Auch ein „Lied von braven Männern“

Textdaten
<<< >>>
Autor: Curt Walther
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auch ein „Lied von braven Männern“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 259–261
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[259]
Auch ein „Lied von braven Männern“.


Die ostfriesische Insel Borkum, zwischen der Wester- und Osterems gelegen, dehnt sich in einer Länge von drei Stunden und einer Breite von dreiviertel Stunden aus, und ist von fünfhundert Einwohnern, welche sich mit Fischerei, Viehzucht und Schifffahrt beschäftigen, bewohnt.

Von ihrer höchsten Düne, der Königsdüne, aus gesehen bietet die Insel eins der anmuthigsten Bilder unseres Nordseestrandes, denn mit Ausnahme der in weiter Ferne liegenden kleinen Vogelinsel Rottum, deren ganzer Strand zur Brütezeit mit Tausenden brütender Vögel bedeckt ist, sieht man die Insel von den hochschäumenden Meereswogen umrahmt, die mit ihrem tief grollenden Getöse einen jeden Beschauer mit Bewunderung erfüllen. Am fernen Horizonte tauchen die Masten großer Schiffe auf, und nähern sich so dem Strande, daß man mit unbewaffnetem Auge ihre verschiedenen Segel erkennen kann, dazwischen wirbeln die Dampfwolken der Dampfschiffe empor, und an den Segelschiffen vorübereilend, scheint Alles in einem Wettkampf begriffen, um auf der dahin führenden Fahrstraße von England die reiche holländische Küste zu erreichen. Aber gleich einer Oase in dem großen Sandmeere liegt, von den weißgekräuselten Wellen umzogen, die Insel mit ihren saftig grünen Wiesen, auf denen Herden schöner Kühe und Schafe weiden und die schmucken Häuser, von dem hohen Leuchtthurm überragt, freundlich hervorblicken; nur an der Nordwestseite der Insel steigen zwei thurmähnliche, eine Viertelstunde von einander stehende hohe Mauerwerke unheimlich in die Höhe, welche von einem liegenden schwarzen eisernen Kreuze gekrönt sind – es sind dies die beiden Caps, den vorüberfahrenden Schiffern ein Warnungszeichen, daß zwischen ihnen das so manchem Schiff Verderben bringende „Borkumer Riff“ liegt.

Der Morgen des 22. September vorigen Jahres versprach einer jener schönen Herbsttage zu werden, die mit ihrer sonnenklaren Luft die Erinnerung an den erfrischenden Morgen des entschwundenen Sommers wach rufen.

Die Sonne schien wohlthuend warm hernieder, ein weicher Luftzug wehte mild von der mit leichten Wellen bewegten See, die Segel der vorüberziehenden Schiffe, deren Wimpel lustig in der Luft flatterten, blähten sich stolz bei der kleinen Brise, in den Wellen tauchte ein großer Zug Delphine auf und nieder, die Möven und Seeschwalben schaukelten sich auf dem grünen Meereselement, und längs des Strandes und in den Dünen wanderten Fremde aus allen Gegenden, um bei dem lieblichen Wetter die stärkende Seeluft wie den großartigen Eindruck des vom blauen Himmel begrenzten Meeres zu genießen.

Gegen Mittag stiegen einzelne kleine weiße Wölkchen an dem bis dahin gleichmäßig blauen Himmel auf, und mit ihnen stellte sich eine kräftigere Brise ein, die die Wellen mit der inzwischen eingetretenen Fluth in rascherer Folge am Strande sich brechen ließ. Bald folgten diesen kleinen, noch von den Sonnenstrahlen hellerleuchteten Wölkchen dunklere, die in raschem Fluge dahinzogen, und so wild und schnell an einander vorüberjagten, daß in kurzer Zeit die Alles erfreuenden Sonnenstrahlen verschwunden und der Himmel in ein düsteres Grau gehüllt war.

Aber auch auf der ruhigen See hatte sich inzwischen das Bild in gleicher Weise geändert. Der Wind war in einen heftigen Sturm übergegangen, die Wogen des Meeres thürmten sich gigantisch in die Höhe, und schleuderten, am Strande sich brechend, den weißen Schaum weit in die Dünen hinein, die Möven jagten schreiend durch die brausenden Lüfte, während die auf der See befindlichen Schiffe kahl, mit eingerefften Segeln zwischen den hohen Wellen auf und niedertauchten.

