oder aber, daß in den Rohrwaldungen das Eis unter den Füßen zusammenbricht, Einer in der Tiefe versinkt und ohne thatkräftigen Nebenmann in große Bedrängniß geräth. Was aber die Wölfe anlangt, so sind sie viel zu feige, als daß sie jemals den Jäger gefährden könnten, und ihre Jagd ist deshalb wahrhaftig kaum ernster zu nennen, als ein Treiben auf Hasen und Füchse. Ernste Zwischenfälle kommen höchst selten, heitere Einschiebsel in die Jagd dagegen desto öfter vor.“

Mancherlei derartige Jagdscenen schilderte Herklotz, und manches mir Neue und Wichtige aus dem Leben der Wölfe wurde hinzugefügt, so daß der Abend, außerdem verschönt durch andere Wiener Freunde, rasch verging und die Stunde des nächtlichen Heimgehens rascher als uns lieb herangekommen war. Vom herrlichsten Winterwetter begünstigt setzten wir Tags darauf unsere Reise fort, überfuhren beim prachtvollsten Sonnenschein den Semmering, welcher wie die ganze Alpenwelt ringsum ein Winterkleid von wunderbarer Schönheit trug, begeisterten uns gegenseitig im Anschauen der köstlichen Landschaft und kamen nach zwölfstündiger Fahrt in Agram an.

Fiedler, ein tüchtiger Buchhändler und ebenso tüchtiger Thierkundiger, dessen freundlicher Einladung wir Reise und Wolfsjagd überhaupt zu danken hatten, und andere Agramer Bekannten empfingen uns, und ersterer überraschte uns sichtlich erfreut mit der Nachricht, daß nicht bloß Wölfe in der üblichen Menge vorhanden seien, sondern sich auch ein mächtiger Bär in den Waldungen eines seiner Bekannten gezeigt habe. Mit herzlichem Danke nahmen wir die an uns ergehende Einladung unseres Gastfreundes an, in seinem Hause das Hauptquartier aufzuschlagen und von hier aus die verschiedenen Ausflüge zur Jagd anzutreten. Kannte ich doch bereits Fiedler’s und seiner anmuthigen Gemahlin Gastlichkeit und Zuvorkommenheit von einem früheren Besuche her, und wußte ich, daß wir gerade durch ihn nicht allein mit dem Kern der deutschen Bevölkerung Agrams, sondern auch mit den unserem Zweck am meisten entsprechenden Landeseingeborenen in Verkehr kommen würden.

Es liegt mir fern, hier eine Beschreibung Agrams, seiner Häuser, Straßen, Plätze, Bewohner, deren Trachten, Sitten und Gewohnheiten zu geben; nur bemerken will ich, daß wir in Fiedler’s und Albrecht’s Hause für die ferneren Tage vorbereitet und in dieser und jener Hinsicht unterrichtet wurden, um kroatische Sitten in ihrer vollen Bedeutsamkeit verstehen und würdigen zu können. Insbesondere bemühten sich die Genannten, uns ein Bild der allgemein üblichen und in höchst ansprechender Weise gepflogenen Gastfreundschaft der Kroaten zu entwerfen, gleichzeitig sich der wenig dankbaren Aufgabe unterziehend, uns für die Opfer zu weihen, welche wir dem hier noch unbestrittene Herrschaft übenden Gotte Bacchus zu bringen haben würden. Mit anderen Worten: ein Fest reihete sich an das andere; einer der Freunde suchte den anderen durch liebenswürdige Zuvorkommenheit zu überbieten; der Willkomm ging fleißig in der Runde, und der treffliche kroatische Wein entsiegelte auch unsere Lippen bei den Versuchen, der kroatischen, wahrhaft fließenden Beredtsamkeit es gleich zu thun.

Wir richteten unsern ersten Ausflug in die zwischen der [278] Sawe und dem adriatischen Meer sich erhebenden Gebirge, die letzten Ausläufer der Alpen nach Südosten hin, weil wir von einem dort wohnenden kroatischen Edelmanne, Herrn v. Vranyczany, eine Einladung erhalten hatten. In Begleitung eines unserer Agramer Bekannten, des Herrn v. Lopaschitsch, Verwandten unsers Jagdgebers, brachen wir am Morgen eines Sonnabends von Agram auf und fuhren zunächst mit der Eisenbahn bis Karlstadt, einer kleinen, jetzt bedeutungslosen Festung an der Militärgrenze, von wo aus wir die unter der Regierung Maria Theresia’s erbaute schöne Kunststraße nach Fiume weiter benutzen konnten. Die Fahrt auf letzterer war so angenehm, als sie nur sein konnte. In ziemlich gerader Richtung zieht sich die trefflich angelegte Straße durch das wechselvolle Land, bald einen Hügel erklimmend und von der Höhe desselben eine weite Umschau gewährend, bald wieder in eines der Flußthäler hinabsteigend, im Großen und Ganzen dem Laufe der Kulpa folgend. Der Himmel war unbewölkt, die Luft klar und rein, und so lag das schöne Land im Glanze der Wintersonne vor uns auf Meilen hin erschlossen. Nach Süden und Südosten hin wurde der Blick begrenzt durch die höheren Bergketten der Militärgrenze, nach Westen und Nordwesten hin durch die Ausläufer der julischen Alpen; im Mittelgrunde verzweigen sich andere Bergketten zu einem förmlichen Netze: jede Wendung der Straße gab uns deshalb Gelegenheit, ein wieder etwas verändertes Landschaftsbild zu erschauen.

Soweit wir beurtheilen konnten, war die ordnende Hand des Menschen überall ersichtlich. Alle günstig gelegenen Berggehänge hatte man zu Weinbergen umgewandelt, in den Thälern und auf den ebneren Stellen Felder angelegt, welche von unvermuthet sorgsamer Behandlung Zeugniß gaben. Selbst die Dörfer, von denen viele an den Berglehnen hingen, erschienen uns freundlich und reinlich, jedenfalls weit besser, als wir erwartet hatten. Einen ganz besonderen Schmuck der Landschaft bilden die Kirchen und Capellen, welche auch hier, wie in Steiermark, regelmäßig auf den am meisten hervorragenden Punkten der Gegend angelegt wurden und deshalb auf Meilen weit sichtbar sind. Ich glaube dies ausdrücklich erwähnen zu müssen, weil wir uns in Gegenden, in denen Wölfe in Menge und auch noch einzelne Bären hausen, eine Wildniß vorgestellt hatten, während wir doch in ein von dem Menschen ziemlich vollständig in Besitz genommenes Gebiet gelangt waren.

