Allerlei Hochzeitsgebräuche/Französische Hochzeitsgebräuche

Textdaten
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Autor: Friedrich Herman Semmig
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Titel: Französische Hochzeitsgebräuche
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 416–420
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Allerlei Hochzeitsgebräuche.

Nr. 2.0 Französische Hochzeitsgebräuche.
Von Herman Semmig.

Das Erste, was meine Augen am 2. März 1851, am Tage nach meiner Ankunft, in Nantes erblickten, wohin mich die Regierung des Prinz-Präsidenten Napoleon als Flüchtling nach den deutschen Sturmjahren internirt hatte, war eine Volkshochzeit. Ich saß eben beim Frühstück im Hôtel „Zum Schilde Frankreichs“, das am Quai der Loire bei dem Landungsplatze der Dampfschiffe liegt, die zwischen Angers und Nantes auf- und abfahren, als mich lustige Fiedelklänge an’s Fenster lockten; es war ein langer, langer Zug von munteren Paaren, eins nach dem andern, dem ein Violinspieler aufspielend voranging. „Was ist das?“ fragte ich den Wirth.

„C'est une noce, Monsieur.“

Eine Hochzeit! Ich nahm es für ein gutes Vorzeichen und meine Hoffnung hat mich nicht getäuscht: ich habe seitdem in meinem zwanzigjährigen Aufenthalte in Frankreich alle möglichen Rollen bei diesem schönsten Feste des Lebens gespielt, ich betone: alle, verehrte Leserin, und einen reichen Schatz von freundlichen Erinnerungen eingeheimst. Wenn ich aber je in einem Landesstrich – ich habe allerlei Provinzen bereist und bewohnt – nicht dabei sein konnte, so ließ ich mir doch erzählen, was da „ländlich sittlich“ war. Und da sich die Leserin sicher für dieses Fest interessirt – „denn dies ist doch die größte Freude, auf die ein Mädchen hoffen kann,“ sagt der gemüthliche Gellert – so will ich ihr einiges von den Gebräuchen mittheilen, die dabei in verschiedenen Gegenden Frankreichs herrschen.

In Paris haben die Hochzeitsgebräuche nichts abweichend Eigenthümliches; die Volkshochzeiten ziehen zuweilen vor die Barrière hinaus und nehmen dann in den dortigen „Guinguetten“ (Weinwirthschaften mit Garten) ein für den Fremden besonderes Gepräge an, aber seit dem riesigen Anwachsen der Stadt verschwindet auch dieser Rest von Originalität. Bei den kleinbürgerlichen Hochzeiten, die in den billigen Restaurants des Palais royal abgehalten werden, soll, wenn man den Witzblättern glauben darf, noch der alte Scherz vorkommen, daß sich während des Nachtisches ein jugendlicher Spaßvogel, meist ein Knabe, unter den Tisch schleicht und der Braut heimlich das Strumpfband löst, welches dann zerschnitten und unter die Gäste vertheilt wird. Wo aber die angeheiterte Gesellschaft an diesem einer derberen Zeit entstammenden Gebrauche noch festhält, da weiß die Braut das Bedenkliche dabei zu umgehen und drückt dem Knaben unter dem Tische eine Handvoll zugeschnittener Bänder in die Hand, mit dem die Einbildungskraft der Gäste fürlieb nehmen muß. Ein besonderes Pariser Herkommen ist es noch, daß nach dem Hochzeitsmahl die Gäste in das Boulogner Gehölz fahren; beim oberen Teiche, See genannt, halten sie an und gehen um denselben spazieren. Man sieht hier oft mehrere solcher glücklichen Paare sich zusammenfinden; der Fremde erkennt die Braut besonders an dem Orangeblüthenkranz und -Strauß, der in Frankreich an Stelle der Myrte tritt.

