Altbaiersches Volksthum
Altbaiersches Volksthum.
Wer es unternimmt, die aufgeklärten Leser einer aufgeklärten Zeitschrift heutzutage mit Dingen unterhalten zu wollen, welche die moderne Bildung als dunkles Ueberbleibsel dunkler Jahrhunderte zu verachten pflegt, dem steht es wohl an, einige Worte der Rechtfertigung und Erklärung voranzuschicken. Es ist wahr, wir befehden und verfolgen den Aberglauben, wo wir ihn finden: wie eine fleißige Hausfrau die Spinnweben, so tilgt die Neuzeit mit allen Besen der Schule, des Staates und der Kirche geschäftig jene phantastischen Vorstellungen, jene heimlichen Uebungen aus, welche, häufig ebenso unsittlich wie unwahr, aus einer kaum noch verständlichen Vergangenheit fremdartig in die Tage des Telegraphen und der Eisenbahn hereinragen. Und gewiß thun wir darin nicht unrecht, sondern recht, wenn wir den schädlichen Aberglauben austilgen!
Aber wie? ist denn nicht aller Aberglaube schädlich? Wenn er nicht die Sitten verdirbt, verfinstert er nicht den Verstand, und ist er nicht im besten Fall das werthlose Gespinnst müßiger Träumerei? Sachte, mein lieber Leser, auf daß Du nicht in Deinem Eifer mit dem Unrath des Aberglaubens auch das Gold uralter Volkssitte, die Perlen der Sage, die Edelsteine der Mythe, kurz den ganzen Schatz der Volkspoesie, der Culturpflege der Gensd’armerie ausantwortest.
Vor Allem ist nämlich zu bemerken, daß man in der Zeit bureaukratischer Vielregiererei und polizeilicher Volksbeglückung von oben, in welcher man jeden Versuch des Volkes, auf eigene Façon glücklich und lustig zu sein, mit nüchterner Bevormundung unterdrückte, viele Dinge als schädlichen Aberglauben bezeichnete und verfolgte, welche in der That sehr unschuldige und oft sehr schöne Aeußerungen volksthümlicher Naturanschauung und Naturfreude waren, wenn sich vielleicht auch abergläubische Vorstellungen damit verbanden. Es giebt also allerdings auch unschädliche Uebungen und Gebräuche dieser Art. In gar manchen abergläubischen Vorstellungen und Handlungen steckt das Herz und die Phantasie und ein großer Theil der Idealität des Volkslebens, ja die Blüthe seiner unbewußten Poesie. Endlich aber liegt im Aberglauben wie in der Sage des Volkes ein ehrwürdiger Hort der deutschen Urzeit vergraben, nichts Geringeres als der alte Götterglaube unserer heidnischen Väter, wie Jacob Grimm, der Großmeister deutscher Altertumsforschung, aus Ammensprüchen und Wetterregeln, aus Kinderspiel und Jägerlied so treffend nachgewiesen.
Als nämlich das Christenthum den widerstrebenden germanischen Stämmen mehr durch die Waffen der Franken, als durch die innere Macht der Ueberzeugung aufgezwungen ward, konnte es selbstverständlich nicht gelingen, den alten Glauben, welcher tief in dem Gemüth des Volkes wurzelte und alle Erscheinungen seines Lebens in Krieg und Friede, in Recht und Sitte und Kunst, in Ackerbau, Jagd und Viehzucht, in jeder Lust und jedem Leid des Familienlebens durchdrungen hatte, auf einmal durch neue Vorstellungen zu ersetzen. Vielmehr waren die Missionäre darauf angewiesen und darauf bedacht, soviel wie möglich von dem liebgewordenen Herkommen der Heiden zu schonen und zu erhalten, indem sie nur christliche Formen, kirchliche Namen mit den alten Gebräuchen verbanden. Bezeichnend für diese Methode, die in unzähligen Fällen angewendet wurde, ist, daß man die heidnischen Altäre, Opferstätten, heiligen Bäume etc. keineswegs zerstörte, sondern in christliche Kirchen und Capellen umwandelte auf daß die