Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden/Kirchliche Alterthümer der Provinz

Verzeichniß der Heiligen, von welchem die Kirchen der Herzogthümer den Namen führen Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden (1856)
von Friedrich Köster
Heinrich der Eiserne, oder die Ritterburg im Tannensee
[73]
11.
Kirchliche Alterthümer der Provinz.
(Vergl. die kirchliche Chronik von 1844.)

Während von den zahllosen Burgen und festen Schlössern, die in unserer Provinz vor Zeiten errichtet waren, kaum noch eine Spur geblieben ist, sind dagegen die Kirchen, welche der fromme Sinn unserer Vorfahren dem Herrn gebaut hat, in stattlicher Anzahl erhalten worden und stehen noch jetzt in gottesdienstlichem Gebrauche: der feste Bau aus den Granitsteinen, welche auf unseren Haiden zerstreut liegen, ist es, was sie erhalten hat; gleichsam zur Erinnerung daran, daß das Himmlische das Irdische überdauert. Diese alten Kirchen stammen fast sämmtlich aus dem 11ten oder 12ten Jahrhundert; mehrere von ihnen mögen aber in ihrer jetzigen Gestalt umgebaut, oder auch ganz neu gebaut sein. So die Kirche zu Scharmbeck, deren erste Anlage auf Anscharius selbst zurückgeführt wird, zu Bramstedt (Saec. 10.) und zu Lesum (Saec. 11.). Dagegen haben die Kirche zu Heeslingen und Achim noch so ziemlich ihre Urgestalt behalten, und ihr hohes Alter wird bezeugt durch die Festigkeit ihrer Mauern und die gedrückte Form ihrer Gewölbe. Ein schöner alter Bau ist die Klosterkirche in Harsefeld, deren Restauration jetzt in Aussicht steht. Aus dem 12ten Jahrhundert stammen die Kirchen zu Beverstedt (jetzt neu aufgebaut), Oldendorf, Bexhövede, Hollern, Holßel, Neuenkirchen (Inspection Rotenburg), Schneverdingen, Scheeßel, Visselhövede und Zeven. Die zu Holßel soll, nach einer daran befindlichen Inschrift, 1111 erbaut sein. [74] (Vergl. Pratje Religionsgeschichte der Herzogthümer, im zweiten Hefte.) Der jetzige Dom zu Verden war schon zu Anfang des 11ten Jahrhunderts begonnen, brannte aber 1281 ab und wurde erst 1490 ganz vollendet und eingeweiht. Er gilt mit Recht als ein architektonisches Meisterwerk; und ist dabei nur zu beklagen, daß er sich mehr für die katholische Messe eignet, gemäß seiner ursprünglichen Bestimmung, als für das Verständniß der evangelischen Predigt, welcher er jetzt dienen soll. Gute neugebaute Kirchen finden sich zu Osten, Scheeßel, Bramstedt, Cappel, Freiburg, Geversdorf, Beverstedt: schön restaurirt sind die zu Lesum, Bremervörde und Dorum.

Unter den alten Kirchthürmen zeichnen sich aus die zu Hollern und Zeven durch einfache Solidität, die zu Oederquart, Sittensen und Oldendorf durch ihre schlanke, weithin sichtbare Pyramide. Eigenthümlich sind die Thürme im Altenlande mit Schindeln gedeckt und roth (mit grünen Bändern) angestrichen; gefälliger hat man sie im Lande Wursten mit grauem Schiefer bekleidet, um welchen ein weißes Band läuft.