Nur in dem Lande selbst, der „Provinz“, findet man noch volksthümliche Gebräuche, aber man eile, wenn man die Reste von der früheren bunten Mannigfaltigkeit noch sehen will! Denn „die Cultur, die alle Welt beleckt“, fährt auf den Schienen der Eisenbahn in die verborgensten Winkel. Da ist z. B. die keltische Bretagne, eines der eigenthümlichsten Länder, wo noch ein Dialekt der alten Ursprache der Gallier gesprochen wird. Bei meinen mehrjährigen Wanderungen durch diesen Keltenwinkel fand ich nur noch geringe Reste der Gebräuche vor; doch an Einem hielten die Frauen auf dem Lande fest, an ihrer pittoresken einheimischen Kleidung, wie sie namentlich bei festlichen Gelegenheiten getragen wird.

Diese malerische Nationaltracht sah ich einmal im Flecken Batz an der Seeküste im Departement der Niederloire zu schnöder Geldspeculation benutzt; ich schlenderte durch die Gassen des alterthümlichen Ortes, als mich eine Frau, die unter der Thür ihres Hauses stand, anredete: „Wenn Sie wollen, so ziehe ich mich Ihnen als Braut an.“ Natürlich gegen Geldentschädigung. Es mißfiel mir, das Festkleid vor einem Fremdling zum Erwerbe benutzt zu sehen; es kam mir wie eine Entweihung vor – ich lehnte ab.

Der Flecken Batz nahe bei Saint-Nazaire zeichnet sich in jeder Hinsicht durch ein charakteristisches Gepräge aus; die männliche Bevölkerung soll von Sachsen, normännischen Seeräubern, abstammen, die einst hier gelandet und sich niedergelassen haben; ihr

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Einkauf der Brautaussteuer in der Normandie. Nach dem Oelgemälde von Henry Mosler.

[418] Costüm ist höchst malerisch. Uebrigens heirathen die Einwohner nur unter einander, bilden ein Volk für sich, was zur Erhaltung des Typus und der Gebräuche beiträgt.

Am Tage der Hochzeit, erzählt ein Tourist, begiebt sich der Bräutigam in die Wohnung der Braut, um sie zur Kirche zu führen; aber ehe er zu ihr gelangt, hat er mancherlei Hindernisse zu überwinden. Zuerst schließt man die Thür vor ihm zu; hat er endlich mit Beharrlichkeit durchgesetzt, daß sie ihm geöffnet wird, so führt man ihm nach einander mehrere junge Mädchen vor, und jede derselben wird ihm als seine Braut ausgegeben. Endlich tritt er in die Wohnung, aber bevor er seine Erwählte findet, muß er oft das ganze Haus durchsuchen, um den Winkel zu entdecken, wo sie sich der Sitte gemäß versteckt hat. Nun hat er endlich seinen Schatz, aber er bleibt nicht lange im Besitze desselben; denn nach der Trauung trennt man die jungen Eheleute, wenn sie aus der Kirche treten, auf's Neue. Die Eltern und Verwandten des jungen Mannes folgen ihm in seine Wohnung; die der jungen Frau führen dieselbe wieder in ihr Heim, und jedes speist für sich. Nach der Mahlzeit vereinigen sich beide Familien wieder, und man tanzt den ganzen Abend nach der Sackpfeife. Ist die Nacht gekommen, so geleitet man die jungen Ehegatten in ihre Wohnung; hier reichen die Burschen der Frau einen Blumenstrauß und einen Kuchen, wobei sie ein Lied singen, das ihr ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter vorhält. Nach jeder Strophe trinkt man auf das Wohl der Neuvermählten, und einer der Verwandten giebt das Zeichen, indem er ausruft: „à la santé de Madame la mariée!“ Alle Anwesenden heben einen Fuß und Arm auf und antworten: „Honneur!“ Endlich ziehen sich die Gäste zurück und überlassen die Vermählten sich selbst.

Landeinwärts, bei dem auf der Höhe gelegenen alterthümlichen Städtchen Guérandé wird die Hochzeit in der Schenke auf Kosten der Gäste abgehalten; die Neuvermählten haben nichts zu bezahlen. Der Wirth schenkt sogar noch der Braut den Kopfputz, und jeder der Gäste — es sind deren manchmal hundert und mehr — bringt ein Hausgeräth in die junge Wirthschaft, eine Freigebigkeit, die aber in neuerer Zeit nachgelassen hat. Die dortigen Salzbauern — man gewinnt hier das Seesalz in künstlichen Teichen — halten die Hochzeit gewöhnlich im Dorfe Saillé in der Ebene, und da dasselbe ziemlich entfernt ist, so reitet man hin, und zwar paarweise, zuerst das Brautpaar, dann die Gäste, von denen Jeder hinter sich auf das Pferd ein Mädchen geladen hat, welches sich fest an den Reiter anklammert, dessen Leib mit beiden Armen umschlungen haltend.

