Textdaten
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Autor: Carl August Türcke
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Titel: Amerikanische Volksjustiz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 376–379
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[376]

Amerikanische Volksjustiz.

 „Ist Dunst zur Höh’ gestiegen,
 So muß der Donner fliegen.“
 Follen.

In Nr. 6 der „Deutschen Blätter“, dem literarischen und politischen Feuilleton, habe ich den Lesern der Gartenlaube in der Fürsorge der Deutsch-Amerikaner für ihre Waisenkinder ein Bild des Friedens und der Liebe vor Augen geführt. Heute aber muß ich zur Charakteristik amerikanischer Verhältnisse, die ja auch drüben in der alten Welt für Viele nicht ohne Interesse sind, ein blutiges Drama aufrollen. Wie in jenem die zartesten Regungen des menschlichen Herzens, die liebevollste Theilnahme für Verlassene, das innigste Mitgefühl sich spiegelt, so tritt uns in diesem scheinbar die gräßlichste Gefühllosigkeit und die roheste Brutalität entgegen. Ich sage: scheinbar, denn bei genauer Würdigung der obwaltenden Verhältnisse wird die That der Gewalt, von der ich reden will und die gewiß auch schon in deutschen Zeitungen mitgetheilt sein wird, wenn auch keine Entschuldigung, doch wenigstens eine mildere Beurtheilung finden. Wo die legale Behörde sich zur Vollziehung der Gesetze als incompetent erweist, wo der Arm der staatlichen Gerechtigkeit durch Umstände gelähmt wird, da, und nur da mag es einigermaßen gerechtfertigt erscheinen, wenn das Volk selber die Vollstreckung der Gesetze in die Hand nimmt und sein eigner Richter wird. Findet das Volk gegen seine gerechtesten Beschwerden keine Abhülfe, sieht es sich fort und fort in seinen heiligsten Interessen gefährdet, reichen die Präventiv-Maßregeln nicht aus und ist Gefahr im Verzuge, – wer will es verdammen, wenn es sich selber hilft! In solchem Falle mag das bekannte „salus populi suprema lex“ seine Geltung finden. Und wenn, wie im vorliegenden Falle, nicht der Auswurf der Menschheit, nicht eine besitzlose Rotte, sondern der wohlhabende Bürger und der friedliche Landmann, der nicht unbedacht zu Werke zu gehen pflegt, wenn der Alles auf’s Spiel setzt und mit Gefahr seines eigenen Lebens zur Aushülfe schreitet, dann „ging gewiß kein andrer Weg nach Küßnacht“.

In dem südlichen Theile des Staates Indiana, in der Grafschaft Jackson, liegt an dem Punkte, wo die Ohio-Mississippi- und die Jeffersonville-Indianopolis-Eisenbahnen sich rechtwinklig durchschneiden, das kleine Städtchen Seymour. Es besteht, da der milde, leichte Boden zur Fabricirung gebrannter Steine sich nicht wohl eignet, zum größten Theile aus Frame- oder Bretterhäusern [377] und wird von etwa viertausend Einwohnern bewohnt, die bei dem regen Verkehr, den die Eisenbahnen hervorbringen, hauptsächlich von Handel und Industrie sich nähren. Diesem regen Verkehr verdankte das Städtchen sein schnelles Emporblühen und die fast fabelhafte Steigerung des Grundwertes. Von Polizei ist in solchen amerikanischen Kleinstädten nicht die Rede, und der Bürger ist hier lediglich auf seinen eigenen Schutz angewiesen. Fallen nun in einer solchen Stadt viele Gewalttätigkeiten, viel Diebstähle und Räubereien vor, sieht der Wohlhabende sein Eigenthum nicht gesichert oder gar sein Leben gefährdet, so verläßt er den Ort und sucht sich eine neue bessere Heimath, wodurch natürlich der geschäftliche Verkehr leidet und der Grund und Boden mehr und mehr entwertet wird. Dies stellte sich auch seit einiger Zeit in Seymour heraus. Seit Jahren nämlich hatte ein Diebsgesindel sich dies Städtchen zum Mittelpunkt seiner Operationen erkoren, weil bei dem immensen Verkehr auf amerikanischen Eisenbahnen hier fast zu jeder Stunde der Nacht Frachtzüge nach allen vier Himmelsgegenden gehen, vermittelst deren der Raub so überaus leicht in Sicherheit zu bringen war. Die Verbrechen gegen das Eigenthum mehrten sich in furchtbar steigender Zahl. Privathäuser und Läden wurden geplündert, Reisende auf der Landstraße angefallen und beraubt, und selbst vor dem Morde bebte die Bande nicht zurück, wenn es ihre Sicherheit galt. Ja, bald entdeckte man, daß dies Raubsystem sich über ganz Jackson und die angrenzenden Counties erstrecke, und daß vor Allen die Familie Reno, welche zwei Meilen von Seymour eine schöne Farm besitzt und in wenigen Jahren sich zu sehr bedeutender Wohlhabenheit emporgeschwungen hat, den Mittelpunkt, gleichsam das leitende Organ einer weitverzweigten Räuberbande bilde. Ein Geheimpolicist will sogar, natürlich verkleidet, einer Versammlung der ganzen Bande in Fort Wayne im Staate Indiana beigewohnt haben und Ohrenzeuge von dem feierlichen Schwure des ganzen Gesindels gewesen sein: „falls Einem aus ihrer Mitte nur ein Haar gekrümmt werde, ganz Seymour in Asche zu legen“. Ein Sprößling der saubern Reno’schen Familie beraubte bald darauf eine feuerfeste Geldspinde. Ein Mulatte, Grant Wilson, konnte und sollte als Belastungszeuge gegen die Räuber auftreten. Man bot ihm tausend Dollars, wenn er den Staat verlassen wolle. Als er auf diesen Vorschlag nicht einging, ward er bald darauf zwischen seinem Hause und Seymour erschossen auf der Landstraße gefunden, und Reno, gegen den nun kein Zeuge auftreten konnte, ging straffrei aus.

