Textdaten
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Autor: Otto Ruppius
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Titel: Amerikanische Zustände Nr. 1.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 574–576
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[574]

Amerikanische Zustände.

Von Otto Ruppius.
Nr. 1.

Die letzten Ereignisse in den Vereinigten Staaten, der Conflict zwischen Süd und Nord, die Niederlage der nördlichen Armee in der Schlacht bei „Bulls Run“, die Flucht der nördlichen Freiwilligen, eine Flucht, wie sie die Kriegsgeschichte in dieser Sonderbarkeit noch nicht aufzuweisen hat, sind in Aller Munde; trotz aller bereits bekannten Specialitäten aber steht der deutsche Beobachter noch vor den Begebenheiten, ohne sich dieselben in ihrer Eigenthümlichkeit ganz erklären zu können, ohne einen rechten Maßstab für ihre Tragweite zu finden, und auch nur Derjenige, welcher tief in die Geheimnisse der amerikanischen Zustände eingedrungen, wird zu einer richtigen Erkenntniß von Ursache und Wirkung, zu einem klaren Urtheile über Gegenwart und Zukunft gelangen können. Dabei aber sind die öffentlichen amerikanischen Verhältnisse nicht allein von staatlichen, sondern auch von so hohem allgemein menschlichem Interesse, daß ein tiefes Eingehen in dieselben seitens eines deutschen Blattes um so mehr zu einer Nothwendigkeit wird, als die amerikanischen Zeitungen bei der augenblicklichen kritischen Lage der Dinge sich schwerlich herbei lassen werden, die bewegenden Ursachen bei ihrem rechten Namen zu nennen.

Die Geschichte lehrt uns, daß, je freier die Staats-Einrichtungen waren und je unbeschränkter die einzelne Persönlichkeit sich darin zu entwickeln vermochte, auch die schlimmen menschlichen Anlagen innerhalb der Staatsgesellschaft zu einer Entwickelung gelangten, welche endlich den Segen ungehemmter Freiheit in einer Weise paralysirte, die das fernere Bestehen des bisherigen Staats zu einer Unmöglichkeit machte. Die alten Republiken gingen meist an innerer, naturgemäß hervorgerufener Fäulniß zu Grunde, gerade wenn sie äußerlich in der höchsten Blüthe zu stehen schienen. – Dieselben Verhältnisse wie dort, oft wahrhaft frappirende Spiegelbilder, bestehen jetzt in den Vereinigten Staaten, dennoch aber suchen die Wenigsten die Ursachen der letzten amerikanischen Ereignisse in diesen Zuständen, und doch ist es so wahr, daß es dem geöffneten Auge wie ein Gorgonenhaupt entgegenstarrt: die Vereinigten Staaten sind politisch so durch und durch verfault, daß eben nur eine entstehende innere Schwierigkeit, wie die jetzige, nothwendig war, um den äußerlich glänzenden Bau auseinander bersten zu lassen und selbst für die kräftigste Hand, für den klügsten Kopf eine Wiederherstellung früherer Verhältnisse unmöglich zu machen. – Die Schlacht bei „Bulls Run“, in welcher für den Eingeweihten zum ersten Male in der crassesten Weise die Natur der innern Zustände zu Tage trat, ist der Anfang zum Ende der Union und wohl auch der Republik,[1] – das ist keine Prophezeiung, sondern ein einfach aus den bestehenden Verhältnissen sich entwickelnder logischer Schluß, und der Leser mag ihn aus den Thatsachen, wie sie zum klaren Verständnis hier folgen werden, sich selbst ziehen.

Die amerikanische Republik ist auf die breiteste Basis freier Selbstregierung gegründet. – Die sämmtlichen Beamten der einzelnen Staaten und Communen, wie die Mitglieder der gesetzgebenden Körper werden in directer Wahl vom Volke ernannt, und nur die Unions-Aemter, wozu vor Allem die Minister-, auswärtigen Gesandten- und Consulatstellen mit ihren Nebenämtern, die Post- und Zollämter gehören, sind dem Präsidenten zur Besetzung überlassen, welcher damit die thätigsten Mitglieder der Partei, welche ihn erwählt hat, belohnt.

