Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels/Drittes Hauptstück

Zweyter Theil – Zweytes Hauptstück Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels (1755) von Immanuel Kant
Zweyter Theil – Drittes Hauptstück
Zweyter Theil – Viertes Hauptstück
[51]
Drittes Hauptstück,
von der
Excentricität der Planetenkreise, und dem
Ursprunge der Cometen.

Man kan aus den Cometen nicht eine besondere Gattung von Himmelskörpern machen, die sich von dem Geschlechte der Planeten gänzlich unterschiede. [52] Die Natur wirket hier, wie anderwerts, durch unmerkliche Abfälle, und, indem sie alle Stuffen der Veränderungen durchgehet, hänget sie, vermittelst einer Kette von Zwischengliedern, die entferneten Eigenschaften mit den nahen zusammen. Die Excentricität ist bey den Planeten eine Folge des Mangelhaften in derjenigen Bestrebung, dadurch die Natur trachtet, die planetischen Bewegungen gerade Zirkelgleich zu machen, welches sie aber, wegen Dazwischenkunft von mancherlei Umständen, niemals völlig erlangen kan, aber doch in grösseren Weiten mehr, als in nahen, davon abweichet.

Diese Bestimmung führet durch eine beständige Leiter, vermittelst aller möglichen Stuffen der Excentricität, von den Planeten endlich bis zu den Cometen, und ob zwar dieser Zusammenhang bey dem Saturn, durch eine grosse Klufft, scheinet abgeschnitten zu seyn, die das cometische Geschlecht von den Planeten völlig absondert; so haben wir doch in dem ersten Theile angemerket, daß es, vermuthlich über dem Saturn, noch andere Planeten geben mag, die, durch eine grössere Abweichung von der Zirkelrundung der Kreise, dem Laufe der Cometen näher treten, und daß es nur an dem Mangel der Beobachtung, oder auch an der Schwierigkeit derselben, liegt, daß diese Verwandschaft dem Auge nicht eben so sichtbar, als dem Verstande vorlängst dargestellet worden. [53] Wir haben schon eine Ursache in dem ersten Hauptstücke dieses Theils angeführet, welche die Laufbahn eines Himmelskörpers excentrisch machen kann, der sich aus dem herumschwebenden Grundstoffe bildet, wenn man gleich annimmt, daß dieser in allen seinen Oertern gerade zur Zirkelbewegung abgewogene Kräfte besitze. Denn, weil der Planet sie aus weit von einander abstehenden Höhen sammlet, wo die Geschwindigkeiten der Zirkelläufe unterschieden seyn; so kommen sie mit verschiedenen ihnen beywohnenden Graden der Umlaufsbewegung auf ihm zusammen, welche von dem Maasse der Geschwindigkeit, die dem Abstande des Planeten gebühret, abweichen, und diesem dadurch in so ferne eine Excentricität zuziehen, als diese verschiedentliche Eindrücke der Partikeln ermangeln, eine der andern Abweichung völlig zu ersetzen.