Ein anderer Mann Namens Mac Kinney, der bei einer anderen Räuberei als ein gefährlicher Zeuge erscheinen mußte, ward um mitternächtliche Zeit durch Anklopfen geweckt und bei Eröffnung seiner Hausthür niedergeschossen. In einem Hotel in Seymour verschwand ein Reisender, der viel Geld mit sich führte. Erst nach acht Monaten spülte der benachbarte Fluß seine Leiche an’s Ufer. Ja, wenn ein Mitglied der Bande eingefangen war und gerichtlich processirt wurde, so leisteten seine Complicen jede vom Gericht geforderte Bürgschaft, und es kam auf freien Fuß.

Der Proceß selber lag natürlich als Criminalsache dem Verdict der Geschworenen ob, und die Jury, theils erkauft, theils durch Todesdrohungen eingeschüchtert, konnte sich in ihrem Wahrspruch dann nicht einigen, was natürlich eine Verurtheilung des Angeklagten unmöglich machte. Es kann sogar als ausgemachte Sache angenommen werden, daß die Bande, die ja über enorme Geldsummen zu verfügen hatte, es dahin zu bringen wußte, daß durch weitgehende Kniffe und Pfiffe Einer oder Einige der Ihrigen selber in die Jury gewählt wurden, was selbstverständlich jederzeit die Freisprechung des Inculpaten zur Folge hatte. Viele, die bestohlen oder auf offener Landstraße beraubt worden waren, schwiegen und verschmerzten ihren Verlust, um nicht Haus und Hof durch Feuer oder gar das Leben durch Mörderhand zu verlieren.

Unter solchen Umständen fühlte die Bande sich so sicher, daß sie sich auch an größere und kühnere Unternehmungen wagte. Hier zu Lande werden Geldsendungen vorzugsweise durch sogenannte Expreßcompagnieen besorgt, die bei jedem Eisenbahnzuge zum Transport der ihnen übergebenen Güter ihre eigenen Wagen haben, in denen sich Agenten befinden, die auf jeder Station die fälligen Sachen aushändigen und andere annehmen. Auf diese Geld- und Werthsendungen hatte es nun die immer dreister gewordene Bande ganz besonders abgesehen, und schon vor einiger Zeit war der Expreßwagen um Summen von achttausend und dreißigtausend Dollars beraubt worden. Bis zu welcher Verwegenheit aber die Räuber schritten ersehen die geehrten Leser aus Folgendem:

