Textdaten
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Autor: Friedrich Schütz
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Titel: Auch ein slavischer Agitator
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 828–832
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[828]
Auch ein slavischer Agitator.
Ein verspäteter Nachruf.

Am 26. Mai ist zu Prag in der Hofwohnung eines kleinen Hauses einer Nebenstraße Franz Palazky, lange Jahre das Haupt der czechischen Partei, verschieden. Wenige Wochen zuvor hatten czechische Führer ein Jubelbankett veranstaltet, weil von Palazky’s großem böhmischem Geschichtswerke soeben der letzte Band erschienen war. Aber nicht diesem Anlasse galten Lärm und Geräusch des Festes, denn Palazky, der Historiker welcher mit unermüdlichem Fleiße die Archive Europas durchforscht hat, wäre niemals zu hervorragendem Ansehen bei seinen Stammesgenossen gelangt. Es liegt nicht in Art und Blut des czechischen Volkes, die nüchterne, mühsame Arbeit eines Gelehrtenlebens würdigen zu können. Palazky’s Ansehen war eine Frucht seiner politischen Thätigkeit, welche durch fünfzig Jahre währte und in ihren letzten Consequenzen die Wiederherstellung eines czechischen Reiches bezweckte. In den verschiedensten [829] Zeitströmungen verstand es Palazky dieses Ziel anzustreben. Verhängnißvolle Irrthümer der Regierenden haben Palazky’s Bestrebungen gefördert. Sein mit jesuitischer Klugheit festgehaltener politischer Grundsatz, die höchsten idealen Güter um den Preis nationaler Zugeständnisse zu opfern, haben ihn zu einem Genossen und Helfershelfer der Reaction gemacht. So oft ihre Machtzeit wiederkehrte, war auch er im Vordergunde. Mit allen Verfassungssistirungen, welche die Geschichte Oesterreichs in den letzten Jahren wie Unglücksarabesken durchziehen, ist Palazky’s Name im Zusammenhange; den Verfassungsbruch hat er im Jahre 1848 wie später in unsern Tagen als Rettungsmittel für das Reich gepredigt, welchem er im Gegensatze zu seiner Culturmission die Aufgabe zumuthete, ein Hort slavischer Interessen in Europa zu werden. So mußte denn, als die Armseligkeit dieser Staatsweisheit durch die Ereignisse die fürchterlichste Verurtheilung fand, ihrem Urheber am Ende seiner Tage jede Aussicht auf Erfolg schwinden. Er starb verbittert über die „Einsichtslosigkeit der Menschen“, voll Hasses gegen seine politischen Gegner, ja auch gegen seine Stammesgenossen, von denen ein Theil den Ideen Palazky’s gegenüberstand.

