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Autor: Johann Hermann Baas
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Titel: Altersriesen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 447–439
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Altersriesen.

Von Dr. J. Herm. Baas.


Ein hohes Alter gilt als ein besonderes Glück. Erreicht aber einer – so voller Widersprüche ist die Menschenseele – ein ungewöhnliches Alter, so fühlt er sich in der Regel, da der Gleichaltrigen, mit denen er jung war, nur noch wenige oder gar keine mehr da sind, vereinsamt, er wünscht in der Regel zu sterben, zumal, wenn die Gebrechen des Alters den Genuß des Daseins beeinträchtigen. Doch giebt es auch Menschen, welche das gewöhnliche Altersmaß ebensoweit überschreiten, wie die körperlichen Riesen das Durchschnittsmaß der Körpergröße hinter sich lassen, und die dabei gesund und lebensfroh bleiben, wahre Alters- und Gesundheitsriesen. Aber in der verhältnißmäßig kleineren Zahl der Fälle sind dies zugleich Geistesriesen gewesen, sondern es waren in der Hauptsache einfache Dauermenschen. Sie erregen hauptsächlich dadurch Interesse, daß sie die Fragen nahelegen: wie lange hat der Mensch im Mittel zu leben; wie hoch ist die gewöhnliche höchste Altersgrenze und wie weit kann sie überschritten werden?

Es giebt eine ganze Anzahl von Sammlungen der bekannten Altersriesen, aus denen man die Antwort auf die letzte Frage schöpfen könnte. Zahlreiche Beispiele führt Hufeland in seiner „Makrobiotik“ an, und unter den neueren Schriftstellern hat besonders Professor Büchner die zuverlässigsten Angaben gemacht. Beiden entnehmen wir einen Theil der hier folgenden Auswahl, einen anderen Theil den Schriften von Paul Niemeyer, Pflüger, Ebstein u. a., die neuesten haben wir selbst gesammelt.

Als größter Altersriese wird immer der sprichwörtlich gewordene Methusalem zuerst genannt mit einem Alter von 969 Jahren.

In weitem Abstand folgen Henoch mit 365 und Abraham mit 175 Jahren, dessen Frau Sarah ein Alter von 127 Jahren erreichte und mit 90 Jahren Mutter des Isaak ward, der seinerseits es auf eine Lebensdauer von 180 Jahren brachte, währeud Jakob im 147., Joseph im 110. und Moses im 120. Lebensjahr verstarben.

Da die Juden auch jetzt noch ein höheres Durchschnittsalter haben als die Angehörigen anderer Stämme, so wären an sich diese hohen Alterszahlen – mit Ausnahme derjenigen von Methusalem und Henoch – gerade nichts Wunderbares; selbst ihre regelmäßige Wiederkehr ließe sich noch durch erbliche Familienlanglebigkeit erklären. Indessen fehlt es an jeder Sicherheit über die diesen Angaben zu Grunde liegende Jahreslänge, und somit entbehren jene Zahlen der Zuverlässigkeit, ganz abgesehen davon, daß von einer genauen Handhabung der Zahl, wie dies in unserer heutigen Statistik der Fall ist, damals keine Rede sein konnte.

Aehnliches gilt in Bezug auf die Ueberlieferungen anderer alten Völker, denen man übrigens so viel entnehmen kann, daß es auch bei ihnen Langlebige in größerer Anzahl gegeben habe.

Als Aeltester unter den alten Griechen mag der Priesterphilosoph Epimenides (um 590 v. Chr.) genannt werden, der 157 Jahre alt geworden sein und davon merkwürdigerweise volle 50 Jahre in einer Höhle verschlafen haben soll. Der berühmte materialistische Philosoph Demokrit von Abdera wurde nach einer Angabe 109, nach einer anderen nur 90 Jahre alt; der Sophist Gorgias lebte von 485 bis 378 v. Chr., also 108 Jahre, der stoische Philosoph Zeno aber 100 Jahre. Viele andere geistige Größen Altgriechenlands erreichten das 80. und das 90. Lebensjahr.