Eine vierstündige Fahrt brachte uns nach dem Schlosse Severin, welches uns schon von fern her heimlich entgegenschimmerte. Die Straße kommt hier wieder bis auf einige hundert Schritte an die Kulpa heran, welche in dieser Gegend in einem tiefen und engen Thale, zwischen Bergen von drei- bis fünfhundert Metern bedingter Höhe dahinfließt und die Grenze zwischen Kroatien und Krain bildet. Auf einem von ihr in flachem Bogen umzogenen, steil abfallenden Vorberge liegt das Schloß, ein Bauwerk aus dem siebenzehnten Jahrhundert, in einer wirklich köstlichen Lage, etwa sechszig Meter über dem Spiegel des Flusses, welcher sein grünes Bergwasser nur deshalb langsamer dahinwälzt, weil es durch eine Reihe von Wehren von Strecke zu Strecke gestaut wird. Unweit des Schlosses, nach der Landseite zu getrennt durch einen hohen Damm, wahrscheinlich den Ersatz einer früheren Zugbrücke, liegt die Ortschaft Severin, unter deren Gebäuden das Stuhlrichteramt, die Schule und der Gasthof durch Größe und Bauart von den kleinen Häusern der Bauern weit mehr abstechen, als dies bezüglich der beiden Letztgenannten in unseren Dörfern der Fall zu sein pflegt.

Herr v. Vranyczany und seine liebenswürdige Gemahlin empfingen uns mit jener ungezwungenen Freundlichkeit und Gastlichkeit, welche Fremdsein augenblicklich vergessen machen und zwischen Wirth und Gästen ein Verhältniß herstellen, wie es zwischen längst bekannten Freunden besteht. Der Pfarrer eines nahegelegenen Dorfes, ein stattlicher und anziehender Mann, war zu kurzem Besuch anwesend und trug nicht unwesentlich bei, die bald lebhaft geführte Unterhaltung im Fluß zu erhalten. Wir wurden wenige Minuten nach unserer Ankunft zu Tische geleitet und hier nach altkroatischer Sitte willkommen geheißen. Es ist dies Willkommenheißen so bezeichnend für das Land und so anmuthend für den an das Alltagsleben gewöhnten Fremden, daß ich mir nicht versagen will, es mit einigen Worten zu beschreiben.

Nachdem das landesübliche Gemüse, Sauerkraut, aufgetragen, erhebt sich der Hausherr und fordert einen der vorhandenen Gäste auf, das Amt eines Tischherrn zu übernehmen, d. h. für Belebung der Tafelrunde Sorge zu tragen. Der Tischherr empfängt vom Hausherrn den Bilikum, das heißt Willkomm, einen mehr oder minder großen, meist auch eigenthümlich geformten Humpen, und den Schlüssel des Hauses, füllt das Glas bis zum Rande mit edlem Weine und setzt dem Fremden in geordneter und gefälliger Rede auseinander, daß es in Kroatien üblich sei, einem gern gesehenen Gaste Willkommen zu bieten und ihm damit alle Rechte eines Freundes des Hauses einzuräumen. Denn so wie der edle Wein die Freundschaft besiegele, so deute der beigelegte Hausschlüssel darauf hin, daß der, welchem man solche Ehre erweise, bei ferneren Besuchen jederzeit, sei es bei Tage, sei es bei Nacht, willkommen sein und als zum Hause gehörig betrachtet werden solle. Der Gast empfängt das Bilikum und hat die Verpflichtung, es in einem Zuge oder doch ohne den Humpen wieder auf den Tisch zu stellen, zu leeren und hierauf mit einigen Worten für die ihm erwiesene Ehre zu danken. So wandert der Humpen von einem Gaste zum anderen und schließlich in die Hände des Tischherrn zurück, welcher ihn ebenfalls im Namen des Hauses leert. Mit dieser feierlichen Begrüßung beginnt das Gelage; denn von nun an reiht sich ein Trinkspruch an den anderen, und zwar bestimmt es die ansprechende Sitte, daß man niemals einen Gast allein leben läßt oder, wie man in Kroatien sagt, antrinkt, sondern ihn immer in Verbindung bringt mit einer Dame, gleichviel ob mit einer gegenwärtigen und bekannten oder aber mit einer abwesenden und unbekannten. Der Angetrunkene hat sich in angemessener Weise zunächst im Namen der Dame und dann in seinem eigenen zu bedanken.

Es ist erklärlich, daß in guter Gesellschaft die Tafelrunde sich durch diese An- und Gegenreden, welche mit einer uns Deutsche fast beschämenden Beredtsamkeit vorgetragen werden, im hohen Grade belebt, um so mehr, als nach den Trinksprüchen zu Ehren der Gäste solche auf die Frauen, das Vaterland, den Landesherrn, die Freiheit, die Freundschaft der Völker etc. folgen, und unter Umständen, namentlich wenn es sich darum handelt, den Ruhm der Frauen zu feiern, ein und derselbe Trinkspruch von allen anwesenden männlichen Gästen ausgebracht werden muß, sei es auch nur, um zu sehen, inwiefern ein Jeder dem Thema neue Seiten abzugewinnen vermöge. Dabei wird tapfer, hier und da auch unmäßig getrunken; der übliche Tischwein ist aber so mild oder so wenig tückisch, daß das Gelage nur äußerst selten, in einem Hause wie das unseres Wirthes niemals, ausartet.

Uns flogen in diesem hochgebildeten Kreise die Stunden dahin wie Minuten, und die Unterhaltung war für uns um so spannender und fesselnder, als Wirth und Wirthin so wie der eingeborene Gast uns über Land und Leute, Sitten und Gebräuche, Verhältnisse und Zustände Belehrung und Aufklärung verschafften.

Nach Aufhebung der Tafel kam die Unterhaltung selbstverständlich auf den Zweck, welcher uns hergeführt hatte, um so mehr, als unser Kaffeetisch auf dem Felle eines Bären stand, welches geradezu herausforderte, den Jäger nach Wild und Jagd zu befragen. Besagter Bär war vor zwei Jahren von Vranyczany in der Nähe von Severin und zwar mit einem glatten Doppelgewehre erlegt worden. Der kühne Schütze hatte das Ungethüm bis auf zwanzig Schritte an sich herankommen lassen und ihm dann die Kugel so an die richtige Stelle gesetzt, daß Petz sofort das Zeitliche segnete und zu seinen Vätern versammelt wurde. Unser Wirth machte wenig Aufhebens von der Sache, obgleich er die Gefahr, welche jede Bärenjagd mit sich bringt, durchaus nicht unterschätzte. Bis jetzt waren zwei Bären von ihm erlegt worden, welche sein Jagdgebiet durchwandert hatten, wie es regelmäßig zu geschehen pflegt, wenn sie aus den Gebirgen Krains nach den Bergwildnissen der Militärgrenze wandern und umgekehrt. Hier wie dort zählen sie noch zu den wenn auch nicht häufigen, so doch ständigen Raubthieren, und bei der Beschaffenheit der Gebirge und Wälder wird es auch noch gute Weile haben, bis sie vollständig ausgerottet werden können. Man jagt sie mit der größten Leidenschaft, mehr des Jagdruhmes halber als des Schadens wegen, welchen sie verursachen. Allerdings fallen auch sie gelegentlich über eine Herde her und reißen eines oder das andere Stück nieder; der Schaden aber, welchen sie anrichten, steht in gar keinem Verhältniß mit dem, welchen die noch ungleich häufigeren Wölfe dem Besitzthum des Menschen zufügen. Während des Sommers findet Petz so viel pflanzliche Nahrung, daß er sich [279] nur selten einmal am Herdenvieh vergreift. Denn der Stoff regiert nicht blos den Menschen, sondern auch den Bären, und so lange Freund Braun milchige Maiskolben, noch nicht gehärteten Hafer, saftiges Gras, frische Pilze und Beeren zur Verfügung hat, begnügt er sich gern mit solcher ihm sehr zusagenden Speise, denkt friedlich und schlägt blos dann, wenn ein Herdethier ihm gar zu bequem sich bietet, dasselbe nieder. Auf den ernährenden Herbst folgt der Winter, welchen unser Raubthier bekanntlich größtentheils verschläft, und da Derjenige, welcher schläft, nichts Böses thut, so bleibt während dieser Zeit der Mensch von allen ihm lästigen Besuchen seines behaarten Landsmannes verschont.