Am Strande selbst war der Sturm so fürchterlich, daß ein Stehenbleiben unmöglich war, dabei wirbelte er den feinen Sand vom Meeresstrand und den Dünen mit einer solchen Gewalt umher, daß man nicht sorgsam und schnell genug das Gesicht gegen diese wie mit scharfen Schloßen gefüllte Luft zu schützen vermochte, und die das großartige Bild des eingetretenen Seesturms bewundernden Gruppen der Badegäste sich zu einer raschen Flucht in ihre Wohnungen gezwungen sahen.

In den Dünen, und besonders auf der Königsdüne hatten sich aber andere Gruppen gesammelt. Dort lagen in der geschützten Vertiefung ausgestreckt, den getheerten Schiffshut fest um den Kopf gebunden, das lange Fernrohr am Auge, die kräftigen wettergebräunten Gestalten der Rettungsstation, mit prüfendem Blick die auftauchenden Schiffe verfolgend, um sofort rettend zur Hand zu sein, wenn ein Schiff in Gefahr kommen sollte.

Plötzlich tritt in der still beobachtenden Gruppe eine Bewegung ein, alle Gläser sind auf das eine Schiff gerichtet, bis der unter ihnen befindliche Capitän mit Bestimmtheit erklärt: „Die Brigg ist verloren, sie muß auf dem Riff festfahren!“ – Die Brigg, ein Zweimaster, ragt mit ihren beiden Masten unverändert aus den Meereswogen empor, ohne daß sich irgend welches Zeichen einer Bewegung an ihr wahrnehmen ließe. Dagegen wird der eine Mast nach seiner Spitze zu sichtbar stärker, und man erkennt durch das Fernrohr, daß dies die sich rettende Mannschaft ist.

Die Kunde von der Strandung eines Schiffes hatte sich rasch im Dorfe verbreitet, und bald sah man Frauen und Kinder trotz des fürchterlichen Sturmwindes sich durch die Dünen drücken, um sich selbst von dem Unglück zu überzeugen. Dort hinter ihren Versorgern niedergekauert, horchen die Frauen ängstlich auf deren Beobachtungen und Kundgebungen, die alle darin übereinstimmen: das Schiff sitzt vollständig fest, eine Rettung ist nicht mehr möglich; und schon sieht man das stets bereitliegende Lootsenschiff seinen Cours nach dem gestrandeten Schiff nehmen. Der Capitän am Lande hat nochmals das gestrandete Schiff geprüft und sich überzeugt, daß schnelle Hülfe nöthig ist, auf sein Zeichen erheben sich die Gestalten aus ihrem Dünensandlager, schreiten, dem Sturmwind trotzend, hinab nach dem Rettungsstationshaus, um ihren mit einer Korkwand umzogenen Rettungskahn herauszuziehen, und ihr Leben für die Rettung der Gescheiterten zu wagen. Mit sorgenvollem Blick folgen die Augen der Frauen dem scheidenden Ernährer ihrer Familie, indessen die rothwangigen Kinder die Gefahren nicht kennend mit Freuden dem Vater nachschauen, der im kleinen Rettungsboot seinen Sitz eingenommen. Da wälzt sich eine mächtige Woge nach dem Rettungsboot, und hebt es in die Höhe, zu gleicher Zeit schlagen aber auch die Ruder der zwölf Mann kräftig in die Fluth, der Capitän hat das Steuer fest gefaßt, und muthig bricht sich das Boot Bahn in die stürmende See. Bald ist es zwischen den hohen schäumenden Meereswogen verschwunden, in weiter Ferne sieht man es wieder auf dem Rücken einer mächtigen Woge getragen, bis es im andern Augenblick abermals den ihm mit banger Sorge folgenden Blicken entschwunden ist.

Während dem ist der schnellsegelnde Lootsenkutter bereits in der Nähe des gestrandeten Schiffes angekommen, umfährt es in einem weiten Bogen und entfernt sich in der Richtung nach dem Rettungsboot, ohne angelegt zu haben. Zwei lange, lange Stunden vergehen, da sehen die zurückgebliebenen Frauen das Rettungsboot im Schlepptau des Lootsenschiffs wieder auflaufen, nicht mehr weit vom rettenden Strande läßt es sein Tau, und von Woge zu Woge getragen, legt es unversehrt an seinem Stationsort an. Alles eilt ihm entgegen, um Kunde von den Geretteten zu haben, aber nur die Mannschaft steigt aus dem rettungverheißenden Boot und bringt die traurige Nachricht, daß vier Mann noch in dem einen Mast sich befinden, aber bei der fürchterlichen Brandung am Riff und den wilden Wogen sei ein Anlegen und eine Rettung unmöglich gewesen.

