Allerlei Nahrung. VI. Was da kreucht
Es ist ein schon seit langem bekannter Satz, daß die Summe des organischen Lebens in den Polarländern wohl ebenso groß ist wie in den gemäßigten und heißen Zonen, daß aber die Wärme die Mannigfaltigkeit der Formen entwickelt, während in den kälteren Zonen größere Einförmigkeit herrscht. Weder auf den südlichen Kontinenten noch in den südlichen Meeren begegnet man solchen nach Tausenden und Millionen zählenden Herden und Schwärmen von Säugethieren, Vögeln und Fischen, wie man sie in nordischen Gegenden anzutreffen gewohnt ist; aber diese Ansammlungen gehören meist nur einer Art von Thieren an. In den südlichen Gegenden kommen solche Herden nur selten vor, obgleich man einige Krokodile in amerikanischen Strömen oder Antilopen in Südafrika anführen könnte; die Arten kämpfen hier ihren Kampf um das Leben mehr vereinzelt, nicht in Massen geschart.
Nirgends treten diese Gegensätze schärfer hervor als in dem Speisezettel der verschiedenen Völkerschaften. Ich lese in einem in der Londoner Anthropologischen Gesellschaft gehaltenen Vortrage über die Feuerländer: „Die See liefert ihnen ihre Hauptnahrung, die aus Muscheln, Fischen, Vögeln und ihren Eiern, Seehunden, Meerschweinen und anderen Walthieren, überhaupt aus allem besteht, was sie bekommen können. Das Guanaco existirt nur in einzelnen Strichen des Landes, sie jagen es dort im Winter mit Hunden auf dem Schnee. Wenn sie übrige Zeit haben, rösten oder braten sie die Muscheln ganz, die andere Nahrung nur halb; sind sie aber beeilt, so essen sie Fische und Fleisch roh. Das Oel, Fett und der Speck der Seehunde und Meerschweine werden von den Leibern abgeschnitten und selbst dann gegessen, wenn sie schon faul sind. Sie haben wenig oder gar keine vegetabilische Nahrung.“
Man braucht nur statt des Guanaco das Renthier zu setzen, so ist es genau der Speisezettel der Eskimos, wie er vor dem häufigen Verkehr mit den Europäern und den von ihnen gebrachten Konserven war. Seehunde und Fische, Fische und Seehunde und zur Abwechselung einige Seevögel und einige Muscheln.
Betrachte man dagegen die reiche Abwechselung des Tisches eines Botokuden, der etwa auf derselben Stufe der Civilisation steht wie der Polarländer, wie dieser alles verzehrt, was er ergattern kann, und sich auch nicht mehr Mühe mit der Zubereitung der Speisen giebt. Abgesehen von der Unzahl der verschiedenen Früchte, Beeren und Knollen der Gewächse, von den eßbaren Kräutern und Blättern, welchen der Polarländer höchstens das Löffelkraut entgegen zu setzen hat, steht dem Botokuden sozusagen das ganze Thierreich in allen seinen mannigfaltigen Formen zur Verfügung. Statt des einen Renthieres oder Guanacos ein halbes Dutzend Hirscharten und dazu fast alle Ordnungen der Säugethiere, Affen, große Fledermäuse, Nagethiere von den kleinen Mäusen bis zu den großen Wasserschweinen, Faulthiere, Tapire, Ameisenfresser, Gürtelthiere – wer zählt und nennt sie alle, die zum Theil, wie die Wasserschweine und Tapire unseren Wildschweinen, die Agutis unseren Hasen nichts nachgeben sollen. Ein in seiner Rückenschale gebratenes Gürtelthier, ein Tatu, sol nach der Versicherung von Autoritäten, welchen ich vollen Glauben [675] beimessen darf, da ich ihren Geschmack in europäischer Küche erprobt habe, noch ein Gericht für Götter sein, die sich schon an Nektar und Ambrosia fast gesättigt haben.
Genau so verhält es sich mit den übrigen Thierklassen. Aber ehe ich auf diese näher eingehe, sei es mir erlaubt, eine Zwischenbemerkung einzuschalten.
Mannigfaltigkeit ist nicht immer Verbesserung; Einförmigkeit schließt nicht nothwendig nur niedere Sorten ein.