Wenn die Excentricität keine andere Ursache hätte, so würde sie allenthalben gemäßigt seyn: sie würde auch bey denen kleinen, und weit von der Sonne entferneten Planeten, geringer, als bey den nahen und grossen seyn: wenn man nemlich voraussetzte, daß die Partikeln des Grundstoffes wirklich vorher genaue Zirkelbewegungen gehabt hätten. Da nun diese Bestimmungen mit der Beobachtung nicht übereinstimmen, indem, wie schon angemerkt, die Excentricität mit der Sonnenweite zunimmt, und die Kleinigkeit der Massen vielmehr eine Ausnahme, zu Vermehrung der Excentricität, [54] zu machen scheinet, wie wir am Mars sehen; so sind wir genöthiget, die Hypothese von der genauen Zirkelbewegung der Partikeln des Grundstoffes dahin einzuschränken, daß, wie sie in den der Sonne nahen Gegenden zwar dieser Genauheit der Bestimmung sehr nahe beykommen, aber sie doch desto weiter davon abweichen lassen, je entfernter diese elementarische Theilchen von der Sonne geschwebet haben. Eine solche Mäßigung des Grundsatzes, von der freyen zirkelgleichen Bewegung des Grundstoffes, ist der Natur gemässer. Denn, ungeachtet der Dünnigkeit des Raumes, die ihnen Freyheit zu lassen scheinet, sich einander auf den Punkt der völlig abgewogenen Gleichheit der Centralkräfte einzuschränken; so sind die Ursachen dennoch nicht minder beträchtlich, diesen Zweck der Natur an seiner Vollführung zu verhindern. Je weiter die ausgebreiteten Theile des Urstoffs von der Sonne entfernet sind, desto schwächer ist die Kraft, die sie zum Sinken bringt: der Widerstand der untern Theile, der ihren Fall seitwärts beugen, und ihn nöthigen soll, seine Richtung senkrecht von dem Zirkelstrahl anzustellen, vermindert sich nach dem Maasse, als diese unter ihm wegsinken, um entweder der Sonne sich einzuverleiben, oder in näheren Gegenden Umläufe anzustellen. Die specifisch vorzügliche Leichtigkeit dieser höheren Materie verstattet ihnen nicht, die sinkende Bewegung, die der Grund von allem ist, mit dem Nachdrucke, welcher erfordert wird, um die widerstehende Partikeln zum Weichen zu bringen, [55] anzustellen; und vielleicht, daß diese entfernete Partikeln einander noch einschränken, um nach einer langen Periode diese Gleichförmigkeit endlich zu überkommen; so haben sich unter ihnen schon kleine Massen gebildet, als Anfänge zu so viel Himmelskörpern, welche, indem sie sich aus schwach bewegtem Stoffe sammlen, eine nur excentrische Bewegung haben, womit sie zur Sonne sinken, und unter Wegens mehr und mehr, durch die Einverleibung schneller bewegten Theile vom senkrechten Falle abgebeugt werden, endlich aber doch Cometen bleiben, wenn jene Räume, in denen sie sich gebildet haben, durch Niedersinken zur Sonne, oder durch Versammlung in besondern Klumpen, gereiniget und leer geworden. Dieses ist die Ursache der mit den Entfernungen von der Sonne zunehmenden Excentricitäten der Planeten und derjenigen Himmelskörper, die um deswillen Cometen genannt werden, weil sie in dieser Eigenschaft die erstere vorzüglich übertreffen. Es sind zwar noch zwey Ausnahmen, die das Gesetz von der mit dem Abstande von der Sonne zunehmenden Excentricität unterbrechen, die man an den beyden kleinesten Planeten unseres Systems, am Mars und Merkur, wahrnimmt; allein an dem ersteren ist vermuthlich die Nachbarschaft des so grossen Jupiters Ursache, der, indem er durch seine Anziehung auf seiner Seite den Mars, der Partikeln zur Bildung beraubet, ihm vornemlich nur Platz lässet, gegen die Sonne sich auszubreiten, dadurch eine Ueberwucht der Centralkraft und Excentricität zuziehet. Was [56] aber den Merkur, den untersten aber auch am meisten excentrischen unter den Planeten betrifft; so ist leicht zu erachten, daß, weil die Sonne in ihrer Achsendrehung der Geschwindigkeit des Merkurs noch lange nicht gleich kommt, der Widerstand, den sie der Materie des sie umgebenden Raumes thut, nicht allein die nächsten Theilchen ihrer Centralbewegung berauben werde; sondern auch leichtlich diese Widerstrebung bis zum Merkur ausbreiten könne, und dessen Umschwungsgeschwindigkeit dadurch beträchtlich werde vermindert haben.

