Am ewigen Feuerheerd
Einen besseren Cicerone, als ich an Riese gewonnen hatte, dem Verfasser der mustergültigen Operntexte von „Martha“, „Stradella“, der Possen „Guten Morgen, Herr Fischer“, „Stündchen in der Schule“ und anderer dankenswerthen Gaben, mit denen derselbe das deutsche Theater unter dem Autornamen „Friedrich“ bereichert hat, kann sich kein Mensch für das schöne Neapel wünschen.
[548] Im Besitze der vollsten Sprach- und Sachkenntniß, Herr seiner Zeit, lebt der liebenswürdige Schriftsteller seit einer langen Reihe von Jahren in der Wunderstadt, in der er nur einige Tage zu bleiben gedachte, als er sie zum ersten Mal besuchte. Aufopferungsfähig,
wie kein Zweiter, enthusiastischer Naturfreund überall bekannt und beliebt, ist er die „Vorsehung der Fremden“, welche ihm ein freundliches Geschick entgegenführt. An seiner Seite lernt man so recht den Werth des Flanirens durch die Straßen Neapels kennen.
Auch heute war er so freundlich, mich aus meinem Hotel zu diesem Zweck und dann zu einem größern Ausfluge abzuholen. Ich wohne im Hotel de Russie, „nah dem Himmel schon fürwahr’, meine Zimmerthür führt auf die Plattform des Hauses, lohnt aber die Mühe des Steigens mit einer Aussicht, wie solche wohl selten zum zweiten Male gefunden werden dürfte. Unter mir das Häusermeer der Stadt mit ihren siebenmalhunderttausend Einwohnern am Golf von Neapel, der tiefblau und spiegelglatt zu meinen Füßen sich ausdehnt. Mir gegenüber Portici, hinter welchem der Vesuv, kurze, säulenartige, weißgraue Dampfwolken ausstoßend, sich in scharfen Contouren an dem wunderbaren italienischem Himmelsdom abzeichnet. Rechts sehe ich, dem Meere entsteigend, die sonderbar gestaltete Insel Capri, welche Jean Paul mit einem aus dem Wasser emporragenden Krokodilshaupt vergleicht, zu meinen Füßen liegt die Scala Santa Lucia, der volksthümlichste Theil von Neapel, für dessen Volkstreiben keine Beschreibung ausreicht. Besonders gegen Abend, wenn die Festungen St. Elmo und Castel Nuovo, die an den Hügeln übereinander gebauten, dächerlosen Häuser mit dem hellen Anstrich, [549] der Hafen mit seinem Mastenwald sich am Horizont scharf abgrenzen und die zahllosen Segel der Schifferbarken, die mit großen Brändern auf den Fang ausziehen, die stille Fluth beleben, wenn dann der Leuchtthurm sein grelles Licht weithin ausströmt, die Bergkette jenseits des Golfs dunkelviolett erscheint, der Vesuv, der alte, grollende Bursche, seine Feuerhaube aufsetzt und der dunkelblaue Himmelsdom seine Millionen Sterne in dem Ultramarin des mittelländischen Meeres abspiegeln läßt, die Uferstaffage ein fröhliches, tolles, lärmendes Volksgewimmel bildet – dann kann man sich nicht trennen von Santa Lucia.
Jenem alten grollenden Burschen, dem qualmenden Feuerberge, einen Besuch zu machen, gehörte zu meinem Reiseprogramm. Jetzt sollte dieses Stück desselben in lieber Gesellschaft zur Ausführung kommen; ehe wir aber die pflichtschuldige Visite abstatten, wolle uns der freundliche Leser und namentlich die freundliche Leserin auf einem kurzen Ausflug zum Kloster St. Martino begleiten, welches der Italiener den schönsten Punkt der Erde nennt. Es ist dieser Punkt für Damen leider ein verschlossenes Buch mit
sieben Siegeln, da die strenge Ordensregel des Karthäuserklosters jeden Frauenbesuch auf’s Aeußerste verpönt.