Am 22. Mai 1868 Abends 9 Uhr ging ein Train bestehend aus der Locomotive, dem Tender, einem Expreß- und zwei Passagierwagen, von Jeffersonville nach Seymour ab. Als der Zug eine vereinsamte Station Marshfield erreichte, wo Wasser eingenommen werden mußte, stieg der Heizer an der einen Seite aus, um den Wasserschlauch heranzuziehen während der Locomotivführer sich auf die andere Seite begab, um die Maschine einzuölen. Sofort wurde ihm die Fackel aus der Hand geschlagen und unter dem Schutze der Dunkelheit bemächtigten sich vier Räuber des Zuges, lösten die Verbindung mit den beiden Passagierwagen und fuhren mit Zurücklassung derselben mit der Locomotive und dem Expreßwagen lustig von dannen. Einige Meilen weiter, als sie sich in Sicherheit wußten, drangen sie in den Expreßwagen, schlugen den Agenten Thomas Harkins so lange, bis sie ihn für todt hielten, erbrachen die eiserne Geldkiste, entwendeten sechsundneunzigtausend Dollars in Regierungsbonds (Staatsschuldscheinen) und ließen den Train eine halbe Meile vor Seymour ruhig stehen.

Erst nach längeren Wochen wurde ein gewisser Cameron, als er in Syracuse im Staate Newyork einige der geraubten Bonds zum Verkauf anbot, verhaftet, und auf seine Betheurung, die qu. Papiere von Franz Reno und Charles Anderson gekauft zu haben, wurden diese Beiden in Sandwich, Canada, verhaftet und dort in’s Gefängniß gebracht, während die Gebrüder Simeon und Wilhelm Reno in Indiana eingefangen, von dem wieder genesenen Harkins als Theilnehmer an der Beraubung identificirt und dem Grafschafts-Gefängnisse zu New-Albany, Indiana, überliefert wurden.

Während nun von Seiten der Regierung der Vereinigten Staaten mit der Regierung von Canada wegen Auslieferung der beiden Arrestanten Franz Reno und Anderson langstielige Unterhandlungen geführt wurden, wollten auch die übrigen Mitglieder der Bande nicht unthätig sein, sannen vielmehr auf neue großartige Operationen. Diesmal hatten sie es auf die Beraubung des Expreßwagens der Ohio-Mississippi-Bahn abgesehen, die von Cincinnati nach St. Louis geht. Bei dieser Bahn war ein gewisser James Flanders theils als Frachtconducteur, theils auch als Locomotivführer angestellt, und da er auf irgend eine Weise eine leise Ahnung von einem beabsichtigten Raubanfalle bekommen hatte, so entzog er sich mit Bewilligung seiner Vorgesetzten auf einige Zeit seinem Dienste und begab sich nach Seymour, dem Hauptquartier der Räuberbande. Hier trieb er sich einige Zeit, dem Anscheine nach zwecklos, herum, trug einen hohen Grad von Ruchlosigkeit zur Schau, schloß sich dem herumbummelnden Gesindel an, bezahlte freigebig dessen Zechen und Saufgelage und erfuhr von den bald erworbenen Freunden Elliott, Sparks, Eliston, Moore, Rofeberry und Jarrell im Vertrauen, daß diese am 10. Juli den Morgens um 3 Uhr von St. Louis abgehenden Zug bei Brownstown, 10 Meilen westlich von Seymour, überfallen und plündern wollten. Diese Entdeckung theilte er schleunigst der Expreßcompagnie mit, die sofort in ihrem Wagen eine starke Wache versteckte, und er selber, Flanders, übernahm an diesem Tage wieder die Führung der Locomotive.

In Brownstown angekommen, hielt er den Zug an und begann, anscheinend ganz gleichgültig, die gewohnte Besichtigung der Locomotive. Wie erwartet, sah er sich dabei plötzlich von Banditen umringt, die ihn nicht sogleich wiedererkannten, die ihm geladene Revolver vorhielten und ihn bei dem geringsten Laute zu erschießen drohten. Er ergab sich auf Gnade und Ungnade und bat nur, um einem Unglück vorzubeugen, den Dampfkessel mit Wasser versorgen zu dürfen. Die Räuber bestiegen nun den Zug und als sie sich, etwa drei Meilen von Brownstown entfernt, in Sicherheit glaubten, warfen sie den Heizer über Bord und begaben sich zur Vollendung ihres Planes in den Expreßwagen. Dort aber fanden sie hinter den aufgehäufte Frachtgegenständen eine bewaffnete Mannschaft, mit der nun ein lebhafter Kampf begann. Von beiden Seiten knatterten die Revolver und der Ausgang des Kampfes schien zweifelhaft. Da auf einmal sank Elliott, der Führer der Bande, von einer Kugel getroffen, zu Boden und mit seinem Falle ergriffen die anderen Raubgesellen eiligst die Flucht. Eliston und Jarrell wurden aber bald nach dem Attentat zur Haft gebracht und nebst dem verwundeten Elliott [378] einstweilen nach Cincinnati transportirt, wo auch der Locomotivführer Flanders, der den Anschlag der Räuber vereitelt und der bei dem Gefecht einen Schuß in’s Bein erhalten hatte, einige Tage später im Hospital seinen Wunden erlag.

