Alexander de la Borde’s Reisen in der Levante

Textdaten
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Autor: Alexander de la Borde
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Titel: Alexander de la Borde’s Reisen in der Levante
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr.  157-158; 160 S. 625-627; 629-631; 638-640
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: Académie des inscriptions et belles-lettres
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Forschungsreise in Griechenland, Ägypten und der Türkei
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[625]

Alexander de la Borde’s Reisen in der Levante.

Auszug aus seinem der Académie des inscriptions et belles-lettres erstatteten Berichte.)

Ganz mit der Erziehung meines Sohnes beschäftigt, und von dem Wunsch beseelt, ihn eines Tags der öffentlichen Achtung würdig zu sehen, beschloß ich bei der Ausbildung desselben einen neuen Gang einzuschlagen, der zwar ausgedehnter und schwieriger ist als die bisher verfolgten, den ich aber heutzutage für nöthig halte, um im Einklang mit den Fortschritten des Jahrhunderts zu bleiben.

Dieses System, dessen Auseinandersetzung hier zu weit führen würde, besteht in seinem ersten Theile darin, mit den klassischen Studien und mit der Erlernung mehrerer neuern Sprachen eine belehrende Reise in die berühmtesten Länder des Alterthums zu verbinden, in die Küstenländer des Mittelmeers. Eine solche Unternehmung schließt Entdeckungen keineswegs aus, aber diese bilden nicht den Hauptzweck. Um die Reise angenehmer und weniger kostspielig zu machen, suchte ich für meinen Sohn einige junge Reisegefährten, die diese neue Art des Studiums mit ihm theilen möchten, und war so glücklich sie zu finden, wie ich sie nur wünschen konnte: der eine Hr. Becker, Sohn des tapfern Generals dieses Namens, Offizier im Generalstabe, voll Talent und Eifer, der andere Hr. Hall, ein junger, sehr ausgezeichneter Engländer; endlich der Herzog von Richelieu, der uns nur zu früh verließ, um in Odessa eine Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen.

Nach ziemlich langen Studien in Italien, und einem kurzen Aufenthalte auf den ionischen Inseln, erreichten wir Griechenlands klassischen Boden. Die politische Lage des Landes aber nöthigte uns, die festgesetzte Ordnung unserer Studien zu verändern, und mit den andern Theilen des türkischen Reichs zu beginnen. Wir gelangten am 15 Juli 1826 nach Smyrna; erst von hier an also können unsre Untersuchungen einiges Interesse darbieten.

Noch ist Klein-Asien im Ganzen wenig bekannt; und doch, welches Land schlösse mehr Erinnerungen, mehr interessante Monumente ein? Die Reisenden, die uns vorangingen, folgten fast alle nur den Küstenstrecken, und drangen nicht weiter als auf zwanzig oder dreißig Stunden in das Innere ein. Wir suchten ihre Arbeiten zu vervollständigen, sowohl dadurch, daß wir weiter vorgingen als dadurch, daß wir die von ihnen erforschten Puncte aufs Neue besuchten. Unsere erste Excursion von Smyrna aus ging nach Constantinopel, über Sardes. Die letztere Stadt, die interessanteste der ganzen Route, ist auf einem Hügel erbaut‚ der die Ebene des Hermus beherrscht. Die Ruinen ihrer Mauern ziehen sich an den beiden Ufern des Pactolus hin, nun eines kleinen Baches, der schon zu Strabos Zeit keinen Goldsand mehr führte. Zwei ionische Säulen, mit herrlichen Capitälen, ungefähr fünfzig Fuß hoch, die ein Gesims stützen, sind die einzigen Reste von Cybele’s Tempel. Auf der andern Seite des Hügels erblickt man die Trümmer eines Theaters und einer Rennbahn. Keine Seele lebt mehr in dieser einst so berühmten Stadt. Blos einige Zelte armer Urucken, eines Nomadenvolks, stehen einsam an den Ufern des Pactolus, und von Crösus Citabelle aus sieht das Auge in der weiten Ebene nichts als die Gräber der Könige Lydiens, gegen sechzig große Erdhügel (tumuli) unter denen noch das Grab von Crösus Vater, Alyattes, hervorragt, das Herodot nach den Pyramiden als das bedeutendste Monument bezeichnet, das er gesehen habe. Wirklich erscheint es auch wie ein kleiner Berg.

Von Sardes aus kommt man über den Hermus, die Hyrkanische Ebene (campus Hyrcanius), und gelangt in die unter dem Namen Jussuff-Dagh bekannte Gebirgskette, die sich vom Olymp bis zum Ida ausbreitet, und das Marmora-Meer von dem Archipel trennt. Ueberall trifft man auf diesem Wege von Strecke zu Strecke Brunnen, von der Wohlthätigkeit gestiftet. In der Regel ist der Name des Stifters auf dem Steine eingegraben, begleitet von einem Spruche des Korans. Auf einem derselben fanden wir die Worte: Der ist der vollkommenste Mensch, der seinen Brüdern am meisten nützt.