Jenseits der Loire, wo der südliche Theil der Bretagne an die Vendée grenzt, war ich einmal Bräutigamsführer, garçon d’honneur; die Braut hatte ebenfalls einen Führer. Es waren brave Landleute. Der Sitte gemäß trat ich am Trauungsmorgen in die Wohnung; zuerst hatte ich Vater und Mutter des Bräutigams auf die Wange zu küssen, dann den Letztern selbst; darauf ward mir ein künstlicher Blumenstrauß an den Rock geheftet, und ich bot nun dem Bräutigam den linken Arm, um ihn, gefolgt von allen Verwandten und Eingeladenen, in die Kirche zu führen; die war eine Stunde entfernt, und bis dahin durfte ich den Arm nicht fahren lassen. In dem Städtchen, in dem die Trauung stattfand, wurden wir mit Freudenschüssen empfangen.

Nach der Ceremonie war der Platz vor der Kirche in einen kleinen Jahrmarkt verwandelt, und jeder der Gäste kaufte hier ein Hausgeräth oder sonstiges Geschenk ein. Auf dem Heimwege hatte der junge Mann seine Angetraute am Arm. Vor dem Hofe angelangt, mußten sie halten; die Schwiegereltern boten hier der jungen Frau Butter und Wein an, und sie mußte von beiden kosten. Dann trat das Paar in den Hof; an der Hausthür wurde wieder Halt gemacht; die junge Frau küßte hier ihre Schwiegereltern, und nun erst trat sie in ihre neue Wohnung. Nach der Mahlzeit, zu der die Gäste ihre Messer selbst mitzubringen hatten (nur die Gabeln wurden geliefert), wurde zum Tanz angetreten: „on fait danser la vaisselle!“ („man läßt das Geschirr tanzen!“) hieß es. Die eingekauften Geschenke werden nämlich während eines Tanzes vor dem jungen Paare niedergelegt, das demselben sitzend zuschaut. Vor dem Hause aber ist eine Maie aufgepflanzt, deren Stamm unten mit dürrem Reisig umgeben ist, das bei der Rückkehr des Paares in Brand gesteckt wird; sobald die Flamme zu flackern beginnt, schießen die jungen Burschen hinein; lischt nun die Flamme aus, so bedeutet das, daß die junge Frau keine Geduld bei ihren häuslichen Verrichtungen haben wird. Die Maie bleibt bis zur Taufe des Erstgeborenen stehen.

Die Poesie spielt in der Bretagne bei festlichen Gelegenheiten eine große Rolle, in der keltischen noch mehr als in der französischen. So wird z. B. von dem Dörfchen Boissière, das südöstlich von Nantes inmitten ausgedehnter Haiden liegt, Folgendes erzählt. Der junge Mann, der um ein Mädchen freit, begiebt sich Nachts vor ihr Haus und singt da dieses Verschen:

„Il ne fait point clair de lune;
     Belle, levez-vous!
Tandis que la nuit est brune,
Venez danser avec nous!"

(„Es ist kein Mondschein; Steh’ auf, meine Schöne! Während es Nacht ist, Komm’ und tanze mit uns!“)

Verschmäht das Mädchen die Verlobung, so antwortet sie:

„Il fait trop beau clair de lune;
     Garçon, laissez-nous!
La nuit n’est pas assez brune,
Pour que je danse avec vous.“

(„Der Mondschein ist zu hell; junger Bursch, laßt uns in Ruh’! Die Nacht ist nicht dunkel genug, Als daß ich mit euch tanzen könnte.“)

Wurde aber das Herz der Schönen vom Gesang gerührt, dann steht sie auf, öffnet sachte das Fenster und singt:

„Pourquoi, l’amant, venir ainsi
     Troubler mon sommeil?
Je n’entends point, quand il fait nuit;
     Venez au réveil!“