Deutschen, nach wie vor von der Gewohnheit an diese Stätten gezogen, nunmehr [298] an denselben ebenso eifrig Christus und den Heiligen, wie ehedem Wodan und seinen Asen dienen mochten; die Donars-Eiche zu Geismar ward von Bonifacius gefällt, aber nicht verbrannt, sondern daraus ein christliches Bethaus an derselben Stelle erbaut. So duldete die Kirche nach wie vor die alten Umzüge, Spiele, Feste, nur trat die Mutter Gottes an die Stelle der Liebesgöttin, Petrus an die Stelle des Schwertgotts, das Fest der auferstehenden Natur ward nun als das Fest der Auferstehung Christi gefeiert. So erhielten sich bei diesen ganz oder halb christianisirten Gebräuchen noch zahlreiche Spuren ihrer ursprünglichen heidnischen Bedeutung, und die alten Götter konnten um so weniger aus dem Gedächtniß der Deutschen schwinden, als ja die Kirche selbst keineswegs die Existenz und die Macht jener Gottheiten leugnete, sondern sie als dämonische teuflische Gewalten fürchtete und bekämpfte. So wurde aus Donar und Wodan der Teufel des Mittelalters, aus den lieblichen Waldgöttinnen (hage-disin) die häßlichen Hexen, und die ganze Walhalla mit ihren mächtigen, wohlthätigen, strahlenden Gestalten ward in christlicher Umgestaltung beibehalten, nur daß diese sich gefallen lassen mußten, je nach Umständen nunmehr als Heilige des Himmels oder als Dämonen der Hölle in den Gedanken der Menschen umzugehen. Daher rief man denn jetzt einen Heiligen oder, wenn man verwegen genug war, auch wohl einen Teufel in den Krankheiten, Nöthen und Gefahren an, in welchen man ehedem zu einem Gott gebetet und ihm geopfert hatte. Der heidnische Glaube barg sich unter christlichen Aberglauben, und es ist daher ganz begreiflich, daß heutzutage die deutsche Wissenschaft aus dem heiligen Florian und dem heiligen Ruprecht wieder die großen Götter Donar und Wodan herausschälen konnte.
Von den angegebenen Gesichtspunkten aus wollen wir eine Reihe der abergläubischen Meinungen und Gebräuche betrachten, welche sich in Ober- und Niederbaiern bis auf diesen Tag im Volke lebendig erhalten haben; wir werden viele unschädliche und schöne Auffassungen der Volkspoesie kennen lernen, welche in zahlreichen Fällen noch deutlich ihren Zusammenhang mit dem Götterglauben unserer Vorzeit erkennen lassen.
Vor Allem tritt uns als eine auffallende Erscheinung der sogenannte „Bauernkalender“ entgegen, d. h. ein Inbegriff von altherkömmlichen Regeln, welche jede wichtigere Vornahme des Bauernlebens, wie sie in dem Wechsel der Jahreszeiten wiederkehrt, an gewisse Tage bindet; nur wenn sie an dem von der Uebung geheiligten Tage vorgenommen werden, haben diese Handlungen Segen und Gedeihen zu erwarten. In sehr vielen Fällen liegen hier nicht mythologische Beziehungen, sondern einfache Natur-Beobachtungen zu Grunde, „Wetterregeln“, welche die Erfahrung scheinbar oder in der That, zufällig oder aus guten Gründen bestätigt hat. Dies gilt namentlich bei den wichtigsten Maßregeln und Unternehmungen des Ackerbaus und der Oekonomie: wenn z. B. für Klee, Weizen, Gerste, Roggen, Hafer bestimmte Saattage hergebracht sind, so beruht dies auf der Annahme, daß die fragliche Monatszeit für diese Fruchtarten die günstigste Witterung zu bringen pflegt. Zahlreiche andere Gewohnheiten aber sind nicht zu erklären aus rein physikalischen Wahrnehmungen; bei manchen liegt der mythologische Sinn klar vor Augen, bei sehr vielen aber entzieht sich der Grund ihrer Entstehung und die Bedeutung vollständig unserem Verständniß.
