An die Dichter
- [45] AN DIE DICHTER
- August 1916
- Wir Dichter haben viel zu lang
- mit kleinem Schicksal uns gebrüstet.
- Wenn uns im Wald ein Vogel sang,
- wenn Sehnsucht unser Herz umschlang,
- 5dem’s wohl nach einem Weib gelüstet, –
- dann hielt die Welt den Atem ein,
- zu lauschen unsern sanften Liedern,
- wärmt sich an unserm Sonnenschein
- und ließ die Mädchen herzlos sein,
- 10die unsre Liebe nicht erwidern.
- Genug geschwärmt! Genug geträumt!
- Genug auf Weidenrohr geflötet!
- Steht euer Dichtroß nicht gebäumt,
- da rings das Blut in Meeren schäumt
- 15und Brand die Horizonte rötet?
- Die Menschheit schluchzt in Tod und Gram. –
- Zerreißt der Lauten Saiten, Dichter,
- von denen nie ein Weckruf kam!
- Verhüllt in Reue und in Scham
- 20vor Gott und Welt die Angesichter!
- Doch spürt ihr je die alte Glut
- von neuem, – laßt das zage Stöhnen!
- Kein Jammern macht Versäumtes gut.
- Ruft auf die Welt zum besten Mut,
- 25zur Liebe ruft sie, zum Versöhnen!
- Schwört aller Menschheit euren Eid,
- der Menschheit, die ihr stets gemieden, –
- mit ihr zu sein in Not und Leid!
- Nicht Sternenwandler, – Menschen seid!
- 30Und eure Lieder singt dem Frieden!