Der Weg führt uns steil aufwärts über Stadttheile, wo die verschiedensten Handwerker auf der Straße bei hellem Sonnenlicht ihre Künste treiben. Hier fertigen, unter dem Feuer einer Unmasse von Essen, die Schlosser mit betäubenden Hammerschlägen die breiten, metallenen Bettstellen, denen auf der andern Seite der Vergolder das elegante Ansehen giebt, welches den Fremden so imponirt, öffentliche Schreiber harren an kleinen Tischchen ihrer Kunden, Zeitungsausrufer und fliegende Buchhändler, letztere meist Colporteure verbotener Brochüren, suchen mit consequenter Zudringlichkeit ihre Waare los zu werden, Recruten- und Militärtransporte durchkreuzen nach allen Richtungen die Stadt. Wir steigen aufwärts, immer höher, wo das Fundament des einen Hauses das Dach seines Nachbars berührt, an dem prachtvollen Hospital vorüber, an eleganten Villen, in deren sorgfältig gepflegten Gärten der Lorbeer zu riesiger Größe emporwächst, der Granatbaum seine reichen Blüthen auf uns herabschüttet, die Magnolie eine Stärke erreicht, fast wie bei uns die vaterländische Eiche, Pfeffer- und Kampherbaum die Luft mit ihrem scharfen Gewürzduft erfüllen, kurz Alles, was wir sehen, unserem nordischen Auge neu und seltsam erscheint, von den Getreidefeldern an, die jetzt, Anfangs Mai, mit reifen, reichen Aehren des Schnitters harren, bis zu den ungeheuren Aloen und dem Cactus, der in Mannshöhe die Grenzen umfriedet.
Wir treten in das Kloster ein. Die frommen Brüder, in strengster Clausur lebend, dürfen nur einen Tag in der Woche sprechen. Einer der Mönche, mit einem prachtvollen bärtigen Gesicht, aus dem Klugheit und Wohlwollen und doch auch ein gewisses weltliches Behagen sprechen, soll unser Führer sein. Er sieht malerisch aus, der alte Herr, in seinem weißen wallenden Ordenskleide, das ihn in reichen Falten umhüllt, und ertheilt uns seinen Segen, unbekümmert, ob wir als Ketzer desselben unwerth sind, oder ob wir ihn als fromme Katholiken verdienen, wenn nur unsere Franken in seine gekrümmte Hand und von da in den Säckel des Klosters fallen.
Da die Priester in der Kirche versammelt sind, wo sie Niemanden sehen dürfen und von Niemandem gesehen werden sollen, so [550] bittet er uns, bis zu deren Entfernung im Kreuzgang des Klosterhofes zu verweilen, der den Friedhof des Hauses umschließt. Prachtvolle weiße Marmorsäulen und Statuen umgeben und stützen dies im edelsten Stil erbaute Viereck, in dessen Mitte die heimgegangenen Brüder ruhen, ohne Abzeichen, ohne Grabhügel. Ein wahrer Gottesfrieden liegt auf diesem Ort; die Rosen an den blendend weißen Balustraden scheinen dunkler zu glühen, als irgendwo, die Nachtigallen süßere Weisen zu schlagen, als im Gewühle der profanen Welt. Während der ferne monotone Gesang der Mönche dumpf und traurig zu uns herübertönt, führt uns der Begleiter durch die mit verschwenderischem Reichthum ausgestattete Kirche auf die drei Balcone des Hauses; von jedem derselben öffnet sich dem entzückten Blicke ein anderes Bild der bezauberndsten Aussichten, für welche keine Schilderung ausreicht. Man kann sich nichts Reizvolleres denken, als das hier vor uns entrollte Panorama der wunderbar am tiefblauen Meere liegenden Riesenstadt, umschlossen von den violetten Bergen, die von den Thälern bis zu den Höhen besäet sind mit Hunderten von Städten und Ortschaften; das spiegelglatte Wasser durchfurchen fort und fort zahllose Fahrzeuge, von der stolzen Kriegsfregatte, dem rauchenden Dampfer bis zur winzigen Nußschale, der auf Fang liegenden Fischerbarke. Der Vesuv, der seine ewigen Dampfwolken pustend gegen den Himmel sendet, überragt von dem stolzen Monte St. Angelo, die Inseln Ischia, Procida, Nisida, Capri, die Städte Sorrent, Portici, Torre del Greco, Resina etc., und über Alles dieses die prachtvolle Kuppel des italienischen Himmels, es ist ein Anblick, den derjenige, der ihn einmal erschaut, nie, nie vergessen wird!
„Sie sind Deutsche?“ frug uns unser würdiger Cicerone, nachdem er uns mit stolzer Freude auf die Schönheit des Platzes aufmerksam gemacht hatte.
„Ja wohl, frommer Bruder,“ antwortete der der italienischen Sprache vollkommen mächtige Freund Riese, „wir sind Preußen.“
„Wird es Krieg geben?“ sprach er mit leiser, scheuer Stimme neugierig weiter; „wer wird anfangen?“
„Wer kann das wissen; wir glauben an den Krieg, der fast unvermeidlich scheint.“
In dem Augenblick streifte ein gieriger Blick des Mönches ein Zeitungsblatt, welches aus der Brusttasche meines Freundes hervorsah; fast unmerklich deutete der Finger des Mönches wie fragend darauf hin.
