Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I/Hans Dumm

Der Ranzen, das Hütlein und Hörnlein Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I von Johannes Bolte, Jiří Polívka
54a. Hans Dumm
Rumpelstilzchen
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54a. Hans Dumm.

Es war ein König, der lebte mit seiner Tochter, die sein einziges Kind war, vergnügt; auf einmal aber brachte die Prinzessin ein Kind zur Welt, und niemand wußte, wer der Vater war. Der König wußte lang nicht, was er anlangen sollte, am Ende befahl er, die Prinzessin solle mit dem Kind in die Kirche gehen, da sollte ihm eine Zitrone in die Hand gegeben werden, und wem es die reiche, solle der Vater des Kinds und Gemahl der Prinzessin sein.

[486] Das geschah nun, doch war der Befehl gegeben, daß niemand als schöne Leute in die Kirche sollten eingelassen werden. Es war aber in der Stadt ein kleiner schiefer und buckliger Bursch, der nicht recht klug war und darum der Hans Dumm hieß, der drängte sich ungesehen zwischen den andern auch in die Kirche; und wie das Kind die Zitrone austeilen sollte, so reichte es sie dem Hans Dumm. Die Prinzessin war erschrocken, der König war so aufgebracht, daß er sie und das Kind mit dem Hans Dumm in eine Tonne stecken und aufs Meer setzen ließ.

Die Tonne schwamm bald fort, und wie sie allein auf dem Meere waren, klagte die Prinzessin und sagte: ‘Du garstiger, buckeliger, naseweiser Bub bist an meinem Unglück schuld. Was hast du dich in die Kirche gedrängt? Das Kind ging dich nichts an.’ – ‘O ja’, sagte Hans Dumm, ‘das ging mich wohl etwas an; denn ich habe einmal gewünscht, daß du ein Kind bekämst, und was ich wünsche, das trifft ein.’ – ‘Wenn das wahr ist, so wünsch uns doch was zu essen hierher!’ – ‘Das kann ich auch,’ sagte Hans Dumm, wünschte sich aber eine Schüssel recht voll Kartoffel. Die Prinzessin hätte gern etwas Besseres gehabt, aber weil sie so hungrig war, half sie ihm die Kartoffel essen.

Nachdem sie satt waren, sagte Hans Dumm: ‘Nun will ich uns ein schönes Schiff wünschen’. Und kaum hatte er das gesagt, so saßen sie in einem prächtigen Schiff, darin war alles zum Überfluß, was man nur verlangen konnte. Der Steuermann fuhr gerad ans Land, und als sie ausstiegen, sagte Hans Dumm: ‘Nun soll ein Schloß dort stehen.’ Da stand ein prächtiges Schloß, und Diener in Goldkleidern kamen und führten die Prinzessin und das Kind hinein. Und als sie mitten in dem Saal waren, sagte Hans Dumm: ‘Nun wünsch ich, daß ich ein junger und kluger Prinz werde.’ Da verlor sich sein Buckel, und er war schön und gerad und freundlich, und er gefiel der Prinzessin gut und ward ihr Gemahl.

So lebten sie lange Zeit vergnügt; da ritt einmal der alte König aus, verirrte sich und kam zu dem Schloß. Er verwunderte sich darüber, weil er es noch nie gesehen, und kehrte ein. Die Prinzessin erkannte gleich ihren Vater, er aber erkannte sie nicht; er dachte auch, sie sei schon längst im Meer ertrunken. Sie bewirtete ihn prächtig, und als er wieder nach Haus wollte, steckte sie ihm heimlich einen goldenen Becher in die Tasche. Nachdem er aber fortgeritten war, schickte sie ein paar Reiter nach, die mußten ihn anhalten und untersuchen, ob er den goldenen Becher nicht gestohlen, und wie sie ihn in seiner Tasche fanden, brachten sie ihn mit zurück. Er schwur der Prinzessin, er habe ihn nicht gestohlen und wisse nicht, wie er in seine Tasche gekommen sei. ‘Darum,’ sagte sie, ‘muß man sich hüten, jemand gleich für schuldig zu halten’ und gab sich als seine Tochter zu erkennen.

[487] Da freute sich der König, und sie lebten vergnügt zusammen; und nach seinem Tod ward Hans Dumm König.

Von Hassenpflugs zu Kassel den 29. September 1812. Dazu die weitere Bemerkung: ‘Cfr. andere Recension. Marie 13. Okt. 1812.’ – Das Märchen gehört zu dem durch Basile 1, nr. 3 berühmt gewordenen und auch in die Kunstdichtung[1] übergegangenen Pervontokreise, ermangelt aber der Einleitung. Bei Basile erhält der faule Tölpel Pervonto für eine drei schlafenden Feensöhnen erwiesene Guttat die Gabe, daß seine Wünsche, sobald sie ausgesprochen sind, in Erfüllung gehen. Er wünscht, das Reisigbündel möge ihn heimtragen, und als die Prinzessin Vastolla über diesen Anblick lacht, ruft er ärgerlich, sie solle ein Kind bekommen. In andern Fassungen, namentlich in der ältesten Straparolas (3, nr. 1. Val. Schmidt S. 231. Rua, Giornale storico della lett. ital. 16, 229) verleiht ein Thunfisch dem Burschen jene Wundermacht, also fast wie im Fischer und seiner Frau (nr. 19). Auf Straparola geht auch die Gräfin d’Aulnoy zurück in dem Märchen ‘Le dauphin’ (in ihrem Romane ‘Le gentilhomme bourgeois’; Cabinet des fées 4, 394).