(„Warum kommt Ihr, mein Verliebter, Meinen Schlaf zu stören? Ich höre nicht, wenn es Nacht ist; Kommt, wenn wir munter sind!“)

So mangelhaft auch die Verse sind, der glückliche Freier wird dadurch entzückt, aber am Ziel ist er darum noch nicht: vierzehn Nächte hinter einander muß er die Serenade wiederholen, vielleicht um seine Treue und Ausdauer aus die Probe zu stellen. —

Ein paar Stunden südlich von Orleans und Blois dehnt sich, von den Flüßchen Sauldre und Beuvron durchschnitten, ein ärmlicher, dürftiger, ungesunder Landstrich hin, la Sologne; seine Bewohner leiden fortwährend an Fieber. Natürlich siedeln sich wenig Fremde dort an. Eine Folge davon ist, daß die Leute ihren nationalen Charakter und ihre alten Gebräuche treu beibehalten haben; daß sich bei den kümmerlichen Verhältnissen Körper und Geist nicht kräftig entwickeln, begreift sich.

Das Land wird wenig besucht aus Angst, von den Fiebern angesteckt zu werden. Ein Ort namentlich gilt für ungesund; sein unheimlicher Name schon macht zittern: Tremblevif; er rührt aber nicht von dem fieberhaften Zittern der Bewohner her, sondern von einer Zitterespe, die aus einem Kirchenpfeiler herauswächst.

Auch in der Sologne hält man Hochzeit trotz des ungesunden Klimas, und der Aberglaube spielt dabei eine große Rolle. Der Solognot erlaubt seiner Frau bei der Trauung nicht, den Trauring selbst anzustecken, sondern er selbst schiebt ihn vorsichtig bis zum dritten Gliede; denn wenn er anders thäte, würde sicher seine Frau Herr im Hause sein. Während der Trauung hält jedes von Beiden eine brennende Kerze in der Hand, und man glaubt, daß, wessen Wachs am weitesten herunter gebrannt ist, zuerst sterben wird. Kaum glaublich klingt folgender trotzdem verbürgter Gebrauch: während der Priester am Altare die Traumesse liest, sticht man Braut und Bräutigam von hinten bis auf’s Blut, um zu wissen, wer von Beiden am eifersüchtigsten sein wird.

Die Hochzeit dauert mehrere Tage; da wird getanzt, gespielt und getrunken. Man ladet nicht nur den Herrn und die Frau von jedem Nachbarhause ein, sondern auch die Dienstboten, Tagelöhner, die Gebrechlichen und die Kinder. Jeder der Eingeladenen darf seinerseits andere Personen dazu einladen. Am ersten Tage wird nach dem Festmahl, bei welchem, wenn auch die Küche nicht die feinste ist, sich Jeder tüchtig satt essen kann, für die Neuvermählten eine Sammlung angestellt. Dieselbe geschieht auf verschiedene Weise: bald giebt die junge Frau ihren bräutlichen Strauß den Brautjungfern; diese führen unter den grellen Klängen der Dorfgeige verschiedene ländliche Tänze auf, wobei der Strauß von Hand zu Hand wandert und die Tänzerinnen im Vorbeitanzen die Freigebigkeit der Gäste ansprechen; bald übernimmt eine Procession von fünf Bauernmädchen die Sammlung. Die erste hält in der Hand einen Rocken und eine Spindel, zeigt beides den Gästen vor und singt dabei:

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„L’éspousée a bien quenouille et fuseau,
Mais de chanvre, hélas! pas un écheveau.
Pourra-t-elle donc filer son trousseau?“

(„Die junge Frau hat wohl Rocken und Spindel, aber leider! keinen Strähn Hanf. Wird sie denn ihre Aussteuer spinnen können?“)

Die zweite empfängt die Spenden in einem Becher der Neuvermählten; die dritte schenkt den freigebigen Gästen zu trinken ein; die vierte wischt mit einer Serviette den Trinkern den Mund ab, auf welchen die letzte, gewöhnlich die hübscheste, zum Danke einen Kuß drückt.