Riese reichte ihm das Journal hin und frug, ob er es behalten wolle. Mit blitzenden Augen und unverhohlener Freude griff der von der Menschheit Geschiedene nach dem Blatt und verbarg es, leise Dankesworte flüsternd, mit Blitzesschnelle unter den Falten seines Kleides. Die Scene machte auf mich genau den Eindruck, wie die, wenn man in Zucht- und Arbeitshäusern die gierigen Wünsche der Insassen um eine Cigarre oder eine Prise Schnupftabak befriedigt. Für immer getrennt von allen Außendingen, sehnt sich der Arme doch mit heißem Drange nach Nachrichten aus der Welt; er liest in tiefster Heimlichkeit in verborgener Zelle begierig die Berichte „über den Streit der Völker und den Krieg der Könige“, der ihr friedlich Obdach nie berühren wird.
In Resina nahmen wir Nachtquartier. Zeitig des andern Morgens brachen wir auf. Bis an den Aschenkegel des Vesuvs geht es zu Pferde weiter mitten durch den Krater des ausgebrannten Vulcans Somma. Der Ritt dauert ungefähr drei Stunden und ist eine wahrhafte Kunst- oder vielmehr Naturreiterei, denn man muß den klugen Thieren vollständig ihren Willen lassen, da sie an diese halsbrecherisch scheinende Reise gewöhnt und dazu abgerichtet sind. Denkt man, wie es nur möglich sein wird, über einen riesigen Lavablock hinauf, oder über ein stufenartiges, aber bewegliches, abschüssiges Steingerölle hinabzukommen, so hat das geschickte Vieh schon einen Fuß vorsichtig prüfend auf-, den zweiten nachgesetzt, und das unübersteiglich scheinende Hinderniß ist überwunden. Da diese Hindernisse den ganzen Weg entlang ununterbrochen auftauchen, so gewöhnt man sich daran und ergiebt sich in sein Schicksal. Nur ermüdet dieses fortwährende Strammhalten der Beine, das uns im Sattel behaupten soll, so furchtbar, daß man beim Absteigen, wo erst die schwerste Arbeit beginnt, sich kaum auf den Füßen halten kann.
Anfangs geht es zwischen Kastanienpflanzungen und Weinbergen dahin, bis nach und nach die Vegetation aufhört und das Chaos, das Reich der Verwüstung beginnt. Man kommt in die Schlacken- und Lavafelder des gewaltigen Ausbruches vom Jahr 1858. So weit das Auge reicht, ungeheure, unabsehbare Mengen von schwarzbraunem, geschmolzenem Metall, Stein und Schwefel. Diese Verwüstung ist zweitausend Fuß hoch und fast drei deutsche Meilen breit. Thurmhoch theilen sich die erstarrten Massen, riesige Höhlen, ungeheure, absonderliche Gestalten bildend. Keine Blüthe, kein Grashalm, kein lebendes Wesen erfreut den Blick auf diesem kolossalen Bilde der Vernichtung.
Ernst Förster und nach ihm der erst in diesem Jahre neu herausgegebene Lossow behaupten in ihren Reisehandbüchern, daß man den Weg, allerdings mit ungeheuren Kosten, hinauffahren könne, während derselbe, durch den Ausbruch 1858 vollständig verschüttet, kaum zu Pferde oder zu Esel, oder für einen ungewöhnlich geübten Kletterer zu überschreiten ist. Auch den Lacrimä-Christi-Wein oben beim Eremit erwähnen Beide, obgleich alle Weinanlagen durch den Vulcan zerstört wurden. Seit vielen Jahren existirt der echte Lacrimä-Christi nur auf dem Vesuv beim Eremiten, der den nächstbesten Landwein unter diesem Titel verkauft, und in den Schilderungen italienischer Reisen.
Ein und eine halbe Stunde geht es durch dieses trostlose Chaos und die absonderlichen Bildungen des erstarrten Elementes fesseln das Auge. Hier ein Block, der aussieht wie ein ungeheurer Haufen Stricke von unmöglichen Dimensionen, dort versteinerte Riesen, dort aus Kohlenschlacken gehauene Thiergruppen; manchmal wird die Täuschung so groß, daß man meint, Künstlerhände müßten der Natur nachgeholfen haben. Die Führer behaupteten, die Schlacken wären inwendig, vom Jahre 1858 her, noch heiß, und holten, als ich das ungläubig belächelte, einige Lavastücke aus einer Höhle heraus, die kaum in den Händen zu erhalten waren. Bessere Physiker, als ich einer bin, mögen diese mir räthselhafte Erscheinung erklären.
