Auch ein heiliger Stuhl
Das neue deutsche Parlament weckt aus vieljährigem Schlummer begrabene oder eingekerkerte Hoffnungen. Nachdem uns Preußen mit starken Waffen die Einheit gebracht hat, müssen wir von der Hand dieses lebenskräftigen Staates auch den Ausbau des Freiheitstempels erwarten. Die Hoffnungen und Bestrebungen des deutschen Volks sind auf Verwirklichung beider gerichtet, stehen zu fest und wurzeln zu tief auf geschichtlicher und dichterischer Grundlage in den Herzen aller gesunden Bestandtheile sämmtlicher Classen und Parteien, als daß wir hinreichenden Grund hätten, uns den Hoffnungslosen und Verzweifelten anzuschließen. Kaiser Friedrich der Rothbart hält sich zwar noch tief in seinem Kyffhäuser verborgen und war in Berlin während der Weihnachtszeit in einer Ausstellung als todtes Bild und gegen Entrée zu sehen. Die Raben fliegen und kreischen noch um seine feste, historische Felsenburg herum; allein er ist nicht todt, schlummert nur mit auf- und abzwinkernden Augen, jeder Zeit bereit, dem Rufe des deutschen Volkes zu folgen, als historischer und dichterischer Messias der Einheit und Freiheit in aller seiner Herrlichkeit und Macht hervorzutreten und alle Schätze des deutschen Reiches mitzubringen.
Ja, es ist gut, sich bei diesen Hoffnungen und Bestrebungen auf unsere Dichter und alten volksthümlichen Sagen zu berufen und die Wirklichkeit der Geschichte und die Thaten der Gegenwart damit gleichsam zu bekränzen. Unsere deutsche Kaisergeschichte und selbst die verunglückte deutsche Kaiserwahl des gewaltsam zersprengten deutschen Parlaments in der Paulskirche bilden eine solide historische Vorarbeit zu den jetzt wieder erwachten Hoffnungen des Volkes und den Bestrebungen der nach Berlin berufenen Vertreter des norddeutschen Staatenbundes. Sie finden unter Anderm auch einen historisch ehrwürdigen, frisch geschmückten, sehr soliden Stuhl auf einer malerischen Stelle am Rheine für den alten Rothbart, damit er von da aus die geeinigte deutsche Nation um sich versammele, ihr den Reichseid leiste und den Schwur der Treue und Thatkraft für Wiederbelebung und Ausbildung der deutschen Einheit und Freiheit von ihnen vernehme. Es ist der Königsstuhl bei Rhense am Rhein, unweit des bekannten Stolzenfels, auf welchem einst hoch unter freiem Himmel und mitten unter ihren Wählern die römischen Könige und deutschen Kaiser den Reichseid leisteten und den Schwur der Treue empfingen, das Denkmal eines politischen Protestantismus gegen päpstlichen und kirchlichen Einfluß, schon zwei Jahrhunderte alt, als die ersten Bannstrahlen aus Deutschland von hier aus gegen Papstthum und Concordat geschleudert wurden.
Freilich ist von dem alten Denkmal nur ein einziges Stück Säule übrig geblieben und der ganze Königsstuhl jetzt ein Neubau aus den Zeiten der ersten wiedererwachten deutschen Hoffnungen und Bestrebungen für die neue Erbauung politischer Freiheit und Einheit. Im Jahre 1840 bildete sich zu Coblenz ein Verein zur Wiederherstellung des 1808 abgetragenen Denkmals und sammelte zu diesem Zweck Beiträge in ganz Deutschland, die aber so spärlich flossen, daß König Friedrich Wilhelm der Vierte in seinem poetisch-romantischen Sinne für Erhaltung oder Vollendung historischer Denkmale zwei Drittel zu den auf dreitausend Thaler veranschlagten Kosten beitrug, wofür ihm denn auch der ganze neue Königsstuhl geschenkt ward. Dieser besteht aus einem aus Basaltlava aufgeführten, auf neun Pfeilern ruhenden Achteck und steinernen Sitzplätzen, zu welchen eine große Freitreppe führt, und erhebt sich in wunderschöner rheinischer Landschaftlichkeit hoch über die malerische Umgegend empor. Wir wollen dabei nicht unerwähnt lassen, daß das achtundzwanzigste preußische Infanterieregiment allein einhundertundfünfzehn und einen halben Thaler zu den Baukosten beitrug und zwar unter der Bedingung, daß der Pfeiler für den Sitz des Kurfürsten von Brandenburg mit dem preußischen Adler und der Nummer des Regiments geschmückt werde, welche jedoch von dem Comité, obgleich es das Geld annahm, nicht erfüllt ward.