Ganz anders verhält es sich mit den Wölfen, diesen ewig hungrigen, im Winter geradezu gierigen Räubern, welche in ganz Kroatien die trefflichsten Schlupfwinkel haben und deshalb, aller Jagd und Jäger ungeachtet, noch überall in Menge sich finden und der Landwirthschaft ganz bedeutende Verluste zufügen. Ich nahm die günstige Gelegenheit wahr, von einem so tüchtigen Jäger, wie Baron Vranyczany es ist, Zuverlässiges über den Wolf zu erfahren, und unser Wirth war auch so artig, keine einzige meiner unzähligen Fragen für unnöthig zu halten.

In früherer Zeit waren die Wölfe in hiesiger Gegend noch weit häufiger als gegenwärtig, weil die Bebauung des Landes doch Fortschritte macht und die Waldungen in eben demselben Grade sich verringern, als sie ihr Urwaldsgepräge verlieren. Schloß Severin selbst war in den vierziger Jahren der Schauplatz eines Abenteuers absonderlichster Art. Es war im Winter und ziemlich kalt; die Gebirgswaldungen lagen unter einer hohen Schneedecke fast vergraben, und auch im Thale hatte der Schnee den Wölfen die Tafel auf weithin zugedeckt. Da tritt eines Abends ein Diener des Schlosses aus seinem im Erdgeschosse gelegenen Zimmer und strauchelt über ein vor der Schwelle liegendes Thier, welches er selbstverständlich für einen der starken Hunde des Hauses hält. Ein aus der zufällig geöffneten Nebenthür fallender Lichtstrahl belehrt ihn jedoch, daß er es nicht mit einem Hunde, sondern mit einem Wolfe zu thun hat. Augenblicklich stürzt sich der beherzte Mann auf das Raubthier, packt es mit sicherem Griffe an den Ohren, springt rittlings auf seinen Rücken, klemmt sich mit den Schenkeln fest und reitet so den auf’s Höchste erstaunten Wolf in den Hof hinaus, woselbst dieser, nachdem Jenes Hülferuf die andern Diener herbeigelockt, unter dem Leibe des muthigen Reiters erschlagen wird.

Derartige Besuche sind gegenwärtig allerdings selten geworden; aber noch alljährlich kommen die Wölfe in die Dörfer herein, in der Absicht zu rauben, und in dem Gemüsegarten des Schlosses spürt man sie während des ganzen Winters. Ihre Jagd gilt um diese Zeit vorzugsweise den Hunden, welche überhaupt in ihren Augen ein sehr beliebtes Wild zu sein scheinen und im Winter die einzige Jagdbeute sind, welche sie in und um die Dörfer finden. Zwar verabsäumt der Wolf es keineswegs, auch eine andere Gelegenheit sich bestmöglichst zu Nutze zu machen, schleicht sich ohne Bedenken in einen Stall ein, dessen Thür der Besitzer nicht gehörig verschlossen, springt sogar, wie es erst im vorigen Jahre im Dorfe Bosilgevo geschah, durch ein offen stehendes Fenster in denselben und würgt dann, d. h. wenn er seinen Rückzug gedeckt sieht, alles vorhandene Kleinvieh ohne Gnade und Barmherzigkeit, während er, wenn der Zufall ihm den Rückweg verlegte, sich feige in eine Ecke kauert, dem Kleinvieh nichts zu Leide thut und angsterfüllt der Dinge wartet, die da kommen sollen. Doch gehören Einbrüche des frechen Räubers in Viehställe immer zu den Seltenheiten, während alle Dorfbewohner ringsum allwinterlich einen guten Theil ihrer Hunde einbüßen, und auch der Jäger im Laufe des Sommers regelmäßig mehrere seiner treuen Gehülfen verliert, wie beispielsweise Vranyczany selbst im Laufe eines Jahres vierzehn Jagdhunde durch die Wölfe verlor. Zwar erheben diese, wenn mit Hunden getrieben wird, sich beim ersten Lautwerden der Bracken, um sich fortzustehlen, geben aber genau darauf Acht, wie viele Hunde ihnen folgen, und überfallen, wenn ein einzelner sich durch das Jagdfeuer verlocken ließ, von den übrigen sich zu trennen, diesen ohne weiteres, erwürgen ihn und fressen ihn während der Jagd selbst auf. Ja sie verfahren, wie Pfarrer Kaliman zufällig beobachten konnte, mit ausgesuchter und schändlicher List, um einen Hund zu übertölpeln.

Genannter Beobachter, ein nach Versicherung unseres Wirthes durchaus zuverlässiger Gewährsmann, sah einmal an einem Bergabhang drei Wölfe lauernd stehen und auf das Gekläff einiger Hunde lauschen, welche sie wahrgenommen hatten. Nach einiger Zeit zogen sich zwei von den Wölfen in das nahe Dickicht zurück, während der eine den drei oder vier Hunden, mittelgroßen Bracken, entgegenging und sie förmlich herausforderte, ihn zu verfolgen. Die Hunde stürmten ohne Besinnen auf den verhaßten Gegner los und folgten ihm mit um so größerem Eifer, als er sich bei ihrem Erscheinen sofort wandte und auf die Flucht machte. Kaum hatten sie die Stelle, von welcher aus die beiden anderen Wölfe weggelaufen waren, übersprungen, als diese wieder erschienen, die Fährte ihres Cameraden und der Hunde aufnahmen und nun ihrerseits die Hunde verfolgten. Von diesen kam kein einziger in das Dorf zurück. Aehnliche Ränke und Listen mögen sie im Winter auch in unmittelbarer Nähe der Dörfer oder im Dorfe selbst anwenden, um die Hunde aus dem sicheren Schutze des Hauses wegzulocken; denn gar nicht selten geschieht es, daß ein Dorfhund Abends in voller Angst in das Innere eines Hauses stürzt, um in der Nähe des sichernden Feuers Schutz zu suchen, und man bald darauf das langgezogene Heulen Isegrims vernimmt.