Als besondere Merkwürdigkeit sind die Angaben über die lange künstlerische Leistungsfähigkeit zweier römischen Schauspielerinnen anzuführen: die eine soll volle 100 Jahre in ihrer Kunst thätig gewesen sein und noch im 112., die andere aber noch nach ihrem 90. Lebensjahr gespielt haben. In Nordafrika, das im Alterthum für sehr gesund galt, fand man unter 3000 Grabsteinen 55 von solchen, die über 100 Jahre alt geworden waren, und einer darunter galt gar einem 132jährigen. Da jedenfalls nur Wohlhabende solche Denkmäler erhielten, so handelt es sich bei dieser Grabsteinstatistik nur um eine sogenannte „ausgewählte Sterbeliste“, welche keinen Schluß auf die ganze Bevölkerung zuläßt; in der That berechnet Friedländer aus der [438] Gesamtzahl eine mittlere Lebensdauer von 42 Jahren, so daß also Nordafrika auch im Alterthum kein eigentliches Makrobiotenland war.

Merkwürdig ist auch eine Art statistischer Erhebung über Höchstaltrige, jedenfalls die älteste, die es giebt, welche unter Kaiser Vespasian bei Gelegenheit einer Steuereinschätzung im Jahre 76 n. Chr. gemacht wurde.

Danach sollen in dem kleinen Bezirke Oberitaliens, welcher zwischen dem Po und den Apenninen liegt, damals nicht weniger als 124 über 100 Jahre alte Personen gelebt haben, darunter 57 im 110., 2 im 125., 4 im 130. und zwischen dem 135. und 137. endlich 3 im 140. Lebensjahre. Eine wirklich klassische Anhäufung sogenannter Makrobioten von über 100 Jahren aber soll zu jener Zeit in einem Orte bei Piacenza vorhanden gewesen sein; nicht weniger als ihrer 40 bildeten dort zur selben Zeit gleichsam eine makrobiotische Kolonie, und was noch auffallender ist, genau 6 von ihnen standen im 110. und im 120. Lebensjahr. Auch in Parma hausten zur gleichen Zeit 3 120jährige.

Zieht man alle diese merkwürdigen Umstände in Betracht, so lassen sich wohl ernste Zweifel gegen die Zuverlässigkeit der angeführten Statistik nicht unterdrücken, wenn man nicht die schwer zu begründende Vermuthung aufstellen will, daß die genannte oberitalienische Gegend damals als besonders günstige Oertlichkeit, gleichsam als klimatischer Kurort für Altersriesen, auch von fremden, aus anderen Gegenden stammenden Makrobioten aufgesucht worden sei. Heute müßte man wenigstens aus ganzen großen Ländern die gleichzeitigen Makrobioten zusammenbringen, um 124 Leute zu erhalten, die zwischen dem 100. und 140. Lebensjahr stehen – und käme dann vielleicht immer noch nicht auf die genannte Zahl. Gab es doch z. B. in ganz Frankreich im Jahre 1886 nur 80 über 100 Jahre alte Personen!

Aus der frühen christlichen Zeit wäre zu nennen der Apostel Johannes, der nahezu 100 Jahre, und der Stifter der Mönchsorden, Antonius der Große, der 105 Jahre erreicht haben soll.

Unter den arabischen Aerzten des Mittelalters brachten es zwei, die zugleich Zeitgenossen waren, auf 100 und mehr Jahre: Abul Hassan Garib ben Said, der von 830 bis 930 n. Chr. lebte, und Abu Jacub Izhak ben Soleiman il Israil, der 111 Jahre alt wurde (830 bis 941 n. Chr.). Nur um ein Jahr jünger verstarb am Schlusse des Mittelalters in Straßburg der deutsche Chirurg Hieronymus von Brunschwigk (1424 bis 1534), der Vater der deutschen Chirurgie, welchem auch ein Verdienst gebührt, welches man immer dem französischen Wundarzt Paré zutheilt, nämlich die Schußwunden zuerst mit lauem Oel (anstatt mit kochend heißem, wie es bis dahin geschah) verbunden und die Schlagaderwunden, welche man vorher stets mit glühendem Eisen brannte, um die Blutung zu stillen, durch Unterbindung geschlossen zu haben.

Mit diesen Beispielen sind wir schon an der Zeitgrenze angelangt, von der ab besser beglaubigte und zum Theil unanfechtbare Zeugnisse für die Richtigkeit biographischer Angaben über Höchstaltrige beginnen.