Am letzten Tage der Hochzeit giebt es einen drolligen Spaß. Auf eine Stange wird ein Steinkrug gestülpt; die Gäste gehen nun mit verbundenen Augen und einen Stock in der Hand auf den Topf zu, um ihn mit einem Schlage zu zertrümmern; wer so glücklich ist, hat das Recht, die junge Frau zu küssen; wem es mißlingt, der muß sich auf einen Thron von Laubwerk setzen; man schenkt ihm zu trinken ein, und Jeder thut, als ob er mit ihm anstieße. Er muß nun so lange trinken, bis es ihm gelungen ist, an das Glas eines der Necker zu stoßen, der dann seine Stelle einnimmt, bis auch dieser wieder abgelöst wird.

Eine andere Gegend, wo das Landvolk noch mancherlei Eigenthümlichkeit in Gebräuchen und Aberglauben bewahrt hat, ist das Bourbonnais, welches jetzt das Departement des Allier mit der Hauptstadt Moulins bildet und im Süden an die Auvergne grenzt. Ein Händedruck auf dem Tanze des „Apport“ (so werden hier die Volksfeste oder Kirmsen genannt), den die Hand des anderen Theiles erwiedert hat, ist gewöhnlich die Einleitung zur künftigen Ehe. Einige Zeit nach dem Händedruck kommt eines Sonntagsmorgens der Freier in Begleitung einer Mittelsperson zu den Eltern der Begehrten. Gleich nach der Ankunft wird die Pfanne in’s Feuer gethan; bäckt man nur einen Eierkuchen, so ist es so gut wie gewiß, daß die Werbung vergeblich ist, wird aber ein feineres Gebäck, des beignets (Aepfelschnittchen), bereitet oder giebt man gar dem jungen Galan den Pfannenstiel einen Augenblick zu halten, dann ist sein Gesuch angenommen; er kann sich als ein Glied des Hauses betrachten.

Am Tage vor der Hochzeit hört man draußen eine Sackpfeife dudeln; das Herz der Braut schlägt lauter unter dem rauhen Mieder. In der That sind es die jungen Bursche aus dem Dorfe, die dem Bräutigam das Geleit geben; derselbe überbringt seine Geschenke und kommt das Hemd abzuholen, das er aus den Händen seiner Verlobten erhalten soll. Aber das Herkommen hat seine Gesetze; man tritt nicht so ohne Weiteres bei den Eltern der Tochter ein. Die Thür ist verschlossen; man muß mit der Sackpfeife anklopfen, mit nichts Anderem, und dabei folgende Verse absingen, bei denen, wie bei aller Dorfpoesie, die Regeln der Kunst wenig beachtet werden:

„Ouvrez, ouvrez la porte,
Françoise, ma mignonne!
De beaux cadeaux à vous présenter
Hélas! ma mie, laissez-nous entrer!“

(„Mach’ auf, mach’ auf die Thür, Françoise, mein Liebchen! Schöne Geschenke Dir darzureichen, Ach! meine Liebste, laß’ uns ein!“)

Weibliche Stimmen antworten von innen:

„Moi, vous laisser entrer?
Je ne saurais le faire;
Mon père est en colère!
Ma mère est en tristesse;
Une fille d’aussi grand prix
N’ouvre pas la porte à ces heures-ci.“

(„Ich, Euch einlassen? Das kann ich nicht; Mein Vater ist aufgebracht, Meine Mutter traurig; Ein Mädchen von so großem Werth Oeffnet die Thür nicht zu dieser Stunde.“)

Nun beginnen die Burschen wieder zu singen und zählen alle Geschenke auf, die sie mitbringen: Bänder, ein Taschentuch, einen Ring, eine Schürze. Aber die bösen Mädchen bleiben unbeugsam, bis die jungen Leute draußen singen: „Un jeune garçon à vous présenter, einen jungen Burschen überbringen wir Euch.“ Bei diesem bestimmten Worte öffnet sich, dem Herkommen gemäß, die Thür, „denn das ist ja die größte Freude, auf die ein Mädchen hoffen kann“, und die lustige Schaar dringt ein. Aber die Mädchen haben sich unter ein Tuch versteckt; der Bräutigam muß seine Braut errathen und die Hand auf sie legen, sonst wird er den ganzen Abend von ihr fern gehalten. Allein selten irrt sich der verliebte Forscher, aus dem einfachen Grunde, weil zwei für den Irrthum büßen würden: ein Finger, der durch das Tuch hindurch in das Knie kneipt, ein leichter Tritt auf den Fuß, ein leises Lachen, das man erkennen muß, kommen dem Sucher immer zu Hülfe.