Während des Sommers reißen die Wölfe hauptsächlich Kleinvieh, namentlich Schafe und Ziegen nieder; doch ist der Schaden, welchen sie um diese Zeit anrichten, nicht so bedeutend, als man denken sollte. Der Wald selbst bietet ihnen in den warmen Monaten gar Mancherlei, namentlich Hasen, Füchse, Igel, möglicherweise auch Mäuse und andere freilebende Säugethiere, außerdem Haselhühner, deren Eier und Junge, ein Aas etc. Wenn aber der Herbst kommt, umschleichen sie das draußen noch weidende Vieh ununterbrochen und schonen weder große noch kleine Herdenthiere. Nur an Schweine wagen sie sich selten, nämlich bloß dann, wenn ein Stück der borstigen Herde sich von den übrigen verliert, und mehrere der Raubthiere zusammen sind, um es niederzureißen. Eine größere, geschlossene Schweineherde dagegen bleibt, wie in Spanien, wo ich genau dasselbe erfuhr, regelmäßig von Wölfen verschont, wird sogar von diesen ängstlich gemieden. Denn die tapferen Hausthiere stehen muthig ein für das Wohl der Gesammtheit, alle für einen, und bearbeiten den bösen Wolf, welcher sich erfrechen sollte, unter ihnen einzufallen, mit den Hauzähnen so wacker, daß er alle Räubergelüste vergißt und nur daran denkt, sein auf’s Höchste bedrohtes Leben in Sicherheit zu bringen. Versäumt er den rechten Augenblick, so wird er von den erbosten Schweinen unbarmherzig niedergemacht und dann mit demselben Behagen verzehrt, welches ein Schweinebraten bei ihm erwecken mag. So erklärt es sich, daß man da, wo Schweine im Walde weiden, fast nie einen Wolf spürt, und andererseits wird es verständlich, daß der Jäger, welcher mit seinen Hunden zufällig in die Nähe einer Schweineherde geräth, nicht minder ernste Gefahr läuft als die Wölfe. Denn die Schweine sehen in den Hunden so nahe Verwandte der von ihnen gefürchteten Raubthiere, daß sie sich eben so gut auf jene stürzen wie auf diese und, einmal wüthend geworden, auch den zum Schutze seiner treuen Gehülfen herbeieilenden Jäger nicht schonen.

Aeußerst selten kommt es vor, daß Wölfe sich an einen Menschen wagen. Alle die schauerlichen Geschichten, welche in unseren Büchern erzählt und von unserer Einbildungskraft möglichst ausgeschmückt werden, finden in Kroatien kein Echo. Viel eher als durch Wölfe verliert ein Mensch durch Schweine das Leben; denn jene sind hier trotz ihrer bedeutenden Größe unglaublich feig und lassen sich schon durch das Geschrei der Kinder abhalten und in die Flucht treiben. Freilich treten in Kroatien auch nur ausnahmsweise Nothstände ein, wie die Wölfe der russischen Steppen sie erleiden. Selbst der arme Winter, welcher die Raubthiere anderwärts durch Hunger stachelt und zu kühnen Thaten treibt, bietet ihnen hier immer noch verhältnißmäßig reichliche Nahrung, weil das Vieh nur bei sehr hohem Schnee nach den Ställen getrieben wird. Andererseits rudeln sich die Wölfe auch nicht in so starke Rotten zusammen, wie es in jenen Steppen der Fall ist. Während der Fortpflanzungszeit begegnet man ihnen paarweise und nimmt deshalb allgemein an, daß der Wolf eben so gut wie die Wölfin für die Nahrung des Gewölfes oder Geheckes Sorge trage. Im Herbst sieht man Trupps von vier bis sechs Stück und hält einen solchen Trupp [282] für eine Familie, bestehend aus beiden Eltern mit ihren Jungen. Ein allgemeiner Nothstand vereinigt wohl auch zwei oder drei solcher Familien; stärkere Rudel aber, wie beispielsweise eines von fünfzig Stücken, welches im Laufe des vergangenen Winters bei Casma unter eine Schafherde fiel und alles Lebende würgte, gehören zu den seltensten Vorkommnissen. Der Trupp schweift in einem ziemlich großen Gebiet umher und unternimmt allmählich Jagdzüge von zwei bis drei Meilen Ausdehnung, kehrt aber nach etwa acht Tagen wieder auf dieselbe Stelle zurück, um das Revier von Neuem zu durchstöbern. Erprobte Jäger, wie Vranyczany, sind so fest von der regelmäßigen Wiederkehr der Wölfe überzeugt, daß sie ihre Jagden darnach einrichten, nämlich erst acht Tage später denjenigen Waldestheil abtreiben, in welchem ein Trupp Wölfe gespürt worden war. Wie der Fuchs hält der Wolf seinen Wechsel auf das Genaueste ein, weil er, ebenso wie Reinecke, zu dem Wechsel sich stets die geeigneten, d. h. ihn möglichst deckenden Theile des Waldes wählt und namentlich für einen sicheren Uebergang von einem Waldestheile zum andern die größte Sorge trägt.

Das war es, was ich im Laufe des Gesprächs von meinem Wirth und dessen Gast in Erfahrung brachte.

[293] Am andern Morgen stand Vranyczany schon ziemlich früh gerüstet vor unserm Lager, um uns mitzutheilen, daß wir in spätestens einer halben Stunde zur Jagd aufbrechen würden. Die Nacht war empfindlich kalt gewesen; erfreulicher Weise aber hatte es gegen Morgen noch etwas geschneit, so daß wir hoffen durften, durch die Neue über das Lager der Wölfe vollständig aufgeklärt zu werden. Mit raschen Pferden fuhren wir auf guten Wegen dem etwa zwei Meilen entfernten Jagdgebiete zu. Je weiter wir kamen, um so lebhafter wurde es auf den Straßen. Von allen Seiten strömten Schützen und Treiber herbei, um sich nach dem Versammlungsorte, einem kleinen Dorfe unterhalb des Waldes, zu begeben. Die kroatischen Schützen waren zwar fast alle mit Zündhütchengewehren, im Ganzen aber doch höchst erbärmlich bewaffnet, so daß ich mir beim Anblick ihrer Flinten sofort vornahm, mich möglichst entfernt von den Biedermännern zu halten. Weit besser gefielen mir die scharf geschliffenen langstieligen Aexte, welche die Treiber so im linken Arme trugen, daß das Eisen mit der Schneide nach außen zwischen Arm und Leib eingeklemmt war; denn ich sagte mir, daß man mit solcher Waffe wohl auch den Kampf mit einem Bären aufnehmen könne. Wir begegneten auf unserm Wege sehr vielen Treibern und ersahen daraus, daß die ganze Gegend zur Jagd aufgeboten worden war. In dem erwähnten Dorfe angekommen, näherte sich ein Kroat dem Wagen und machte eine Mittheilung, welche den ganzen Jagdplan mit einem Male über den Haufen werfen sollte. Er hatte einen Bären gespürt, welcher in der vergangenen Nacht, von dem höheren Gebirge herabkommend, einem gewissen Thale zugewandert war, in welchem sich das auf weithin passendste Versteck für Bären, ein an Felsblöcken und Felsenhöhlen reiches Dickicht, befindet.