Von der Gestalt und dem Totaleindruck des neuen Königsstuhls giebt die beigefügte Abbildung eine wahrheitsgetreue Vorstellung. Das einzige Stück von dem alten Denkmal ist der mittleren Säule eingefügt, von welcher die Schwibbogen ausgehen, die den eigentlichen Stuhl tragen und mit den Pfeilern eine zwölf Fuß hohe offene Halle bilden. Das ganze Bauwerk, obgleich noch nicht von dem verschönernden Roste der Jahrhunderte überzogen, macht in der wundervollen Gegend, welche es von seiner einsamen Stätte überschaut, einen inhaltvollen Eindruck und weist zum Theil in glorreiche Vergangenheit der deutschen Geschichte zurück, zum Theil in unsere vielbewegte Gegenwart hinein und in die Zukunft hinaus, welche aus diesen gegenwärtigen Bestrebungen ein neues Oberhaupt für den vereinsamten Königsstuhl und die fürstlichen Sitze daneben erwartet. Der erste Versuch, diese einsame, offene Halle mit frischem politischem Leben, mit dem neuen deutschen Geiste der Einheit und Freiheit zu erfüllen, mißlang, wie alle damaligen architektonischen Bestrebungen für Erbauung des Einheits- und Freiheitstempels. Mögen die jetzt mit andern Mitteln und für andere Formen aufgenommenen Versuche ein schöneres Ergebniß liefern!
Am Eröffnungstage des deutschen Parlaments in der Paulskirche zu Frankfurt, am 18. Mai 1848, zog ein großer Theil der Bevölkerung von Coblenz und der Umgegend nach einem feierlichen Hochamte in der Liebfrauenkirche hinauf zu dem festlich bekränzten Königsstuhl, zum Theil mit Musik, Gesang und fliegenden Fahnen. Es wurden feurige politische Reden und Gesangvorträge gehalten, wobei ein Redner sich als Wiedertäufer offenbarte und vorschlug, man sollte den Königsstuhl fortan Volksstuhl nennen. [92] Dies hielt das Volk für eine Aufforderung, sofort selbst König zu spielen, und stürmte jubelnd die Freitreppe hinauf, vertrieb Redner, Sänger und Fahnenträger, wurde aber durch herabströmenden Regen und die noch dichter fallenden Hiebe einer allgemeinen Keilerei verhindert, auf den Königs- und Fürstensitzen die Herrschaft über das deutsche Volk auf längere Zeit zu übernehmen.
Der alte Königsstuhl diente ursprünglich besonders den rheinischen Kurfürsten und Bischöfen als Versammlungsplatz für ihre Berathungen und zur Weihung der aus dem Wahlrecht hervorgegangenen deutschen Kaiser. Man wählte dazu diese Gegend bei Rhense, weil die geistlichen Kurfürsten, nachdem aus dem deutschen Erb- ein Wahlreich geworden war und der Ausfall der Wahlen sehr bedeutend von ihnen abhing, hier einen bequemeren Mittelpunkt fanden, als in Denkelheim, dem Orte des früheren Königsstuhls, und weil sich die Volksmassen in Betheiligung an diesen
Wahlfeierlichkeiten von Mainz aus, der salischen Hauptstadt, wo sie sich versammelten, leichter anschließen und rings umher gruppiren konnten. Die Grenze der vier rheinischen Kurfürsten zog sich dem Königsstuhle gegenüber mitten durch den Rhein. Vielleicht trug zu dieser Verlegung des Königsstuhls auch der Umstand bei, daß Rhense eine Colonie von Rheims war, wo seit Philipp August alle Könige der Westfranken gekrönt wurden, und daß im Jahre 1308 die Wahlfürsten der Ostfranken zum ersten Male in der Nähe von Rhense zusammentraten. Bald darauf scheint der Königsstuhl gebaut worden zu sein; er wurde einige Jahrzehnte später zu einem der bedeutendsten Denkmäler der deutschen Geschichte, nämlich 1338, als hier eine große Kurfürstenversammlung im stolzen Gefühl ihrer Unabhängigkeit und im heiligen Groll gegen das oft mißbrauchte Nichtbestätigungsrecht des Papstes feierlich erklärte, daß der gewählte deutsche Kaiser als römischer König, wenn einmal in aller Form Rechtens gewählt, der Bestätigung durch den römischen Stuhl nicht mehr bedürfe, sondern berechtigt sei, die Güter und Rechte des Reiches zu verwalten und den Titel eines römischen Königs zu führen. „Darwider soll sich,“ wie es in dem betreffenden Schriftstück wörtlich heißt, „Keiner behelfen, mit keiner Dispensation, Absolution, Relaxation, Abolition, in integrum Restitution.“ Es würde mit Deutschland, namentlich mit den süddeutschen Staaten und Oesterreich, mit ihrer Cultur, mit ihrer Bildung, ihrem Wohlstande, ihrer Reife und Fähigkeit für deutsche Freiheit und Einheit viel besser stehen, wenn sie dieses vor mehr als fünf Jahrhunderten ausgesprochenen und geltend gemachten politischen Protestantismus gegen kirchliche Gewalt in weltlichen Angelegenheiten stets eingedenk geblieben wären.