Immer steiler, immer hindernißreicher wird der Weg; da tauchen, wie eine Oase, auf einem verschont gebliebenen Hügel das Haus des Einsiedlers, der übrigens ein prellerischer Hallunke ist,[1] und das palastartige Gebäude des königlichen Observatoriums und der Sternwarte empor. Sollen wir es besehen? Nein, vorwärts, vorwärts, wir haben noch einen weiten mühevollen Weg, der noch lange durch die ausgebrannten Werkstätten des Vulcans an den letzten Aschenkegel führt. „Da hinauf, auf diesen fast senkrecht aufsteigenden Berg sollen wir?“ rufen wir unwillkürlich aus. „Das ist ja unmöglich.“
„Das Wort ‚unmöglich‘ ist aus meinem Lexikon ausgestrichen,“ sagt, gleich Napoleon, unser Führer, Pasquale Spinoza; „es giebt nichts Unmögliches, ich mache diesen Weg jeden Tag einmal.“
Einer meiner Begleiter, Bildhauer Schwenitz, der rüstigste und ausdauerndste Fußgänger, den ich je kennen gelernt, entschloß sich kurz, hinanzusteigen, ich und mein anderer Reisegefährte, der Maler Wedding, ließen uns ziehen. Zwei voransteigende, kräftige Lastträger reichen uns feste Riemen, in die wir greifen, und so geht es über Millionen von Schlacken, von Steingerölle und Lavatrümmer steil aufwärts. Ein schweres, schweres Stück Arbeit!
„Wir wollen etwas ausruhen.“
„Hier nicht, die Steine halten nicht fest; wir würden hinabstürzen,“ befiehlt der Führer.
„Hier! Betrachten Sie dies himmlische Panorama.“
Wir haben keinen Sinn mehr dafür! Schwefeldampf schlägt uns entgegen. Es ist der erste Gruß des Kraters, der sich in voller Arbeit befindet. Wie in Fieberhast eilen wir vorwärts. Jede schlimme Stunde hat nur sechzig Minuten! Zur Höhe! Zur Höhe! Ausgeharrt! Wir haben nur noch fünf Minuten – nur noch zwei – wir sind da, wir sind oben! Alle Müdigkeit ist vergessen, wir wollen an den Rand des Kraters eilen, der vorsichtige Führer ruft uns „Halt!“ zu. Wir sind zu erhitzt, unter zusammengetragenen Lavablöcken finden wir vorerst Schutz vor dem Winde, hier können wir uns stärken, ein Glas Wein genießen, welchen die Führer mitgebracht, eine Orange, ein wenig ausruhen. Ich brachte mit meinen Gefährten das erste Glas auf das Wohl unserer fernen Familien. Alle Drei hatten wir nasse Augen; nie hat einem von uns ein Glas Wein, langsam in langen Zügen geschlürft, so geschmeckt. Der Augenblick war herrlich, unbezahlbar, unvergeßlich!
[551] Vorwärts, die Plaids um, an den Rand des Kraters, der uns sein Lied entgegenzischt, als ob alle Locomotiven der deutschen Eisenbahnen zugleich ihres Dampfes entledigt würden. Der Schwefeldunst ist fast unleidlich geworden. Wir treten an den Rand. Heiliger Gott, das ist die Hölle, die da unten kocht! Ungefähr eine Viertelstunde im Umkreis ist die Erde, sind die Felsen geborsten und tief umgestürzt in den Abgrund, aus welchem von allen Seiten glühende Dämpfe emportauchen. Die Felsen sind übergossen mit Schwefellagen von allen Farben, vom hellen Citronengelb bis zum dunklen Rothbraun, zerborsten in tausend und abertausend Rissen. Der schwarze Felsengrund ist an vielen Orten gespalten, zerklüftet und zerfetzt und aus hundert Oeffnungen dringt der dicke, weiße Schwefeldampf empor. Ein neuer kleiner Ausbruchskegel, der sich erst seit vier Tagen gebildet hat, kräuselt feinen Rauch in die Luft, während die alte eigentliche felsige Oeffnung des Vulcans von fünf zu fünf Minuten ihr gelblich-weißes Feuer — in der Nacht soll es glühend roth sein — und ihren dichten, schwefeligen Qualm mit gewaltigem Brausen emporstößt, zwischen denen die schwarzen Lavastücke, welche der Schlund auswirft, sich deutlich abzeichnen.
Während wir das grauenvolle Schauspiel betrachteten, frug uns der Führer (meine Begleiter sprachen gut italienisch), ob wir nicht hinabwollten?