Am andern Tage wartet man auf die Neuvermählten, wenn sie aus der Kirche kommen, mit einer Schüssel voll Suppe, von der sie zum Zeichen ihrer nunmehrigen Gemeinschaft mit demselben Löffel kosten müssen. Aber die ländliche Bosheit hat eine starke Dosis Pfeffer in dieses erste eheliche Gericht gemengt – ein schlechter Spaß, welcher der jungen Frau zuweilen ein paar Stunden Husten verursacht. Wenn nun die Neuvermählte bei der Heimkehr über die Thürschwelle tritt, muß sie von jedem der anwesenden jungen Burschen einen Kuß annehmen.

Die Hochzeitsmahlzeiten sind hier, wie überall aus dem Dorfe, massenhafte Schmausereien. Wenn die Nacht kommt, gehen die Meisten auf den Heuboden (hier Chambarat genannt) schlafen; die jungen Burschen erlauben sich aber noch einen Spaß, der über die Derbheit hinausgeht, unlängst noch bestanden hat und nunmehr hoffentlich gänzlich verschwindet: sie bringen den Neuvermählten la rôtie (geröstete Brodschnitte) an’s Bett, das heißt die letztern müssen sich in einem Milchgefäße die Hände waschen und eine Tasse Glühwein austrinken, wobei ihnen Federn in’s Gesicht geblasen werden und dasselbe mit Kohle geschwärzt wird. Zuweilen setzt der Ehemann sich zur Wehr, und die Festfreude endet mit einer Schlägerei.

Am Tage nach der Hochzeit wird „der Kohl gepflanzt“. Die jungen Leute bringen einen mit Blumen geschmückten Kohlkopf, stellen ihn auf den Dachgiebel und bleiben dabei. Andere, die den Titel „Gensd’armen“ führen und einen Gürtel von Strohhalmen tragen, halten in der Hand das Ende eines Strickes, dessen anderes Ende an den Kohlkopf gebunden ist; soweit es ihnen nun die Länge des Strickes erlaubt, laufen sie den Mädchen nach, die zur Hochzeit gehören und bald ihnen entfliehen, bald sie necken. Diejenigen, welche nicht flink genug sind und erhascht werden, werden unter das Dach geführt und von den Kohlwächtern auf dem Dache mit Wasser begossen.

Die alten Leute, die dieses Gelärme satt haben, haben sich schon bei Zeiten wieder an den Zechtisch gesetzt und singen:

„Nos chevaux sont à la porte,
Tout sellés, tout bridés,
Que le diable les emporte,
Je ne veux point m’en aller.“

(„Unsere Pferde stehen vor der Thür, Gesattelt und gezäumt; Der Teufel soll sie holen; Ich will nicht fort von hier.“)

Endlich entschließt man sich doch abzuziehen, aber gewöhnlich erst, wenn die Fässer leer sind.

Das anmuthige Bild, das dieser Skizze beigegeben ist, führt uns eine Scene aus der Normandie vor; die junge Braut läßt sich in einem Kramladen das Hochzeitskleid anmessen; die Scene bedarf keiner Erläuterung. Aber von den in der Normandie herrschenden Gebräuchen wollen wir noch zum Schlusse reden.

Die Normandie, deren Hauptstadt Rouen ist, bildet jetzt fünf Departements, die untere Seine, die Eure, das Calvados, die Manche und die Orne. Der Aepfelwein (le cidre) ersetzt hier den Wein; die Einwohner gelten für schlau und rechthaberisch.