Constantinopel übergehe ich. Bekannt ist die Schönheit seiner Lage, und der Schmutz feiner Gebäude. Drei Ereignisse, die den dortigen Aufenthalt am besten charakterisiren, haben wir selbst mit erlebt: eine Revolution, die Pest und eine Feuersbrunst. Nach sechswöchigem Aufenthalt reisten wir ab, um uns durch das innere Klein-Asien nach Kairo zu begeben. Der Erfolg dieser Reise hing von der Art ab, mit der wir sie unternahmen. Es war nöthig, den gewöhnlichen Gebrauch der Reisenden zu verlassen, dessen Opfer Seetzen und Oberst Boutin geworden waren. Wir kauften in Constantinopel Pferde und Waffen, nahmen das muselmännische Costume an, versahen uns mit einem in sehr bestimmten Ausdrücken [626] abgefaßten Ferman, den der französische Botschafter uns verschaffte, gesellten uns einen Tataren der Pforte, und einen Dolmetscher bei, so wie eine Anzahl erprobter Diener. Auf diese Weise bildeten wir einen Trupp von zwölf Personen, jeder ein doppelläufiges Gewehr an der Seite, und besser mit Feuerwaffen versehen, als die Einwohner der meisten Gegenden, durch die wir zu wandern gesonnen waren. Einige Handvoll Paras, die wir bei Gelegenheit vertheilten, gesellten der Furcht vor unsern Waffen auch noch das Wohlwollen bei, so daß wir an denselben Orten, wo wir vereinzelt vielleicht kaum einige Noten hätten machen können, nun uns ruhig niederließen, um zu zeichnen und die Monumente auszumessen, ohne die Einwohner zu stören, oder von ihnen gestört zu werden. Die Wohlfeilheit der Lebensmittel in der Levante macht diese Art zu reisen wenig kostspielig. So durchzogen wir Klein-Asien, Syrien und Palästina.

Da es für jetzt schon unmöglich ist, von allen unsern Arbeiten und Beobachtungen Rechenschaft abzulegen, so will ich wenigstens die Hauptentdeckungen und Untersuchungen bezeichnen, die wir machen konnten.

Von Nikomedien und Nicäa ausgehend, wo sich noch bedeutende Ruinen vorfinden, wandten wir uns nach Osten gegen die Ufer des Sagaris. Kaum an dem See Sabanja, dem alten Sophon, angekommen, sahen wir ein sehr großes römisches Denkmal, eine sechsbogige Brücke, vorn mit einem Triumphbogen. Sechs Lieues südöstlich von Cutachia gelangten wir zu einer römischen Stadt, die noch kein Reisender besucht hatte, und deren selbst in den alten Itinerarien keine Erwähnung geschieht. Die Hauptgebäude bestehen in einem großen Theater, einer Reitbahn, mehreren gut erhaltenen Portiken, und einem sehr schönen ionischen Tempel; die Säulen aus einem einzigen, 30 Fuß hohen, Marmorblock, sind cannelirt und tragen ein ebenso geschmackvoll als reich geschmücktes Gesims. Aus den Fragmenten einer Inschrift über dem Giebel der Hauptpforte ersieht man, daß der Tempel zur Zeit Hadrians reparirt und Apollo geweiht war. Der Ort heißt auf türkisch Schapder, und ist von einem kleinen Flusse bewässert, über den eine fünfbogige römische Brücke führt. Von Schapder begaben wir uns zu dem von Obrist Leake beschriebenen phrygischen Monument; wir waren so glücklich, in demselben Thale ein anderes ähnliches Monument zu entdecken, und sechs Lieues weiter ein drittes‚ noch beträchtlicheres, mit einer Inschrift von denselben Characteren. Aber was uns noch mehr interessirte und uns zwei Monate lang beschäftigte, war das Land zwischen Affiom-Karahissar, Danisley und Isparta, um den Lauf und die Quellen des Mäander, des Lycus und des Marsyas zu bestimmen, so wie die Lage der vielen alten Städte, die an ihren Ufern lagen, namentlich Hierapolis und Aphrodisias. In der erstern, stets durch ihre mineralischen Wasser berühmt, findet man noch die mephitische Höhle, von der Strabo spricht, in welcher die Vögel betäubt zu Boden fielen; ferner die Ruinen eines Apollo-Tempels, und eine lange Reihe herrlicher Gräber. Mitten in Aphrodisias, dem heutigen Guera, erhebt sich ein Venustempel von ionischer Ordnung und großentheils erhalten. Links ist die Rennbahn und das Theater. Ueber hundert griechische Inschriften, da und dort in den Ruinen zerstreut, erhöhen noch das Interesse des Ortes.

Auf dem Wege von Guera duch Isparta nach Conié (Konjeh) kommt man über ein Gebirgsland mit großen Seen. Es ist die Schweiz Klein-Asiens. Eyerdir gleicht der Isola-bella des Lago Maggiore. Diese Gebirgskette schließt mehrere alte Städte ein, die man bis jetzt noch nicht wieder aufgefunden hatte, und deren Lage wir nun bestimmen konnten, z. B. Salagassum, Antiochia von Pisidien, Grenna und Selge. Mehr aber als alle andern verdient Conié, das alte Iconium, die Aufmerksamkeit der Reisenden; hier findet man die Spuren aller Jahrhunderte, besonders arabische Denkmale der seldschukidischen Sultane, die an Schönheit und Vollkommenheit den maurischen Gebäuden Spaniens nichts nachgeben.

Zwölf Lieues von Conié erhebt sich ein isolirter Berg, Kara-Dagh oder der schwarze Berg, von dem man viele Wunder erzählte, und den noch kein Reisender bestiegen haben sollte. Die Türken sagten, es seyen dort tausend und eine zerstörte Kirchen, welche Schätze einschließen, aber über den zusammenstürzen, der hineinzutreten wage. Die Steine dieser Klöster, sagten die Griechen und Armenier, bewegen sich Nachts in förmlicher Prozession durch die Gegend, und verbreiten überall Schrecken. In der That hatten auch Olivier und Kinneird niemand bewegen können, sie auf jenen Berg zu führen. Die Wahrheit ist, daß dieser verlassene Ort stets der Aufenthalt von Räubern war. Ali Pascha von Conié gab uns eine Schutzwache mit, und wir durchstreiften den Berg in verschiedenen Richtungen, indem wir hofften, die Trümmer einiger alten Städte aufzufinden. Wir fanden jedoch blos die tausend und eine Kirche, von der uns die Türken erzählt hatten, d. h. Klöster und Gräber aus dem fünften und sechsten Jahrhundert, alle mit hufeisenförmigen Gewölben, was augenscheinlich beweist, daß diese Bauart, die man bei den ältesten arabischen Monumenten trifft, keineswegs eine Erfindung dieses Volks ist, sondern sich, so wie alles, was die Künste des neuern Asiens und Europas betrifft, an das byzantinische Reich anknüpft: die Griechen gaben den Scepter des Geschmacks nie aus den Händen, selbst nicht in den Zeiten des Verfalls.