Den Hauptgegenstand des kirchlichen Schmuckes bilden die Altäre, als die Stätten des Gebets sowohl wie der Sacramente. Im Lande Wursten stehen dieselben mehrfach in dem sogenannten Sanct-Hause, einem niedrig gewölbten Vorbau vor dem eigentlichen Kirchenschiffe. In mehreren neuen Kirchen ist der Altar, gegen das kirchliche Herkommen, nicht im Osten errichtet, sondern an der langen Südseite (wie in Bremervörde und Brockel), oder gar an der Westseite (wie zu Beverstedt). Die Hinterwand des Altars (dorsum altarus) ist mit schönen Schnitz-Figuren aus der biblischen Geschichte geschmückt zu Oerel, St. Jürgen und Beverstedt; eine Restauration verdienen die Altar-Figuren zu Aßel, Oederquart und Uthlede. Auf dem Altar findet sich in vielen Kirchen die bekannte Bibel in fol. von weil. General-Superintendenten Diekmann. Nicht sehr passend aber ist der zu Stotel mit einer Gypsbüste Luther’s und einer Ausgabe seiner Werke von 1566 in fol. besetzt. Das in Holz geschnitzte Crucifix zu Bülkau wird als meisterhaft gerühmt. In St. Jürgen steht an der Wand eine hübsche [75] Reiterstatue St. Georg’s mit dem Lindwurme. Eine merkwürdige Zierde besitzt die schöne Kirche zu Dorum an dem kunstvoll in gothischem Geschmack aus weißem Stein gearbeiteten s. g. Sacraments-Baume, welcher in den Zeiten vor der Reformation zur Aufbewahrung der Monstranz diente. Etwa zwanzig unserer Kirchen besitzen noch jene aus Bronze gegossenen Taufgefäße (baptisteria), in welche das Taufbecken gesetzt wurde; anderwärts hat man dieselben aus Unkunde und Gleichgültigkeit über die Seite gebracht. Sie sind ziemlich alle von einer Form (der einer aufgeblüheten Lilie), die daran befindlichen Inschriften und Basreliefs aber theils plump und räthselhaft, theils zierlich und sinnvoll. Das zu Uthlede z. B. zeigt auf der einen Seite den Baum des Paradieses, zwischen Adam und Eva, auf der andern ein Crucifix zwischen Maria und dem Jünger Johannes. Die Inschrift an dem zu Estebrügge lautet: qui baptizatur, hoc sacro fonte lavatur, d. h. wer getauft werden soll, wird hier getauft; und noch sinnreicher an dem zu Schneverdingen: fons vivens, aqua regenerans, unda purificans, d. h. lebendiger Quell, wiedergebärendes Wasser, reinigende Welle. Die Jahrszahl der meisten führt auf das funfzehnte Jahrhundert; doch mögen einige, nach der Form der Buchstaben zu urtheilen, bedeutend älter sein. Ein herrliches metallenes Taufbecken, mit der Jahrszahl 1469, besitzt die Kirche zu Zeven. Drei Mönchsfiguren tragen dasselbe, und es ist nicht allein mit Heiligen-Bildern, sondern auch mit denen des Probstes und anderer Geistlichen in ausdrucksvollen Stellungen geziert. Die 1565 erbaute Kanzel zu Zeven trägt die Inschrift: S. Vitus dat tzarte Kind as man in de Historien fint, heft Christum in geloven recht bekannt, darumme (he in Ölye is verbrannt). Nach der Legende starb er als Märtyrer unter Kaiser Diocletian, in siedendes Oel geworfen. Aus neuerer Zeit stammt das schöne Taufgefäß der Sacristei zu Buxtehude, von weißem Marmor und mit fein ausgeführten Basreliefs. Abendmahlsgeräthe von hohem Alter hat man zu Lamstedt, Oerel, Debstedt und Wolterdingen; ein Kelch zu Steinkirchen trägt die bekannte Inschrift: Sancte Hülpe bidde vor uns, womit ohne Zweifel die Mutter Maria [76] gemeint ist. Auf dem zu Imsum steht: S. Bartholomei. S. Liborii in Ymicen, mit der Jahrszahl 1408. Sehr kunstvoll ist der silberne Kelch der Kirche zu Elsdorf (vergl. das zweite Heft des vaterl. Archivs von 1825), wie auch der zu Scheeßel, von getriebener Arbeit, mit sechs feinen Emaille-Bildern und der Jahreszahl 1703. Die reichen Abendmahlsgeräthe der Kirche zu Ahlerstedt sind ein Geschenk der Familie v. Zesterfleth. Die alten Glocken haben meist ähnliche Inschriften, wie die zu Uthlede von 1570: „help Gott udt not; Adam Lichtenow mi mit Gades hülpe goet.“ Ein schönes Geläute besitzen Stade, Verden und Wulsdorf.