So mußten die armen vier Unglücklichen, an den schwankenden Mast geklammert, von den unter ihnen sich brechenden zerstörenden Wellen umtost, die ihnen so nahe geglaubte Rettung wieder verschwinden sehen.

Der Abend brach herein, immer furchtbarer heulte der Sturmwind mit dem tiefen Getose der sich brechenden Meereswellen, der Leuchtthurm warf sein Licht weit hinaus in die finstere Nacht, verkündete den armen Unglücklichen den rettungbringenden nahen Strand und gab ihnen dadurch Muth, trotz des schrecklichen Sturmes und des unter ihnen gähnenden Grabes die lange schauervolle Nacht auszuharren, bis mit dem sehnlichst erwarteten Morgen der Sturm sich gelegt und Hülfe und Erlösung ihnen gebracht werden könnte.

[260] Der Morgen brach heran, der Sturm hatte etwas nachgelassen, als auch schon die Rettungsmannschaft wieder versammelt war, um von Neuem ihr Rettungswerk zu beginnen, denn noch sah man die Unglücklichen im Maste hängen. Am Strande selbst war das abgerissene Rettungsboot des gestrandeten Schiffes wie mannigfache andere Schiffstheile angetrieben worden, darunter auch ein Bund Schiffspapiere, aus denen ersichtlich wurde, daß das gestrandete Schiff „Gretjelina“ benannt war und einem ostfriesischen Rheder gehörte, der das Schiff selbst führte.

Im Schlepptau des Lootsenschiffes fuhr das Rettungsboot mit dem sehnlichsten Wunsche ab, daß es die Unglücklichen nunmehr befreien würde. Nach vier Stunden kehrte es aber mit der erschütternden Nachricht zurück, daß, als es kaum eine Viertelstunde vom gestrandeten Schiff entfernt gewesen, der letzte Mann von einer hohen Welle herabgespült worden sei und gleich den Anderen sein Grab auf dem tiefen Meeresgrunde gefunden habe.

Die dunklen Wolken hatten sich gelichtet, einzelne Sonnenstrahlen beleuchteten die grünen Meereswellen, aber an dem sonst so belebten Strande war es still und öde geworden, aus dem Meere ragten die nackten Masten des verlassenen Schiffes, und das Unglück der untergegangenen Mannschaft betrauernd, war Alles in seine Wohnung zurückgekehrt, nur die Schwärme wilder Enten und Gänse zogen, von den schreienden Möven unterbrochen, am Strande auf und nieder.

Auf den bang verlebten Tag sollte aber eine noch schauervollere Nacht folgen.

Gegen Mitternacht weckte ein furchtbarer Nordweststurm alle Bewohner der Insel, der Sturmwind tobte heulend um die kleinen Häuser, das Herabstürzen vieler Schlöte erfüllte Alles mit Besorgniß, und öfters war es, als ob der Boden der Häuser erzitterte; dazwischen hallten hohl und dumpf die Schläge der hochbrandenden Meereswogen, und von trüber Ahnung erfüllt, sah Jedes dem grauenden Morgen entgegen.

Welch ein Bild bot sich hier dem Beschauer dar! Von dem breiten schönen Strande war nichts zu entdecken. Die hohen Meereswellen schlugen brandend an den Dünen empor, daß der weiße Meeresschaum wie Schneeflocken darüber jagte. Die aufgestellten schweren Badekarren lagen zertrümmert an der Dünenwand, und die von den Dünen nach dem Strande festgerammte lange Brücke war in die Höhe gehoben und zerrissen. Auf dem Meere selbst sah man verschiedene Schiffe in den wilden Wogen kämpfen; besonders war Aller Aufmerksamkeit auf einen großen Dreimaster, ein sogenanntes Vollschiff, gerichtet, das mehr und mehr dem Riffe zugetrieben wurde. Schon glaubte man ein Stillstehen des Schiffes und somit ein Festsitzen auf dem Riffe wahrzunehmen, als am Horizonte die dunklen Rauchwolken eines Dampfschiffes sichtbar wurden, welches die Gefahr des Dreimasters bemerkte, ihn in sein Schlepptau nahm und aus drohendem Untergange rettete.

Da hörte man wieder den Ruf: „Seht dort die Brigg! Die Segel sind zerrissen, sie treibt unaufhaltsam nach dem Riffe! Seht, seht, sie sitzt bereits fest, die Mannschaft hat sich in die Masten gerettet!“

In gleicher Linie mit dem vor zwei Tagen gestrandeten Schiffe blickte Hülfe flehend von den schaurig schwarzen Masten, an denen der dunkle Fetzen eines zerrissenen Segels vom Sturme gepeitscht wurde, die Bemannung nach dem Rettung bietenden Strande. Aber heute, wenn auch die See wild aufgeregt war, galt bei der Rettungsmannschaft kein langes Besinnen. Rasch wurde das Rettungsboot aus dem Stationshause gezogen, und ebenso rasch lag es in den stürmenden Wellen, dem freudigen und ebenso bangen Blicke der am Strande Stehenden entzogen.