Franz Palazky ist am 14. Juni 1798 zu Hotzendorf, einem Dorfe des Prerauer Kreises in Mähren, als der Sohn eines evangelischen Schullehrers geboren. Mit neun Jahren verließ er sein Vaterhaus. Er wurde nach Kumwald bei Neutitschein geschickt, um hier Deutsch zu lernen. Drei Jahre darauf übersiedelt er in das evangelische Lyceum von Preßburg. Ein Professor desselben, Palkovic, benutzt den befähigten Knaben als Schreiber, später sogar als Hülfsarbeiter bei der Redaction einer kleinen czechischen Zeitung. So gelangte Palazky in die unbedeutende czechische Literaturbewegung jener Tage, in welcher er bald eine hervorragende Rolle [830] spielen sollte. Mit einigen Abhandlungen erregt er bald darauf Aufmerksamkeit, und als er 1823 nach Prag übersiedelt, tritt er bereits als hervorragendes Mitglied in jenen Kreis czechischer Gelehrter, welcher es sich zur Aufgabe machte, durch literarisches Streben dafür Sorge zu tragen, daß der slavische Stamm in Böhmen nicht völlig aussterbe und in dem von allen Seiten andrängenden deutschen Culturelemente aufgehe. Diese Verbindung war keineswegs von imponirendem Eindrucke. An ihrer Spitze standen Jungmann, Schafarik, Hanka, Dobrowsky, Geistliche und kaiserlich-königliche Staatsbeamte, welche in scheinbar harmlosen linguistischen Spielereien, in unschuldigen Uebersetzungen oder höchstens Nachbildungen deutscher Richtung ihre schriftstellerische Aufgabe sahen. Die Regierung förderte das Streben. Sie, die in Frankfurt am deutschen Bundestisch mit ängstlicher Sorgfalt die deutsche Führerschaft bewachte, wollte in Oesterreich keine durchgängig deutsche Bevölkerung. Die deutsche Sprache sollte wohl die amtliche Sprache des Reiches sein, aber ein deutsches Volk, welches vom Riesengebirge bis zur Adria das Reich bewohnt hätte, schien den Machthabern jener Tage unbequem und gefährlich. Man sperrte die Grenze ängstlich ab, daß der deutsche Geist ja nicht eindringe, und man förderte die Stammesregungen der Nationen und Natiönchen, die inmitten der Deutschösterreicher die Bevölkerung der alten Erbländer bildeten. Die politischen Kämpfe unserer Tage, in welchen man so oft zu schwach gewesen, die nationalen Geister zu bannen, welche vor Jahren gerufen wurden, haben das Unglückselige dieser Politik in ernster Weise hervortreten lassen. In Prag legte sie zu Beginn der zwanziger Jahre den Grundstein zu Palazky’s Zukunft, denn auch er fand die Protection des Metternich’schen Regimes und fand sie selbst dann, als mit einem Male die czechische Literaturströmung eine andere Richtung nahm.

Der junge Historiker, der, um den Adel zu gewinnen, kleine Geschichtswerke über die Entwickelung böhmischer Adelsfamilien veröffentlichte, führte nämlich einen neuen Geist in die Kreise seiner slavischen Mitkämpfer. Dieser Geist war erfüllt vom Hasse gegen das Deutschthum. In Zukunft, so predigte Palazky, sollten die czechischen Werke getragen sein von dem Gedanken, daß die deutsche Cultur nur die Unterdrückung für das slavische Element in Oesterreich bedeute und daß es Rettung für den czechischen Stamm, der inmitten deutscher Erde gelegen sei und eine Art insularer Lage habe, nur dann gebe, wenn er sich selbstständig mache, statt in der Verbindung mit Deutschland eine Wechselbeziehung zu den übrigen slavischen Stämmen zu suchen. Daß diese minder cultivirt waren, schien Palazky nur von Vortheil. Die Czechen, erfüllt von deutscher Bildung, aber geistig tief unter den Deutschen stehend, hatten ja hierdurch Gelegenheit und Element zu einer Führerrolle. Die Keime des Panslavismus wurden gelegt. Unter den Augen der Wiener Machthaber ist dies geschehen. Ja mehr noch! Die Regierung schwieg, als Rußland die slavischen Geistesritter mit Orden und Hülfsgeldern lohnte; wie hätte auch der österreichische gefürstete Kanzler hierin einen Landesverrath erblicken können, er, welcher – allerdings nicht ohne kaiserliche Bewilligung – alljährlich eine Apanage von der Newa bezog!