Von Conié wandten wir uns gegen das Taurusgebirg und Karamanien. Um auf den höchsten Punct dieses Gebirgs zu gelangen, braucht man blos sieben Stunden, drei Tage aber, um bis zum Meere hinabzusteigen, was beweist, wie hoch das Plateau von Asien ist. Könnte ich doch die interessanten Seiten des Taurus und die auf der ganzen Küste von Selefkieh bis Tarsus ausgebreiteten Denkmale der alten Zeit würdig beschreiben, die Ruinen von Corycus, Eleusa und den Säulenwald von Pompejopolis; Tarfus endlich, wo Alexander in den kalten Wassern des Cydnus so große Gefahr lief, und [627] wo der Apostel Paulus geboren ward. An der Stelle wo sein Haus gestanden haben soll, erinnert man sich jener Worte, die er einer Frau zurief, die sich ihm zu Füßen geworfen hatte: „Was machst du? Ich bin nichts als ein einfacher Mann aus Tarsus.” Seine Nachfolger waren nicht immer so bescheiden.

Wir eilten, diesen Ort, wo die Pest große Verheerungen anrichtete, zu verlassen, um über den Pyramus zu setzen, und die Ruinen von Anazarba zu besuchen, sodann sechs Lieues weiter die Trümmer von Budrur, wo, nach dem Bericht der Araber, noch mehr als zweihundert Säulen aufrecht stehen sollen; aber Nurid, der Pascha von Adene, redete uns ab, weil bei den jenes Thal bewohnenden Turcomanen die Pest herrschte, und sie sich gegen seine Autorität empört hatten. Wir waren erstaunt, als dieser Pascha sich bei uns um Nachricht von General Sebastiani und dem Fürsten Talleyrand erkundigte; er hatte den erstern als Vezier in Constantinopel kennen gelernt, und den zweiten auf einer Mission in Frankreich, die der des Galib-Effendi voran gegangen war. Seine Unterhaltung war lebendiger und zeigte von weit mehr Bildung als die aller andern Paschas und Moslims, die wir besucht hatten. Er lud uns ein, einer Art von Divan beizuwohnen, der alle Tage in dem Hofe seines Palastes gehalten wird, und bei dem sich alle Personen seines Hauses einfinden. Die Delhy-Baschi, die Tataren, Tschautchs, Cavas etc. schlossen einen Kreis, das übrige Volk stellte sich hinter sie, die Musik, aus Blasinstrumenten und Trommeln bestehend, zur Seite. In dem Innern des Kreises stellten sich fünf Tschautchs auf, die von Zeit zu Zeit ihre langen, mit silbernen Ketten geschmückten Stöcke in die Luft warfen, und laute Gebete für das Leben des Großherrn und des Pascha verrichteten. Nachdem diese zu Ende waren, trat einer derselben ein paar Schritte vor, und fragte dreimal mit lauter Stimme, ob jemand eine Ungerechtigkeit erfahren, und eine Klage vorzubringen habe; wäre dieß der Fall gewesen, so wäre die Klagschrift in Mitten der Versammlung vorgelesen und dem Pascha überreicht worden. Diese Form gefiel uns sehr, und wir wollten eben unsere Freude darüber ausdrücken, als ein Mann, der während der ganzen Ceremonie aufrecht da gestanden hatte, vor der Musik, die rechte Hand an seinen Säbel gelegt, gleichfalls drei Schritte vortrat, und den Pascha anblickte, als ob er seine Befehle erwartete; wir hielten ihn für den wachhabenden Offizier, aber die Antwort war: es ist der Scharfrichter! Mit diesem Einen Worte stand der ganze Orient uns wieder vor Augen.

[629]
Aleppo. Die Beduinen. Palmyra. Jerusalem.
(Fortsetzung.)

Der Weg von Adene nach Aleppo ist derselbe, den Alexander einschlug, um Darius entgegen zu gehen. Das Schlachtfeld vom Issus fand ich ganz so, wie es die Historiker beschreiben: eine von dem Gebirg und dem Meer eingeschlossene Ebene, die so gut für den macedonischen Phalanx paßte, und wo Tapferkeit die Zahl ersetzen konnte. Antiochia und seine mächtigen Ruinen, die Lustwäldchen der Daphne und die Ufer des Drontes hielten uns einige Tage auf; aber die Verheerungen der Pest störten alle unsere Plane. Wenn wir über die Todtenäcker der Dörfer gingen, sahen wir mit Schrecken die Menge der neuen Gräber, und die frischen Blumen, welche die Türken auf die Rasen gepflanzt hatten. Unangenehm aufgeregt von diesen Gedanken kamen wir nach Aleppo. Eine Stunde vor dieser Stadt kam der französische Consul, Hr. von Lesseps, der schon zuvor von unserer Ankunft unterrichtet war, mit den ersten französischen Handelsleuten uns zu Pferde entgegen. Sie wagten aber nicht, uns zu nahen, da entschieden worden war, daß wir zehn Tage Quarantäne halten sollten. Erst als wir vor unserm Quartier ankamen und vom Pferde stiegen, rief Lesseps: Ich kann mich nicht halten, mag daraus erfolgen, was da will! und warf sich in meine Arme; die anderen Franzosen machten es eben so mit meinen Reisegefährten, und von der Quarantäne war keine Rede mehr. Es reisen so wenig Franzosen in jenen Ländern, daß die Ankunft des einen oder des andern stets ein Fest für unsere armen Landsleute ist. Zwei Monate nachher raffte die Pest einen Theil derer dahin, die das Erdbeben verschont hatte.

