Allerseelen (Rilke)
[24] ALLERSEELEN
I
Rings liegt der Tag von Allerseelen
voll Wehmut und voll Blütenduft,
und hundert bunte Lichter schwelen
vom Feld des Friedens in die Luft.
der Gärtner ordnet sie mit Sinn –
und kehrt zum Eck der Glaubenslosen
die alten, welken Blumen hin.
II
»Jetzt beten, Willy, – und nicht reden!«
Der Vater legt den Kranz Reseden
auf seines armen Weibes Grab.
»Die Mutter schläft hier! Mach ein Kreuz nun!«
Klein-Willy sieht empor und macht
daß er am Weg heraus gelacht!
Es sticht im Auge ihn – wie Weinen …
Dann gehn sie heimwärts durch die Nacht;
ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen
[25] Es blinkt durch den Novembernebel
herüber lichtbeglänzter Tand;
er sieht dort Pferdchen, Helme, Säbel
und küßt dem Vater leis die Hand.
Der Vater sieht so traurig aus. –
Doch einen Pfefferkuchenreiter
schleppt Willy selig sich nach Haus.