Diese Vorgänge riefen in Seymour und Umgegend eine ungeheure Aufregung und Entrüstung hervor. Jeder rechtliche Bürger fühlte, daß sein Hab und Gut, ja sein Leben keinen Augenblick mehr sicher sei und daß endlich durchgegriffen werden müsse. Dem langsamen und schleppenden Gange der gerichtlichen Untersuchung und der unsichern und ungewissen Entscheidung des Schwurgerichts traute man nicht mehr und man beschloß, die Justiz selber in die Hand zu nehmen, um Ordnung und Sicherheit herzustellen. Es bildete sich in aller Stille ein „Vigilanz-Comité von Jackson County“ und nun begannen Scenen, wie sie F. Gerstäcker in seinen „Regulatoren von Arkansas“ ähnlich schildert. Die drei gefangenen Verbrecher Elliott, Eliston und Jarrell wurden behufs ihrer Processirung in der Nacht des Juli unter polizeilicher Bedeckung von Cincinnati nach Brownstown gebracht. Schon hatten sie Seymour passirt und sich ihrem Bestimmungsorte bis auf etwa drei Meilen genähert. Da plötzlich an der Stelle, wo am 10. der Kampf in dem Expreßwagen stattgefunden hatte, wurde der Zug durch ein Nothsignal, ein rothes Licht, zum Stehen gebracht. Im Nu sprangen von beiden Seiten maskirte Männer empor, überwältigten die Wachen und zogen die drei Gefangenen in's Freie. Diese begriffen sofort, was ihr Loos sein werde, und legten sich auf's Bitten. Alles vergebens. Ihr Flehen prallte an gestählten Herzen ab. Man legte ihnen Stricke um den Hals und vergönnte ihnen fünf Minuten, sich auf den Tod vorzubereiten. Jetzt fingen sie an, Geständnisse und Enthüllungen zu machen, gaben die Urheber vieler begangener Schandtaten an, gestanden ihre Mitbetheiligung an dem Marshfielder Raube und wurden dann alle Drei an einer und derselben Buche aufgehängt.

Am folgenden Tage fand man in Seymour und Umgegend an Gebäuden, Zäunen und Bäumen nachstehende Proclamation:

     „Diebe, aufgepaßt!

Die Aufmerksamkeit aller Diebe, Räuber, Meuchelmörder und Vagabunden und ihrer Helfershelfer, Mitschuldigen und Gesinnungsgenossen wird hiermit auf das Verfahren des Seymour Vigilanz-Comités von letzter Nacht gelenkt. Wir sind entschlossen , bei demselben zu verharren, bis alle oben genannten Classen, ob aus Eingebornen ober Importirten bestehend, für immer aus unsrer Mitte verschwunden sind.

Man hat uns mit Wiedervergeltung gedroht, im Fall wir die Todesstrafe anwenden würden. Darauf erwidern wir: Sollte irgend Einem unsers Comités von unbekannten Personen ein Leid zugefügt oder das Eigenthum eines ehrlichen Mannes nur um den Werth eines Dollars beschädigt werden, so soll jeder diebische Charakter, dessen wir habhaft werden können, am Halse aufgehängt werden, bis er todt ist, ohne zu untersuchen, ob wir gerade die Personen erwischt haben, welche das betretende Verbrechen begingen. Dies bezieht sich nicht blos auf Seymour, sondern auch auf die Linien der beiden Eisenbahnen, so weit unsre Organisation reicht. Gesetz und Ordnung sollen herrschen.

Seymour, Indiana, 21. Juli 1868.

