Amsterdam. Ansicht des Stadthauses, jetzt des königlichen Schlosses
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Ansicht des Stadthauses, jetzt des königlichen Schlosses.
Von dem hochumgürteten Felsengestade des stolzen Britanniens wenden wir uns nach den niedrigen Dünen Hollands, dem Lande der Wunder des beharrenden menschlichen Fleißes. Unter allen fesselt seine Metropole unsere Aufmerksamkeit; doch ehe wir zu ihr gelangen, wollen wir das Land erst besehen, ein in seiner Gesammtheit noch weit größeres Wunder als jene.
Der Kern Hollands, welcher von den Städten Amsterdam, Arnheim, Rotterdam und Harlem begrenzt wird, war ursprünglich theils ein unergründlicher Morast, theils eine dürre Sandwüste, welche nicht einmal Haidekraut trug. Der Fleiß von 2 Jahrtausenden hat diesen Fleck der Erde, der zu ewiger Unfruchtbarkeit verdammt schien, in einen weiten Garten umgeschaffen, der eine Bevölkerung im Wohlstand ernährt, so dicht, wie auf keinem andern Punkte der Welt sie sich findet. Zwar gibt es in diesem endlosen Parke weder Felsen, noch Berge, noch Hügel, noch Wasserfälle, noch Wälder, noch eine von allen sonstigen Eigenthümlichkeiten einer romantischen Natur; aber die hohen Dämme, auf welche die mit gebrannten Steinen, eben wie der Boden eines Zimmers gepflasterten Chausseen zuweilen hinansteigen, die Menge, große Massen bildender Landsitze, Gebäude und Thürme, die vielen aus Wiesen, Ebenen oder über klare Seen auftauchenden kolossalen Baumgruppen geben der Landschaft eben so viel Abwechselung von Höhe und Tiefe, als malerische Ansichten der verschiedensten Art. Städte, Dörfer, Schlösser mit ihren reichen Umgebungen, Villen von jeder Bauart mit den niedlichsten Blumengärten, die von Canälen mit Brücken eingehägten Felder, unabsehbare Grasflächen mit Tausenden von weidenden Kühen, Seen, die, im Umfang von 20 Meilen, blos durch Dorfstich nach und nach entstanden, unzählige Inseln, wo das baumlange Schilf, zum Decken der Dächer sorgfältig angebaut, Myriaden von Wasservögeln zur Wohnung dient – Alles das bietet sich fortwährend die Hand zu einem freudigen Reigen, in dem man durch die flüchtigen Pferde auf den schnurgeraden, gleisenlosen, völlig ebenen Straßen fortgerissen wird, während immer neue Palläste, immer andere Städte am Horizont erscheinen, und ihre hohen gothischen Thürme in dämmernder Ferne mit den Wolken verschmelzen. Eben so läßt in der Nähe eine oft [66] wunderliche, stets wechselnde Staffage keinem Gefühle der Einförmigkeit Raum. Bald sind es seltsam mit Schnitzwerk und Vergoldung verzierte Wagen ohne Deichsel und von Kutschern regiert, die in blauen Westen, kurzen schwarzen Hosen, schwarzen Strümpfen und Schuhen mit großen silbernen Schnallen, das Groteske vollenden; bald sind es zu Drachen und Ungeheuern verschnittene Taxusbäume, oder mit weißer und bunter Oelfarbe angestrichene Lindenstämme; bald die mit vielen Thürmchen moscheenartig verzierten Schornsteine; bald die aus Gärten durch’s Gebüsch lauschenden lebensgroßen Marmorstatuen in der Hofkleidung des Louis Quatorze; bald die jungen baus- und rothbäckigen Mädchen und Knaben, die in spiegelblanke große Messingkrüge die Kühe auf den Wiesen melken; bald so viele andere fremde und ungewohnte, dem Ausländer oft phantastisch vorkommende Gegenstände der Landes-Art und Sitte, welche jeden Moment dem Auge eine andere Scene bereiten und dem Ganzen ein vollkommen eigenthümliches, ächt nationelles Gepräge aufdrücken. Mit dem ersten Fußtritt auf holländischem Boden wacht auch das Bewußtseyn auf, daß man sich unter einem selbstständigen, fest und rein ausgeprägtem Volke befindet. In allen äußern Erscheinungen ist ein bestimmter Charakter – und die Menschen! Ihr Gesicht hat Ausdruck, ein Zug läuft durch Alle – das Volksbild hat Haltung. Mit all’ ihren Fehlern und Gebrechen, so barock uns auch manche erscheinen mögen – sind doch die Holländer ein großes Volk! Sie sind keine allenthalben umherlaufende, oft abgegriffene, verwischte, starklegirte Scheidemünze; es ist ein gehaltvoller Schlag, treuherzig und leichtgläubig wie die Deutschen, schwerfälliger noch, reicher an geduldigem Fleiß, ihnen zwar durch die Sprache nahe verwandt, aber durch Sitten und Lebensweise gänzlich von ihnen verschieden. Einzig steht es da, immer dasselbe, in dieser Zeit der Volks- und Stamm-Mengerei, wie eine Oase in der Wüste.
Wir kommen der Hauptstadt näher. Die immer zunehmende Menge, Größe und Mannichfaltigkeit der Gärten und Landhäuser verkündigen sie schon in bedeutender Ferne. Endlich hat man sie erreicht. Zwischen den Häußerreihen sieht man staunend breite Kanäle, eingefaßt mit hohen Bäumen, deren Zweige mit den bunten Wimpeln der Schiffe kosen. Ueberall Krahnen, Maste, Nachen, Waare ladend, Waare bringend; überall Leben und Thätigkeit. Alles kündigt die große See- und Handelsstadt an, das Venedig des Nordens.
