Alfred Meißner (Die Gartenlaube 1856)
[380] Alfred Meißner, in seinen soeben erschienenen Erinnerungen an Heinrich Heine, erzählt: „Der Homöopath Dr. R… trat zuweilen bei Heine vor. Mit diesem Manne war der Dichter auf eine eigenthümliche Art bekannt geworden. Auf einer Reise aus dem Süden waren Heine und seine Frau vor Jahren in Lyon mit dem Violinisten Ernst zusammengekommen, den Beide schon von Paris her genau kannten. Da Heine morgen nach Paris abgehen soll, bittet der Virtuose den Dichter, ihm ein Geschenk an seinen dortigen Arzt mitzunehmen, eine der colossalen lyoner Würste, die zierlich in Staniol eingewickelt, für eine feine Delikatesse gelten. Heine übernimmt den Auftrag. Dazumal flog man noch nicht auf der Eisenbahn in wenig Stunden von Lyon nach Paris; die Reise im Postwagen dauerte lang und Frau Mathilde ward hungrig. Was war natürlicher, als daß man ein kleines Stück von der Wurst schneidet, die so schwer unterzubringen war und nun das ganze Coupé durchduftet? Madame Heine kostet eine Schnitte und findet sie vortrefflich, Heine thut desgleichen und ist ebenso sehr davon entzückt. Die Reise dauert noch einen Tag, die Wurst verringert sich mehr und mehr und als die Gatten Paris erreichen, trifft es sich, daß nur ein ganz kleiner Rest von dem gewaltigen Ungethüm übriggeblieben. Jetzt erst fühlt es Heine, wie schnöde er sich seines Auftrages entledigt. Was thut er? Er schneidet mit einem Rasirmesser eine völlig durchsichtige Scheibe herunter und sendet sie unter Brief-Couvert an den Doctor. „Herr!“ schreibt er in einem beiliegenden Billet, „durch Ihre Forschungen ist nunmehr ganz festgestellt, daß Milliontheile die größten Wirkungen äußern. Empfangen Sie hier den millionsten Theil eines lyoner Salami, den mir Herr Ernst für Sie übergab. Er wird bei Ihnen, falls die Homöopathie irgendwie eine Wahrheit ist, die Wirkung thun, wie ein ganzer.“
Das letzte Zusammensein mit Heine beschreibt Meißner sehr ergreifend:
Mein letzter Gang war, die Rue de Milan hinan, zu Heinrich Heine. Ich fand ihn aufrecht im Bette sitzend, beschäftigt, die lyrischen Gedichte des Romancero zu ordnen.
„Ich weiß, weshalb Sie kommen,“ sagte er. „Sie kommen, Abschied zu nehmen, lassen Sie ihn kurz sein; jeder Abschied erschüttert jetzt meine Nerven. Wie werde ich allein sein, wenn Sie fort sind!“
„Wir werden uns wiedersehen,“ sagte ich.
„Ich glaube kaum,“ erwiederte er. „Diese Vorrede des Todes hat nun schon zu lange gedauert. Sie kann nicht ewig währen, und mehrere Bände stark werden. Plötzlich, mitten in der spannendsten Periode wird mein Leben abbrechen, wie manches schöne Capitel in meinen Büchern. Leben Sie wohl! ich könnte Ihnen beinahe zürnen, daß Sie mich aus der gespensterhaften Ruhe gestört haben, in der ich liege, und in der ich meistens von der kommenden Stunde nur das weiß, daß ihrer vierundzwanzig einen Tag geben. Doch nein, seien Sie gedankt für die Stunden, welche Sie an meinem Bette zugebracht haben, seien Sie innig gedankt! Ich werde nun wieder recht einsam sein.“
Ich sah ihn an. Thränen standen in seinen Augen. Thränen in Heine’s Augen – in den Augen des Mannes, den die Welt so oft als herzlos gescholten! Ich konnte nicht widerstehen, unbezwingbare Rührung ergriff mich – – – – – – – Ewig unvergeßlich steht dieser Augenblick vor meiner Seele. Ich faßte seine Hand und drückte sie fest.
„Möge das endlose Sterbelied des Schwans der Rue d’Amsterdam Sie nicht zuletzt gelangweilt haben!“ flüsterte der Kranke und wandte sich ab.
Ich ging und wie die Bilder einer Phantasmagorie flogen die Menschen und Häuser an meinen aufgeregten Sinnen vorüber. –
Eine Stunde später saß ich in der Ecke des Eisenbahnwagens.