Das Lootsenschiff hatte schon früher die Gefahr der Brigg bemerkt und war auf sie zugesteuert. Bald hatte es deren gefahrvollen Platz erreicht, das Schiff vollständig umfahren und wendete nach dem Rettungsboote.

Zu gleicher Zeit wurde die Nothflagge sichtbar, als Zeichen, daß Hülfe dringend nöthig, und so kehrte das Lootsenschiff, das Rettungsboot im Schlepptau, nach dem gestrandeten Schiffe zurück, und beide legten in nächster Nähe an. Nach Verlauf einer Stunde sah man beide Boote sich wieder vom Schiffe entfernen, zwischen den hohen Wogen verschwinden, und mit beklommenem Herzen wurde ihrem Kommen entgegengesehen, in der Hoffnung, daß noch zeitig die Rettungsmannschaft zur guten Hülfe eingetroffen.

Die Dämmerung brach bereits herein, da sah man nicht mehr weit vom Strande, von Welle zu Welle getragen, das Rettungsboot sich Bahn durch die schäumende See erkämpfen, und im Boote flatterte zu Aller Freude die Rettungsflagge, ein rothes Kreuz in weißem Felde mit schwarzem Rande, zum Zeichen, daß die Rettung gelungen. Von Mund zu Mund verbreitete sich längs des Strandes die frohe Kunde: „Die Mannschaft ist gerettet!“ Und die Taschentücher an Stöcken und über den Köpfen schwenkend, eilte Alles dem rasch sich nähernden Boote entgegen, um, nicht achtend einiger tückischen Wellen, welche den zu kühn Vordringenden noch über die Füße flutheten, die Ersten beim Willkommsgruß zu sein.

Von einer leichten Welle getragen, mit einem kräftigen Ruderschlage unterstützt, fährt das ersehnte Boot mit seinen Geretteten auf dem Strande auf. Rasch springt die Rettungsmannschaft aus dem Boote, Jeder einen Geretteten auf dem Rücken, und fünf Mann werden auf dem Strande niedergesetzt. Von allen Seiten werden die Geretteten umdrängt und mit Fragen bestürmt; aber vor Erschöpfung und Kälte an allen Gliedern zitternd, vermögen die nur englisch sprechenden Matrosen wenig zu antworten, und erst im Gasthause angekommen, mit trockenen Kleidern umhüllt, nach einer wärmendem Suppe und kräftigem Beefsteak, ihre thönernen Pfeifen anzündend und schmauchend, erzählten sie ihre Erlebnisse:

„Unser Schiff, die ‚Asia‘ war mit zweihundertachtzig Lasten Kohlen für die holländische Insel Texel beladen und hatte mit unserm Capitain eine Bemannung von neun Mann.

Am 22. September fuhren wir von der englischen Küste ab. Ein heftiger Sturm zerriß unsere Segel, trieb uns von unserm Course ab, und nachdem am zweiten Tage unser Schiff ein Leck bekommen, so daß wir stets an den Pumpen stehen mußten, sahen wir uns mit dem grauenden Morgen dem Borkumer Riff zugetrieben.

So erschreckend jedem Schiffe diese Wahrnehmung sein muß, so klammerten wir uns dennoch an die Hoffnung, daß unser Schiff noch so lange sich auf dem Riff halten würde, bis unsere Gefahr bemerkt und wir gerettet werden könnten; mit dieser Hoffnung setzten wir unsere Pumpversuche fort. Jetzt erkannten wir an der scharfen Brandung, daß wir in nächster Nähe des Riffs waren. Alle drängten sich nach dem hintern Mast zur Rettung, das Pumpen aufgebend, als unser Schiff auch schon am Riff auffuhr.

Rasch hatten wir den Mast erstiegen – da wälzten sich die fürchterlichsten Wogen über das Verdeck, sofort alle Bretterverschläge mit sich fortreißend, so daß das Schiff auf dem Riff auf- und niedergeschaukelt wurde – und späheten in dieser schreckvollen Lage nach der so schnellen Rettungsmannschaft der Borkumer Insel aus.