Von Aleppo gingen wir nach Palmyra. Dieser schwierige Ausflug bildet eine isolirte Episode in einer Reise durch die Levante, wie die Stadt selbst einsam in der Wüste liegt. Gewöhnlich geht man über Homs oder über Hama. In diesen beiden Städten trifft man Leute, die in Verbindung mit den arabischen Chefs sind, und mit ihnen unterhandeln, daß sie den Reisenden als Führer dienen: es sind dieß gewissermaßen die Mäkler der Wüste. Der bedeutendste derselben, der Scheikh Thala, der die Mekka-Caravane von Hama nach Damaskus escortirt, schickte sogleich einen Eilboten an einen im Augenblick höchst geachteten Chef; ich sage im Augenblick, denn in der Wüste ist die Macht sehr veränderlich, sie geht von Stamm zu Stamm, je nachdem diese Stämme sich unter sich vereinigen, oder von den jährlich vom Euphrat und vom Tigris aus ankommenden Stämmen überwogen werden. Vier Tage nachher sahen wir den Mann ankommen, der uns führen sollte. Er nannte sich Scheikh Nahar, aus dem Stamm der Löwen, aus der großen Familie der Anesäer. Er gebot über ungefähr 10,000 Menschen, die in sechstausend, auf dreißig oder vierzig Quadratmeilen herum zerstreuten, Zelten lebten. Er war sehr groß, gegen sechzig Jahr alt, mager und von der Sonne verbrannt wie alle Beduinen; mit einem gewendeten Schaf-Fell bedeckt, das röthlich bemahlt war und ihn dadurch von seinen Untergebenen auszeichnete; sein Gang war stolz und ernst; über sein Gesicht verbreitete sich, wenn er lächelte, eine gewisse Milde; in der Regel aber war sein Ausdruck schwermüthig und einen geheimen Kummer verkündend. Er sprach sehr wenig, und stets in demselben ruhigen, leidenschaftlosen Ton. Unsere Vorbereitungen waren bald getroffen. Nur zu der Bedingung, unsere Waffen abzulegen, konnten wir uns schwer verstehen; ohne dieß, sagte Nahar, könnte er nicht für unsre Sicherheit haften; die geringste Unvorsichtigkeit könnte uns ins Verderben stürzen. Blos mit diesem Einen Manne und drei seiner Stammgenossen, die zu Fuß waren, betraten wir die Wüste. Wir selbst waren sechs, sämmtlich zu Pferde, mit drei Kameelen zum Transport des Wassers und der Lebensmittel. Die erste Nacht brachten wir in dem Lager der Benikali zu, eines Theiles von dem Stamme der Embaraka, der auf der ganzen Grenzlinie der Wüste von Aleppo bis Damaskus sich ausbreitet. In der Nacht wurden wir durch einen plötzlichen Lärm aufgeweckt: es hatten sich in der Ferne einige Diebe gezeigt; das ganze Lager kam in Bewegung, und wir fühlten wie unangenehm es war, keine Waffen mehr zu haben. Die beiden folgenden Tage fiel nichts besonderes vor. Die drei Araber zu Fuß gingen gewöhnlich voraus, und recognoscirten das Terrain; oft setzten sie sich auf die Kameele, um einen weitern Umblick zu erhalten. Beunruhigt durch das geringste Geräusch, aufmerksam auf die kleinste Bewegung, fürchtet der Mensch, der in dieser furchtbaren Einsamkeit dem Menschen fremd ist, in dem Begegnenden stets einen Feind zu finden. Auf ungeheure Entfernungen erblickt man sich und weicht einander aus; und hier, wo eine ganze Armee sich verlieren könnte, kann der Einzelne sich nicht verbergen.

[630] Ernst und still ritt Scheikh Nahar vor uns her, in bestimmten Stunden Halt machend, um sein Gebet zu verrichten. Eines Tages schien es uns, als ob er den Weg verloren hätte, obgleich er blos Wasser suchte, das er in einem nahen Felsen finden mußte; wir bezeugten ihm unsere Besorgniß; er antwortete ruhig: „Ich habe dem Scheikh Thala versprochen, euch nach Tadmor zu führen, und nach Homs zurückzugeleiten; ich werde mein Wort halten; beunruhigt euch über nichts, was ihr auch sehen möget: Allah ist groß!“ – Bald darauf fand er das Wasser wirklich.

Den vierten Tag, nachdem wir eine sehr kalte Nacht in freier Luft und ohne Feuer zugebracht hatten, ritten wir langsam vorwärts, als wir auf einmal beim Umbeugen um einen Sandhügel fünfzehn bis zwanzig Araber gewahrten, die in vollem Gallop, mit gesenkter Lanze, uns nacheilten und unsere etwas zurückgebliebenen Kameele angriffen. Wir kehrten um, um sie zu vertheidigen, und nun entspann sich ein Kampf mit Faust- und Stockschlägen, da unsere Gegner ebensowenig als wir Feuerwaffen hatten. Es sprengten noch mehrere herbei und wir waren auf dem Puncte uns in der Wüste des Wassers und aller unserer Habseligkeiten beraubt zu sehen. Wir balgten uns um die Kleider, indem wir sie uns gegenseitig aus den Händen rissen, unsere Hengste sprangen auf die arabischen Stuten und die Verwirrung stieg auf den höchsten Grad. Hall und Becker rangen zu Fuß mit zwei Beduinen; mein Sohn, der einzige, der in seinem Gürtel eine Pistole verborgen hatte, hielt damit zwei Araber im Respect, die ihm schon seinen Turban vom Kopf gerissen hatten. Ich selbst suchte unsern Führer auf, dessen Lanze gleich beim ersten Anlauf zerschlagen worden war, als plötzlich einer der Unsrigen rief: Wir sind gerettet! und wirklich sahen wir auch, wie die Araber sich unter sich herumschlugen, und ihr Führer, um Verzeihung bittend, unserem Alten zu Füßen stürzte. Nahar, stets kaltblütig, brachte seine Kleider wieder in Ordnung, stieg zu Pferde, und zeigte seinen Unwillen nur durch ein paar große Thränen, die in seinen Augen glänzten, und durch einige strenge Worte, die er an den jungen Führer richtete, der uns über eine Stunde weit begleitete. Dieser junge Mann, halb nackt, ritt eine Stute 15,000 Piaster werth, und die einzige Belohnung, die er von uns dafür erbat, daß er seinen Stamm an weiteren Gewaltthätigkeiten verhindert hatte, war ein wenig Gerste für sein Pferd. Wir fügten einen Mantel bei, den der auf der Stelle anzog.

