Am neuen See im Berliner Tiergarten

Textdaten
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Autor: Alfred Holzbock
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Titel: Am neuen See im Berliner Tiergarten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 537, 546–547
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[537]

Am Neuen See im Berliner Tiergarten.
Nach dem Leben gezeichnet von M. Plinzner.

[546] Am Neuen See im Berliner Tiergarten. (Zu dem Bilde S. 537.) Der Tiergarten! In ihm verkörpert sich ein merkwürdiges Stück Berlin. Als ein Riesenpark einst gedacht, in dem der Berliner außerhalb seiner Stadt in der freien Natur Luft und Erholung finden sollte, liegt er jetzt inmitten jenes Berlin, das da neuerstanden ist mit all seinen mächtigen Prunkbauten und eleganten Villen und Zeugnis ablegt von der riesenhaften Entwicklung der Hauptstadt des Deutschen Reiches. Einst eine Stätte außerhalb Berlins, könnte er jetzt als ein Zwischenglied von Alt- und Neu-Berlin bezeichnet werden. Uud die Wahrzeichen des letzteren ragen in dem alten Tiergarten hervor; seinem Eingang ist Wallots Reichstagsgebäude errichtet, und an seiner Nordseite steigt in militärischer Strammheit die Siegessäule von 1870/71 auf. Mit der Ruhe fern vom Stadtgetriebe ist es aus, die Pferdebahnen, die elektrischen Wagen, sie sausen vorüber an den ehrwürdigen Bäumen, welche ihre Häupter gen Himmel recken, auch sie sind in dem alten Park die Wahrzeichen einer neuen Zeit.

Der große Tiergarten mit seinen zahlreichen Alleen, mit seinen Tausenden von Bäumen, er hat nur noch wenige Stellen, in denen der Weltstadtlärm nicht so geräuschvoll aufdringlich zum Ausdruck gelangt; der Neue See am westlichen [547] Ende hat sich verhältnismäßig noch am meisten eine gewisse Abgeschlossenheit bewahrt, freilich, ganz ist auch er nicht dem Getriebe der Gegenwart entrückt: in seiner Nähe lassen die Züge der Stadtbahn ihr Rollen und Dampfen ertönen, aber ein gewisses idyllisches Wesen ist ihm doch zu eigen geblieben. Sein breites Wasser umrahmt wirres Geäst, herniederhängendes Gezweig, das in die Tiefe des Sees hineinzuwachsen scheint. Schwäne und zahllose Enten plätschern herum, und die Kinder stehen am Ufer und lauschen neckend dem Geschnatter, einem Geräusch, dem man gerade hier das Idyllische nicht absprechen kann. Wenn die leuchtende Sonne ihre silberglänzenden Strahlen über und unter den Wassern ihr glitzerndes Spiel treiben läßt, dann geht es auf dem See lustig und lebendig zu. Kleine Nachen und Ruderboote, die auch mietsweise zu haben sind, bewegen sich auf dem ruhigen Wasser, und wenn fröhliche Menschenkinder in ihren hellen Sommertoiletten hierbei ihr harmloses Spiel treiben und ihre Freude in Liedern austönen lassen, dann erscheint dieser See, der sich bald in engen Windungen hinschlängelt, bald den Charakter des Freien und Weiten zeigt, wie eine fern von der lärmenden Welt in die einsame Natur verpflanzte Idylle.

So ist’s im Sommer!

Wenn die Bäume kahl sind und auf ihren Kronen zu Eis erstarrte Schneeflocken glänzen, dann geht es wieder lebendig zu auf dem Neuen See. Wo einst die Boote ruhig dahinglitten, tummelt sich jetzt die elegante Welt Berlins anf dem festen Eisboden. Aber auch als Eisbahn scheint der Neue See eine gewisse Abgeschlossenheit sich bewahrt zu haben.

Hier ist die Eisbahn derer, die ein Heim im Tiergarten bewohnen können, hier huldigen auf einer eigens reservierten Fläche die Mitglieder unseres Kaiserhauses dem Eissport, hier hat auch mit besonderer Vorliebe Kaiser Friedrich als Kronprinz in Gemeinschaft mit seinen Kindern das Vergnügen des Schlittschuhlaufens gepflegt. Alfred Holzbock.