Sich um eines der ersteren, durch Volkswahl zu besetzenden Aemter zu bewerben, oder dafür zu „laufen“, wie der technische Ausdruck ist, gehört aber zu den kostspieligsten Dingen. Die Wähler müssen bearbeitet und für diesen Zweck einflußreiche Männer angeworben und bezahlt werden; hartnäckige Opponenten sind, wiederum durch Geldvergütung, aus dem Wege zu schaffen; je bedeutender das mögliche Einkommen oder der Einfluß durch ein Amt ist, je höher steigen die Kosten, und mancher unglückliche, noch nicht mit allen Schleichwegen zur Erlangung von Stimmen bekannte Candidat ruiniert sich finanziell durch den Wettlauf nach einem wünschenswerthen Posten für sein ganzes Leben.

Dieses aufgewandte, oft nur geliehene Geld, was in den meisten Fällen in gar keinem Verhältniß zu dem zu erwartenden gesetzlichen Einkommen steht, muß nun von dem glücklichen Sieger vor allen Dingen aus dem erlangten Amte wieder herausgearbeitet werden; ein unschuldiger Deutscher, welcher die Höhe der Einkünfte kännte, würde freilich nicht begreifen, wie das möglich sei. Die gesetzlichen Einkünfte aber sind eben nur das Geringste bei einem Amte, und was durch „pickings and stealings“, in ehrlichem Deutsch: durch angenommene Bestechungsgelder, unredliche Profitmacherei und offenen Diebstahl, herausgeschlagen werden kann, ist die Hauptsache. Der Terminus „Pickings and stealings“ ist ein in der politischen Sprechweise Amerikas völlig eingebürgerter technischer Ausdruck, und der Begriff hat seine Berechtigung in einer Weise erlangt, daß das Einkommen eines Amtes fast durchgängig nicht mehr nach den gesetzlichen Emolumenten, sondern nach der Möglichkeit des unredlich zu erwerbenden Geldes berechnet wird. Einige Fälle aus der gewöhnlichsten Praxis zur Erklärung.

Dem Assessor einer kleinen Stadt, d. h. dem Beamten, welcher [575] den Werth des Privat-Grundeigenthums behufs Feststellung der Grundsteuer jährlich abzuschätzen hat, steht eine gesetzliche Vergütung von vielleicht 300 Dollars zu – er macht sich indessen durch die ihm in die Hand gedrückten Geschenke der Grundbesitzer für niedrige Abschätzungen 5000 Dollars daraus. Der Vorsitzende eines Stadtraths läßt für Straßenbauten und andere städtische Arbeiten sich von dem Unternehmer derselben Rechnungen zum doppelten Betrag der Arbeiten ausstellen, weist sie als richtig zur Zahlung an und theilt den Ueberschuß mit dem Unternehmer – viele Städte weisen derartige Männer auf, die ohne einen Cent Vermögen zum ersten Male in den Stadtrath gewählt wurden und nach acht bis zehn Jahren ein fürstliches Vermögen zusammengestohlen hatten. Ein New-Yorker Constable – Gerichtsbote und Executor – kann bei guten Zeiten durch „Züchtigen und Loslassen“ bequem 10,000 Dollars jährlich aus seinem Amte machen, freilich sind nicht alle derartige Stellen dort gleich fett. Der Schatzmeister einer Stadt verwendet die eingehenden Steuern zu eigenen Speculationen, erklärt den Inhabern von Stadt-Anweisungen, womit jeder einheimische Gläubiger der Stadt ausbezahlt wird, daß zur Einlösung kein Geld in der Casse sei, kauft aber endlich aus „eigenen Mitteln“ den Geldbedürftigen ihre Anweisungen mit 10 Procent Abzug ab. Die heimlichen Einkünfte eines Sheriffs, des „Engels mit dem Racheschwerte“, gehen oft in’s Unglaubliche und lassen sich meist nur nach der Geriebenheit des Beamten berechnen. Die Gesetzgeber der verschiedenen Staaten, wie die Abgeordneten im Congreß treiben zum größten Theile mit ihren Stimmen völligen Handel, sobald die Bewilligung eines Privatvortheils, wie die Vergebung eines Contractes für Staatsarbeiten, eine Unterstützung für Eisenbahn-Compagnien, die Gewährung eines gewinnreichen Patents oder dergleichen in Frage liegt; und die Gewinnung eines einflußreichen Abgeordneten mit zehn- und zwanzigtausend Dollars bei Gelegenheiten, die einen solchen Betrag rechtfertigen, sind nichts Ungewöhnliches;– ein Lieferant oder Unternehmer öffentlicher Arbeiten, welcher auf diese Weise seinen Contract erlangt, muß natürlich das ausgegebene Geld durch Betrug an der Regierung wieder einbringen und riskirt bei der Entdeckung desselben höchstens ein neues Geldopfer; etwas Anderes erwartet aber auch Niemand von dem Verstande eines solchen Mannes. Für den Präsidenten sind die zu vergebenden Aemter nichts als die Mittel zu einem politischen Schacher, wenn auch in anderer und complicirterer Weise als bis jetzt angedeutet, und der letzte Präsident Buchanan hat diesen mit einer Schamlosigkeit ausgeübt, die den letzten Congreß unter seiner Verwaltung, des öffentlichen Scandals halber, sogar zur Aufwerfung der Frage nöthigte, ob der Genannte nicht ebenso in Anklagestand zu versetzen sei, als es mit einzelnen seiner Cabinetsglieder wegen offenen Betrugs geschehen.