Palmyra ist nach demselben Plane gebaut, wie in der Regel alle alten Städte Syriens, und wie die der meisten römischen Colonien. Eine Straße mit Säulen-Portiken geziert, und von einer zweiten ähnlichen durchschnitten, führt nach der einen Richtung zu einem Tempel Neptuns, nach der andern zu einem Jupiterstempel. Die Menge von Tempeln, Grabmalen, die langen Säulenreihen bieten zwar einen großartigen Anblick dar, doch bei weiten nicht so, wie man erwarten sollte. In der unermeßlich sich ausdehnenden einförmigen Ebene, ohne Hügel, ohne Wald, erscheinen selbst die größten Monumente klein, fast nur wie weiße Stäbe, die in den Sand gesteckt sind und vereinzelt in dem ringsumfassenden Blau des Himmels verschwinden. Auch die nähere Besichtigung der Monumente gewährt nicht volle Befriedigung. Der Marmor ist bei weitem nicht so schön, wie der der italienischen Denkmale. Nur der Jupiterstempel bietet eine eben so großartige Masse als schöne Details dar; die übrigen zeigen schon deutlich den Verfall des Geschmacks. Das Ganze dieser wunderbaren Stadt aber, diese Trümmer eines reichen Lebens mitten in der Wüste, werden sie stets für jeden Reisenden zu einer der interessantesten Erscheinungen machen.

Während der zwei Tage, die wir hier verweilten, wurden wir unablässig von den Einwohnern belästigt, die uns eine Art Lösegeld abpressen wollten, wie sie es kurze Zeit vorher einem ausgezeichneten englischen Reisenden, Bankes, gemacht hatten. Wir schlugen es hartnäckig ab. Am Abend des zweiten Tags drangen sie, mit Flinten bewaffnet, in Masse in unsern Saal, und schwuren, uns so lange als Gefangene zu bewachen, bis ihnen jeder von uns tausend Piaster bezahlt hätte. Auf alle diese Vorschläge antwortete unser Scheikh, ohne sich im Mindesten aus der Fassung bringen zu lassen, nur dadurch, daß er seine Formel wiederholte: „Ich habe dem Scheikh Thala versprochen, diese Reisenden nach Tadmor zu führen und nach Homs zurückzugeleiten; sie werden morgen früh abreisen; Allah ist groß.“

In der That waren auch die Einwohner den andern Tag viel gefälliger, und ließen uns, nachdem wir ihnen etwas weniges Geld gegeben hatten, in Frieden ziehen. Nach drei strapazenvollen Tagen, gelangten wir zu dem Stamme unsres Führers, den er sein Haus nannte. Wir verweilten zwei Tage, schweiften mit ihnen in der Gegend umher, schliefen unter ihren Zelten, und beobachteten die Sitten dieser Naturmenschen, denen die einsame Wüste kein Bedürfniß beut und keines befriedigt, die aber, auf flüchtigem Roß durch die weiten Ebenen schweifend, in ihrer Unabhängigkeit vollen Ersatz für jede Entbehrung finden.

Von Palmyra wandten wir uns gegen Latakieh zurück, um die Küste Syriens zu besuchen, den Libanon, die schönen Thäler, die ihn durchschneiden, die heiligen Orte, noch jetzt verherrlicht durch die Denkmale aller Jahrhunderte. Nach zwei Tagen gelangt man von den Cedern Salomons zu den riesenhaften Monumenten von Balbek und zu dem wundervollen Palaste des Drusenfürsten. Balbek übertrifft Palmyra an Größe, wie an Schönheit seiner Denkmale. Säulen von sechzig Fuß Höhe, aus Einem Blocke, ruhen auf noch gewaltigern Grundmauern; und der Palast des Emir Bechir ist vielleicht das Herrlichste, was die ganze arabische Baukunst aufweisen kann. Der Fürst, der ihn aufführen ließ, hat fünzig tausend bewaffnete Christen und vierzigtausend Drusen unter seinen Befehlen. Ungeachtet er im Aeußern die Religion Mahommeds beobachtet, ist er ein Christ, [631] und sein ganzes eigenthümliches, abentheuervolles Leben erinnert an die Zeiten Saladins und Malek-Adels.