Deutsch aus dem Odenwalde bei Plönnies, Zs. f. dt Mythol. 1, 38 ‘Das Kind mit dem goldenen Apfel’; aus Oldenburg bei Strackerjan ² 2, 493 nr. 633 ‘Die Zauberflöte’; aus Holstein bei Müllenhoff S. 431 ‘Der faule Hans’ und bei Wisser 1, 76 nr. 16 = Die Heimat 1900, 205 nr. 10 ‘Fuldowat’; ebd. nr. 11 ‘De ful Hans’ aus Brandenburg bei Kuhn 1843 S. 270 ‘Der dumme Michel’ und v. d. Hagen, Erzählungen u. Märchen 2, 334 (1826) ‘Der dumme Hans’ (der Anfang gehört zu unsrer nr. 133). – Dänisch bei Grundtvig, Minder 2, 308 ‘Den dovne Dreng’ und Folkeaev. 1876 nr. 9 ‘Ønskerne’ = Leo-Strodtmann 1, 115 ‘Die Wünsche’. Grundtvigs hsl. Register nr. 127 ‘Den dovne dreng’. Kamp 1, 160 nr. 15 ‘Doven Lars, der fik Prinsessen’. Berntsen 1, 65 nr. 7 ‘Dovne-Hans’. Skattegraveren 1, 170 ‘Ladkjællingesön’. 11, 198 ‘Den dovne dreng’. 12, 167 ‘Den fundne fader’. Kristensen 3, 138 nr. 28 ‘Den dovne drengs ønsker’. Am Urquell 5, 89 nr. 12. – Schwedisch bei Bondeson, Hall. sagor nr. 7 ‘Dän lade pågen’; Sv. folksagor nr. 75 [488] ‘Smör-Lasse’ und 76 ‘Pojken og fisken’. Nordlander p. 70 ‘Lat-Lasse’. Åberg nr. 51 ‘Gäddon o ynskningana’; nr. 52 ‘Te lat Matt’; nr. 53 ‘Om pojken, som fik tre önskningar af gäddan’; nr. 54 ‘Láta Lasse’; nr. 181 ‘Skräddarpoitjin, som bläi kung’ (verbunden mit den dankbaren Tieren). Allardt nr. 44 ‘Hur Skoromatti fikk prinsässon’ und nr. 45 ‘Smidipoitjin, som va so later’. – Norwegisch bei Haukenæs S. 80 ‘Late Lars’. – Isländisch bei Rittershaus S. 413 nr. 117 ‘Die Wünsche’. – Färöisch bei Jacobsen S. 306 nr. 18 ‘Vatndríladrongurin’. – Irisch bei Curtin, Myths of Ireland p. 139.