Glasmalereien von Bedeutung, alte und neue, finden sich nur noch im Dome zu Verden: übrigens aber sind bei der Restauration dieses prachtvollen Gebäudes im Jahre 1829 viele werthvolle Reliquien der Vorzeit zu Grunde gegangen.

Noch werde einiger Raritäten gedacht. In Steinkirchen bewahrt man einen Ablaßbrief vom 1332, und alte Kirchenbücher seit 1573, worin Nachrichten über das Verbrennen von Hexen und Zauberinnen: in Stotel einige Römische Meßgeräthe; in Visselhövede den Rock und das Meßgewand des bei Einführung der Reformation erschlagenen Paters (s. unten); in Cappeln ist durch die Bemühung des Herrn Pastors Vogelsang der schöne Leichenstein des lutherischen Predigers daselbst, Johannes Brandts (gestorben 1604), worauf sich das ehrwürdige Bild des Mannes findet, wieder hergestellt; in Hollern guckt ein Mohrenkopf aus der Wand, mit der Unterschrift: S. Maurizi. In Lamstedt hat man ein sehr altes Kirchensiegel und einen Ablaßbrief von 1300; in Hambergen alte Documente über die Stiftung der Kirche daselbst, einer früheren Capelle, von 1335; in Achim zwei geschriebene Bücher des ersten lutherischen Predigers daselbst, Meier aus Minden, meist in plattdeutscher Sprache, Predigten und Nachrichten enthaltend. Ebendaselbst stehen in einem Gewölbe zwei werthvolle Marmor-Särge der Familie von Reventlow, welche am Ende des vorigen Jahrhunderts aus Italien gekommen sind.


[77]
Nachtrag.

Ueber ein wichtiges kirchliches Alterthum unserer Provinz berichtet das Correspondenzblatt des Gesammt-Vereins der deutschen Geschichts- und Alterthums-Vereine, Jahrgang 1., und daraus das Verdener Wochenblatt vom 10. Novbr. 1855 (wo dasselbe auch abgebildet ist) Folgendes:

In dem Vereine zu Dresden erklärte der Baurath von Quast, daß die metallene Grabplatte des Bischofs Iso vom Jahre 1231 in der Andreaskirche zu Verden die älteste in Deutschland vorhandene sei; indem keine andere vor 1300 sich finde. Sie ist 6 Fuß 4 Zoll hoch, 2 Fuß 4 Zoll breit. Auf derselben ist der Bischof eingravirt, bärtig und mit dem bischöflichen Ornate bekleidet, in der Rechten eine Kirche tragend, in der Linken eine Mauer mit Zinnen. Die Umschrift lautet in schwer zu lesender Mönchsschrift: „Anno incarnationis Domini MCCXXXI. nonas Augusti feliciter obiit Yso Wilpe natus Verdensis trigesimus primus annis viginti sex mense uno praefuit Episcopus; hunc S. Andreae conventum instituit, Verdan muris munivit;[1] advocatiam civitatis et super bona fratrum liberavit, patrimonium Westene 800 marcis et amplius emptum S. Marie obtulit.“ (Im Jahre der Menschwerdung des Herrn 1231 den 5. August starb selig Iso, geborner von Wölpe, 31ster Bischof von Verden, welcher 26 Jahr 1 Monat regierte. Er stiftete dies Kloster des heil. Andreas, befestigte Verden durch Mauern, lösete die Voigtei der Stadt und überdies die Güter der Brüder ein; das Gut Westen, für mehr als 800 Mark erkauft, schenkte er der heil. Maria, d. i. der Domkirche.)

Es ist also gewiß, daß die Andreaskirche in der Zeit des Bischof’s Iso (1205–1231) erbaut wurde. Der Thurm besteht aus Quadersteinen, das Kirchenschiff aber aus Ziegeln. Der ganze Bau zeigt einen spät romanischen Charakter; nur die Strebepfeiler sind gothisch.


  1. [273] Zeile 16 v. u. ist richtiger zu lesen Verdam primus munivit.
Verzeichniß der Heiligen, von welchem die Kirchen der Herzogthümer den Namen führen Nach oben Heinrich der Eiserne, oder die Ritterburg im Tannensee
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