Es existirt wohl ein Gegensatz zwischen Wasser und Land in Beziehung auf Genüsse der Nahrung und man kann fast, unbeschadet des Ruhmes unserer gemäßigten Klimate, den Satz aufstellen, daß die Wärme die schmackhafteren Landprodukte, die Kühle die vorzüglicheren Nährstoffe des Wassers erzeugt.
Man kann streiten über mancherlei Anwendungen dieses Satzes; es mag manche Ausnahme geben, aber im allgemeinen wird er wohl seine Geltung haben.
Für das Pflanzenreich ist er wohl unbestreitbar. Unsere Aepfel sind vortrefflich, unsere Birnen ausgezeichnet – sie halten nicht Stand gegen die Königin aller Früchte, die Ananas und tausend andere Erzengnisse, nach denen die Kolonisten sich sehnen, nachdem sie einmal davon gekostet und sich an das Aroma gewöhnt haben, das ihnen eignet.
Nicht minder gilt der Satz für das Meer und die süßen Gewässer. Es giebt nur wenige Fische im Mittelmeer, welche es an Wohlgeschmack mit den nordischen Stock- und Schellfischen aufnehmen können; die Familie der Forellen, Lachse und Maränen, diese hochadelige Familie ist nur im Norden und den kälteren gemäßigten Zonen heimisch; die Fische des Nils, so mannigfach in ihren Gestalten, munden nur den Arabern und den Fellahs. Vergleicht man zwei verwandte Arten derselben Fischgattung aus verschiedenen Meeren, so wird man stets finden, daß diejenige Art, welche die nordische im Süden vertritt, wenn sie auch vielleicht reicher gefärbt, schöner gestaltet ist, doch hinsichtlich des Geschmackes dem nordischen Vetter weit nachsteht.
Bei manchen Thierklassen lassen sich solche Vergleiche deshalb gar nicht anstellen, weil sie in dem Norden entweder gänzlich fehlen oder so verkümmern, daß sie nicht als Nahrung in Betracht kommen können.
So war es mit den Schildkröten, von welchen wir früher sprachen, so verhält es sich mit den Krokodilen, Eidechsen, Schlangen, Fröschen und Molchen.
Der protestantische Europäer wendet sich im allgemeinen mit Abscheu von allen diesen Thieren ab; der Katholik liebt mit vollem Rechte die Frösche als Fastenspeise, und zwar ißt er im Norden nur die Schenkel derselben, während er im Süden den ganzen abgehäuteten und ausgeweideten Frosch sich schmecken läßt. Wo die beiden Konfessionen einander berühren oder durchdringen, hat der Frosch auch protestantisches Gebiet erobert. Auch die Nationalität spielt mit hinein – unter gleichen Verhältnissen wird der Franzose Frösche essen, der Engländer nicht, und die Anrede jenes englischen Generals ist bekannt:
„Wollt Ihr Engländer, die Ihr alle Tage Roastbeef eßt, Euch von diesen Froschessern schlagen lassen?“
Als ich im Sommer 1835 zum ersten Male als Flüchtling französischen Boden im Elsaß und zwar in Straßburg betrat, wunderte ich mich nicht wenig über die pittoreske Krönung der Festungswälle in den Nachmittagsstunden. In Reihen saßen die Rothhosen auf dem Gesimse und angelten mit langen Rohrstengeln, an deren Schnüren feine Haken mit rothen Läppchen geködert waren, nach den Fröschen in den Festungsgräben. Aber die Straßburger Frösche waren meist sehr gewitzigt; sie saßen reihenweise am entgegengesetzten Ufer des breiten Grabens gegen das Glacis hin, wohin die Soldaten mit ihren Ruthen nicht gelangen konnten, und quakten ihre Verfolger etwas höhnisch an. Die Frösche wußten offenbar sehr wohl, daß die Angler die Thore der Festung nicht passiren durften.