Palazky’s Wirken blieb bei der Umwandlung der czechischen Literaturbestrebung nicht stehen. Sein deutschfeindliches Streben suchte weitere Erfolge. Das Museum, von einem Adeligen deutschen Geistes, vom Grafen Sternberg, dem Freunde Goethe’s, gegründet, wurde czechisirt; die Museumszeitung, deren Redaction man Palazky übertrug, wurde, gegen die Bestimmung ihrer Gründer, nur in czechischer Sprache publicirt und zum Mittelpunkte der Bestrebungen des rührigsten Agitators der Czechen gemacht. Die Stände, ohne Ahnung der Bedeutung derselben, bestellten Palazky zu ihrem Geschichtschreiber. Als solcher publicirte er 1836 den ersten Band seiner böhmischen Geschichte. In Deutschland, wo man, wie im böhmischen Ständesaale, nur das gelehrte Werk, nicht dessen Tendenz, beachtete, wurde das Buch des jungen Protestanten mit allen Ehren begrüßt. Ein evangelischer Historiker aus Oesterreich war eine neue, ja sympathische Erscheinung; war man doch nur zu sehr gewohnt, in diesem Lande nur eine clerikale Gilde von Geschichtsschreibern sich entwickeln zu sehen. Palazky dankt seinem Glauben, welcher ihn später nicht gehindert hat, sich bedingungslos dem clerikalen Heerbanne anzuschließen, ein gut Theil der Anerkennung, welche jene ersten geschichtlichen Veröffentlichungen in Deutschland gefunden. Zu lange hat dieselbe allerdings nicht gewährt. Schon in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre tönten warnende Stimmen vor dem fanatischen Geiste, welchen Palazky’s Schriften enthalten, und später enthüllte Hoffmann von Fallersleben die tendenziöse Weise, in welcher Palazky die Resultate seiner Forschung nützte. Waren sie den Deutschen günstig, so verschwieg er sie einfach. „Ein den Deutschen günstiges Actenstück existire einfach nicht für ihn,“ meinte er selbst.

Palazky, welcher anfangs ziemlich vorsichtig für seine Bestrebungen eintrat, konnte jetzt so muthig sein, dies deutlich auszusprechen. Der Kreis seiner Partei hatte sich nämlich im Laufe weniger Jahre mächtig erweitert. Das Literaturvölklein an der Moldau hat mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit ein Volk von Lesern geschaffen. Palazky’s agitatorisches Talent leistete Allen voran das Höchste. Ein Verein für Literaturzwecke, „matice“ (Bundeslade) benannt, wurde in’s Leben gerufen, um die Schriften der jungen czechischen Literaten zu ediren und zu verbreiten. Die Behörde verbot den Verein. Palazky’s Einfluß erwirkte Aufhebung des Verbotes. Von Haus zu Haus gingen Sammler, um Gelder für den Literaturverein zu fordern. In Dörfern und Städten wurden Concerte, Tanzkränzchen zu seinen Gunsten veranstaltet; in den Wirthshäusern predigten Sendboten, daß zum Vortheile der „matice“ ein „Bierkreuzer“ von jedem Tranke dem nationalen Zwecke geopfert werden solle. So verstand es ein für die Production wenig, für die Agitation desto reicher begabter Kopf binnen Kurzem, eine, wie es schien, todte Nation wieder zu erwecken und seinen politischer Plänen Tausende von Anhängern und Gläubigen zu sichern.

Nie wäre dies möglich gewesen, hätte Palazky nicht den niedrigsten nationalen Racenstandpunkt vertreten, hätte er nicht in Wort und Schrift dem Hasse gegen das den Besitz und die höhere Bildung Böhmens vertretende deutsche Element den entschiedensten Ausdruck gegeben. „Welch eine Nation!“ ruft er einmal aus, als er die Verbannung von Germanismen aus der Sprache seines Volkes empfiehlt, „sie hat für die zwei höchsten Begriffe keine selbstständige Bezeichnung. Der Deutsche muß Fremdwörter brauchen, wenn er von seiner Nation und seiner Religion sprechen will!“ Wie in dieser Bemerkung, hat es Palazky immer verstanden, dem gläubigen Sinne des Clerus zu schmeicheln. Als Lohn hierfür hat die Kirche von Pfarre zu Pfarre, von Kanzel zu Kanzel ein Heer von Agitatoren geschaffen, welche Mitstreiter bei dem nationalen Werke Palazky’s wurden. Aber auch den Adel wußte der rührige Volksbeleber für seine Zwecke zu gewinnen. Je kläglicher sich das nach den Schrecken der Schlacht am weißen Berge gewährte Ständerecht präsentirte, desto eindringlicher verstand es Palazky, den böhmischen Adelsgeschlechtern die Theorie mundgerecht zu machen, daß es doch ein Landesrecht gebe, ein Recht, welches dem Adel eine bevorzugte, ja, die erste Stelle sichere, falls er mitwirken wolle, daß die Selbstständigkeit Böhmens wiederhergestellt würde. Bis an sein Lebensende war Palazky bemüht, für dieses sogenannte Landesrecht zu kämpfen. Er hat ein Lügengewebe historischer Beweismittel ersonnen, um den Gedanken glaubhaft zu machen, daß die Armeen Bouquoi’s, des baierischen Maximilian und Tilly’s am weißen Berge die Selbstständigkeit Böhmens nicht in blutgetränkte Erde gestampft hätten, sondern daß jene Selbstständigkeit rechtmäßig in unseren Tagen wieder aufleben und die Herrschaft des czechischen Elementes über das deutsche im Lande ermöglichen müßte.