Ein Beamter in den Vereinigten Staaten ist erst in zweiter oder dritter Reihe zum Dienste des Volks, das ihn erwählt, da. In erster Reihe hat er die Milchkuh, für welche er allein sein Amt ansieht, auf jede mögliche Weise auszubeuten. Allerdings giebt es nun in der großen Republik genau so bestimmt abgefaßte und strenge Gesetze gegen Schwindel und Betrug jeder Art, wie in andern wohlgeordneten Staaten. Die Gewohnheit der Profitmacherei, der „pickigs and stealings“, der Bestechlichkeit und des Wahlbetrugs seitens der Beamten hat aber während der langen Jahre der Ausübung jedes Gefühl für Ehre und Rechtlichkeit in Bezug auf diese Zustände im Volke, so abgestumpft, daß selbst die eclatantesten Fälle von der eingefressenen Corruption in den öffentlichen Verhältnissen kaum mehr als eine kurze Aufregung schaffen konnten – Untersuchungs-Committees wurden zu öfteren Malen selbst im Congreß gegen die hochgestelltesten Beamten in’s Leben gerufen. Die Verhandlungen derselben verliefen aber stets nach kurzer Zeit so im Sande, daß der nächstbeste Gegenstand von öffentlichem Interesse sie ohne Abschluß völlig aus der Welt schaffte. Gestattete es der Raum, so ließen sich aus den letzten Jahren amtliche Schwindelgeschichten erzählen, die zu dem Wunderbarsten in ihrer Großartigkeit und Frechheit gehören, was nur die Geschichte der verdorbensten Staaten jemals geliefert, und die nach einer Woche voll glänzender, in ihrem erbitterten Tone erhabener Congreßreden und scharfer Zeitungs-Polemik verschwanden, ohne dem Schuldigen ein Haar gekrümmt zu haben, um jetzt bei einer zufälligen Erinnerung daran nur noch mit einem Achselzucken berührt zu werden.

Bis zur Erwählung des jetzigen Präsidenten Lincoln herrschte die demokratische, dem Süden freundliche Partei, ihr wurde deshalb vor Allem die eingerissene Verderbniß zugeschrieben, und was seit Erwählung des jetzigen Präsidenten im Süden geschah, schien auch diese Beschuldigung völlig zu rechtfertigen. Ein bedeutender Theil des Terrains, welches jetzt die südlichen Staaten bilden, ist mit dem Gelde der ursprünglichen Vereinigten Staaten erworben worden. In andern Fällen, wie in Texas, welches später zu der Union trat, wurde von dieser die Staatsschuld des neuen Bundesgliedes übernommen. Alle anfänglich nothwendigen Verbesserungen und Einrichtungen waren mit nördlichem Gelde bezahlt, und schon der einfachste Rechtssinn hätte eine Losreißung von Staaten verbieten müssen, die mit Opfern erworbenes Eigenthum der Union waren. Diese Losreißung aber geschah nicht allein im Interesse der hungrigen südlichen Politiker, welche bis jetzt die Beute aus den fettesten Aemtern unter sich allein getheilt und diese nun nicht aufgeben mochten – sondern auf dem Wege des offenen Raubes werden dazu die in der südlichen Münze befindlichen Baarfonds, die Waffenvorräthe, öffentlichen Gebäude und Forts der Vereinigten Staaten weggenommen. Die von der Union angestellten Postmeister und Zollbeamten erklären die in ihren Händen befindlichen Amtsgelder für gute Prise. Die im Süden geborenen Officiere der Vereinigten-Staaten-Armee und Marine vergessen Eid und Ehre, übergeben ihre Posten und Schiffe den Rebellen, und selbst Männer, wie der alte General Twiggs in Texas, der Zweit-Commandirende in der Union, schänden ihr graues Haar mit Verrath. Damals wandte sich die Sympathie der ganzen civilisirten Welt dem Norden zu, und die Deutschen in Amerika standen aller Orten zur Vertheidigung der Union auf; man glaubte die Fäulniß und Verdorbenheit, welche sich bisher geltend gemacht, nur in der südlichen Partei zu Hause und hoffte von einem „republikanischen“, nördlichen Regimente neue, reinere Zustände – als ob eine Generation, die mit den Grundsätzen der allgemeinen Corruption von Jugend auf groß gesäugt, durch einen einfachen Regierungswechsel hätte zu gänzlich entgegengesetzten Instincten und Anschauungen gebracht werden können!