„Was beschließen Sie, meine Herren?“ frug Vranyczany, [294] wollen wir dem Bären folgen und die sichere Wolfsjagd im Stiche lassen, oder uns um den ersteren nicht kümmern? So viel unterliegt für mich keinem Zweifel: ein riesenhafter Gesell muß es sein; denn die Bärinnen und jungen Bären haben sich schon längst in die Winterherberge zurückgezogen und schlafen, während sehr alte, vereinsamte Bären um diese Zeit wohl, wenn auch höchst selten, noch in unseren Gebirgen sich umhertreiben.“

„Wenn man Hochwild im Reviere hat,“ entgegnete ich, „jagt man nicht auf Hasen, und wenn man einen Bären spürt, läßt man die Wölfe liegen, wo sie sich hingelegt haben.“

„Dies ist auch meine Meinung,“ erwiderte der Jagdherr, „also vorwärts, meine Herren!“

Zwei Waldläufer, unter ihnen derselbe, welcher die Bärenspur aufgefunden hatte, wurden beordert, voraus zu eilen, um zu sehen, ob Petz das besagte Dickicht zu seinem Aufenthalte gewählt habe. Wir folgten langsam den vorauseilenden Leuten, welche an den Bergen emporkletterten, als gingen sie auf ebener Straße, und uns bald aus den Augen verschwunden waren. Bei einem kleinen Gasthofe an der Hochstraße nach Fiume wurde Halt gemacht, um Schützen und Treiber zu mustern. Dann gingen wir weiter, in der Absicht, die Bärenspur zu untersuchen. Nach etwa einer halben Stunde kamen wir zur Stelle und sahen schon von Weitem die unverkennbare Fährte des Raubthieres, aus welcher wir auch sofort entnehmen konnten, wie richtig Vranyczany dasselbe beurtheilt hatte. Der Bär, welcher diese Fährte hinterlassen, mußte in der That ein riesenhaftes Thier sein; denn der Abdruck unseres Jagdstiefels nahm sich neben der Fährte aus wie der Tritt eines Pferdes neben der Spur eines Elephanten. Freund Braun war allem Vermuthen nach auf einer Wanderung von den Krainer Gebirgen nach denen der Militärgrenze begriffen, hatte möglicher Weise in dieser Nacht die Kulpa überschwommen, einen Berg von mehr als tausend Meter Höhe überstiegen und seinen Weg in gerader Richtung von der Höhe nach der Tiefe des Thales genommen, unbekümmert um die bedeutende Steilheit der Bergwand, und ohne sich auch nur die Mühe zu nehmen, verschiedenen Hindernissen aus dem Wege zu gehen.

Ueber das Gesicht unseres Jagdfreundes glitt, nachdem er die Spur und ihre Richtung einen Augenblick geprüft hatte, ein befriedigtes Lächeln.

„Den werden wir finden, meine Herren,“ meinte er; „denn wenn auch ein Bär, und namentlich in jetziger Jahreszeit, unberechenbar ist, so läßt sich doch mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, daß er in dem Ihnen geschilderten Dickicht liegt; und wenn dies der Fall, dann, denke ich, sollen Sie mit der Jagd in unseren Bergen zufrieden sein.“

Dies ermuthigende Wort stählte Sehnen und Glieder; rascher, als wir gekommen, gingen wir zum Sammelplatze zurück, und traten nun von hier aus in Gesellschaft von etwa einhundertachtzig Landeseingebornen den Weg nach dem vermuthlichen Jagdgebiete an, mehr und mehr im Gebirge emporsteigend. In dem ziemlich gut, aber nur mit Unterholz bestandenen Walde hörten wir, während wir rüstig fortschritten, lautes Rufen und Schreien, wie uns mitgetheilt wurde, von Ziegenhirten ausgestoßen, in der Absicht, die Wölfe, welche sie gespürt haben mußten, von ihren Herden abzuhalten; uns kümmerte das nicht im Geringsten: die Wölfe hatten jetzt alle Bedeutung in unseren Augen verloren. Zwei Stunden lang mochten wir in dieser Weise fortgeschritten sein, als die Ausgesandten zurückkamen mit der untröstlichen Nachricht, daß der Bär seinen Weg weiter, als vermuthet, fortgesetzt, die Dobra überschwommen und sich in die Gebirge der Militärgrenze zurückgezogen habe. Ihm zu folgen war unmöglich; denn die Ufer des reißenden Flusses waren meilenweit ober- und unterhalb weder durch Brücken noch durch Führen verbunden. Und wenn wir auch versucht hätten, mit Hülfe unserer Pferde eine der Brücken zu gewinnen, so würde dies doch so viele Zeit in Anspruch genommen haben, daß an eine Jagd heute nicht mehr zu denken gewesen wäre, ganz abgesehen davon, daß angenommen werden mußte, der alte Starrkopf werde in nächster Nacht seine Wanderung fortsetzen.

„Die Bärenjagd ist vereitelt, zur Wolfsjagd ist es zu spät geworden, aber eine Fuchsjagd noch möglich,“ meinte Vranyczany; „und wenn es auch tüchtig zu steigen giebt: Sie sind ja gekommen, um hier zu jagen.“