Wohl kaum eine Stunde war vergangen, da sahen wir auch schon den Lootsenkutter auf uns zusteuern. Mit freudig gehobener Brust sahen wir die tobende Fluth scharf von seinem Kiel durchschnitten, und mit der einen Hand den von den Wogen hin- und herschwankenden Mast umklammert haltend, winkten wir ihm freudig zu. Unsere Nothzeichen wurden durch Aufziehen der Nothflagge beantwortet, er steuerte aber, uns in einem weiten Bogen umfahrend, zu unserer Besorgniß in nordwestlicher Richtung ab. Doch unsere Sorge sollte nicht lange dauern, denn bald wendete er wieder auf uns zu, und in seinem Schlepptau folgte ihm das Rettungsboot. Jetzt konnten wir endlich mit Gewißheit unsere Erlösung erwarten, als zwei mächtige Wogen sich über unser Fahrzeug stürzten, die erste zertrümmerte unsere Seitenwand, die zweite erfaßte unseren Rettungsmast, mit einem fürchterlichen Krach brach er in der Mitte zusammen, und wir wurden mit ihm in die brandende See geschleudert. Wir Fünf stürzten in die wild umher hängende Takelage, hielten uns darin fest und arbeiteten uns trotz der hohen uns überfluthenden Wogen nach dem andern Mastbaume, an dem wir noch einen kurzen Halt fanden. Der Capitain mit zwei Matrosen verschwand in der See, und ein Matrose tauchte, an den gebrochenen Mastbaum geklammert, der von einzelnen Tauen am Schiff gehalten wurde, bei jeder Welle auf und nieder.

Inzwischen war das Rettungsboot angekommen, warf uns das Rettungsseil zu, und so ließen wir uns durch die schäumenden Wellen hinüberziehen, nur der auf dem Mastbaume aus den [261] Wellen auf- und niedertauchende Matrose vermochte das Rettungsseil nicht zu fassen, seine Rettung mußte aufgegeben werden.“

So schloß der Bericht des geretteten Steuermanns. – Die fürchterlichen Seestürme hatten aber alle Badegäste so erschreckt, daß mit dem ersten schönen Tag das Dampfschiff mit den letzten Badegästen nach Emden abfuhr, wo uns die freudige Nachricht mitgetheilt wurde, daß von dem holländischen Lootsenkutter der auf dem Mastbaume zurückgelassene Matrose am andern Tage gerettet worden, was bei einer vollkommenen Ausrüstung des deutschen Rettungsbootes am Tage des Schiffbruchs gewiß hätte geschehen können.

Es ist nämlich die gesammte Lootseneinrichtung an der Nordsee von einer Privatgesellschaft gegründet, welche ihren Sitz in Emden hat. Dank dieser Gesellschaft ist auf Borkum eine Rettungsstation eingerichtet, welche das Rettungsboot liefert und einem jeden Schiffer im Rettungsboot zwei Thaler für eine Ausfahrt, und für jeden geretteten Mann fünf Thaler zahlt. Diese jedenfalls sehr gering angesetzte Rettungsprämie genügt, um bei dem innewohnenden edlen Trieb der Insulaner Schiffbrüchige mit Aufopferung ihres eigenen Lebens zu retten; nicht aber entspricht das Rettungsboot selbst den Anforderungen. Zwar ist es leicht und fest gebaut, doch gegen eine überstürzende Welle so wenig geschützt, daß die Einlegung eines doppelten Bodens erforderlich wäre, damit das Boot sich selbst wieder entleeren kann und die Mannschaft nicht gezwungen ist, bei einem solchen Unfall ihre Ruderarbeit für Ausschöpfen des Bootes einzustellen. Mit einer solch bewährten Einrichtung würde die Mannschaft auch kühner vorgehen können.

Ferner möchte es unbedingt nöthig sein, nach einem so gefahrvollen Orte, wie die Insel Borkum mit ihrem gefürchteten Riff ist, während der Aequinoctialstürme bewährte Beamte zu versetzen, damit diese selbstständig handeln können, um bei sehr stürmischer See theils höhere Prämien zu bestimmen, theils auch von der Hauptstation durch den Telegraphen den Abgang eines Dampfbootes zu ermöglichen. Wäre ein solches an den beiden Tagen zur Stelle gewesen und hätte man die bewährten Rettungsraketen zur Hand gehabt, so wären möglicher Weise auch die oben angeführten Opfer nicht zu beklagen gewesen.

Hoffentlich wird diesem Mangel durch eine zweckentsprechende Einrichtung abgeholfen werden; am durchgreifendsten dürfte dieselbe nur dann erzielt werden, wenn das Ganze Staatsinstitut geworden und die deutschen Küsten vom deutschen Reich ihren vollen Schutz genießen.

Curt Walther.