Wenden wir uns nun zu dem Detail dieses Bauernkalenders und schalten wir in diesen Rahmen auch jene Gebräuche und Gepflogenheiten ein, welche nicht gerade nothwendig nach „Tagwählerei“ bestimmt sind. –
Die Sylvesternacht gehört mit der Nacht des Thomastages (21. December), des Weihnachtvorabends und des Tages der heiligen drei Könige (6. Januar) zu den sogenannten „vier Rauchnächten“, welche nicht nur von oberdeutschen Stämmen, sondern auch von Sachsen und Franken, von Angeln in England, von Schweden und Norwegern gefeiert werden und unerachtet mancher Modificationen im Einzelnen aus einer gemeinsamen germanischen Uebung beruhen. In jenen Winternächten nämlich, welche erst nachträglich ihre kirchliche Bedeutung erhalten haben – es ist die Zeit der Wintersonnenwende – sind die Mächte des Lichtes und der Finsterniß, des Segens und des Verderbens, des Lebens und des Todes, des Frühlings und des winterlichen Erstarrens, um deren natürlichen und geistigen Gegensatz sich die Angel der deutschen Mythologie überhaupt bewegt, im lebhaftesten Kampf. Die Riesen der Kälte, der Finsterniß, des Winters bieten ihre letzten Kräfte auf, die Herrschaft zu behaupten und schädlichen Einfluß auf den verhaßten Menschen und sein Hauswesen und seine Kultur zu üben; es sind die kürzesten Tage, die Natur ruht in tiefer Todeserstarrung, Krankheit und Tod schweben über den Betten der Menschen, durch den Stall des Viehes. Deshalb müssen in dieser Zeit die schützenden, wohlthätigen Gewalten der lichten Götter angerufen werden. Der Bauer nimmt von dem Hauptbalken des Dachfirstes die an jenem geheiligten Ort das Jahr über wohl verwahrten geweihten Kräuterbüschel herab, die sogenannten „Sangen“, Gräser, Blumen, Halme, Blätter, Zweige von gewissen, den guten Göttern heiligen Pflanzen, welche mitten im Sommer, in der Zeit, da alle wohlthätigen Dinge am kräftigsten sind, in der vollen Herrschaft des Lichts, an einem Fest der Liebes- und Sommergöttin Freya waren mit symbolischen Handlungen gepflückt worden – die Kirche hat aus jenem Fest die Himmelfahrt Mariä gemacht – und streut die getrockneten Blätter mit anderm Räucherwerk, namentlich der tief in den Götterglauben und Göttercult verflochtenen Wachholder-Beere („Kranewit“) auf die eiserne Gluthpfanne mit Kohlen, welche er in der Linken trägt. Frau und Kinder schreiten, Licht, Schlüssel und, wo möglich, eine Hand voll Schnee tragend, vor ihm her, in der Rechten führt der Hausherr den Stock (ursprünglich vielleicht das Schwert), und nun durchwandert er betend und räuchernd alle Gelasse seines Hauses und namentlich auch den Stall und die Scheune; dadurch wird die Einwirkung aller schädlichen Gewalten, Krankheit, Hexerei, Schwinden von Menschen, Vieh und Vorräthen abgewendet.
Offenbar war diese Handlung ursprünglich ein Opfer und ein Anrufen der Segensgötter, ein Austreiben schädlicher Gewalten durch den Räucherduft der den guten Mächten geheiligten und sie herbeiziehenden Pflanzen.
Am Dreikönigstag werden überdies die Anfangsbuchstaben der Namen der heiligen drei Weisen aus Morgenland mit dazwischen geschriebenen Kreuzen an alle Thüren gezeichnet: C † M † B; es wäre sehr interessant, den Zusammenhang des Cultus dieser drei sonderbaren Heiligen (Caspar, Melchior, Balthasar) mit Gestalten des alten Heidenthums zu ergründen. Die Kreide, mit welcher diese Inschrift gezeichnet wird, ist am Vorabend des Festes in der Kirche geweiht worden, ebenso Salz und Wasser, aus welchen dann der segenreiche „Salzstein“ (viereckige Salzstücke) gebildet wird. Körnchen von diesem Salzstein wirft man erkranktem Vieh ins Futter, und auch der wegfertige Mann, der von Hause wandert, nimmt ein Paar Stücke des heimischen Salzes in der