Die Excentricität ist das vornehmste Unterscheidungszeichen der Cometen. Ihre Atmosphären und Schweife, welche, bey ihrer grossen Annäherung zur Sonne, durch die Hitze sich verbreiten, sind nur Folgen von dem erstern, ob sie gleich zu den Zeiten der Unwissenheit gedienet haben, als ungewohnte Schreckbilder, dem Pöbel eingebildete Schicksale zu verkündigen. Die Astronomen, welche mehr Aufmerksamkeit auf die Bewegungsgesetze, als auf die Seltsamkeit der Gestalt, bezeigen, bemerken eine zweyte Eigenschaft, die das Geschlecht der Cometen von den Planeten unterscheidet, nemlich daß sie sich nicht, wie diese, an die Zone des Thierkreises binden, sondern frey in allen Gegenden des Himmels ihre Umläufe anstellen. Diese Besonderheit hat einerley Ursache mit der[WS 1] Excentricität. Wenn die Planeten darum ihre Kreise in dem engen Bezirke des Zodiakus eingeschlossen haben, weil die elementarische Materie nahe um die [57] Sonne Cirkelbewegungen bekommet, die bey jedem Umschwunge den Plan der Beziehung zu durchkreutzen bemühet seyn, und den einmal gebildeten Körper von dieser Fläche, dahin sich alle Materie von beyden Seiten dränget, nicht abweichen lassen: so muß der Grundstoff der weit von dem Mittelpunkte entlegenen Raume, welcher durch die Attraction schwach bewegt, zu dem freyen Zirkelumschwunge nicht gelangen kan, eben aus dieser Ursache, die die Excentricität hervorbringt, nicht vermögend seyn, sich in dieser Höhe zu dem Plane der Beziehung aller planetischen Bewegungen zu häufen, um die daselbst gebildete Körper, vornemlich in diesem Gleise, zu erhalten: vielmehr wird der zerstreuete Grundstoff, da er keine Einschränkung auf eine besondere Gegend, so wie bey den untern Planeten, hat, sich gleich leicht auf einer Seite sowohl, als auf der andern, und weit von dem Beziehungsplane eben so häufig, als nahe bey demselben, zu Himmelskörpern bilden. Daher werden die Cometen mit aller Ungebundenheit aus allen Gegenden zu uns herab kommen: aber doch diejenige, deren erster Bildungsplatz nicht weit über der Planeten Kreise erhaben ist, werden weniger Abweichung von den Schranken ihrer Laufbahne eben sowohl, als weniger Excentricität beweisen. Mit den Entfernungen von dem Mittelpunkte des Systems nimmt diese gesetzlose Freyheit der Cometen, in Ansehung ihrer Abweichungen, zu, und verliert sich in der Tiefe des Himmels in einen gänzlichen Mangel der Umwendung, der die äusseren sich [58] bildenden Körper ihrem Falle zur Sonne frey überläßt, und der systematischen Verfassung die letzten Grenzen setzet.

Ich setze, bey diesem Entwurfe der cometischen Bewegungen, voraus: daß, in Ansehung ihrer Richtung, sie selbige grössesten Theils mit der Planeten ihrer gemein haben werden. Bey denen nahen Cometen scheinet mir dieses ungezweifelt zu seyn, und diese Gleichförmigkeit kan sich auch nicht eher in der Tiefe des Himmels verlieren, als da, wo der elementarische Grundstoff in der größten Mattigkeit der Bewegung, die etwa durch das Niedersinken entstehende Drehung nach allerley Gegenden anstellet, weil die Zeit, die erfordert wird, durch die Gemeinschaft der untern Bewegungen, sie in der Richtung einstimmig zu machen, wegen der Weite der Entfernung, zu lang ist, als daß sie indessen, daß die Bildung der Natur in der niederen Gegend verrichtet wird, sich bis dahin erstrecken könne. Es werden also vielleicht Cometen seyn, die ihren Umlauf nach der entgegen gesetzten Seite, nemlich von Morgen gegen Abend, anstellen werden; ob ich gleich aus Ursachen, die ich allhier anzuführen Bedenken trage, mich beynahe überreden möchte, daß von den 19 Cometen, an denen man diese Besonderheit bemerket hat, bey einigen vielleicht ein optischer Schein Anlaß dazu gegeben haben möchte.