Zwar wird es immer noch mit uns dem Leser nicht ganz glaublich erscheinen, daß ein gewisser Thomas Carn von 1588 bis 1795 gelebt haben, somit 207 Jahre alt geworden sein sollte; doch entstammen diese Angaben immerhin einem Londoner Kirchenregister, und da man in England um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts schon wirkliche Statistik zu pflegen begonnen hatte, so dürften sie nicht gänzlich zu verwerfen sein. Jedenfalls verdienen sie mehr Glauben, als die über den ungarischen Dorfbauern Peter Czarten, der 1724 im Alter von 185 Jahren gestorben sein soll, somit 1539 geboren sein müßte; sogar mehr Glauben als die lateinische Grabinschrift des Stifters des Bisthums Glasgow, Centigern oder S. Mungo, die deutsch etwa lautet:

„Hundert und fünf und achtzig der Jahre hatt' er vollendet,
Als er heilig verstarb und begraben wurde zu Glasgow.“

Ein Landsmann und Berufsgenosse des ungarischen Bauern Czarten, Johann Rovin, brachte es nicht nur auf 172 Jahre, sondern lebte auch mit seiner 164 Jahre alt gewordenen Frau ganze 147 Jahre in der Ehe zusammen; wenn also alle Angaben feststünden, so hätte er es zu mehr als zwei diamantenen Hochzeiten gebracht.

Abwärts in unserer Reihe. schließen sich an Henry Jenkins (1500 oder 1501 bis 1670), 169 Jahre alt, Marie Pion (starb 1838), 158 Jahre alt; Johanna Obst (1670 bis 1825), 155 Jahre alt, und Jesus Campeche, 154 Jahre alt, der letztere lebte 1892 noch in der Stadt Mexiko, war laut Geburtsschein 1738 in Valladolid in Spanien geboren und hatte das Aussehen eines 90jährigen Mannes. Dem nächstfolgenden, dem 152jährigen Thomas Parr (1483 bis 1635), ward im Tode die Ehre zutheil, von dem unsterblichen Harvey seciert zu werden, dem Entdecker des Blutkreislaufs und des wichtigen Entwicklungsgesetzes, daß das Ei der allen Thieren gemeinsame Anfang sei. Es ist dies die einzige bekannte Sektion eines so hochaltrigen Menschen. Die Beschreibung, welche Harvey hinterlassen hat, besagt, daß alle inneren Organe völlig normal und nicht einmal die Rippenknorpel verknöchert gewesen seien, daß also der Alte, den der König nach London hatte kommen lassen, allem nach nur durch die veränderte und üppigere Kost, die er erhielt, zu Grunde gegangen sei, ohne diese Aenderung der Lebensweise aber wahrscheinlich noch lange gelebt haben würde.

Als Beispiel, daß auch von Indianern höchste Altersstufen erreicht werden können, während sie sonst, wie alle uncivilisierten Stämme, im allgemeinen kurzlebig sind, mag der Kazike Tongue dienen, der 1892 im brasilianischen Bezirke Palmeira im Alter von 150 Jahren gestorben ist und bis ans Ende bei vollem Verstand geblieben sein soll. 146 Jahre alt ward der dänische Matrose Draakanberg (1626 bis 1773), 140 Joseph Crele (1725 bis 1865) aus Detroit in Wisconsin, 135 Georg Wunder (1627 bis 1761) aus Greiz. In Monterey in Mexiko starb 1892 im Alter von 132 Jahren Margaretha Riveira, die Großmutter des Gouverneurs von Cohahuila, der damals im 80. Lebensjahr stand; sie war als 19jähriges Mädchen aus Spanien eingewandert.

In demselben Jahre aber lebte noch, 130 Jahre alt, in dem Bezirke Mostar in der Herzegowina Anton Juritzsch, der noch täglich in seinem Weingarten arbeitete und jeden Sonntag zwei Stunden Wegs zurücklegte, um zur nächsten Kirche zu gehen; er sah noch gut aus, seine Augenbrauen waren übermäßig lang und mußten von Zeit zu Zeit gekürzt werden, damit sie den Mann nlcht am Sehen hinderten.