Als 1848 der „Völkerfrühling“ unter Wettern und Stürmen über Oesterreich kam, hatte Palazky erst nur einen Gedanken, daß die Selbstständigkeit Böhmens rechtlich neu begründet werden solle. Böhmen als Domäne seiner Stammesgenossen zu sehen, genügte ihm nicht mehr. Er wollte, daß aus dem Leibe des Reiches ein neuer Körper gerissen würde: die Länder der böhmischen Krone. Böhmen sollte mit Mähren und Schlesien vereint werden und in diesem neuen Gebiete sollten natürlich die Deutschen Amboß, die Czechen Hammer sein. Ein Stück nationalen Socialismus lag in dieser Politik, und die czechischen Massen theilten in ihren Träumen bereits Gut und Reichthum der vogelfrei gewordenen Deutschen. Um Palazky zu gewinnen und von seinen reichsgefährlichen Ideen abzubringen, bot man ihm ein Portefeuille in dem damaligen Ministerium Pillersdorf. Er ging nach Wien, um zu unterhandeln. Ein Aufschrei der Entrüstung empfing ihn. Er reiste bebend vor dem empörter Wiener Volksgeiste ab. [831] Muth war nie seine Sache gewesen. In seinem Ablehnungsschreiben glaubte er hervorheben zu sollen, daß man seine Ernennung zum Minister als eine Beleidigung der Deutschen in Oesterreich deuten möchte. In Prag fand Palazky seine Fassung bald wieder. Er agierte gegen die Wahlen für das Frankfurter Parlament, präsidirte dem Slavencongresse, protestirte gegen das Tragen deutscher Farben und publicirte Kundgebungen so feindlicher Sprache gegen die liberalen Deutschen und Ungarn, daß nach den Prager Barrikadenkämpfen Windischgrätz ein Lobsprecher der Richtung Palazky’s wurde und Jelacic, der General der Camarilla, nach der Einnahme Wiens am 5. November Palazky zu sich berief, um ihm ein Gutachten über die österreichische Verfassungsfragen abzufordern. Dieser Egeriadienst, welchen Palazky den Häuptern der Reaction leistete, hatte zur Folge, daß der Reichstag nicht nach Wunsch der Deutschen nach Wien, sondern auf Vorschlag Palazky’s in das öde Städtchen Kremsier berufen wurde. Hier plante Palazky einen Verfassungsentwurf, welcher Oesterreich in sieben Gruppen theilen sollte. „Man müßte eine Armee von sechsmalhunderttausend Mann haben, um dieser Verfassung Anerkennung und Geltung zu erkämpfen,“ meinte Fürst Schwarzenberg, welcher damals in die Arena trat und die Auflösung des Kremsierer Reichstages betrieb und auch erreichte. Palazky hatte nun den verdienten Lohn seiner öffentlichen Thätigkeit gefunden. Die Dienste, welche er der Hofpartei geleistet, waren nutzlos, die conservativ-reactionäre Gesinnung, mit welcher er prunkte, hatte nicht gehindert, daß ihn die neuen Männer des Tages verächtlich bei Seite schoben, als die Siege in Italien sich als wirksamste Reichsstütze erwiesen und die Allianz mit dem eigenwilligen dickschädligen czechischen Gelehrten unnütz machten. Mißmuthig zog sich Palazky nach Prag zurück. Ihm tönte der Ruf nach, daß er „ein Mörder der jungen Freiheit in Oesterreich gewesen sei.“