Französisch bei Troude et Milin p. 303 ‘Christophe’. Luzel, Légendes chrét. 1, 59 ‘Jannig ou les trois souhaits’. Sébillot, Contes 1, 140 nr. 29 ‘Le mariage de Jean le Diot’ (Zauberstäbchen von Christus und Johannes), 3, 48 nr. 5 ‘Les fées de la mer’ und 3, 367 nr. 60 (keine Prinzeß). Roche p. 83 ‘Le petit joueur’. Dardy 2, 63 nr. 18 ‘Bernanoueille’. Armana provençau 1880, 100. – Italienisch bei Andrews nr. 56 ‘Le naïf’. Archivio 10, 52 = Wesselski, Nasreddin 2, 123 nr. 439 ‘Juvadi’. Nerucci nr. 38 ‘Il pesciolino’ = Imbriani 1877 p. 390. Pitrè, Nov. toscane nr. 30 ‘Falchetto’; Otto fiabe nr. 3 ‘Martinu’: Fiabe sicil. 3, 344 nr. 188 ‘Lu loccu di li passuli e ficu’. Visentini nr. 47 ‘Il matto della Tegna’. Busk p. 119 ‘Scioccolone’. – Portugiesisch bei Coelho nr. 30 ‘João Mandrião’. Braga nr. 26 ‘O peixinho encantado’. Consiglieri-Pedroso p. 73 nr. 17 ‘The baker’s idle son’. – Griechisch bei Hahn nr. 8 ‘Der halbe Mensch’ = Garnett 2, 158. Folk-lore 12, 197 ‘The woodcatter lad’. – Serbokroatisch: Valjavec S. 233 nr. 40. Mikuličić S. 43 nr. 11. Nikolić 1, 18 nr. 2 = 2. Aufl. S. 128 nr. 11. – Bulgarisch: Šapkarev 8, 169 nr. 105. – Polnisch: Malinowski 2, 116–119. Ciszewski, Krak. S. 190 nr. 139–140. Mater. antropolog. 10, 261 nr. 34. 11, 44 nr. 37. Kolberg 14, 62 nr. 14. Hess. Blätter f. Volksk. 6, 82 ‘Aschenmichel’. Dramatisch bearbeitet von Zygmunt Sarnecki, Der Glasberg (Zdziarski, Pierwiastek ludowy S. 508). – Großrussisch ein gegen Ende des 18. Jahrh. gedrucktes Volksbuch bei Rovinskij 1, 202 nr. 59 = Afanasjev ³ 1, 250 nr. 100a = Dietrich nr. 13 ‘Von Emeljan dem Narren’. Aus dem Gouv. Nowgorod bei Afanasjev 1, 254 nr. 100b = Ralston p. 263 ‘Emilian the fool’; Gubernatis, Die Tiere S. 152. Afanasjev 1, 255 nr. 101. Sbornik kavkaz. 15, 2, 45 nr. 4. 37, 2, 48 nr. 2. Ähnliche Wünsche im Namen des Fisches äußert im Märchen von den neidischen Schwestern (Afanasjev [489] 2, 189 nr. 159; vgl. unten nr. 96) der der Heldin untergeschobene und mit ihr ins Faß gesteckte Knabe. – Kleinrussisch: Rudčenko 2, 85 nr. 26. Čubinskij 2, 88 nr. 23. Živaja Starina 12, 469 nr. 10. – Weißrussisch: Gliński 1, 176 = Chodzko p. 331 ‘La paresse’ = Godin S. 20 ‘Vom Dümmerling Ofenhocker und von der Prinzessin Dummlieb’. Gliński 1, 161 nr. 9 = Erben, Čitanka S. 112 nr. 36. Romanov 6, 254 nr. 29. Federowski 1, 175 nr. 582. 2, 37 nr. 38. 2, 93 nr. 67. Auch bei Gliński 2, 71 nr. 3 werden die Wünsche des Fischers im Namen des gefangenen Krebses erfüllt, der ein verwünschter Prinz ist und um die Königstochter freit. – Litauisch: Dowojna Sylwestrowicz 2, 28–34; teilweise auch 1, 108. – Estnisch: Kallas nr. 29 (Verh. 20, 147) ‘Gottes Sinn, des Hechtes Zunge’. – Finnisch: Salmelainen 1, nr. 6 = Schreck S. 50 nr. 8 ‘Der Aschenhans’. Suomi 2, 14, 50. 3, 20, 302. Aarnes Register nr. 675. – Wotjakisch: Izvěst. archeol. Kasan 3, 235 nr. 11. – Lappländisch: Friis nr. 20 = Poestion nr. 23 ‘Der Riese, die Katze und der Junge’. Qvigstad og Sandberg nr. 50 ‘Gutten og haren’. – Ungarisch: Gaal 1822 S. 429 ‘Kutschermärchen’. Gaal-Stier S. 168 nr. 16 ‘Kutscher Toms’. – Türkisch: Kúnos, Adakale 2, 178 nr. 28. – Zigeunerisch: Groome p. 258 nr. 65 ‘The three wishes’.

Bei den Barabinern und den Tataren hat Radloff 4, 7 ‘Altyn Tsabak’ und 4, 405 ‘Der Rutscher’ unser Märchen aufgefunden. Aus Annam bei Landes, Contes et légendes 1885 nr. 59 und Contes tjames 1887 nr. 3 ‘Tabong le paresseux’. Aus Neu-Guinea bei Bezemer, Volksdichtung S. 408 ‘Mangunda und Konori’.

Über die Empfängnis durch bloßen Wunsch vgl. Hartland, Primitive paternity 1, 27 (1909); über die Entdeckung des unbekannten Vaters durch das ihm einen Apfel reichende Kind Clouston 2, 159; über die Aussetzung von Mutter und Kind in einer Tonne Cosquin, Revue des questions historiques 83, 381 (1908), über die Beschämung des Königs durch einen ihm in die Tasche praktizierten Becher oder Löffel R. Köhler 3, 228 und Zs. f. Volksk. 6, 69 zu Gonzenbach nr. 25; ferner B. Stern, Fürst Wladimirs Tafelrunde 1892 S. 160. Kallas nr. 22. 29.


  1. Wieland, Pervonte oder die Wünsche (Teutscher Merkur 1778–79 = Werke ed. Hempel 12, 5b nach dem in der Bibliothèque univ. des romans 1777, Juni–Sept. erschienenen Auszuge aus Basile. B. Croce, Scritti di storia letteraria 1, 81. 1911). Kotzebue, Pervonte, Oper 1815; vgl. Leop. Schmidt, Märchenoper, Diss. Rostock 1894 S. 75.
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