Mit sechs Fingern an jeder Hand und sechs Zehen an jedem Fuße lebte 127 Jahre lang (1627 bis 1754) Owen Carollan, ein irischer Bauer, während die Irländer George Kirton († 1764, 125 Jahre alt) und Brawn († 122 Jahre alt) dem Trunke verfallen waren, gleich dem 140 Jahre alt gewordenen Chirurgen Politiman, der sich indessen erst abends nach Besorgung seiner Praxis dem Glase ergab. Im Jahre 1893 starb in New-York 1241/2 Jahre alt die polnische Jüdin L. Lescynska, die noch acht Tage vor ihrem Tode munter in Stadt und Haus umhergegangen war. Sie hinterließ ein 73jähriges Töchterchen, 14 Enkel und 7 Urenkel. Merkwürdig durch hochalterige Verwandtschaft war auch Wenzel Hrncir, ein Landwirth in Sloukowitz bei Hermanmestetz in Böhmen, der am 3. Mai 1892 im 116. Lebensjahr verstarb, nachdem er bis ein Jahr vor seinem Ende ganz gesund geblieben war und nur im letzten Jahre das Augenlicht eingebüßt hatte. Er besaß einen Schwager, Joh. Jelinek, der 105 Jahre, und eine Schwester Kath. Jelinek, die 106 Jahre erreichte.

In Wien lebte bis 1889 Magdalena Ponza, die im Jahre 1775 geboren war, und in Jerusalem bis 1892 eine ebenfalls 114 Jahre alt gewordene armenische Nonne, die 98 Jahre lang nicht vor die Schwelle ihres Klosters gekommen war. Dem mongolischen Menschenstamme gehörten zwei Frauen an, denen in Kanton laut Bericht über die Weltumsegelung der "Novara" Tempel errichtet waren; die eine dieser "ausgezeichneten“ Frauen war 115, die andere 104 Jahre alt geworden. Zwei französische Frauen sind die nächsten in der Reihe: eine Hospitalitin, die 114 Jahre alt zu Evaux (Creuse) 1892, und eine Frau Dubosc, die 1893 in Pavilly bei Lille 111 Jahre alt verstarb und deren Nachkommen an die 300 waren. Markus Jordan in Bielefeld aber (1779 bis 1891) stand mit seinen 112 Jahren zwischen beiden; er dürfte von den dentschen Altersriesen aus letzter Zeit am bekanntesten gewesen sein. Er gehörte dem friedlichen Handelsstand [439] an, während der zu Anfang dieses Jahres in St. Petersburg im Alter von 110 Jahren verstorbene Geheime Rath L. G. Iwanow Oberarchivar des Großen Generalstabs und noch bis 3 Monate vor seinem Tode als solcher thätig war.

109 Jahre alt wurde Graf Jean Frédéric de Waldeck († 1875); 107 Jahre Nikolai Kotschetkow († 1892), gewesener russischer Artilleriefeuerwerker und als solcher bis 1878 volle 67 Jahre hindurch im Dienst; 1016 Jahre Vivien, geb. 1786, lebte zu Lyon noch 1892 und fühlte sich so gesund, daß er noch 50 Jahre weiter zu leben hoffte; er ist nie krank gewesen, hat 22 Feldzüge mitgemacht, den ersten als Junge mit Napoleon I. in Aegypten, dann den Uebergang über den Großen St. Bernhard, den Feldzug in Spanien unter Soult, die Schlacht bei Waterloo bei der Garde etc.

Die folgenden drei brachten es auf 104 Jahre: Witwe Mathilde Ravagni († 1892 im Stadthospital zu Trient); Ludovico Cornaro aus Venedig (nach einigen ward er nur 93 Jahre alt), berühmt als Verfasser einer Schrift über nüchternes Leben; er hatte übrigens, bevor er sich einem solchen ergab, lange ausschweifend gelebt; endlich ein gewisser Ribeyrol, der, bis zuletzt gesunden Geistes und Körpers, 1893 in Perigueux verstorben ist. 103 Jahre, 6 Monate und 23 Tage lebte die Witwe Garnier in Bordeaux (geb. 1789, gest. 1893), welche nie in ihrem Leben aus ihrer Vaterstadt hinausgekommen war; 103 Jahre Anna Lackner (†1892) im Zillerthal, die sich bis zu ihrem Tode einer seltenen Rüstigkeit erfreute, ebenso wie Zacharias Werny in Halberstadt (geb. 12. Okt. 1791, gest. im August 1892), dessen Bild wir in Nummer 46 des Jahrgangs 1891 unseres Blattes gebracht haben.