Heute, wo sich ein freierer Blick auf die Maßnahmen der Lincolnschen Regierung gegen den Süden werfen läßt und die letzten Ereignisse vieles anfänglich Räthselhafte erklärt haben, kann mit voller Bestimmtheit angenommen werden, daß die leitenden Politiker des Nordens, in deren Hand der Präsident sich oft ganz machtlos gezeigt, nie daran dachten, gegen den Süden in einer Zwangsweise vorzugehen, wie es die Aufstellung der nördlichen Armee erscheinen ließ. Der Süden, welcher seine sämmtlichen äußeren Bedürfnisse, seine Bekleidungsstoffe, sein Haus- und Feldgeräth vom Norden bezieht und dadurch zum Haupttheile den nördlichen Fabriken mit ihrem Arbeiterheere Brod giebt, durch welchen der Export- und Commissionshandel von New-York meist nur existirt, durfte nicht zum Aeußersten getrieben werden; er sollte die Macht des Nordens fühlen gleich einem unartigen Jungen, durch die Blockade seiner Häfen eingesperrt werden und Hunger zu leiden haben, bis die erste Hitze verraucht und er Vernunft anzunehmen gesonnen sei, aber am wenigsten durch blutige Maßregeln zu einer Todfeindschaft gegen den Norden getrieben werden, und so wurde auch nach Lincoln’s Amtseinführung an viel nöthigere Dinge gedacht, als die südliche Rebellion sofort im Keime zu ersticken. Die Beute, welche der republikanische Wahlsieg gebracht, mußte zuerst eingeheimst, die sämmtlichen bisherigen Bundesbeamten entsetzt und die Aemter unter der siegreichen Partei vertheilt werden – die Aemterjagd und der Aemterschacher begannen in Washington schlimmer und ekelhafter als je und zeigten dem Volke, das umsonst nach sofortigen kräftigen Maßregeln zur Erhaltung der Union rief, daß die jetzt zur Herrschaft gekommene Partei gerade da in dem alten Unwesen beginnen wolle, wo die frühere aufgehört. Aber es bekam bald noch mehr zu sehen.