Nicht minder maßlos war mein Erstaunen, als einer meiner Schicksalsgenossen, der die gemeinsame Flüchtlingsmenage zu besorgen hatte, eines Tages mit mehreren Sprenkeln zu je fünfzig Beinpaaren vom Markte kam: „die Froschschenkel seien heute sehr billig gewesen!“ Ich unterdrückte mannhaft einige Regung von Ekel, als die Dinge, appetitlich gebraten, auf den Tisch kamen, erinnerte mich einiger Sprichwörter, wie „Prüfet alles und das Beste behaltet!“ oder „Was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht“, und da ich kein Bauer sein wollte, prüfte ich und war von dieser Zeit für Froschschenkel, nicht nur als galvanische Instrumente, sondern auch als Nahrungsmittel eingenommen.
So weit es in den südlichen Klimaten Erdfrösche von der Größe unserer Teich- und Grasfrösche giebt, wird ihnen auch eifrig nachgestellte; die Ochsenfrösche der Vereinigten Staaten Nordamerikas, die bis zu 300 Gramm schwer werden können, sind von der östlichen Küste bis zu dem Mississippi hin eine gesuchte Jagdbeute, denn man angelt und fängt sie nicht nur in Netzen und Fellen, sondern schießt sie auch, wie die kleineren Entenarten. Die Kröten aber werden nirgends angerührt und ebenso wenig habe ich gehört oder gelesen, daß die doch sonst so appetitlich aussehenden Laubfrösche, die in den Tropengegenden oft sich in Scharen unter den Dächern der Häuser zusammenfinden und durch den Höllenlärm, den sie machen, eine wahre Nachtplage werden, von den ihres Schlafes beraubten, rachgierigen Bewohnern zur Strafe verzehrt worden seien. Wohl aber giebt es zwei Wassermolche, die zur lokalen Ernährung dienen und beide auch in anderer Beziehung wohl allzuwenig bekannt sind.
Die eine Art ist der japanische Riesenmolch (Cryptobranchus maximus), ein wirklich scheußlich häßliches Thier, das bis anderthalb Meter lang werden kann. Der bekannte Erforscher Japans, Ph. F. v. Siebold, entdeckte das Thier in den südlichen Gebirgsgegenden der Insel Nipon und brachte ein Exemplar, ein Männchen, im Jahre 1820 nach Lehden, wo es, wenn ich nicht irre, noch heute lebt. Siebold besaß ein Pärchen, aber der liebende Gatte fraß sein Weibchen während der Ueberfahrt auf. Das Thier lebt in klaren Gebirgswässern, in Höhen bis zu 1500 Fuß über dem Meere, ist außerordentlich träge, schnappt aber gierig nach Fischen und Würmern. Als Siebold in Japan reiste, war es noch ein beliebtes Wild, dem man mit der Angel eifrig nachstellte, um es auf die Märkte zu bringen. Heute haben Museen und Aquarien die größte Mühe, sich Exemplare zu verschaffen, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß das seltsame Thier, dessen Skelett auffallend demjenigen eines in den Oeninger Steinbrüchen gefundenen und von Scheuchzer für ein vorsündfluthliches Menschenkind gehaltenen fossilen Molches gleicht, in nicht langer Zeit wird ausgerottet sein.
Gleiches Schicksal würde vielleicht den Axolotl (Siredon pisciformis) bedrohen, wenn nicht das wissenschaftliche Europa sich ins Mittel gelegt und ihn in großen Mengen gezüchtet hätte und noch züchtete.