Ein Altersriese, der außer wegen seines auf 102 Jahre gestiegenen Alters auch wegen großer wissenschaftlicher Verdienste genannt zu werden verdient, war der berühmte Chemiker Mich. Eug. Chevreul (1786 bis 1889), Mitglied der französischen Akademie. Der im Jahre 1892 noch lebende, 102 Jahre alte Neapolitaner Giuseppe Capiello zeichnete sich dagegen im genannten Jahre noch als Messerheld aus, indem er einem Nebenbuhler im Zündhölzchenhandel zu Leibe ging, so daß er vor Gericht gestellt wurde – auch ein Zeichen großer Lebenskraft.

Der folgende hat der Menschheit schöne Dienste geleistet: ich meine den 101 Jahre alt gewordenen Sir Moses Montefiore (1784 bis 1885).

Das Verdienst, die ältesten lebenden Aerzte und Freimaurer ihrer Zeit zu sein, beanspruchen Dr. William Salmon in Pennlyne (Glamorganshire, England) und Dr. Enoch Fithin in Greenwich (Cumberland County; Nordamerika), der erstere (1892) 102, der zweite 100 Jahre alt. In dem gleichen Jahre lebte als ältester Hauptmann der franzöaschen Armee in Chateaudun der 1792 geborene Souflot († 1893, 101 Jahre alt), der 1812 Unterlieutenant geworden war, im übrigen 38 Neffen und Nichten besaß; der deutsche Veteran Gimpel dagegen in Dorf Reipisch bei Mersebnrg (er lebte, 100 Jahre alt, noch 1892) hat 45 lebende Enkel, 106 Urenkel und 5 Ururenkel, sein ältester Sohn ist 80 Jahre alt.

Vor wenigen Tagen erst hat die in München lebende Witwe eines Rentbeamten, Barbara Müller, ihren 100. Geburtstag gefeiert.

Daß man endlich aus Freude sterben kann, bewies die Witwe Petit (geb. 21. Jännar 1793), die 6 Tage vor ihrem 100. Geburtstage verschied, aus freudiger Erregung darüber, daß man diesen Tag festlich begehen wollte.

Von den Höchstalterigen bis zu der Altersgrenze von 100 Jahren herab gilt im allgemeinen – die meisten waren ja einfache Leute – der Satz, daß ein Altersriese verhältnißmäßig selten etwas Bedeutendes leistet, ebenso wie die körperlichen Riesen selten bedeutende Geister sind. Unter den bekannten Altersriesen ist wenigstens keiner, der nach dem 100. Jahre der Menschheit irgendwie geistig oder materiell noch vorwärts geholfen hätte, ja die meisten haben das niemals gethan.

Beispiele von Leuten anzuführen, die zwischen 100 und 90 Jahre alt wurden, ist nicht nöthig, da wohl jeder Leser solche öfters 1n Tagesblättern namhaft gemacht findet. Zwei über 90jährige jedoch müssen wir Deutsche immerdar mit Stolz und Dank nennen: den großen Kaiser Wilhelm I. und seinen Feldmarschall, deren beider Leben zudem bis ans Ende in Arbeit köstlich blieb, so daß der erstere selbst auf dem Sterbebett keine Zeit fand, müde zu sein, der letztere aber als einer der besten deutschen Prosaschriftsteller mit einer Geschichte des großen Krieges 1870/1871 für das Volk sein Tagewerk, seiner selbst würdig, beschloß.

Altersstufen von über 100 Jahren, oder gar die noch höheren bis zu 180 und 200 Jahren sind im Grunde nur Kuriositäten oder Excesse der Natur, gerade wie die körperlichen Riesen, keineswegs aber können sie als begehrenswerthes Ziel einer praktischen Gesundheitspflege gelten.