Die Bildung einer nördlichen Armee war angeordnet; sollte auch damit kein großer Krieg geführt werden, so schuf sie doch eine Masse von neuen Aemtern und Gelegenheit in Fülle, ein ausgezeichnetes Geschäft zu machen. Regiment auf Regiment wurde angenommen, die Ausrüstung derselben aber bis zur Verzweiflung der Angeworbenen hinausgeschoben. Müßig lag die nördliche Jugend, die danach brannte sich mit dem Feinde zu messen, umher, und selbst die endlich bewaffneten und einexercirten Truppentheile warteten vergebens von der Woche zum Monat auf Befehl zum Ausmarsch. Inzwischen suchte Alles, was einen Posten hatte erwischen können, sein Schäfchen möglichst zu scheeren. Die Lieferanten [576] hatten genug für Erlangung ihrer Contracte zahlen müssen, um nicht für theueres Geld das möglichst Schlechte zu liefern. Als einzelnen Factum sei angeführt, daß bei verschiedenen großen Pferdelieferungen, wobei die Regierung 119 bis 125 Dollars pro Stück zahlte, zwischen 50 bis 75 Dollars am Stück profitirt ward und eine Hand voll Geld jede Untersuchung der Brauchbarkeit bei der Ablieferung beseitigte. Die Quartermasters oder Proviantmeister stahlen wie die Raben, was dem Soldaten zukommen sollte, und die „pickings and stealings“ derselben wurden allgemein zur Höhe von 6 – 800 Dollars monatliches Einkommen für jeden Einzelnen angenommen; während dem begann aber durch die entstehende übele Verpflegung, die selbst Russell von der „London Times“ für schlechter erklärte, als er sie je im Krim - Kriege erlebt, eine bösartige Diarrhöe unter den Truppen einzureißen und mehr Leben hinwegzuraffen, als eine Schlacht hätte thun können. Sold ward nicht gezahlt; das Geld war längst dafür vorhanden und angewiesen – aber es wollte den Weg zu dem gemeinen Soldaten nicht finden. Bei der großen Armee ward endlich ein Theil nach 2 ½ Monaten ausbezahlt, viele der Hülfsbedürftigen hatten sich indessen während dieser Zeit ihre Forderungen von dem Zahlmeister mit 25 bis 30 Procent Verlust abkaufen lassen. In Missouri war nach drei Monaten noch kein Cent an die Mannschaften gekommen, und während Alles, was nur die Hand zur Krippe bringen konnte, sich nach dem längst als berechtigt anerkannten Gebrauch die Taschen auf Kosten des entbehrenden Freiwilligen, der für eine große Idee Heimath und Familie verlassen zu haben glaubte, füllte, während das Volk vergebens über die Unthätigkeit seiner Regierung schrie, verstärkte die südliche Armee von Tage zu Tage ihre Stellungen mehr, organisirte die südliche Regierung in voller Ruhe ein Vertheidigungssystem ihres Landes, das einem Einmarsche der nördlichen Truppen auf jedem Schritte tödtliche Hindernisse in den Weg legte. – Was lag aber daran, da die Lincolnsche Regierung nie an einen wirklichen Krieg gedacht, da der Ober-General Scott erklärt hatte, er werde den Süden ohne großes Blutvergießen zur Raison bringen und bedürfe deshalb auch nicht einmal einer Cavallerieforce? Die leitenden Politiker sammt ihrem Anhange machten ihr prächtiges Geschäft, wie die Sachen standen, und als erst die Idee auftauchte, die Armee auf 500,000 Mann zu bringen und 500 Millionen Dollars zu diesem Zwecke aufzunehmen, mußte es als Hauptsache gelten, so lange als möglich in statu quo zu bleiben, um den zu erwartenden Goldstrom ruhig in die rechten Taschen zu leiten.