Durch zehn Jahre wirkte Palazky fortab nur literarisch für seine Zwecke, aber 1860, als das Octoberdiplom erlassen wurde, trat er neuerdings auf den politischen Schauplatz. Wieder begannen seine agitatorischen Künste zu spielen. Der zweiundsechszigjährige Greis entblödete sich nicht, Politik der Straße zu treiben und bei der neuen Saat des Hasses gegen die Deutschen in Böhmen Verbündete niedrigster Art zu suchen. Daß seine politischen Ideen im Landtage insbesondere von dem Führer der Deutschen, Dr. Herbst, in vernichtender Weise bloßgelegt wurden, nährte nur seinen Fanatismus.

Er, der gelehrte Geschichtsschreiber, nahm Theil an dem Hep-Hep-Rufen gegen die deutschgesinnten Juden des Landes; er, der „Conservative“, billigte die Steinwürfe, welche der czechischen Straßenjugend gegen die Fenster deutscher Wohnungen als Einschüchterungsmittel nöthig erschienen waren; er, welcher vorgab, für seines Volkes Befreiung zu kämpfen, fädelte, wie er dies zu Beginn seiner Laufbahn schon gethan, ein Bündniß mit den Feudalen und Ultramontanen des Landes ein. Daß bei demselben seinen Stammesgenossen eine Zelotenrolle zugedacht war, war ihm Nebensache; seine politische Denkkraft schien nur Nahrung zu behalten, wenn die Möglichkeit zur völligen Czechisierung Böhmens in Aussicht war. Palazky’s Bemühungen blieben trotzdem erfolglos. Zweimal allerdings, unter dem Regime Belcredi’s und Hohenwarth’s, waren seine Hoffnungen der Erfüllung nahe. Die Unmöglichkeit, ein Reich in seiner Entwickelung völlig neuen Bahnen zuzuführen, ließ jedoch immer wieder die Aussicht der czechisch-feudalen Partei in Trümmer sinken. Später blieben selbst die Demonstrationen des alten eigenwilligen Agitators unbemerkt. Seine Pilgerfahrt nach Rußland, eine Audienz beim Prinzen Napoleon, diese wie jene ausgeführt, um Hörer für czechische Schmerzensschreie zu finden, ging wirkungslos vorüber, und Palazky fand schließlich, als die Regierungsautorität in Oesterreich wieder erstarkte, keinen Ausweg aus der Sackgasse, in welche er sich verrannt hatte, als die Empfehlung völliger Enthaltungspolitik für die czechische Partei. Vor zwei Jahren mußte er es erleben, daß seine ehedem allgemeine Autorität nur von der Fraction der sogenannten Altczechen anerkannt blieb und daß eine jüngere, entschlossene Partei sich völlig von ihm und seinen Ideen lossagte. Er schrieb sein politisches Testament und vermachte in demselben seinem Volke den Haß gegen das „Räubervolk der Deutschen und Magyaren“.