Auf Befehl des Comités.“

Wer die Männer waren, in denen zuerst der Gedanke auftauchte, durch Bildung eines Vigilanz-Comités den frechen Strolchen ihr schändliches Handwerk zu legen, und wer später dem Comité beigetreten und dessen Mitglied geworden, darüber ist ein dunkler Schleier geworfen, der auch wohl schwerlich je gelüftet werden wird. Es scheint, als ob die ersten Träger dieser Idee jeden Einzelnen der gutgesinnten Bewohner von Jackson Co. brieflich aufforderten, zu einer bestimmten nächtlichen Stunde an einem bestimmten Orte zu erscheinen, um die Execution in die Hand zu nehmen, und zwar unter der Androhung, Jeden der Nichterscheinenden als Genossen der Räuberbande anzusehen und demgemäß zu behandeln. Jedenfalls bindet die Mitglieder dieses „Wohlfahrtsausschusses“, die nur larvirt auftreten, ein feierlicher Schwur, besten Bruch schwer geahndet werden möchte.

Wie gesetzwidrig und schaudererregend auch dies erste Auftreten des Comités erscheinen und wie sehr auch das vorberichtete Aufknüpfen der drei Verbrecher einem Morde ähnlich sehen mag: die sogenannten „Männer der Ordnung“ ließen sich in ihrem Vorhaben, Ruhe und Sicherheit herzustellen, durch Nichts beirren und dem blutigen Vorspiel des verhängnißvollen Dramas folgten bald andere, noch grauenvollere Scenen. Alle Schlupfwinkel, Hütten und Wälder wurden sofort nach jener Proclamation durchsucht und die drei bekannten Glieder der Bande, welche bisher noch auf freien Füßen waren, Moore, Sparks und Roseberry, fielen in den nächsten Tagen in die Hände des Sicherheits-Ausschusses. Kaum waren diese drei Männer recognoscirt, als auch ihnen schon der verhängnißvolle Strick um den Hals gelegt wurde und sie an demselben Baum hingen, an welchem ihre Genossen wenige Tage zuvor ihren Frevel gebüßt hatten.

Simeon und Wilhelm Reno erwarteten unterdeß, wie oben berichtet, ihre Procedur im Gefängniß zu New-Albany. Franz Reno und Charles Anderson, welche in Canada ergriffen und verhaftet waren, wurden endlich nach langen Verhandlungen von Canada unter der Bedingung ausgeliefert, daß ihnen ein unparteiischer Proceß gestattet und sie, wenn unschuldig befunden, sofort in Freiheit gesetzt werden sollten. Von Detroit wurden sie über den Eriesee nach Cleveland eingeschifft, aber ihr Schiff gerieth in der Nacht mit einem Dampfer in Collision und versank. Doch - wer hängen soll, ertrinkt nicht. Sie wurden aufgefischt und sollten nun mittels der Eisenbahn von Cleveland nach New-Albany gebracht werden. Der Weg dorthin geht durch Cincinnati und - Seymour. Aus Furcht, das Vigilanz-Comité möchte sich auch dieser Beiden bemächtigen und ihnen ein blutiges Ende bereiten, hatte sich Marie, die neunzehnjährige, bildschöne Schwester der Reno’s, mit reichen Geldmitteln versehen, nach Cincinnati begeben und hier ausgewirkt, daß ihr Bruder Franz und dessen Freund Anderson auf einem anderen Wege mit Umgehung Seymours unter starker polizeilicher Escorte in einer Kutsche nach New-Albany transportirt wurden.

New-Albany, am Ohiosfluß, Louisville gegenüber gelegen, achtunddreißig englische Meilen von Seymour entfernt, ist eine Stadt von etwa sechsundzwanzigtausend Einwohnern, und hier glaubte man das vierblätterige Kleeblatt, Simeon, Wilhelm und Franz Gebrüder Reno, und Anderson in dem starken und wohlbewachten Gefängniß gegen das Einschreiten des Vigilanz-Comités hinlänglich gesichert. Auch lebte Jedermann der Ansicht, das Comité sei des Blutvergießens nun müde und werde nunmehr der richterlichen Entscheidung nicht vorgreifen. Aber es kam ganz anders. Durch geheime Verbindung erhielt das Comité sich über den Gang und Verlauf des Processes stets au fait, und als die Nachricht kam, daß alle vier Gefangenen durch erkaufte Zeugen das Alibi nachgewiesen hätten und daß ihre baldige Befreiung zu erwarten stehe, da gedachte der Sicherheitsausschuß des durch die Bande in Fort Wayne geleisteten Eides und fürchtete mit Recht die Einäscherung der meist aus hölzernen Gebäuden bestehenden Stadt Seymour. Hier galt es nun, das Prävenire zu spielen, und am 12. December vorigen Jahres, früh drei Uhr, kam das Vigilanz-Comité, etwa hundert Mann stark, mit Larven versehen, mit Revolvern und Schlagringen bewaffnet, plötzlich mit einem Extrazug in New-Albany an.