Von Balbek gingen wir nach Damaskus, nach Constantinopel, der bedeutendsten und schönsten Stadt des ganzen Orients. Wir wohnten in dem Kloster der Lazaristen, dieser guten Leute, bei denen jeder Reisende Schutz findet, und die sich das ganze Jahr tausend Entbehrungen unterwerfen, um desto mehr auf ihre Werke der Wohlthätigkeit verwenden zu können. Der gute Empfang, den wir bei Saleh, dem Pascha von Damaskus, und bei den Vornehmsten der Stadt fanden, enthob uns des hergebrachten Gebrauchs, in den Straßen den weißen Turban abzunehmen und vom Pferde zu steigen, eine Demüthigung, zu der wir uns nie verstanden haben würden, und von der wir auch die künftigen Reisenden befreit zu haben hoffen. Nun zogen wir nach Hauran, dem alten Dekapolis, dem wichtigsten Puncte unsrer Reise, den Seetzen und Burckhardt beschrieben, aber dessen Monumente sie weder bezeichnet noch näher studirt haben. Als wir Damaskus verließen, kam ein schöner Mann, wohlgekleidet, mit reichen Waffen, aber sehr ermüdet auf uns zu; es war ein Christ vom Libanon; er hatte sechs Meilen gemacht ohne zu essen, weil gerade Fasten war. Er brachte mir einen englischen Brief:

„Sie sind auf einer gefahrvollen Reise begriffen. Der Mann, den ich Ihnen sende, ist einer der tapfersten des Gebirgs; er hat Befehl, bis Sie sich eingeschifft haben, Sie nicht einen Augenblick zu verlassen, und mir dann Nachricht von Ihnen zu bringen.
Esther Stanhope.“

Diese edle liebenswürdige Dame, eine Nichte Pitt’s, hatte mir erlaubt einige Tage bei ihr in ihrer Einsamkeit zuzubringen; sie hatte mir ihre Abentheuer erzählt, aber verschwiegen, wie viel Gutes sie seit lange schon dem Lande erwiesen hatte; nur von den Armen erfuhren wir ihre Werke der Wohlthätigkeit.

Die Provinz Hauran ist eine große fruchtbare Ebene, einst mit bedeutenden Städten bedeckt, nun mit ihren vielen Trümmern. Wir bringen achtzig Zeichnungen und Plane zurück, vorzüglich von den Städten Kannat, Sueda, Bostra, und weiterhin, in der Wüste des todten Meeres, von Tscherasa und Aman. Von Hauran wanderten wir nach Jerusalem, über Tiberias, Nazareth und Nablos.

Wir hatten das vorige Jahr die heilige Woche in Rom zugebracht, und nun auf der Reise unsere Einrichtungen so getroffen, um dieses Jahr sie zu derselben Zeit in Jerusalem zu feiern. Interessant ist der Gegensatz, den in diesen festlichen Tagen die beiden großen Städte der christlichen Welt darbieten.

Der erste Eindruck ist weit größer in der ewigen Stadt. Das volle, bewegte Leben, das während jener Feste in Rom herrscht, die stolzen Monumente, die darauf herunterblicken, stehen auf gleicher Höhe mit den großen Erinnerungen der Vorzeit, während in Jerusalem Menschen und Denkmale weit hinter den Erinnerungen zurückbleiben, sie stören und verunstalten, so daß man sie lieber ganz wegwünschte. Wenn der erste Priester der Christenheit, von seinem Klerus und von den aus allen Puncten der Erde zusammengeströmten Gläubigen, der Stadt und der Welt, urbi et orbi, seinen Segen gibt, von der Höhe des größten Monumentes herab, das der Geist des Menschen aufrichtete, während unten die unübersehbare Menge im tiefsten Schweigen auf den Knieen liegt, so trägt dieß Alles einen Charakter von Größe, von erhabener Feierlichkeit, den man in Jerusalem vergebens wieder suchen würde. Hier sind die heiligen Oerter unter der Obhut armer Mönche von allen Secten, aus den untersten Klassen der Gesellschaft, vielleicht grundehrlicher Leute, aber ohne Bildung und ohne Würde, die unter sich und gegen den Fremden von Nichts sprechen, als von ihren Zänkereien, und sich täglich gegenseitig bei den türkischen Behörden verklagen, die aus ihrem Haß Vortheil ziehen, ihre Erbitterung sich bezahlen lassen, und mit Schimpfworten und Stockschlägen die heiligsten Ceremonien stören. Diese geheiligten Stellen sind überdieß durch die geschmacklosesten Verzierungen und Ueberbauungen entstellt. Von diesem Allem aber muß der Reisende das Auge abwenden. Er muß Rom in seinem ganzen Glanze, Jerusalem in seiner ganzen Einsamkeit sehen; er muß in den Umgebungen dieser Stadt umherirren, allein mit seinen Gedanken, allein mit den Erinnerungen der Zeit, die nicht mehr ist; dann überschreitet der Geist die Kluft der Jahrhunderte; er sieht diese Orte wie sie waren, er erblickt in dem nackten Felsen die Krippe, Christus Wiege, die Wiege der Civilisation; er liest auf dem Stein des heiligen Grabes die Lehre, die jede Aufopferung predigt: das Theuerste hinzugeben, um das Höchste zu gewinnen!“