Wandertasche mit. Dieser sinnige Zug der Weihe der Elemente und der wichtigsten Nahrungsmittel kehrt in dem deutschen Heidenthum häufig wieder. Man glaubte, die wohlthätige Segenswirkung von Feuer, Wasser, Salz, Brod, Fleisch etc. nutze sich im Laufe des Jahres ab, bei Beginn eines neuen Jahres sollen auch ihre Kräfte erneuert werden. Deshalb müssen z. B. an bestimmten Tagen alle Feuer im Dorfe gelöscht werden, keine Hausfrau darf von dem Heerd der andern, wie sonst im Jahr, die Gluth übertragen, sondern in feierlichem Zug gehen die Nachbarn in den Wald, und dort wird mit vielfachem Ceremoniell und allerhand Symbolik ein sogenanntes „Nothfeuer“ oder „Wildfeuer“ gerieben, d. h. zwei Personen, häufig zwei reine Knaben oder auch ein Liebespaar, reiben unter geheimen Sprüchen und Liedern zwei trockene Hölzer so lange, bis sie in Brand gerathen. An dieser heiligen Flamme, welche also das Element frisch und unprofanirt aus dem geheimen Schooße der Natur gewährt hat, entzündet nun jeder Hausvater seinen Spahn und trägt so das neue Feuer für das neue Jahr nach Hause. Noch charakteristischer ist, daß in manchen Gegenden, wenn der Blitz einen Baum im Wald entzündet hat, alle Heerdfeuer gelöscht werden und man an jener unmittelbar von den Göttern gesendeten Flamme, dem echten Wildfeuer, die Spähne entzündet. Analog wird in manchen Thälern das Wasser erneuert: zu Johanni etwa oder am ersten Mai läuft die Dorfjugend durch alle Häuser, stürzt alle Wassereimer um und holt frisches Wasser von dem geweihten Quell im Walde. Freilich sind diese Gebräuche wie in ganz Deutschland auch in Baiern in starker Abnahme, und die Wasser-Erneuerung wird wohl überall nur noch erzählt, nicht mehr geübt.
Auch jene Verwendung des geweihten Salzsteines beim Wandern in die Fremde hat manche Analogien: wie der Wanderer, der im Ausland von Krankheit oder auch von Heimweh befallen wird, ein Paar Körner des mitgenommenen Salzes genießt, so schabt er [299] wohl auch vor dem Abschied etwas Kalk von der heimischen Heerdmauer oder bewahrt eine Rinde des letzten Stückes Brod, das ihm die Hausfrau geschnitten, jahrelang im Ranzen und kaut daran, wenn er im fremden Lande mehr Hunger als Geld hat; ein Krümchen des Heimbrodes stillt den Hunger besser als sieben fremde Braten. Wer möchte so rührend tiefe gemüthinnige Züge in der Empfindung unsres Volkes missen? Die Zeit von Weihnachten bis zum Dreikönigstag heißt die Zwölften, „die zwölf Nächte“, auch die „Klöpfels“-, „Anroller“-, „Geb-Nächte“, in diesen Tagen ist aller Geisterspuk entfesselt, alle bösen, guten, muthwillig-neckenden und indifferenten Götter, Riesen, Elben, Kobolde, Wichtel, Gespenster, Hexen, Truden, Teufel haben jetzt gleichsam Carneval oder Freinacht, nach Herzenslust auf Erden ihr Spiel zu treiben; in dieser Zeit sind sie sogar den profanen Augen von Nicht-Sonntags-Kindern sichtbar. Es erklärt sich die besondere mythologische Bedeutung dieser Tage leicht daraus, daß die Heiden zu dieser Zeit das Hauptfest des Jahres, die Winter-Sonnenwende (im Norden „Jul“ genannt) feierten mit großen Opferschmäußen, welche sieben Tage währten und alle Nachbargemeinden an der heiligen Ding- und Opfer-Stätte zu Gericht, Berathung, Andacht und Spiel vereinten. An jenen Tagen hielten denn auch alle großen Götter des Landes Umzug durch die Marken des Gaus, verkehrten mit den Sterblichen, kehrten ein an deren Heerd, vertheilten Lohn und Strafen an fleißiges und faules Gesinde etc. Erst jüngern Datums ist die drollige christliche Legende, welche, nachdem man den ursprünglichen Grund der besondern Geisterwirthschaft jener Tage vergessen hatte oder nicht mehr erwähnen durfte, eine kirchliche Erklärung dieser Erscheinung zu geben suchte.