In der Heimath, welche die Freiwilligen zur „Rettung der Union“ verlassen, waren währenddem überall Tausende und Tausende von Familien ohne Ernährer, einzig der Mildthätigkeit der zurückgebliebenen Bürger überwiesen. Aber nichts erkaltet rascher als eine Mildthätigkeit, die durch einen augenblicklichen Enthusiasmus hervorgerufen worden, und die im Felde befindlichen Männer und Väter müssen hören, wie die heiligen Versprechen ihrer Mitbürger, auf die vertrauend sie fortgezogen, zu nichte geworden, wie ihre Familien darben und betteln gehen, ohne daß die entfernten Versorger die Mittel zum Helfen in die Hände bekommen können. Außerdem sind diesen während der verronnenen Dienstzeit die Augen über die Zwecke dieses Kriegs aufgegangen, sie sehen, während die Südländer jeden Verdächtigen hängen und füsiliren, von ihnen eingebrachte und überführte südliche Spione frei ausgehen, sehen erwiesenen Verrath kaum beachtet und Alles, was südlich heißt, mit vorsichtigster Schonung und Rücksicht behandelt; sie haben ihre eigenen Offiziere kennen gelernt, die nicht die Befähigung, sondern die Parteigunst an ihren Platz gebracht, militärische Ignoranten in den höchsten Stellungen, während die Männer von Kenntniß und Erfahrung bei Seite geschoben werden; sie sehen sich selbst als Opfer hungriger Speculanten, und der einzige Trost bleibt, daß sie nur auf drei Monate sich zum Dienst verpflichtet – durch die ganze Armee beginnt sich bald nur der eine Geist geltend zu machen: „nach Hause! fort aus dem ganzen Schwindel mit der Stunde der Erlösung!“ und in den Regierungskreisen beginnt man einzusehen, daß mit Ablauf der Dienstverpflichtung die Welt das Schauspiel einer auseinander laufenden Armee haben wird, ehe nur nach den gefallenen großen Worten ein einziger Schlag von Bedeutung geschehen ist. „Eine Schlacht, eine gewonnene Schlacht um jeden Preis!“ heißt jetzt die Parole, die Siegesbegeisterung soll die Truppen zu einer neuen Dienstverpflichtung führen – und die Schlacht wird gewagt, gewagt in der Weise, welche das ganze nördliche Kriegswesen bis jetzt bezeichnet. Ohne Frühstück müssen die Freiwilligen vorwärts zum Kampfe, kaum daß ihnen unterwegs gestattet wird, einen Bissen im Fluge zu nehmen. Dennoch gehen diese freudig, da es doch endlich einmal zum Schlagen kommen soll. Aber der commandirende General kennt weder die Stärke des Feindes, noch hat er einen rechten Begriff dessen, was die Leitung einer Schlacht verlangt – bis jetzt war er eben nur Advocat – in der ersten Stunde schon weiß er nichts mehr von der Stellung seiner Truppentheile, jeder ficht auf eigene Faust, ohne Ablösung, ohne Ruhe, ohne Verbindung mit der übrigen Armee, kämpfst lange Stunden bis zur Erschöpfung, und mitten hinein unter die Abgetriebenen, fast Verschmachteten schlägt plötzlich der Ruf: „die Schlacht ist verloren, die Cavallerie im Anrücken; rette sich, wer kann!“ Der Schrecken fährt in die erschöpfte Mannschaft, die Officiere, ohne daß Vertrauen ihrer Untergebenen, sind nicht im Stande, die sich wild auflösenden Glieder zu halten, die letzte Hoffnung auf einen Sieg, um den bis zur Todesmüde gekämpft, um den alle bisherige Enttäuschung vergessen worden, ist dahin, und: „Nach Hause!“ ist daß Losungswort derer, die noch Kraft genug in sich fühlen, nicht auf dem Wege liegen zu bleiben. Die Schlacht bei „Bulls Run“ war nur die Explosion all der faulen Gase, welche die verrotteten politischen Zustände Amerika´s erzeugt, und hat die Ordnung der dortigen Verhältnisse in eine Ferne gerückt, für die sich nirgends ein Maßstab finden läßt. Das wahrscheinlichste Resultat ist bei der offenen Erbitterung und Hartnäckigkeit des Südens in einer Trennung der Landestheile zu suchen, die aber kaum viel Anderes als die gänzliche Auflösung der jetzigen Staatenordnung nach sich ziehen kann.

Wird einmal die Theilbarkeit der Union angenommen, so hat damit selbstverständlich jeder einzelne Staat oder ein Theil desselben das Recht, sich nach Belieben zu trennen – in New-York existirt schon längst das ausgesprochene Gelüst, die Stadt und Umgebung zu einem unabhängigen Gebiete zu machen. Im aristokratischen Süden regen sich mächtig monarchische Gelüste. Frankreich und England betrachten mit scharfem Auge die jetzigen Vorgänge und warten nur ihrer Zeit – läßt sich auch nach keiner Seite hin eine Vorhersagung wagen, so tritt doch Eins dem erfahrenen Beobachter mit voller Sicherheit entgegen: Die Union und die amerikanische Republik stehen an der Grenze ihres kurzen Daseins, und ihre Grabschrift wird sein: „Our Institutions were only an Experiment“, d. h. unsere Staatseinrichtungen waren nur ein Versuch.

  1. Herr O. Ruppius ist soeben erst aus Amerika nach der Heimath zurückgekehrt. Er kennt Amerika und seine Zustände genau, und wir dürfen interessante Mittheilungen aus seiner Feder erwarten, trotz alledem möchten wir doch unsere Zweifel über die Richtigkeit seiner Schlußfolgerungen aussprechen. Ein politisches Institut wie die Union und die nordamerikanische Republik stürzt nicht über Nacht zusammen, so wenig wie Preußen und Oesterreich durch zeitweilige Corruption zu Schanden gegangen. Wo neben dem Faulen soviel Gesundes und Kräftiges in die Höhe strebt, kann von Untergang nicht die Rede sein.
    D. Red.