[638] Nichts gleicht dem Erstaunen des Reisenden, der nach Durchwanderung des ottomanischen Reichs in Egypten ankommt. Hier trifft er das Zuckerrohr und die Baumwollenstaude im Großen gepflanzt, wie in Indien; zwanzig Manufacturen, geräumiger und eben so ordnungsmäßig geleitet wie die in Manchester; reguläre Truppen, exercirt wie in Frankreich; endlich einen Pascha, der den Constitutionnel liest. Nur Eines Mannes Geist bedurfte es, um wie durch Zauberei solche Wunder zu schaffen, und in zehn Jahren die Boden-Cultur, die Industrie, die Sitten und die Regierungsform eines Landes umzugestalten; ist aber dieses Land glücklich? Dieß allein ist die Frage. Mehemed-Aly, der keine Bürgschaft für die Zukunft hat, und deßwegen jene Veränderungen möglichst schnell ins Werk setzen wollte, mußte das Monopol des Gedankens wie der Arbeit an sich reißen. Er mußte die Bewegung vorwärts drängen, um rasch zu einem Resultate zu gelangen. Er sagte sich: das, was ich gethan habe, wird sich vielleicht erhalten; was ich aber vernachläßigte, wird nie zur Ausführung kommen. Daher jene gewaltsame Handlungsweise, jene ausschließliche Gier nach schnellem Gewinn, jenes augenblickliche Elend des Landes. Entschließt sich Mehemed-Aly aber sein Monopolsystem aufzugeben und entsagt er vor Allem der beklagenswerthen Expedition, in die er sich hineinziehen ließ, so wird sein Land eben so glücklich werden, als es durch ihn cultivirt geworden ist. Schon sind auf seinen Befehl Commissarien in die Provinzen geschickt, um statt des Monopols eine feste Steuer zu bestimmen; auf mehreren Puncten sind Schulen gegründet; vierzig junge Leute der ersten Familien werden in Frankreich erzogen; hundert andere studieren in Kairo in der Schule des Generalstabes, die von einem ausgezeichneten französischen Offizier, Hrn. Plana, geleitet wird; hundert und fünfzig hören den medicinischen Cursus, um, nachdem eine Kluft von zehn Jahrhunderten dazwischen liegt, dem Avicenna und Averroes Nachfolger zu bereiten. Ueberall verschwinden mit der Unwissenheit auch die Vorurtheile. In einer der Vorlesungen über Anatomie, der ich beiwohnte, fragte der geschickte Professor, der diesen Unterricht leitet, [639] Hr. Clote, gelegenheitlich einen Zögling, warum er Anatomie studiere? „Weil es unmöglich ist, die medicinische Kunst auszuüben, ohne den menschlichen Körper zu kennen,“ war die Antwort. Ist aber dieses Studium nicht in dem Koran verboten? Der junge Mensch blickte ihn stolz an und erwiederte: „Nichts, was den Menschen nützt, kann im Koran verboten seyn.“ – Ein Mann, der dieß alles zur Aufklärung seines Landes thut, kann nicht dessen Unterdrückung wollen. Aber wie viele Besorgnisse knüpfen sich nicht an jene improvisirten Institutionen, an die von Eines Menschen Leben abhängende Civilisation. Das Schwert hängt über diesen Schulen des Geistes, die Fackel brennt neben diesen Pulvermühlen, diesen Arsenalen. Mit Begierde lauscht der Araber der Wüste auf den Augenblick, wo er sein altes Gebiet wieder an sich reißen, und in den Gärten von Schubra seine Kameele weiden lassen kann.

Ich übergehe die Alterthümer Egyptens, über die schon so vieles gesagt ist. Ein Dolmetscher der Sesostris und der Ptolemäer wurde unter uns geboren, und Egypten erwartet ihn, um ihm seine Mysterien zu entschleiern.

Ueber Griechenland endigten wir unsere Reise, so wie wir sie mit ihm begonnen hatten. In tiefer Noth hatten wir es verlassen; voll Hoffnung und Vertrauen fanden wir es wieder: durch Besiegung der Tyrannei hat es die Gleichgültigkeit entwaffnet. Durch die Gefälligkeit des Hrn. v. Rigny, des Siegers bei Navarin, ward es uns gestattet, auf unsern königlichen Fahrzeugen diese schönen Gegenden zu besuchen, von unsern tapfern Marine-Offizieren wie Freunde, wie Brüder behandelt. In Hydra fanden wir eine zahlreiche Bevölkerung, die, nachdem sie ihre ersten Bürger durch den Handel bereichert hatte, nun von ihren Wohlthaten lebt. In Poros sahen wir den Admiral der ganzen griechischen Flotte, Miaulis, mit eigner Hand sein beschädigtes Schiff ausbessern. In Aegina traten wir in Canaris bescheidenes Haus und trafen hier den tapfern Mann eben so einfach, eben so arm wie er immer gewesen war, keine Belohnung verlangend, keinen Festen beiwohnend, und seinen Ehrgeiz darauf beschränkend, ein Held zu seyn. Fabvier, auf der Halbinsel Methana, erschien uns wie Robinson in seiner Colonie, Kugeln aus Marmor machend, Mühlen aus Brettern, Brod aus Wurzeln, durch verdoppelte Thätigkeit sich für die Abwesenheit der Gefahren entschädigend, und in seinem eisernen Körper nur mit Mühe die feurige Seele zügelnd. Endlich empfing uns das gebeugte Athen mitten in seinen Trümmern. Noch steht es, nach so viel Belagerungen, ein Opfer seiner Triumphe wie seiner Unglücksfälle. Alle neuern Gebäude sind zerstört; aber es lebt noch in seinen Monumenten, die aufrecht stehn wie der Geist der Jahrhunderte, den Unwissenheit und Barbarei wohl einige Zeit in Fesseln legen, aber nie vernichten können.

Als wir diese Stadt verließen, wollten wir das Feld der letzten Schlacht besuchen, die unter Athens Mauern statt fand, wo ungeschickte Anführer Menschen zu Fuß, ohne Bajonnette, ohne Canonen, ohne irgend einen Stützpunkt auf eine offene Ebene führten. Man zeigte uns die türkische Batterie die auf Philopappus Grab aufgestellt war, und große Trümmer von den Säulen des Parthenons schlug. Man bezeichnete uns den weitesten Punct auf den die armen Griechen vorgerückt waren, und, schon in der Meinung in den Platz einrücken zu können, ihre Arme aufhoben zur Begrüßung ihrer Mitbürger, als die aus einem Hohlweg hervorbrechende türkische Cavallerie ein fürchterliches Blutbad unter ihnen anrichtete. Indem wir der langen Reihe ihrer Leichen folgten, die man ohne Grab gelassen hatte, gelangten wir auf das Feld des Phalerus, von wo sie ausgegangen waren. Werfen wir jedoch einen Schleier über dieses traurige Gemählde! Griechenland geht seiner Freiheit entgegen; es kann nicht lange mehr darnach schmachten dürfen. Die Ehre der Könige hat sich dem Interesse der Völker beigesellt. Der Grundsatz der Intervention, der bisher nur der absoluten Gewalt genützt hatte, tritt auch einmal für die Sache der Freiheit eines Volkes auf, der Freiheit, die es sich durch seinen Muth erwarb und durch seine Tugenden einst verdienen wird. Wie groß auch die Fehler der gegenwärtigen Generation seyn mögen, welcher aufgeklärte Mann wird nicht dennoch den Sieg einer Sache wünschen, die sich an die Heroenzeit des menschlichen Geschlechtes knüpft, und für die aufs Neue so viele Tapfern gefallen sind! In welchem Reisenden wird nicht der freudige Gedanke aufsteigen, daß vielleicht eines Tags eine glückliche Nation auf diesem klassischen Boden ihn in der Sprache Homers empfangen, und was noch von Phidias Geist, von Perikles Ruhm übrig ist, als heilige Reliquien unverletzt bewahren wird ! –