Daß es sich wirklich oft um halb abnorme Zustände handelt, geht auch daraus hervor, daß selbst körperlich Mißbildete die höchsten Stufen erreicht haben und daß sogar gewisse unnatürliche, ja zum Theil abstoßende Vorgänge eintraten, die man euphemistisch als „Verjüngung“ (Regeneration) bezeichnet. Einzelne Altersriesen bekamen mit 80 und mehr Jahren neue Zähne[1] – selbst mehrmals nacheinander – oder neue Haare, die, statt weiß zu bleiben; dunkelfarbig wurden; bei einzelnen Frauen kehrten jugendliche Formen wieder; von den Männern verheiratheten sich noch solche mit 120 Jahren, andere Makrobioten kamen, wie erzählt, sogar mit den Gesetzen in Konflikt oder waren notorische Trunkenbolde bis ans Ende; wieder andere sahen abschreckend häßlich aus, wurden zu unschönen Mumien, schrumpften zusammen (Marie Piou bis auf 42 Pfund) und lebten doch weiter, gleichsam wandelnde Illustrationen zu der griechischen Thitonossage vom ewigen Fortleben ohne das Geschenk der ewigen Jugend.

Daß gar manche die Eigenthümlichkeit eines außergewöhnlich hohen Alters auch auf einen Theil ihrer zuweilen äußerst zahlreiche Nachkommeschaft (die 1768 105jährig verstorbene Frau Marie Prescott hatte 37 Kinder) vererbten, ist zwar nicht regelwidrig, aber gerade nicht verlockend. Erträglich scheinen nur die Beispiele von solchen, deren geistiges und körperliches Leben so normal und rüstig war, daß sie in ihrem Kreise nützliche und brauchbare Glieder der menschlichen Gesellschaft blieben; das sind aber Ausnahmen unter den Ausnahmen der Altersriesen gewesen.

Aber selbst dann, wer möchte 5 bis 6 Menschenalter lang das Leben ertragen? Würde man eine Abstimmung veranstalten, so würden fast sicher die meisten für normales Lebensalter stimmen, idealistisch und poetisch Veranlagte wahrscheinlich sogar für die kürzere Lebensdauer der Lieblinge der Götter sich entscheiden, um, wenn irgend möglich, unsterblich im Gesange fortzuleben gleich Achilles.

Die ganz ausnahmsweise hohen Altersstufen sind nicht einmal geeignet zur Grenzbestimmung der menschlichen Lebensdauer überhaupt.

Gezwungen durch die Statistik, rechnet man neuerdings schon die mehr als 75jährigen zu den außergewöhnlich Alten. Immerhin stimmt der vielcitierte älteste statistische Satz „Unser Leben währet 70 Jahr und wenn’s hoch kommt, so sind’s 80 Jahr“, leidlich mit den Ergebnissen der neueren Statistik überein, die (nach Lexis und Bodio) ein Alter von 74 bis 75 Jahren als die durchschnittliche höchste, deshalb allein den Bestrebungen der Gesundheitslehre als normal zu Grunde zu legende Altersgrenze ergeben hat.

Ganz verschieden von dieser Normalgrenze des Lebens oder diesem „Normalalter“ ist die sogenannte mittlere Lebensdauer. Sie stellt sich um die Hälfte niedriger als jene. Und merkwürdigerweise stimmt auch in dieser Beziehung das, was die neuere Statistik ergeben hat, mit dem überein, was der griechische Geschichtschreiber Herodot (wahrscheinlich auf altägyptische Zahlen gestützt) im 5. Jahrhundert v. Chr. sagte, daß „das gewöhnliche Menschenalter 331/3 Jahre“ dauere, falls man die Gesamtsumme der Erdbewohner der Berechnung zu Grunde legt.

Das ist doch gewiß ein fast wunderbares Beispiel von Uebereinstimmung uralter Beobachtungszahlen mit den Ergebnissen modernster und exaktester Berechnung!


  1. Ein Beispiel für diese Erscheinung macht soeben die Runde durch die Zeitungen. Eine in Darmstadt lebende Dame bekam im Alter von 83 Jahren einen neuen Backenzahn und ein zweiter schien eben zum Durchbruch zu kommen. Bemerkenswerth ist dabei, daß der Vater der Frau vor etwa elf Jahren im Alter von über 100 Jahren gestorben ist.