Sanct Petrus war nämlich einst von dem lieben Gott auf die Erde gesendet worden, ausgerüstet mit den Gaben des heiligen Geistes und begleitet von einem stattlichen Corps handfester Engel, um dem unverschämten Treiben der Teufel aller Art auf Erden ein gründliches Ende zu machen und Lucifer selbst sammt all seinem Schwarm von Unholden in die Hölle zu sperren auf Nimmerwiederkehr. Sanct Peter machte seine Sache gut, die Dämonen flohen vor seinen himmlischen Heerschaaren von einem Land zum andern bis ans „Ende der Welt“, welches bekanntlich in Tirol bei dem Paß Finstermünz zwischen Vintschgau und dem Innthal ist, und warfen sich dort mit großem Geheul durch einen tiefen See in die Hölle hinunter. Sanct Peter war nicht faul, schickte die Engel mit einem etwas renommistischen Schlachtbericht nach Hause in die himmlische Garnison und ließ dem lieben Gott sagen, er, Petrus, sei in die Hölle hinabgestiegen und werde die Sache mit dem Gesindel da unten allein fertig machen. Petrus machte die Höllenthür sorglich hinter sich zu und steckte den Schlüssel in sein Wamms unter ein wunderthätiges Bild der Muttergottes von Einsiedeln, „denn,“ sagte er zu sich, „der Teufel ist schlau, aber ich bin schlauer.“ Er suchte sofort Lucifer auf, der sehr kläglich und demüthig that, die Heldenthaten seines Ueberwinders bewunderte und ihn bat, sich doch im Himmel, wo sein Einfluß jetzt ja größer sein müsse als je, für ihn zu verwenden, daß es mit der einfachen Einsperrung in der Hölle abgethan sei und er nicht wieder wie bei früheren Vergehen die beiden furchtbarsten Strafen durchmachen müsse, nämlich: „Nonnen hüten“ und „Bauern laufen“. St. Petrus fühlte sich sehr geschmeichelt und versprach das Beste. Da wurde der Teufel froh und bat den Apostel mit vielem Lob und Dank, doch ein halb Dutzend Flaschen alten Klosterweins mit ihm zu trinken, den ihm die Herrn Benedictiner von Benedictbeuren aus ihrem Keller verehrt hatten. St. Petrus ließ sich das nicht zweimal sagen, und der Sieger und der Besiegte fingen an zu poculiren.
Das war gerade am Weihnachtsabend, und deutlich hörte man, als sie anfingen zu trinken, die Vesper läuten in dem Kloster zu Stamms, denn die Glocke Claudia daselbst hat so hellen Ton, daß er bis in des Teufels Keller vernommen wird. Sie fingen also an zu pochen, und ich weiß nicht, ging es mit rechten Dingen zu, war der Klosterwein zu stark oder hat der Wirth etwas aus seiner Hausapotheke hineingeworfen, kurz der fromme Gast schwur bei der ersten Flasche, solches Gewächs habe er nie, weder zu Jerusalem, noch bei der Hochzeit zu Kana, noch zu Rom, noch im Himmelreich getrunken, bei der zweiten rief er, der Teufel sei gar nicht so schwarz, als man ihn male, und bei der vierten versprach und gelobte er, zum Lohn für diesen Trank solle der Teufel und seine Schaaren jährlich so lange Freinacht haben auf Erden, als sie beide brauchen würden, den Klosterwein zu vertrinken und zu verschlafen, und als Lucifer zweifelte, ob der liebe Gott darauf eingehen werde, rief der Gast: „Das wollen wir schon sehen, ich habe Generalvollmacht mit Dir abzuschließen, wie ich will, und wenn mein Wort im Himmel nicht gilt, komme ich wieder herunter und bleibe als Geisel bei Dir.“ Da schenkte ihm der Teufel das letzte Glas ein, und alsbald fiel St. Petrus in tiefen Schlaf. Endlich wachte er, mit etwas Kopfweh, wieder auf, es weckte ihn die Glocke von Stamms. „Teufel,“ sagte Petrus, „was läutet’s da?“ „Die Hora,“ sagte Lucifer, der eben auch zu erwachen schien. „So muß ich fort,“ sagte Petrus und stand auf und griff nach dem Höllenschlüssel in seinem Wamms: zum Glück hatte das Amulet nicht auch geschlafen, und der Schlüssel war noch da. „Und was ist mit unsrem Pact?“ fragte Lucifer. „Der gilt,“ rief Petrus, „von der Vesper bis zur Hora! B’hüt’ Dich Gott, Teufel.“