Im Privatleben war Palazky vom Glücke begünstigt. Seine Frau brachte ihm viel Vermögen, und er hat Nahrungssorgen nie gekannt. Er machte in den letzten Jahren wiederholt Reisen nach Rom, Nizza und Paris. Sein Familienleben war ein sehr glückliches. Er lebte im innigsten Verkehre mit seinem Schwiegersohne, Dr. Rieger, welcher nach ihm die politische Führerschaft der Czechen antritt. Sein Aeußeres war wenig gewinnend. Seine Züge trugen den czechischen Typus; in den geschlitzten, stechenden Augen fehlte jeder freie, adlige Zug. Seine Lippen umspielte regelmäßig ein böswilliges Lächeln. Den breiten, fast viereckigen Schädel deckte eine flachsgelbe Perrücke. Er war groß von Statur, ging aber gebückt. Ein starker Blähhals machte den Gesammteindruck seiner Erscheinung keineswegs sympathischer. Redner war Palazky nicht. Er sprach mühsam und kaum verständlich; desto interessanter war er als Hörer – die Lebhaftigkeit seines Wesens trat da völlig zu Tage. Er konnte seinen Meinungen widersprechende Anschauungen nicht ruhig äußern hören und war der Führer der Unterbrechungen, welche in dem an parlamentarischen Kämpfen so reichen böhmischen Landtage von den czechische Bänken für die deutschen Redner so oft laut wurden.

Gelang es einem deutschen Deputirten, die czechischen Ansprüche in ihrer Richtigkeit völlig klar zu legen, dann hielt es Palazky nicht länger im Saale aus. Er verließ denselben unter großem Geräusche und kehrte erst wieder, wenn er wußte, daß der Redner zu Ende war. Mit den deutschen Abgeordneten hatte er, im Gegensatze zu dem geschmeidigen und äußerlich gewinnenden Rieger, nie Verkehr. Er übertrug seine politische Abneigung auf die Person. Seine Orden – er hatte einen russischen und einen österreichischen – trug er gern und bei jedem möglichen Anlasse. Als seine politische Opposition auf’s Höchste gestiegen war, legte er nur den russischen Orden an. Das czechische Nationalkleid, welches in den vierziger Jahren in einer Metamorphose der polnischen Konfederatka, früher in einem gewöhnlichen Schnürrocke bestand, trug er nie. Er hatte auch zu Hause stets den deutschen von seinen Landsleuten in den Bann gethanen Frack an.

Er schrieb einen klaren Stil. Seine ersten Schriften veröffentlichte er stets in deutscher Sprache. Einzelne seiner historischen Werke sind von glänzender Darstellung. Später überwiegt die nationale Tendenz und Fälschung.

Daß er den politischen Ereignissen auch außerhalb Oesterreichs mit größtem Interesse folgte, ist selbstverständlich. Keines derselben hat ihn jedoch in dem Maße bewegt, wie das der großen Einigung Deutschlands im Jahre 1870. Sie hat den slavischen alten Fanatiker in’s Herz getroffen. Er mochte ahnen, daß Mühe, Sorge und Kämpfe seines Lebens, welche dahin gerichtet waren, den czechischen Stamm vor der Einwirkung des deutschen Geistes sicher zu stellen, vergebens waren. Die nationale Selbstständigkeit seines Stammes, wie sollte sie noch erreichbar scheinen, da das geeinigte deutsche Volk der Nachbar seines Stammes war, da in Oesterreich der deutsche Gedanke im Staatsleben zu neuem Ausdrucke kam, beide Reiche zudem durch eine ehrliche innige Allianz sich aneinander schlossen!? Selbst die Hoffnung auf Verwirklichung panslavistischer Träume fiel, denn Rußland zog seine schützende Hand von der czechischen Partei ab und überließ sie grausam dem verdienten Loose ohnmächtiger Isolirung.

In Jena, wo einst mehrere der Führer der czechische Bewegung in gelehrter Arbeit wirkten, hat eine Ehrentafel der ersten Verdienste Palazky’s um österreichische Geschichtsschreibung rühmend gedacht. Die Tafel wurde wieder abgenommen, als Palazky von keinem andern Geiste beseelt schien, als von dem wilder Wuth gegen das deutsche Volk. Dieses Moment im langen Lebenslaufe des hingeschiedenen Agitators ist ein Charakteristicum seiner Bedeutung. Im Laufe der Zeit fiel Erfolg um Erfolg, welchen er errungen. Er hat umsonst gelebt – umsonst gewirkt!
Friedrich Schütz.