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können. Die Gesammtzahl der Häuser ist etwa 50,000; die der Einwohner – vor 200 Jahren ½ Million, – jetzt 220,000.

Amsterdam dankt sein Aufblühen im 16. und 17. Jahrhundert den unklugen und unerträglichen Bedrückungen, die der spanische Philipp dem flamändischen Handel auflegte. Viele der Flamänder, damals die erste Handelsnation der Erde, verließen in Folge dessen ihre Wohnsitze (Antwerpen, Brügge, Gent etc.) und siedelten sich und ihre unermeßlichen Geschäfte in Amsterdam an. Als den Antwerpnern nach dem westphälischen Frieden die Schelde gesperrt wurde, zog sich auch der ganze noch übrige Handel dort weg und nach Amsterdam. Mit dieser Zeit datirt seine glänzendste Periode. Amsterdam breitete unter dem Schilde der damals mächtigsten Republik, deren Herz es war, seine Geschäfte über alle Theile der Erde aus; es wurde die Niederlage der Erzeugnisse aller Länder und Nationen, es erhob sich zu dem, was Antwerpen gewesen war, zum Emporium des Welthandels. Die holländische Flagge ward Herrin in beiden Indien; es bedeckten die Schiffe der Amsterdamer alle Meere; ihre Faktoreien und nur die ihrigen traf man in China, in Japan, in Madagaskar, in Arabien, auf allen Märkten der nordafrikanischen Küste an; „reich und rechtlich wie ein Amsterdamer Handelsherr“ ward zum Sprichwort. Am Ende des 17. Jahrhunderts hatte seine Handelsgröße den Gipfel erreicht. In dem langwierigen Kampfe mit dem sich als furchtbaren Nebenbuhler ankündigenden England unterlag aber endlich die holländische Seemacht und blieb im Verfall. Die langgeübte Herrschaft der Meere schwand, Kolonien gingen verloren oder wurden aufgegeben; der amsterdamer Handel zog sich in engere Grenzen zurück; was er verlor, gewann die Hauptstadt des siegenden Britanniens. Alle spätern Anstrengungen, diesem das Verlorene wieder abzugewinnen, endeten unglücklich. Kostspielige Kriege der Republik, meistens mit Amsterdamer Gelde geführt, schwächten die Kapitalkraft der nordischen Venetianer, große Handelskrisen und Verwirrungen entstanden, viele der ältesten und reichsten Häuser, von denen manches ganze Flotten unterhalten hatte, gingen unter, und endlich sank auch jenes berühmte Institut, der Nerv des amsterdamer Handels, die Bank. Die französische Revolution, dann der Einfall und die Gewaltherrschaft der Franzosen, Napoleon, das Continentalsystem, der gänzliche Verlust der Kolonien gaben dem Flore der Stadt den Todesstoß. Amsterdam, abgeschnitten von allem überseeischen Verkehr, hörte in dieser Unglücksperiode – 1809 bis 1815 – fast auf, eine Handelsstadt zu seyn. Tausende wanderten aus und ließen sich in andern Theilen des Landes, oder in der Fremde nieder.

Nach dem Sturze Napoleon’s, durch Rückgabe der Kolonien und Befreiung der Meere, öffneten sich zwar die Quellen meistens wieder, die den Reichthum und den Handelsflor Amsterdams begründet hatten; aber doch konnte der Ort am Welthandel nicht den großen Antheil wieder gewinnen, den er früher besaß. Er ist bedeutend noch, allerdings; aber immerhin weniger als die Hälfte von dem, was er vor 50 Jahren gewesen. Damals entlöschten jährlich 4000 Schiffe an seinen Kayen; jetzt etwa 2000. Darum hat auch die Verarmung der niedern Klassen, die sich aus