Und Petrus fuhr hinauf in den Himmel. Da begegneten ihm an der Thüre die heiligen drei Könige und sagten: „Das ist schön, Petrus, daß Du gerade recht kommst, noch unsern Tag mit zu feiern. Mach’ nur, es geht schon an’s Kuchen schneiden, leicht wirst Du Bohnenkönig.“ „Dummes Zeug,“ sagte Petrus erschrocken, „heut’ ist ja Christtag.“ „Nein,“ sagten die drei Weisen aus Morgenland, „heut’ ist Dreikönigstag, das müssen wir doch besser wissen.“ „Gott steh mir bei,“ rief Petrus, „so hab ich getrunken und geschlafen von der Weihnacht-Vesper zur Dreikönigshora, macht zwölf Tage und zwölf Nächte, daß der Teufel wieder Gewalt hat über die Erde. Das macht der verfluchte Klosterwein.“ Und man sagt, daß Petrns diesmal keinen Orden bekam für seine diplomatische Mission und daß der liebe Gott nicht übel Willens war, den Gesandten lieber als Geisel in die Hölle zu schicken, als den Pact anzuerkennen, und nur zu Achtung der heiligen drei Könige, welche an ihrem Ehrentag für ihn baten, gab er nach. St. Peter trinkt seitdem nie mehr Klosterwein, aber wir Menschen müssen’s alle Jahre zwölf Tage büßen, daß er damals dessen getrunken hat. –
Wenn diese schnurrige Legende ziemlich keck mit dem Fürsten der Apostel umspringt und ihn in der wenig ehrenvollen Rolle eines „Uebertrunkenen“, d. h. durch Trunk Ueberlisteten und einigermaßen auch als Renommisten darstellt, so ist dies vielleicht für Protestanten eher befremdlich oder ein Aergerniß, als für Katholiken, welche den Styl der Legende kennen, nach welchem auch die Heiligen harmlosen Spaß verstehen müssen. Uebrigens lehnt sich eine ganze Gruppe solcher Legenden, welche Christus in Begleitung einiger Apostel auf Erden wandern, bei den Menschen ansprechen und die heilige Natur des Gottes ebenso schön als die menschliche Schwäche der Begleiter humoristisch hervortreten lassen, ebenfalls an Grundzüge heidnischer Göttersage. Denn nicht nur die Lieder der Edda berichten wiederholt von solchen in Verkleidung wandernden Göttern, meist in der Dreizahl, wie Christus, Petrus und Johannes meist mit einander wandern, wir wissen auch sonst, daß Umzüge des Wodan, des Donar, der Berahta (Berchta) im deutschen Alterthum mit Liedern und mimischen Darstellungen gefeiert wurden, und in denselben Tagen, da man die Götter in Bildern oder auch nur auf verhülltem Wagen unsichtbar um die Marken der Landschaften führte, traten sie in unscheinbarem Gewand strafend und lohnend in die Häuser der Sterblichen ein. Reminiscenzen an diese heidnischen Götterumzüge stecken in vielen Gebräuchen der Kinder, ja selbst in manchen Zügen, Wallfahrten, Processionen, Bittgängen der Erwachsenen, welche die Kirche mit anderer Bedeutung erfüllt hat.
So finden in ganz Alt-Baiern, Schwaben und einem großen Theil von Deutsch-Oesterreich zu Weihnachten, Neujahr und Drei König mehr oder weniger complicirte Umzüge von Kindern, Armen, jungen Burschen in scherzhaften Vermummungen statt, dabei wird gesungen, es werden Sprüche recitirt und kleine Dramen improvisirt. Insbesondere in Giemgau, an den schönen Ufern der Alz, der Traun, der Mangfall singen die Kinder noch heute uralte Hirten- oder Sternlieder an den bezeichneten Tagen, Lieder von rührender Einfalt und echtester Volkspoesie, sie ziehen von Haus zu Haus und ersingen sich kleine Gaben von Obst, Nüssen, Kücheln u. dgl., der Stern der heiligen drei Könige wird sehr naiv dargestellt: ein Knabe trägt eine von Papier geschnittene Sonne an einem Stabe der Schaar voran, und obwohl das alte Fest zu diesen ärmlichen Resten herabgesunken ist, hat sich doch die Erinnerung seiner alten Heiligkeit in dem Glauben erhalten, daß die Hand, welche ein solches „Dreikönigskindel“ während seines Singens schlägt, dereinst aus dem Grabe herauswächst.