Vom Halteplatz bis zum Gefängniß wurden in nächtlicher Stille Patrouillen aufgestellt, während die Uebrigen mit vorgehaltenen Revolvern und Bleischlingen sich der Wache des Gefängnisses bemächtigten, dem Sheriff, der die Schlüssel zu den Zellen der Gefangenen nicht ausliefern vielmehr durch Flucht sich retten wollte, den Arm zerschossen, die Schlüssel ergriffen, die Zellen öffneten, die vier Gefangenen im Corridor des Gefängnisses aufknüpften und schon nach fünf Minuten blutiger Arbeit mit dem bereit stehenden Extrazuge nach Seymour zurückfuhren.

So waren denn in Jackson Co. in wenigen Monaten zehn Menschenleben dem Vigilanz-Comité zum Opfer gefallen und neue Proclamationen stellten ein beharrliches Fortschreiten auf dem einmal betretenen Wege in Aussicht, bis Seymour und Jackson Co. von allem Diebsgesindel rein und geläutert sei. Vielen Familien, die auch in dem Verdacht einer entfernteren Theilhaberschaft standen, ward brieflich angekündigt, daß sie innerhalb vier Wochen Stadt und County zu verlassen hätten, falls sie nicht dem Strick verfallen wollten, und sie Alle, und noch manche Andere, denen auch wohl das Gewissen brennen mochte, machten sich schleunigst auf und davon. Die Regierung der Vereinigten Staaten schickte nun Geheimpolicisten nach Seymour und Umgegend, die in allerlei Formen und Gestalten auftauchten, um die Urheber und Mitglieder des Vigilanz-Comités auszuspähen, aber diese waren stets auf der [379] Warte, und die Policisten, denen unausbleiblich ein ähnlicher Tod bevorstand, zogen in aller Stille wieder ab.

Die Hingerichteten wurden seitens des Vaters Reno und der drei übrigen Kinder, – ein anderer Sohn sitzt in Jefferson-City, Missouri, wegen Raubes auf fünfundzwanzig Jahre, und die Mutter, die eigentliche Weisel der Bande, starb im vorigen Sommer – auf dem Kirchhof von Seymour feierlich begraben und ein kostbares Marmordenkmal soll ihnen demnächst errichtet werden. Die schöne Schwester, welche schwur, ihr ganzes ferneres Leben der Rache ihrer Brüder zu weihen, hat eine ernste Verwarnung erhalten, und wenn sie sich nicht ruhig verhält, dürfte ihr Schicksal nicht lange zweifelhaft sein. Ueber welche Geldmittel diese Diebesfamilie verfügt, geht daraus hervor, daß einer der gelynchten Brüder seiner Frau fünfhunderttausend, ein anderer der seinigen achtzigtausend Dollars hinterlassen hat.

Gewiß sind alle diese Thatsachen auch in deutschen Blättern verlautet und gewiß hat sich drüben in der alten Welt ein tiefer Abscheu gegen das Verfahren des Vigilanz-Comités geltend gemacht. Fern sei es von mir, ein solches gesetzloses Vorgehen zu entschuldigen oder gar zu rechtfertigen, aber wer, wie wir hier in der Nähe, alle die Einzelheiten der Verhältnisse kennt, der fällt ein milderes Urtheil und spricht mit meinem Freund Follen, der auf dem Wege in dies Land der Freiheit im Ocean sein Grab gefunden:

„Ist Dunst zur Höh’ gestiegen,
So muß der Donner fliegen.“

Seymour ist jetzt so sicher, daß man des Abends ein Capital auf die Thürschwelle legen und sicher sein kann, es am andern Morgen unversehrt und unberührt vorzufinden. Bald wird die durch Blut geläuterte Stadt sich herrlich emporschwingen.

Cincinnati, 8. Mai 1869. Carl Türcke, 
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