An die Schaamhaftigkeit
An die Schaamhaftigkeit.
O Schaam, die mit der Reinheit
Der edle Stolz gezeugt,
Du, von der besten Mutter
Zur Grazie gesäugt!
Die, nur vom West geküßt,
Der Neugier raschem Finger
Die zarte Brust verschließt!
Ach, würdig dich besingen,
Kann nur der Fleckenreine,
Des Himmels Seraph nur!
Drum zürne nicht dem Liede,
Das schwach von dir erklingt,
Vom Staub empor nicht schwingt.
Als vor der Wesenmutter,
Im rosigen Gewand,
Kaum ihrer Hand entschwebet,
Da sprach zu dir vom Throne
Die schaffende Natur:
„Mein Meisterwerk vollenden
Kann deine Zartheit nur!“
Gehorsam dem Gebot,
Ihr auf die Lilienwange
Ein sanftes Abendroth.
Da steht sie nun die Göttinn
Im Purpurlicht vollendet,
Das ihre Wang’ umstrahlt.
Mit ihr und mit der Tugend
In stiller Harmonie,
Unsterblich, so wie sie.
Die Wunder so du thatest;
Mit deinem Schwesterpaar,
Verkünden hohe Lieder
Auf deiner Stirne thronet
Der Würde Zauberkraft;
Scheu bebt vor dir zurücke
Die wilde Leidenschaft.
Im Frühlingssonnenlicht,
Das sanft und ruhverbreitend
Aus deinem Auge spricht.
Du blickest gleich bescheiden,
Ob offner strahlt dein Antlitz,
Ob es dein Flor umhüllt.
Es liest aus deinem Blicke,
Wer deinen Schleier lüpft,
Dich Gottes Friede knüpft.
Ernst blickest du den Frevler,
Den Edeln segnend an,
Du lächelst wie die Güte,
Dir wohnt in Einem Busen
Der kühne Heldenmuth
Der Brutus und Katone,
Und sanfte Liebesgluth.
Die mit dem Böswicht ringt,
Oft Ajax Heldenstärke,
Die keine Wuth bezwingt.
Du stähltest einst die Rechte
Als sie ihr Dolch entrissen
Der Frevellust Tarquins.
Du wachst, wenn um die Tochter,
Die unter Blumen ruht,
Der Hölle Vipernbrut,
Du lenkst den gift’gen Stachel
Von ihrem Herzen ab,
Und streckst mit Herkulskühnheit
Du hältst selbst dem Tyrannen,
Der Tod der Unschuld schwor,
Den Spiegel deiner Reinheit
In trunkner Stunde vor,
Entmenschung selbst erschrickt,
Und thierisches Verlangen
In seiner Brust erstickt.
O, nie ist rührendschöner,
Als wenn um die Gefallne
Dir Zährenthau entquillt;
Nie holder dein Erröthen,
Als wenn die Edelthat,
Der Dank entschleiert hat.
Du wandelst gern durch Auen,
Wo Frühlingsmilde blüht,
Wo vor des Grabes Stille
Nie weilest du im Saale
Voll bunter Mummereyn,
Wo zügellose Freuden
Dich, Himmlische! entweih’n;
Gleichsiegend, gleichbesiegt,
Der Jüngling mit dem Mädchen
In Taumelkreisen fliegt.
Wo Brust an Brust, und Wange
Und jedes Auge Funken
Der Lüsternheit versprüht.
O wehe, wenn die Liebe,
Im Leichtsinn von dir schied!
Von roher Brunst durchglüht,
Zur rasenden Mänade,
Die nur der Zote lauscht,
Und sich mit wilden Scythen
Mit dir im Bunde schaffet
Die Welt sie schöner um,
Und zaubert uns hinüber
In ein Elisium;
Durch Platons Hochgefühl,
Durch Ehrfurcht vor dem Menschen,
Cytherens Sinnenspiel.
O wohl der Erdentochter,
Die, Göttinn! Du erlesen
Zu deiner Lieblinginn!
Ihr huldigen die Herzen,
Wenn mit der Majestät
Bescheidner Männer geht.
O mehr als wohl dem Jüngling,
Den sie vor allen liebt,
Dem sie ein Bild hienieden
O himmlisch schöne Szene,
Wenn sie, durch Treu erweicht,
Ihr Ohr, nur sanfterröthend,
Zu seinem Flehen neigt!
Das ihren Reiz erhöht,
Durch halbe, scheue Blicke,
Den innern Drang verräth,
Und, ähnlich dem Gesäusel
Ihr Lispeln endlich leise
Die Liebe ganz gesteht!
Wo ihre Schwüre tönen,
Ist keines Lauschers Spur;
Des Himmels Sterne nur;
Da saugt mit ihren Küssen,
Gleich ihrem Herzen rein,
Nur Durst nach Edelthaten
Sie kämpft, die junge Heldinn,
Den Kampf der Leidenschaft,
Bis sie ermattet wanket
Am Ziel der Menschenkraft;
Von dir, o Liebe! nur,
Und unter keuschen Thränen
Ihr Opfer der – Natur.
G. F. Stäudlin.