Textdaten
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Autor: l.
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Titel: Alice Barbi
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aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 533, 547
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[533]

[Alice Barbi]

[547] Alice Barbi. (Zu dem Bildnisse S. 533, nach einer Photographie aus dem Atelier Krziwanek in Wien.) Fast wie das Mädchen aus der Fremde ist sie vor zwei Jahren in Wien erschienen. Niemand wußte, woher sie kam, und jedem brachte sie eine Gabe, dem Verehrer altitalienischer Musik wie dem Bewunderer von Beethoven und dem Liebhaber des deutschen Liedes. Das Halbdunkel, welches auf den Anfängen von Alice Barbi, der heute allenthalben hochgefeierten italienischen Sängerin, liegt, ist noch immer nicht ganz zerstreut, und alles, was man uns erfahren läßt, ist in wenigen Worten zusammen zu fassen: Alice Barbi ist um die Mitte der fünfziger Jahre geboren, und zwar zu Florenz oder wenigstens in der Nähe der Arnostadt. Ihre arme Familie konnte nichts für die Ausbildung ihres Gesangtalentes thun, aber das Glück ließ sie eine reiche Persönlichkeit des toskanischen Adels finden, welche großmüthig die Kosten hiefür trug. Und nun ist die Künstlerin imstande, durch ihren Ruhm die ihr erwiesene Unterstützung zu belohnen und zugleich als gute Tochter und Schwester den Ihrigen zu helfen.

Wird somit die Neugier, welche das Vorleben Alice Barbis erforschen möchte, nur halb befriedigt, so hat die Sängerin selbst gleich beim ersten Eintritt in die deutsche Musikwelt alle Titel aufgewiesen, die ihr eine glänzende Aufnahme sichern mußten. Wir erinnern uns noch lebhaft ihres ersten Auftretens in Wien – es war Ende Januar 1889 – bei einem Liederabend im Bösendorfer-Saale. Durch ihre prächtige Erscheinung und besonders durch ein fein geschnittenes Profil das Auge gewinnend, erschien sie dem Hörer alsbald als das wahre, edle Vorbild des „Schöngesangs“, des Bel canto, durch Tadellosigkeit in Ton und Aussprache, durch Biegsamkeit und Weichheit der Stimme, durch Verzicht auf jede Effekthascherei, durch Gleichmäßigkeit und Reinheit des Trillers. Mit wachsendem Staunen hörten wir erst den Vortrag von Kompositionen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, dann Beethovens Arie „Ah perfido“, und als sie vollends mit bestrickender Anmuth ein Schubertsches Lied um das andere sang, da wollte der Beifall der sonst etwas verwöhnten Wiener kein Ende mehr nehmen.

Schon bei ihrem zweiten Konzerte konnte der große Musikvereinssaal die Menge derjenigen nicht mehr fassen, die herbeiströmten, um die mit einem Schlag berühmt gewordene italienische Sängerin zu bewundern. Und siehe da, selbst in diesem großen Raume reichte ihre Stimme, die dieser und jener anfänglich etwas schwach hatte finden wollen, so vollständig aus, daß auch noch ihr Pianissimo bis in die entferntesten Winkel drang. Charakteristisch im Tone bei jeder Arie und jedem Liede, ergreifend, übermüthig, sinnig oder leidenschaftlich, wie es das Wesen der wechselnden Kompositionen erforderte – überschritt sie, eine echte und wahre Künstlerin, niemals die Linie der unbedingten Schönheit. Seither hat sie einen förmlichen Siegeszug durch Deutschland gehalten, und es ist wohl nicht zu kühn, wenn man ihr eine nicht minder glänzende Ruhmeslaufbahn voraussagt wie einer Adeline Patti oder Jenny Lind. l.