Der Rath fand allgemeinen Beifall. Die Treiber wurden verständigt, und eine neue Wanderung begann. Nach etwa halbstündigem Steigen gelangten wir auf die Höhe des Bergrückens und damit in einen kroatischen Wald, welcher mich mehr als einmal an afrikanische Urwaldungen erinnerte, nur daß wir hier außer Buschdickichten und Schlinggewächsen der verschiedensten Art Felsblöcke und Schründe zu überwinden hatten. Von einem geordneten Forstbetriebe ist in Kroatien noch nicht die Rede; man treibt Plünderwirthschaft und nimmt diejenigen Bäume weg, welche am leichtesten zugänglich sind und am besten fortgeschafft werden können. Alles übrige Holz bleibt stehen und liegen. Mächtige Eichen recken ihre dürren, halbverfaulten Wipfel in die Luft; gewaltige Buchen liegen vom Winde niedergebrochen quer über den Weg, falls man überhaupt von solchem reden kann, und vermodern im Grunde; jung angesämtes Buschwerk schießt überall dazwischen empor; Brombeerstauden durchranken es und bilden stellenweise fast undurchdringliche Dickichte; andere Schlinggewächse, Nesseln etc. wuchern in üppigster Fülle auf dem Boden. Und nur da, wo der nackte Felsen mit seinen Zacken und Schründen zu Tage tritt, wo der Bergrücken das Gepräge des benachbarten Karstes vollständig zeigt, lichtet sich der Wald, wenn auch nicht zu Gunsten des in ihm Dahinschreitenden, welcher im Sommer, geschweige denn im Winter, wenn Schnee die Schründe und Vertiefungen zwischen den Steinen verdeckt, bei jedem Schritt darauf zu achten hat, daß er nicht in einer Vertiefung versinkt oder zwischen den Steinen sonstwie zu Schaden kommt. Unsere Kroaten freilich schritten mit größtem Gleichmuth dahin, angeführt von einem des Waldes Kundigen und eine lange indianische Reihe bildend, in welche wir uns ebenfalls einfügten. Auf der Kante einer ziemlich steil abfallenden Felswand wurden wir angestellt, und das Treiben begann. Von Nordosten her wehte die Bora so eisig kalt, daß wir es trotz der warmen und dichten Kleidung kaum aushalten konnten und fast schwermüthig an die Freuden unserer Fuchsjagden zurückdachten. Nach etwa drei Viertelstunden näherten sich die Treiber, und bald darauf erschien auch Reinecke, gefolgt von den Hunden, in dem jetzt winterkahlen Wald schon auf weithin sichtbar. Wie immer, wußte er sich den schlechtesten Schützen, einen kroatischen Bauer, auszusuchen und entkam, ohne daß ihm ein Haar gekrümmt worden wäre.

Wir hatten vollständig genug an der heutigen Jagd, verwünschten den Bären und den Fuchs dazu, drehten der Bora den Rücken und wandten uns, enttäuscht und mißmuthig, thalabwärts. Doch unser freundlicher Jagdherr verstand es, die erfrorenen Geister wieder zu erwecken. Nach kurzer Wanderung gelangten wir in eine Thalmulde und sahen mit stillem Behagen aus ihrer Mitte leichten stillen Rauch emporsteigen. Um ein mächtiges, wohl unterhaltenes Feuer standen die Leute Vranyczany’s in ernster Beschäftigung. An einem als Spieß dienenden Buchenschößling, welcher von kundiger Hand gedreht wurde, bräunte ein saftiges Puterhuhn, in einem mächtigen Topfe brätelte der Gulasch, das volksthümliche Hirten- und Jägergericht, und eben als wir uns näherten, keuchte einer der Leute heran, um einen schweren Sack voll Kartoffeln in die glühende Asche zu schütten. Für uns wurden auf den Felsblöcken ringsum Sitze und vermittelst einiger abgehauenen Stämme Bänke errichtet; die ganze Jagdgesellschaft sammelte sich allmählich um das Feuer, und absichtslos gestaltete sich eines der buntesten und lebendigsten Jagdbilder, welche ich jemals erschaut. In allen Stellungen standen, hockten, saßen und lagerten die kroatischen Schützen und Treiber, deren malerische Tracht durch die Waffen nur noch gehoben wurde, um das Feuer. Heitere Scherzworte flogen von Mund zu Mund, begehrende Blicke richteten sich auf Bratspieß und Kochtopf, nicht minder begehrlich auf die mächtige, kreisrunde Holzflasche, welche, mit edlem Weine gefüllt, jetzt die Runde machte. Einer und der andere versuchte von den in der Asche bratenden Kartoffeln einige für sich zu gewinnen; jeder Einzelne aber hielt sich, Angesichts des Gebieters, in den allerbescheidensten Schranken. Koch und Kellner verstanden ihre Sache vortrefflich; der köstliche Wein ließ die Bora, das leckere Huhn die geträumten Bärenschinken vergessen, und gestärkt und erheitert traten wir unsern Heimweg an. Aber was für einen! Von der steilen Höhe gerade herunter in das Thal, auf Wegen, welche eigentlich keine waren, obgleich sie von den Bauern benutzt wurden, um Stämme aus dem Walde zur Tiefe hinabzuschleifen, über Geröll, welches unter jedem Tritte sich bewegte, [295] über Eis und glatt gefahrenen Schnee ging es in die Tiefe. Ich krallte mich mit der Rechten fest in die Schulter eines stämmigen kroatischen Treibers und glitt so mehr, als ich ging, die treue Büchse hoch emporhaltend, um sie bei einem Sturze nicht zu beschädigen, in überraschend kurzer Zeit in das Thal hinab. Nach etwa einstündigem Wege erreichten wir wohlbehalten Schloß Severin und hatten unter dem frischen Eindruck der Gastfreundschaft, welche uns wiederum in der anspruchslosesten Weise geboten wurde, bald alle Mühsale und Beschwerden des Tages vergessen.

Am nächsten Morgen schieden wir dankerfüllt aus dem gastlichen Hause, in welchem länger zu bleiben uns nicht vergönnt war. Es handelte sich jetzt für uns darum, so schnell als möglich wieder nach Agram zu kommen, weil auf der entgegengesetzten Seite der Hauptstadt, etwa zwei Meilen von ihr entfernt, für die nächstfolgenden Tage große Wolfstreiben angesagt waren. Diesmal verließen wir Agram zu Wagen und fuhren auf einer leidlichen Straße im Thale der Save entlang nach dem in der Nähe von Dugosello gelegenen Edelhofe Bozjakovina des Herrn v. Tomekovitsch. Derselbe und seine hochgebildete Gemahlin, eine Polin, empfingen uns mit derselben Gastlichkeit und Freundlichkeit wie Vranyczany, so daß es schwer zu sagen sein würde, in welchem der beiden Edelhäuser wir mit größerer Zuvorkommenheit und Liebenswürdigkeit aufgenommen worden sind. Ersterer machte uns nicht allein aus seinem ereignißvollen Leben, sondern auch über Land und Leute und deren Verhältnisse Mittheilungen, welche uns aus dem Grunde in hohem Grade fesselten, weil in ihnen das Urtheil des gereiften, viel erfahrenen Mannes sich bekundete.