Amsterdam ist in der Form eines Halbzirkels gebaut, dessen breite Seite dem Y, einem Arm der Zuidersee, zugekehrt ist, welches zugleich seinen Hafen bildet. Der Grund, auf dem es steht, war ein bodenloser Morast, zum Theil selbst von den Fluthen des Y überdeckt; die Stadt mußte daher, gleich ihrer südlichen Schwester, auf Pfähle gesetzt werden. – Im Halbkreise durchziehen sie 4 Reihen von breiten für Seeschiffe zugänglichen Kanälen, welche mit einander durch eine Menge kleinerer in Queerverbindung stehen. Diese zerschneiden die Stadt in etwa 90 Inseln, welche durch 300 Brücken mit einander verbunden sind. Darunter sind manche so groß, daß Seeschiffe durchsegeln [67] können. Die Gesammtzahl der Häuser ist etwa 50,000; die der Einwohner – vor 200 Jahren ½ Million, – jetzt 220,000.
Amsterdam dankt sein Aufblühen im 16. und 17. Jahrhundert den unklugen und unerträglichen Bedrückungen, die der spanische Philipp dem flamändischen Handel auflegte. Viele der Flamänder, damals die erste Handelsnation der Erde, verließen in Folge dessen ihre Wohnsitze (Antwerpen, Brügge, Gent etc.) und siedelten sich und ihre unermeßlichen Geschäfte in Amsterdam an. Als den Antwerpnern nach dem westphälischen Frieden die Schelde gesperrt wurde, zog sich auch der ganze noch übrige Handel dort weg und nach Amsterdam. Mit dieser Zeit datirt seine glänzendste Periode. Amsterdam breitete unter dem Schilde der damals mächtigsten Republik, deren Herz es war, seine Geschäfte über alle Theile der Erde aus; es wurde die Niederlage der Erzeugnisse aller Länder und Nationen, es erhob sich zu dem, was Antwerpen gewesen war, zum Emporium des Welthandels. Die holländische Flagge ward Herrin in beiden Indien; es bedeckten die Schiffe der Amsterdamer alle Meere; ihre Faktoreien und nur die ihrigen traf man in China, in Japan, in Madagaskar, in Arabien, auf allen Märkten der nordafrikanischen Küste an; „reich und rechtlich wie ein Amsterdamer Handelsherr“ ward zum Sprichwort. Am Ende des 17. Jahrhunderts hatte seine Handelsgröße den Gipfel erreicht. In dem langwierigen Kampfe mit dem sich als furchtbaren Nebenbuhler ankündigenden England unterlag aber endlich die holländische Seemacht und blieb im Verfall. Die langgeübte Herrschaft der Meere schwand, Kolonien gingen verloren oder wurden aufgegeben; der amsterdamer Handel zog sich in engere Grenzen zurück; was er verlor, gewann die Hauptstadt des siegenden Britanniens. Alle spätern Anstrengungen, diesem das Verlorene wieder abzugewinnen, endeten unglücklich. Kostspielige Kriege der Republik, meistens mit Amsterdamer Gelde geführt, schwächten die Kapitalkraft der nordischen Venetianer, große Handelskrisen und Verwirrungen entstanden, viele der ältesten und reichsten Häuser, von denen manches ganze Flotten unterhalten hatte, gingen unter, und endlich sank auch jenes berühmte Institut, der Nerv des amsterdamer Handels, die Bank. Die französische Revolution, dann der Einfall und die Gewaltherrschaft der Franzosen, Napoleon, das Continentalsystem, der gänzliche Verlust der Kolonien gaben dem Flore der Stadt den Todesstoß. Amsterdam, abgeschnitten von allem überseeischen Verkehr, hörte in dieser Unglücksperiode – 1809 bis 1815 – fast auf, eine Handelsstadt zu seyn. Tausende wanderten aus und ließen sich in andern Theilen des Landes, oder in der Fremde nieder.
Nach dem Sturze Napoleon’s, durch Rückgabe der Kolonien und Befreiung der Meere, öffneten sich zwar die Quellen meistens wieder, die den Reichthum und den Handelsflor Amsterdams begründet hatten; aber doch konnte der Ort am Welthandel nicht den großen Antheil wieder gewinnen, den er früher besaß. Er ist bedeutend noch, allerdings; aber immerhin weniger als die Hälfte von dem, was er vor 50 Jahren gewesen. Damals entlöschten jährlich 4000 Schiffe an seinen Kayen; jetzt etwa 2000. Darum hat auch die Verarmung der niedern Klassen, die sich aus [68] der Napoleonszeit datirt, eher zu, als abgenommen. 14,000 Familien und 30 bis 40,000 einzelne Personen erhalten von der öffentlichen und Privatmildthätigkeit jährlich Unterstützungen.
Die vorliegende Ansicht vom merkwürdigsten und größten Gebäude Amsterdams, dem Stadthause, jetzt ein königliches Schloß, ist vom Damrak aus aufgenommen. Es liegt im Herzen der Stadt, sehr malerisch, auf einem freien Platze. Auf die Befestigung des Grundes wurden Millionen verwendet, 13,700 der größten Masten, in die Tiefe eingerammt, dienen dem Pallaste als Unterlage. Das Schloß bildet ein fast gleichseitiges Viereck, hat in seiner größten Fronte 300 Fuß Länge, ist aus großen Quaderstücken errichtet und enthält eine Menge der herrlichsten Kunstschätze, vornämlich aus der niederländischen Malerschule, eine Bibliothek, mehre naturhistorische und wissenschaftliche Sammlungen.