In der obern Normandie halten gewöhnlich die Eltern oder die Freier selbst um das Mädchen an, in der Niedernormandie geschieht dies immer durch Mittelspersonen. Der Aberglaube spielt auch hier seine Rolle. Die alten Weiber im Bezirke von Pont-Audemer (Eure) wissen von manchen Hindernissen zu erzählen, auf die ein Mädchen stoßen kann, das sich unter die Haube sehnt. Tritt z. B. ihr Fuß aus Versehen auf den Schwanz einer Katze, so wird sie unter sieben Jahren keinen Freier finden; tritt sie dem Thiere auf die Pfote, so hat sie sich drei Jahre zu gedulden. Man kann sich daher denken, daß die weibliche Jugend sich das Katzengeschlecht fern vom Leibe hält. Und wie ängstlich überwacht das Mädchen in der Normandie die Wärme des Wassers, mit dem das Geschirr ausgewaschen wird! Denn kommt es zum Sieden, so ist lange an kein Heirathen zu denken.

Der Hochzeitszug zur Mairie (Standesamt) geht paarweise, eine Fiedel voran, wie in Nantes, und unter Flinten- und Pistolenschüssen. In den meisten Orten werden bei dem Feste die Straßen gesperrt, d. h. man zieht über die Straße ein Seil, an dem Bänder und Blumen befestigt sind; der Durchgang wird durch ein Geldgeschenk erkauft. In Quillebeuf an der Seine herrschte ein sonderbarer Gebrauch, der noch nicht ganz abgekommen ist: nach [420] der Trauung begaben sich einige Gäste nach der Wohnung des Gatten, während die Neuvermählte zurückblieb; sie kam nach, klopfte an die Thür und bat um die Erlaubniß, einzutreten, um sich so dem Spruche zu unterwerfen: „und er soll Dein Herr sein.“

Ein besonderer Gebrauch im Departement der Orne ist folgender: Der junge Mann nimmt nicht Theil an der Festmahlzeit; er hat vielmehr die Gesellschaft zu bedienen und theilt die Strapazen mit dem Koche. Alle Ehre wird der Frau erwiesen, die in der Mitte einer hufeisenförmigen Tafel sitzt; ihr Stuhl ist mit weißem Linnen bedeckt und mit drei Blumensträußen geschmückt; hinter ihr fällt ein weißes Tuch als Teppich herab. Die Bewirthung der Gäste ist reichlich, und man unterbricht die Mahlzeiten nur, um zu tanzen. Die Strumpfbänder der Braut werden hier noch in Wirklichkeit von dem jüngsten Gaste der Braut gelöst und dann zerschnitten und vertheilt. Jener gar zu derbe Gebrauch, den wir unter dem Namen la rôtie im Bourbonnais gefunden haben, existirt auch in der Normandie, aber er ist auf den andern Morgen verschoben, doch Federn und Kohle spielen hier keine Rolle.

Ueberall in der Normandie vereinigen sich die Gäste noch einmal am Sonntage nach der Hochzeit, um zu Ehren der Neuvermählten lustig zu sein. Im Departement der Orne nennt man dies „die Katze peitschen, fouetter le chat“, in der obern Normandie „faire le raccroc (der glückliche Nachschub)“, oder auch „manger la paille du lit de la bru (das Bettstroh der Schwiegertochter essen)“.

Die ursprünglichen Sitten aller Völker hatten etwas Derbes, Rauhes; mit der Verfeinerung wird das Rauhe roh gefunden. Die große Abgeschlossenheit einzelner Provinzen, besonders der Dörfer, hat in Frankreich, wie wir im Bourbonnais und in der Normandie sahen, noch Gebräuche aufbewahrt, die mit dem besseren Geschmacke im Widerspruche stehen. Aber das Dampfroß, das schon Aufklärung in die alte Vendée gebracht hat, wird auch diesen letzten Rest mittelalterlich derber, ungenirter Eigenthümlichkeit beseitigen. Leider fällt damit freilich auch mancher gute und poetische Zug des Volksthums; ist doch schon die Anhänglichkeit an der Väter Brauch ein sittliches Moment. Nur Eines bleibt unvergänglich: die Liebe, der irdische Traum vom Paradiese; denn wie sich alljährlich im Lenze die Natur erneut, so erneut sich mit jedem jungen Geschlechte die Menschheit, und das Pfingstfest der Liebenden ist die Hochzeit. Die Formen und Gebräuche dabei wechseln, aber der Genius, der die Paare beseelt, war und ist überall derselbe: der heilige Geist der Liebe.