Wir wollen hier nicht auf Untersuchungen eingehen, in welcher Zeit der Königsstuhl eigentlich gebaut worden sei, und auch die Kaiser nicht aufzählen, die hier gewählt wurden oder wenigstens den Reichseid leisteten, und beschränken uns auf Kaiser Karl den Vierten von Böhmen, 1346, den Pfalzgrafen Ruprecht den Dritten und Kaiser Maximilian, 1486, welche von hier aus ihre Weihe als deutsche Kaiser erhielten.
Die Geschichte ist mit dem Verfalle des deutschen Kaiserreichs aus diesen Säulen und Hallen gewichen und an die Stelle des Geistes sind Geister getreten, die hier spuken; namentlich soll ein böser Kobold noch heute Vorübergehende necken und in Furcht setzen, auch den Hexen des Rheins diente der Königsstuhl einst als Tanzboden, wie der Brocken oder Blocksberg den Schwestern des Nordens. Gleich diesen kamen auch sie auf Besenstielen mit fliegenden Gewändern und Haaren durch Nacht und Sturm herangeritten, um hier ihren Teufelscultus zu treiben und ihre schauerlichen Tänze aufzuführen. Der abergläubische Volksgeist ließ sich durch die wunderliebliche Gegend, aus welcher sich der Königsstuhl hervorhebt, nicht abhalten, sie mit Unholden und Kobolden zu bevölkern, wie er dies mit allen historischen Ruinen zu machen beliebt, aus denen der Geist gewichen ist. Doch wir halten uns an die Wirklichkeit, welche auch hier wieder solides Leben hervorrufen wird. Die große, neue Rheinstraße belebt sich und die Umgegend mit modernen, soliden Gestaltungen und Bestrebungen, mit Reisenden und Wanderern, welche ohne Furcht vor Hexen [93] und Kobolden eine der schönsten Gegenden des Rheinthales, die sich um den Königsstuhl herum gruppirt, bewundern und genießen. Dicht vor uns wälzt der Rheinstrom seine grünlichen Wellen langsam und majestätisch durch das Thal; auf dem jenseitigen Ufer schaut von einem hohen Felsen die Marksburg herab, und zu deren Füßen lacht das Städtchen Braubach hervor. Nicht weit davon nistet behaglich Oberlahnstein zwischen blühenden oder fruchttragenden Obstbäumen in einem stillen Thale, das von der Lahn und dem Rhein umspült wird. Daraus hervor hebt sich die Burg Lahneck, der vierhundert Fuß hohe Allerheiligenberg mit einer Capelle, und am Einflusse der Lahn das alte romantische Bauwerk der Johanniskirche. Aus dem Rheine selbst streckt sich die Insel Oberwerth mit dem Zauberschlößchen eines Landhauses empor; rechts grünt in bläulicher Umduftung der Lützelforst, auf der linken Seite erhebt sich das majestätische Schloß Stolzenfels, und vom Westen her duften die schönsten Wiesenthäler zwischen waldbekränzten Höhen in malerischer Vielgestaltigkeit heran auf die Stätte, von welcher die Säulenhallen des Königsstuhls emporragen, stets bereit, das neue Oberhaupt eines neuen vereinigten und freien Deutschlands, dessen Wähler und die Vertreter eines glücklichen Volks zu begrüßen.
Wie gering auch manche Hoffnungen sein mögen, daß aus dem jetzigen deutschen Parlamente ein solches majestätisches Haupt, die Persönlichkeit dieser Einheit und Freiheit, hervortreten werde, so wollen wir doch nicht verzweifeln, sondern freudig hoffen und arbeiten, um einem solchen glücklichen Ereignisse die Stätte zu bereiten und den Königsstuhl zu schmücken, auf dem vielleicht bald der Kaiser Barbarossa, wenn nicht mit Haut und Haar, so doch im Geiste und der Wirklichkeit der neuen Zeit Platz nehmen und den vereinigten Fürsten und Völkern den Schwur leisten mag, daß er die deutsche Einheit und Freiheit gegen alle „Dispensation, Relaxation, und Abolition“ schützen und wahren und in rechtsgetreuer Uebereinstimmung mit den Vertretern des Volkes zum Heile aller deutschen Stämme und Parteien zu immer schönerer Blüthe und Frucht stärken wolle.