Ich muß von den Massen der Cometen, und von der Dichtigkeit ihres Stoffes, noch etwas anmerken. [59] Von Rechtswegen solten in den obern Gegenden der Bildung dieser Himmelskörper, aus denen im vorigen Hauptstücke angeführten Gründen, sich immer nach dem Maasse, als die Entfernung zunimmt, desto grössere Massen bilden. Und es ist auch zu glauben, daß einige Cometen grösser seyn, als Saturn und Jupiter; allein es ist eben nicht zu glauben, daß diese Grösse der Massen so immer zunimmt. Die Zerstreuung des Grundstoffes, die specifische Leichtigkeit ihrer Partikeln, machen die Bildung in der abgelegensten Gegend des Weltraums langsam; die unbestimmte Verbreitung desselben, in dem ganzen unermeßlichen Umfange dieser Weite, ohne eine Bestimmung, sich gegen eine gewisse Fläche zu häufen, verstatten, an statt einer einzigen beträchtlichen Bildung viele kleinere, und der Mangel der Centralkraft ziehet den größten Theil der Partikeln zu der Sonne herab, ohne sich in Massen versammlet zu haben.

Die specifische Dichtigkeit des Stoffes, woraus die Cometen entstehen, ist von mehrerer Merkwürdigkeit, als die Grösse ihrer Massen. Vermuthlich, da sie in der obersten Gegend des Weltgebäudes sich bilden, sind die Theilchen ihres Zusammensatzes von der leichtesten Gattung; und man darf nicht zweifeln, daß dieses die vornehmste Ursache der Dunstkugeln und der Schweife seyn, womit sie sich vor andern Himmelskörpern kenntlich machen. Man kan der Wirkung der Sonnenhitze diese Zerstreuung der cometischen Materie in einen [60] Dunst nicht hauptsächlich beymessen; einige Cometen erreichen in ihrer Sonnennähe kaum die Tiefe des Erdzirkels; viele bleiben zwischen dem Kreise der Erde und der Venus, und kehren sodann zurück. Wenn ein so gemäßigter Grad Hitze, die Materien auf der Oberfläche dieser Körper dermassen auflöset und verdünnet; somüssen sie nicht aus dem leichtesten Stoffe bestehen, der durch die Wärme mehr Verdünnung, als irgend eine Materie, in der ganzen Natur leidet.

Man kan auch diese, von dem Cometen so häufig aufsteigende Dünste, der Hitze nicht beymessen, die sein Körper von der etwa ehemaligen Sonnennähe übrig behalten hat: denn es ist zwar zu vermuthen, daß ein Comet, zur Zeit seiner Bildung, etliche Umlaufe mit grösserer Excentricität zurück geleget hat, und diese nur nach und nach vermindert worden; allein die andern Planeten, von denen man eben dasselbe vermuthen könnte, zeigen dieses Phänomenon nicht. Indessen würden sie es an sich zeigen, wenn die Sorten der leichtesten Materie, die in dem Zusammensatze des Planeten begriffen seyn, eben so häufig, als bey den Cometen vorhanden wären.

Die Erde hat etwas an sich, was man mit der Ausbreitung der cometischen Dünste und ihren Schweifen vergleichen kan[1]. Die feinsten Partikeln, die die Sonnenwirkung aus ihrer Oberfläche [61] ziehet, häufen sich um einen von denen Polen, wenn die Sonne den halben Zirkel ihres Laufes auf der entgegen gesetzten Halbkugel verrichtet. Die feinsten und würksamsten Theilchen, die in dem brennenden Erdgürtel aufsteigen, nachdem sie eine gewisse Höhe der Atmosphäre erreichet haben, werden durch die Wirkung der Sonnenstrahlen genöthiget, in diejenige Gegenden zu weichen und sich zu häufen, die alsdann von der Sonne abgewandt, und in einer langen Nacht begraben sind, und vergüten den Bewohnern der Eiszone die Abwesenheit des grossen Lichtes, welches ihnen auch in dieser Entfernung die Wirkungen[WS 2] ihrer Wärme zuschicket. Eben dieselbe Kraft der Sonnenstrahlen, welche die Nordlichter macht, würde einen Dunstkreis mit einem Schweife hervor bringen, wenn die feinsten und flüchtigen Partikeln auf der Erde eben so häufig, als auf den Cometen, anzutreffen wären.


  1. Dieses sind die Nordlichter.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ber
  2. Vorlage: Würkungen
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