Am Totalisator auf dem Rennplatze zu Charlottenburg
[627] Am Totalisator auf dem Rennplatze zu Charlottenburg. (Mit Illustration S. 621.) Der Rennsport, in seiner gegenwärtigen Form aus England stammend und von dort im ersten Viertel unseres Jahrhunderts nach dem Kontinent herüber gebracht, hat sich speciell in den letzten zwanzig Jahren in allen Gauen Deutschlands viele Freunde erworben. Man kann wohl sagen, daß die Wettrennen überall zum Volksfest geworden sind, indem die große Menge erwartungsvoll der Tage harrt, wo auf weitgedehnter Wiesenmatte die Kampfspiele der Rosse zum Austrag kommen. Wer sollte nicht auch mit Freude und Spannung das edle Vollblutpferd betrachten, wenn es, mit Sehnen und Muskeln aus Stahl und Eisen, dem Vogel gleich die Luft durchschneidet und in offenbarer Erkenntniß seiner Aufgabe dem Siegeslorbeer seine letzten Kräfte opfert?
Es hat sich aber, im Gegensatze zu dem Mutterlande England, bei uns, wo sich dem Kavalier die Gelegenheit des Jagdrennens, welches unstreitig die beste Schule für die Reitkunst ist, weniger bietet, der Herrensport zur höchsten Blüthe entwickelt. Hier steigt, anstatt des bezahlten Jockeys, der Besitzer des Pferdes selbst in den Sattel, wo ihm Gelegenheit wird, bei der Ueberwindung schwieriger Hindernisse Muth, Entschlossenheit und Gewandtheit zu zeigen. Dazu hat aber wiederum die schneidige deutsche Kavallerie viel beigetragen; denn größtentheils sind es ja, wie jedem Rennbesucher erinnerlich sein wird, Officiere unserer Reiterregimenter, welche um den Siegespreis ringen. Es ist deßhalb leicht erklärlich, daß in der Nähe des Centralisationspunktes der deutschen Kavallerie, Berlin-Potsdam, eine geeignete Rennbahn Berlin-Charlottenburg geschaffen worden ist, deren animirtesten und dem Beschauer am meisten auffälligen Theil unser Bild zeigt. Dies ist der Totalisator, eine sinnreiche, französische Erfindung, zur Vermittelung von Wetten, dessen Aufstellung mehrere Jahre hindurch von den Behörden untersagt worden war und erst mit Beginn des Jahres 1887 wieder in seine alten Rechte eingesetzt wurde.
Unsere Leser wird es gewiß interessiren, zu erfahren, wie am Totalisator gewettet wird.
Wir nehmen an, daß sich an einem Rennen vier Pferde: Meta, Orion, Hans und Bella betheiligen. Die Sportfreunde melden nun ihre Wetten an, indem sie den vom Totalisator als Einheit bestimmten Einsatz: 10, 20 oder 30 Mark etc. auf dasjenige Pferd einzahlen, welches der Meinung des Einzelnen nach aus dem Wettrennen als Sieger hervorgehen wird. Beim Schluß der Anmeldung stellt sich heraus, daß auf die Pferde folgendermaßen gewettet wurde. Auf
Nr. 1. Meta wurden eingelegt 3 Einsätze, „ 2. Orion „ „ 15 „ „ 3. Hans „ „ 6 „ „ 4. Bella „ „ 0 „
Die Summe der Einsätze oder Einheiten beträgt somit 24. Der Gewinn wird nun nach folgendem Verhältniß ausgezahlt. Siegt der Orion, so erhält der Wettende als Gewinn 24/15 seines Einsatzes ausgezahlt, also bei einem Einsatz von 10 Mark erhält er 16 Mark, bei einem Einsatz von 20 Mark dagegen 32 Mark. Sollte aber Meta siegen, so erhalten die Wettenden 24/3 des Einsatzes ausgezahlt, also für einen Einsatz von 10 Mark 80 Mark etc.
Würde wider Erwarten Bella, auf die Niemand gewettet hat, siegen, so würden alle Wetten verloren gehen und Niemand da sein, der gewinnt. Um diesem Falle vorzubeugen, pflegt die Administration des Totalisators auf solche Pferde eine Einheit zu setzen und streicht alsdann den eventuellen Gewinn ein. Ein derartiges, allgemein als unfähig angesehenes Pferd dürfte jedoch kaum jemals den Preis erringen. Der Totalisator kann selbstverständlich nicht umsonst arbeiten, und so fallen von dem Gesammtbetrage des auf ein Rennen angelegten Geldes, vor Berechnung des Gewinnantheils, 6 bis 10% der Kasse des Totalisators zu.
Da die Zahl der Einsätze durch einen einfachen Mechanismus dem Publikum auf einer Tabelle öffentlich bekannt gemacht werden kann, so schließt diese Einrichtung jede Heimlichkeit und die daraus entstehenden Unzuträglichkeiten aus, und der Totalisator ist in der That diejenige Form der Wette, welche gesetzlich am zulässigsten erscheint.