Der Stuhlrichter des Ortes war zugegen und erzählte uns, daß er zu der morgenden Jagd dreihundert Treiber und etwa hundert Schützen aufgeboten hätte, die Leitung der Treiber aber Herrn v. Tomekovitsch, dem erfahrenen Jäger, übertragen habe. An Wölfen sei, so versicherte er und bestätigte Tomekovitsch, kein Mangel; auch würden jedes Jahr mehrere von ihnen erlegt, manchmal unter absonderlichen Umständen. So kam der Bauer Belletz aus dem Dorfe Cernetz eines Tages auf eine umhegte Weide und an die dort vom Hirten errichtete Hütte, warf zufällig einen Blick in das Innere und sah in ihr zwei Wölfe liegen. Beide Theile, der Bauer und die Raubthiere, maßen sich mit gleich erstaunten Blicken; da aber ersterer den Wölfen den Ausweg vertrat, war die Verlegenheit auf Seiten Isegrims größer als die des Bauern, und die Feigheit der Raubthiere bekundete sich auf das Deutlichste in jeder ihrer Bewegungen, in ihrem ganzen Wesen. Zum Glück für die Gegend war der Bauer mit einem Doppelgewehre bewaffnet und erlegte mit zwei rasch aufeinanderfolgenden Schüssen beide Wölfe.

Ein anderer Bauer, Fundec, aus dem Dorfe Gratschetz bestand ein ebenso glückliches Abenteuer in einer von ihm errichteten Wolfsgrube. Diese war im Winter in der üblichen Weise gestellt worden; unser Bauer fand aber mitten im Sommer zu seiner nicht geringen Ueberraschung Herrn Isegrim auf dem Boden der Grube sitzend. Ohne Waffen, wie er war, versuchte er das Raubthier mit einem rasch herbeigeholten Knüppel zu erschlagen, verlor dabei das Gleichgewicht, stürzte in die Grube hinab und kam hier auf Hände und Füße zu liegen. Noch ehe er sich aufgerichtet, hatte der Wolf den günstigen Augenblick ersehen, nicht um ihm an die Kehle, sondern um auf seinen Rücken zu springen und so das Freie zu gewinnen, während der Bauer sich lange Zeit abmühen mußte und nur mit Hülfe des besagten Knüppels überhaupt im Stande war, aus der Grube herauszukommen.

Auf einer von Tomekovitsch veranstalteten Wolfsjagd ereignete sich ein anderer Fall, welcher ebenfalls der Erwähnung verdient. Ein Schreiber des Gutes, welcher schon längst mit Neid auf die Jäger geblickt hatte, faßte sich am Abend vor der Jagd den Muth, Herrn v. Tomekovitsch zu bitten, ihn doch auch unter die Zahl der Jünger Diana’s einreihen zu wollen. Zwar habe er bisher immer nur die friedliche Feder, nicht aber die mordende Waffe geführt; doch sei er vollkommen überzeugt, daß er wohl auch seinen Wolf fällen könne, denn an Muth fehle es ihm nicht. Der Bitte wurde willfahrt, der Schreiber mit einem Doppelgewehre bewaffnet und beim Treiben an einen verlorenen Posten gestellt. Die Jagd beginnt, und ehe man noch die Treiber vernimmt, erscheinen drei Wölfe und gehen schnurstracks auf den unerfahrenen Schützen zu. Diesen packt das Jagdfeuer, vielleicht auch eine gelinde Angst vor den Raubthieren; er verscheucht durch sein Gebahren zwei von letzteren; der dritte Wolf aber läßt sich nicht beirren und setzt seinen Weg in der einmal begonnenen Richtung fort; der Schreiber giebt auf fünf Schritte Entfernung Feuer, verwundet auch den Wolf erheblich, tödtet ihn aber nicht. Jetzt bemächtigt sich seiner die Sorge, die ruhmbringende Beute zu verlieren; er vergißt alles Gehörte, stürzt auf den Wolf los, ergreift ihn bei der Ruthe und versucht ihn festzuhalten. Der Wolf strebt mit aller Kraft sich frei zu machen, der Schreiber hält um so fester; jener aber ist stärker und schleppt den Mann hinter sich her. Nun kommt die Reihe ängstlich zu werden an Tomekovitsch; denn der erfahrene Jäger weiß sehr wohl, was es bedeutet, mit einem verwundeten Wolfe anzubinden. Daher befiehlt er dem Schreiber, doch um Himmelswillen die Bestie loszulassen, worauf die klägliche Antwort folgt: „Ja, ich möchte wohl, wenn ich nur könnte!“ Tomekovitsch eilt zur Stelle, schießt dem Wolfe einen wohlgezielten Schuß in den Leib und fordert nunmehr den Schreiber auf, doch endlich vom Wolfe abzulassen, da dieser nicht mehr entrinnen könne. Aber noch immer hält jener die Beute fest, und es ergiebt sich bei genauerer Untersuchung, daß sich seine Hände verkrampft haben, und er allerdings beim besten Willen nicht im Stande ist, sie zu lösen. So bleibt nichts übrig, als mit dem Jagdmesser die Lunte des Wolfes abzuschneiden und dem auf’s Höchste erregten Manne Zeit zu lassen, bis endlich der Krampf vorübergeht.

Ich wiederhole diese Erzählungen unseres Jagdfreundes hauptsächlich, um den Beweis zu führen, daß der hiesige Wolf zu den feigsten aller Raubthiere zählt.

Das Schauspiel, welches sich uns am nächsten Morgen bot, war wirklich großartig. In Dugosello herrschte ein Leben wie auf dem Jahrmarkte. Von allen Seiten waren Schützen und Treiber herbeigeströmt und unser Stuhlrichter mit seinen Unterbeamten bei unserer Ankunft gerade beschäftigt, die Aufgebotenen zu verlesen, um die Fehlenden zur Strafe zu ziehen. Aber sie waren alle erschienen, die würdigen Männer, und zogen nun in geordneten Haufen, geleitet und beaufsichtigt durch die Waldhüter unseres Jagdherrn, einem in der Ebene gelegenen Walde zu, um dort sich aufzustellen. Wir folgten bald darauf in Gesellschaft der von Agram herbeigekommenen und aus den benachbarten Dörfern zusammengeströmten Schützen. Mitten im Walde wurde dann, ganz wie bei unserm Fuchstreiben, eine Kette gebildet, nur daß sie fast eine halbe Meile weit sich ausdehnte. Ich stand auf dem Wechsel, neben mir die Reisegenossen. So lautlos, wie ich es gewünscht haben mochte, ging es bei dem Treiben nicht zu; auch hatten einzelne Treiber es sich nicht nehmen lassen, dem Verbote entgegen, im Walde Feuer anzuzünden; auf dem Wege, längs dessen unsere Schützenlinie sich hinzog, verkehrten Bauern nach wie vor, und aus dem Walde tönten uns die Schläge der Holzfäller entgegen. Drei Schüsse gaben das Zeichen zum Beginne des Treibens. Wir standen lange Zeit, laut- und regungslos, wie es guten, erfahrenen Jägern geziemt, ehe wir von dem Treiben etwas vernahmen. Erst dumpf und verhallend, dann deutlicher und endlich vollkommen klar vernehmlich kamen sie heran, rufend, schreiend, jauchzend, heulend, auf Pfeifen blasend und die Trommeln rührend. Letztere verliehen dem Ganzen einen eigenthümlichen Reiz. Die taktmäßigen Schläge der Trommel, welche der Wolf mehr fürchten soll als alles Schreien, belebte das Treiben in außerordentlicher Weise: es war, als ob ein Regiment zum Sturme heranrückte. Da warnte eine Amsel, für mich verständlich genug. Jetzt mußte er kommen. Und in der That vernahm ich bald darauf die Schritte eines größeren Thieres, welches gerade auf mich loszugehen schien. Lange harrte ich vergebens, da zeigte sich ein Fuchs, zwar nur für einen Moment, indem er auf einen abgehauenen Baumstumpf sprang, und doch viel zu lange für ihn; denn einen Augenblick später lag er zuckend am Boden. Sollte ich mich so geirrt haben? Sollte der Fuchs es gewesen sein, welcher so derb aufgetreten war? Unmöglich! Und doch konnte die Amsel ihn gemeint haben. Oben und unten knallte es ebenfalls; wahrscheinlich waren es Füchse gewesen. Die Treiber kamen heran, und Reden war jetzt gestattet.