Als die Spanier unter Cortez die Stadt Mexiko eroberten, fanden sie den dortigen Markt mit eigenthümlichen Fischen aus dem die Stadt umgebenden See befahren, welche eine schuppenlose, schwarz- und braungefleckte Haut und vier Füße hatten wie die Eidechsen, deren Zehen aber nagellos waren, wie bei den Fröschen. Das Thier, meint der Chronist Hernandez, habe seinen mexikanischen Namen, welcher Wasserspiel bedeute, von der seltsamen, lächerlichen Gestalt erhalten. Wer einmal einen Axolotl gesehen, wird das dunkel gefärbte Thier mit dem platten, breiten Kopfe, den kleinen Augen, den schwarzen Kiemenbüscheln hinter dem Kopfe, den hellfarbigen, winzigen Füßen, dem plumpen Leibe und breitgedrückten Ruderschwanze sehr häßlich, aber gewiß nicht lächerlich finden. Aber das Fleisch schmeckte gut, ähnlich dem der Aale, und man bereitete den Axolotl wie andere Fische, man kochte, schmorte und briet ihn, stets mit viel Gewürz und spanischem Pfeffer, wie dies in heißen Klimaten üblich. Die Spanier nahmen ihn sofort unter die Fastenspeisen auf, und da der Axolotl nur im See von Mexiko vorkam, richtete man nicht geringe Verheerungen unter ihnen an. Zu Humboldts Zeiten waren sie schon seltener geworden; doch konnte Cuvier an zwei Exemplaren in Weingeist, die Humboldt ihm brachte, feststellen, daß das Thier zwar die Organisation einer Molchlarve habe, aber doch ein fortpflanzungsfähiges Wesen sei. Vor zwanzig Jahren kamen zum ersten Male lebende Axolotls nach Paris, legten Eier, die auskrochen, und einige der Jungen verwandelten sich später in Erdmolche ohne Kiemen, die man schon vorher aus Amerika erhalten hatte. Nun war begreiflicherweise des Versuchens, Züchtens und Pröbelns an dem Thiere, das merkwürdigerweise sich unter beiden Gestalten, als Larve und als Salamander fortpflanzt, kein Ende und heutzutage leben in Aquarien und Teichen Europas ganz gewiß mehr Axolotl als in dem ganzen See von Mexiko. Einer meiner Freunde in Genf hatte ihrer genug gezüchtet, um eines [676] Tages zum Frühstück welche zu verzehren; er fand viele Aehnlichkeit im Geschmacke mit Froschschenkeln.
Mit Hühnerfleisch dagegen vergleichen alle, welche davon gekostet haben, das Fleisch der großen Eidechsen und mit Hühnereiern die Eier derselben. Wenn unsere einheimischen Eidechsen eine Länge von anderthalb bis zwei Metern und ein Gewicht von einigen Kilos erreichten, so würde man ohne Zweifel den Versuch gemacht haben, Eidechsen und selbst Schlangen in die Fastenküche hineinzuziehen, wie es in den südlichen und besonders tropischen Ländern geschehen ist; wer aber möchte Zeit und Mühe mit dem bei uns herumkriechenden Kleinzeug verschwenden, das kaum einen hohlen Zahn zu füllen im Stande wäre?
Krokodile, Alligatoren und Kaimane werden nur an wenigen Orten verspeist. Die Eingeborenen sind nur selten hinlänglich bewaffnet, um eine erfolgreiche Jagd ohne allzugroße Gefahr ausüben zu können, und die Europäer nehmen wohl die Häute zu Schuhwerk, verschmähen aber das Fleisch wegen des Moschusgeruches, den es von zwei großen Bisamdrüsen annimmt, die an dem Unterkiefer liegen und deren Inhalt von eingeborenen Afrikanerinnen, Asiatinnen und Südamerikanerinnen gleich hoch geschätzt wird. Die großen Segelechsen und Varane oder Warneidechsen der alten Welt, Amboinas und Ostindiens, werden aber mit eben solcher Vorliebe gejagt wie die Fasanen, welchen sie im Geschmacke ähneln sollen, und Mexikaner wie Brasilianer halten Hunde, welche ebenso aus Leguane und Tejueidechsen dressirt sind wie unsere Vorstehhunde auf Hasen und Feldhühner. Ein mir befreundeter Schweizer, der eine große Plantage in Brasilien besaß, versicherte mir, daß ihm zwischen den Truthühnern, die er dort auf seinem Hofe mästete, und den Tejuechsen, die er im Walde jagte, die Wahl wehe thue.
Die wilden Eingeborenen in Brasilien essen gerne Riesenschlangen und die Australier sogar Giftschlangen, Schwarzottern, welchen sie den Kopf abgehauen haben. Wyder in Lausanne, ein wahrer Schlangenvater, in dessen Zimmern die Nattern dutzendweise herumkrochen, hat mir einmal vor Zeiten eine vortreffliche Suppe vorgesetzt, deren Fleischbrühe aus Vipern gekocht sein sollte. Er sagte dies erst nachher. Ich weiß nicht, ob es wahr war, oder ob er mich nur foppen wollte.