„Hinab? Ja, wo denn?“
Man zeigte uns eine fast senkrecht hinablaufende Aschenrinne, zwischen zwei Felsen.
„Da kann man hinabrutschen.“
„Rutschen? Ich danke.“
„Ich thu’s!“ ruft Schwenitz. „Vorwärts!“
Zwei Führer haben ihn „Henkeltopf“ unter den Arm genommen und ehe wir es uns versahen, sind die Drei, wie auf einer zwischen Felsen eingekeilten Schlittschuhbahn oder wie durch eine Theaterversenkung, in den dampfenden Abgrund angelangt. Nach einer kurzen Weile ruft uns Schwenitz zu, wenn wir das Großartigste auf der ganzen Reise sehen wollten, müßten wir auch hinab. Nun denn, in Gottes Namen! Den Führern ist ihr Leben so lieb, wie mir das meine; sie würden es, wäre wirklich Gefahr, nicht für zwei Franken in die Schanze schlagen. Vorwärts also! Zwei feste Bursche nehmen mich unterm Arm, mit langen Bergstöcken in den andern Händen, dirigiren sie an den Felsen entlang die Fahrt und durch die über die Knöchel dringende Asche, die heiß durch die Doppelsohlen meiner Fußbekleidung brennt, geht es mit Blitzesschnelle hinab in den Grund. Die Felsen um uns dampften, ein glühend heißer, erstickender Dampf dringt uns aus dem gespaltenen Boden entgegen, der mit ungeheuren Lavatrümmern bedeckt ist. Meine Führer reißen mich, fest mich an den Armen haltend, vorwärts über die Klüfte hinweg, vorwärts, wie vom bösen Feind gejagt! Der Boden brennt, im strengsten Sinne des Wortes, unter unsern Füßen. Ich will mir mit dem Taschentuch den hervorbrechenden Schweiß abtrocknen, und eine Secunde verpusten. „Avanti, avanti! Nix stehen bleiben,“ rufen die Führer, und schleppen mich in weiten Sprüngen über die geborstenen, dampfenden Erdrisse weg, bis wir, jenseits des Windes, hinter dem eigentlichen Eruptionskegel anlangen, wo wir erschöpft und keuchend stehen bleiben. Da plötzlich öffnet der Ausbruchshügel sein Ventil, zuerst dringt unter Brausen und Zischen ein dicker, dunkler Qualm empor, zwischen dem schwarze Schlacken fliegen, dann kommt eine helle, gelbe Lohe, der Boden bebt unter unsern Füßen, der Felskegel des Ausbruchs wankt wie ein niederstürzendes Kartenhaus, die Führer drücken schnell bereit gehaltene kupferne Münzen in die geschmolzenen, eben ausgeworfenen Schlacken, wo sie sich tief eindrücken, das Gepräge schmilzt sofort hinweg; wir taumeln wie betrunken, ein kalter Schweiß des Entsetzens tritt uns bei diesem furchtbaren Schauspiel auf die Stirn. Fort von dem Schauplatz des Grauens! Wieder werden wir emporgezogen, diesmal nicht über die Aschenrinne, sondern über die übereinandergethürmten Lavastücke, zwischen denen fortwährend aus hundert und hundert Oeffnungen der heiße Dampf emporquillt.
Wir sind oben und athmen frei auf, Gott dankend, daß er uns den interessanten Blick in die geheimnißvolle Werkstätte der Natur thun ließ! Abwärts über die Aschenfelder führt der Weg über den Aschenhügel, der aufwärts über eine Stunde währte, als Rutschpartie nur eine starke Viertelstunde; dann nach zwei Stunden beschwerlichen Ritts zurück nach Resina, belohnt durch die stets vor uns liegende entzückende Aussicht auf drei Meerbusen und deren Umgebung. Noch eine Stunde rasche Eisenbahnfahrt, und ich bin wieder in meinem Zimmer in Neapel. Todmüde, mehr müde, als ich es je war — denn alle Anstrengungen meines ganzen Lebens reichen nicht an diesen einen Tag — fiel ich auf mein Bett, und im wüsten Traume verfolgte mich noch der Anblick des offenen Feuerschlundes und der düstern Abgründe des Vulcans, während die Kniee mir noch zwei Tage lang nur mit größtem Widerstreben dienstbar waren.
- ↑ Auf dem Rückwege forderte uns dieser Biedermann für zwei Flaschen trüben, leichten Weines, den er uns als Lacrimä-Christi anbot, zwanzig Franken ab, gab aber jene bereitwillig für vier Franken, als er sah, das es nicht anders ging.