„Ich habe einen mächtigen Wolf gesehen,“ rief mir der junge Gerlich zu, welcher seinem Vater nachgereist war und links [296] von mir stand; „er trat bei mir auf die Blöße heraus, war aber doch zu weit, als daß ich hätte schießen können. Warum haben Sie nicht Feuer auf ihn gegeben?“

„Was ich gesehen habe, liegt verendet; Sie werden sich aber wohl geirrt und den Fuchs, welchen ich erlegt, für einen Wolf gehalten haben.“

„O nein, ich bin meiner Sache sicher; Füchse, welche unsere Fleischerhunde an Größe übertreffen, giebt es nicht; das war ein Wolf. Ich glaubte, Sie hätten ihn gesehen weil Sie unmittelbar darauf, nachdem er wieder in das Dickicht zurückgetreten war, Feuer gaben.“

„Ich habe einen Fuchs gesehen und geschossen; dies ist Alles.“

Der Befehl, uns jenseits des Weges von Neuem aufzustellen und das von der andern Seite herankommende Treiben abzuwarten, schnitt weitere Rede ab. Derselbe Lärm erhob sich jetzt am entgegengesetzten Saume des Waldes, diesmal aber von Anfang an deutlich und vernehmbar, weil der abzutreibende Theil kleiner war und der Wind uns den Schall entgegentrug. Einige Füchse sprangen über den Weg und wurden gefehlt; von Wölfen zeigte sich nichts.

Und doch hatte ich die Amsel recht verstanden gehabt und auch Gerlich sich nicht geirrt. Denn als wir abberufen wurden und wieder zurückkehrten, fiel uns schon von Weitem ein von Treibern gebildeter Kreis auf, und als wir denselben durchschritten hatten, lag vor uns der von Hauptmann Scheller erlegte Wolf, derselbe welcher auf meinen Stand zugelaufen, von Gerlich gesehen worden und wahrscheinlich aus Furcht vor diesem in den Wald zurückgegangen war. Aber nicht allein er, sondern noch vier andere Seinesgleichen waren im Treiben gewesen und drei von ihnen durch die Treiber gegangen; auf den vierten hatte man vergeblich geschossen. Ich darf sagen, daß ich Scheller ohne Jagdneid meine Glückwünsche darbrachte; für mich war die Art und Weise der Jagd und Das, was ich über die Wölfe in Erfahrung gebracht, wichtiger gewesen, als ein von mir selbst auf Wölfe abgegebener erfolgreicher Schuß. Während wir noch um die Jagdbeute standen, brachten einige der Treiber bereits eine passende Stange herbei, schnürten mit Weidenruthen dem Wolfe die Füße zusammen, hingen ihn an der Stange auf und brachten ihn im Triumphe zum Dorfe zurück.

Die Kürze des Tages erlaubte nur noch ein einziges Treiben in einem benachbarten, ausgedehnten Walde. Dasselbe verlief jedoch ohne Ergebniß, weil eine zahlreiche Schweineherde schon seit Tagen dort geweidet und die Wölfe vertrieben hatte. Auch eine in den nächsten Tagen unweit der ungarischen Grenze bei dem Städtchen Kopreinitz veranstaltete Wolfsjagd fiel ungünstig aus. Wölfe waren zwar vorhanden und ihre Spur überall zu bemerken, kamen jedoch nicht zum Schusse. Auf anderweitige Jagden konnten wir uns diesmal nicht einlassen, weil das Herannahen des Weihnachtsfestes uns nach Hause trieb. Meinen Zweck hatte ich erreicht. Ich hatte das ganze Getriebe der Wolfsjagden kennen gelernt und einen Wolf so zu sagen mit erlegen helfen; mehr wollte ich nicht. Die Gefährten dachten ähnlich. Befriedigt waren Alle.

Wir schieden mit aufrichtigem Danke aus Kroatien. Unsere Landsleute wie die Eingeborenen haben uns Freundlichkeiten aller Art erwiesen; mein Urtheil über Land und Leute hat sich wesentlich geändert und jedenfalls zu Gunsten Kroatiens und der Kroaten berichtigt. So verworren und unbefestigt heutzutage die dortigen Zustände auch sein mögen: ein ernster Wille, sie zu ändern und zu verbessern, läßt sich nicht verkennen. Noch fehlt Vieles, bevor sich das Land den deutschen Staaten des österreichischen Kaiserreichs wird an die Seite stellen können; die feurige Vaterlandsliebe aber, welche die Kroaten bethätigen, der Eifer, überall zu bessern, wo es noth thut, die Opfer, zu denen man bereit ist, verbürgen einen stetigen Fortschritt. Grundfalsche politische Anschauungen, panslavistischen Größenwahn, maßlose Selbstüberschätzung und offenbare Feindschaft gegen das deutsche Element habe ich allerdings auch erfahren müssen, alles Dies aber auf Rechnung der wenigen unreifen Köpfe gebracht, in denen solcher Widersinn brodelte und gährte, und die wirklich gebildeten Kroaten, welche mir doch überall in überwiegender Menge entgegentraten, damit nicht belastet. Das niedrige Volk ist verkommen oder doch nicht vorwärts geschritten, aus dem einfachen Grunde, weil es so gut wie keine Bedürfnisse hat und Dasjenige, was es bedarf, ihm durch das reiche Land in Fülle geboten wird; dem ungeachtet glaube ich, daß ein guter Kern in ihm liegt und es nur der Verbreitung gründlicher Schulkenntnisse bedarf, um es ebenfalls vorwärts zu bringen. Rohheit und Unnatur habe ich nicht bei ihm gefunden, und deshalb bekenne ich mich auch ihm ebenso zu Dank verpflichtet wie den vielen und trefflichen Leuten, mit denen zu verkehren ich das Vergnügen gehabt habe.