Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Am Strande
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aus: Der Wahre Jacob
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: J. H. W. Dietz
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Kurzbeschreibung:
Der Wahre Jacob, Nr. 189, Seite 1572 - 1573
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[1572]

Am Strande.

Auf offnem Meer im leichten Segelboot
Ward von der Nacht ich gestern überfallen,
Die Flut, die eben noch das Abendroth
Weithin gefärbt mit Schimmer der Korallen ―

5
Nun war sie schwarz, erbarmungslos und stumpf.

Mit ihr verändert war des Windes Stimme,
Denn in das Segel stieß er hohl und dumpf,
Als ringe er mit seinem eignen Grimme.

Die Woge widerstrebend wich dem Kiel

10
Und hob und senkte stärker sich und jäher,

Mein Fischer knurrte: „Ferne noch das Ziel!
Ich wär’ ihm gern um eine Stunde näher.“
Ich sah ihm zu und habe nichts gesagt,
Und wurden etwas bleicher auch die Wangen

15
Ich habe vor dem Tode nicht gezagt ―

Es war kein weibisches, kein feiges Bangen.

Doch Bangen war’s, das da mich überfiel,
Und ich gesteh‘ es ohne mich zu schämen;
Mit Grauen sah ich unser Boot ein Spiel

20
Der Elemente, die wir nimmer zähmen.

Was Oede heißt ― dort hab‘ ich es gefühlt,
Und die dahin auf ihrem Wellenrücken
Uns trug und schob, die Flut, vom Wind zerwühlt,
War gleich dem Sturme wild und voller Tücken.

25
Und als uns plötzlich dann, ob auch so fern,

Des Leuchtthurms Feuer durch die Nebel grüßte ―
Da schwebte er wie der Verheißung Stern
Ob dieser weiten, schauerlichen Wüste.
Und als uns endlich murrend an den Strand

30
Die letzte Woge warf des finstern Riesen,

Da grüßt’ ich dankend mit gehob’ner Hand
Das milde Licht, das uns den Weg gewiesen.

Und heute klomm ich in des Morgens Glanz
Zu ihm empor auf ungezählten Stufen

35
Und sah hinunter auf den Wogentanz

Und hätte spottend fast hinabgerufen:
„Ja, grolle nur! Hier steh’ ich frisch und roth,
Ich bin der Nacht, dem Sturme, dir entronnen.
Wenn uns am ärgsten eine Tücke droht,

40
Dann flammen uns des ew’gen Lichtes Sonnen.“

Doch sprach ich’s nicht ― der Jubel ward erstickt
Und tiefem Mitleid mußte rasch er weichen.
Mit wunder Brust, das Schwingenpaar geknickt,
Lag es umher von kleinen Vogelleichen.

45
Auf nächt’gem Zug, hoch über’m wüsten Meer,

Das Herz voll Ahnung von des Ostens Rosen,
So flog sie, vom Licht gelockt, daher,
Um sich am Glas die Köpfchen einzustoßen.

Vom Tod ereilt, statt der Verheißung Land,

50
Das ihre Seele suchte, zu gewinnen!

Und einen Vogel nahm ich in die Hand
Und sah ihn lange an in trübem Sinnen.
Auf seinen Lidern lag es wie ein Traum,
Als müsse noch das Herz in Sehnsucht klopfen,

55
Doch auf des Hälschens seidenweichem Flaum

Stand der verhängnisvolle rothe Tropfen.

Ich stieg hinab, bekümmert und gedrückt,
Doch denken mußt ich: „Siehe da das Leben!
Wo dem Alltäglichen die Rettung glückt,

60
Da scheitert hilflos ein erhabnes Streben.

Dies Erdendasein ist ein wüstes Meer
Und flammte nicht ob den empörten Wellen
Das Ideal, ein Leuchtthurm hoch und hehr,
Die Menschheit müßte stranden und zerschellen.

65
Doch wer, getragen von der Schwingen Kraft,

Das Ideal da droben will erfliegen,
Voll zarten Sinns und schöner Leidenschaft
Und heißen Sehnsuchtswehs, muß unterliegen.
Dem Schiffer, der im wüsten Meer verirrt,

70
Lehrt es, sein Fahrzeug in den Hafen treiben,

Der Vogel aber, der zum Lichte schwirrt,
Zerstößt das Köpfchen sich an harten Scheiben.
                                                                                R.L.

Anmerkungen (Wikisource)

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