Nach dieser Auseinandersetzung unserer Reiseroute sollte ich von den verschiedenen Völkern sprechen, die das ottomanische Reich bilden: ich kann jedoch auch hier vorerst blos Skizzen liefern. Die Araber, vornehmlich die, welche die Grenzlinie der Wüste bewohnen, sind noch dieselben, wie uns die Schrift die Patriarchen beschreibt, mit ihren zahlreichen Heerden, ihrem herumschweifenden Leben und ihren einfachen Sitten. Die Griechen, obgleich mit sklavonischem und albanesischem Blute vermischt, bewahren noch viele Züge der alten Einwohner ihres Landes. Noch herrscht derselbe locale Geist, dieselbe Rivalität, dieselbe Neigung zu Trug und Seeräuberei, dieselbe Mischung großer Tugenden und großer Schwächen. Die Türken endlich, die wenig Fortschritte in der Civilisation gemacht haben, befinden sich noch in jener Art von Feudalzustand aus den letzten Zeiten des byzantinischen Reichs.

Dieses sonderbare Zusammentreffen gab mir den Gedanken, mich einer, jetzt schon ziemlich vorgerückten Arbeit zu widmen, die vielleicht einiges Interesse darbieten dürfte, und folgenden Titel führen wird: „Sitten und Character der gegenwärtigen Araber, betrachtet nach den heiligen Büchern; Sitten und Character der gegenwärtigen Griechen nach den klassischen Schriftstellern; Sitten und Character der gegenwärtigen Türken, nach den Schriftstellern des Mittelalters.“ Diese Portraits, denen ich keine Phrase, keine Bemerkung beizusetzen mir erlaube, [640] können dennoch in dem Lichte einer großen innern Wahrheit erscheinen, wenn es wahr ist, daß Tugenden und Laster sich mehr aus der Lage als aus dem Character eines Volkes entwickeln, und vorzüglich nur durch die Institutionen sich modificiren.

Trotz der Verschiedenheit der Religion, der Sprache und der Sitten jener drei Völker, gibt es doch gewisse Eigenschaften, die ihnen gemeinsam sind, die dem Boden selbst, auf dem sie entsprungen, anzugehören scheinen. Eine der vorzüglichsten, der wir zu besonderem Danke verpflichtet sind, ist die Gastlichkeit, die man überall findet, wie zu den Zeiten Abrahams und Homers. In den geringsten Dörfern ist ein Haus für den ankommenden Fremden, wo er von der Gemeinde vierundzwanzig Stunden lang freigehalten wird, ohne daß man ihn um Stand und Namen fragt. Die Formeln des Empfangs und des Abschieds sind in den drei Hauptsprachen ungefähr dieselben; sie drücken den Wunsch für das Wohl dessen aus, von dem man voraussetzt, daß er einem am theuersten sey. „Lebt wohl,“ sagte in der Regel mein Wirth zu mir, „Gott erhalte Euch Euren Sohn!“ „Lebt wohl“ sagte man zu meinem Sohne „Gott verlängere die Tage Eures Vaters!“

Man könnte ganz zufällig die Blätter unsers Tagebuchs aufschlagen, und man würde überall dasselbe Interesse finden, das jene Länder darbieten. Ich will nur eine Stelle ausheben, um eine Andeutung des Ganzen zu geben.

Als wir, nach vierzehntägigen Strapazen und Entbehrungen in der Wüste, von Palmyra nach Homs kamen, hörten wir, daß ein reicher türkischer Handelsmann, Namens Hadgi-Hassan, an den wir von Aleppo aus empfohlen waren, unserer warte. Der wackre Mann hatte schon seit zehn Tagen für den Unterhalt unserer vorausgeschickten Diener und Pferde gesorgt, und empfing uns nun mit einer Freundlichkeit, die ich nie vergessen werde. Er wünschte, daß wir vier Tage bei ihm bleiben möchten, um uns von unsern Strapazen zu erholen, und während dieser Zeit erwies er uns eine Aufmerksamkeit, mit einer Verschwendung und zugleich mit einer Zartheit, wie man sie wohl schwerlich irgendwo in Europa treffen möchte. Seine Unterhaltung war ebenso geistreich als belehrend. Die Ayans oder Vornehmen der Stadt, der Gouverneur, der griechische Bischof, kamen in sein Haus, und zeigten die größte Achtung vor ihm. Beim Abschied wollte ich ihm, nach der Sitte des Orients, ein Geschenk machen; ich überreichte ihm eine goldne Uhr und ein Gewehr. Er aber erwiederte: „Werdet nicht böse über mich, mein lieber Gast, wenn ich Euer Geschenk nicht annehme; auch andere Reisende haben mir eine ähnliche abschlägliche Antwort schon verziehen. Was Ihr mir anbietet, ist mehr, als ich für Euch gethan habe, aber es ist weniger, als ich von Eurer Freundschaft erwarte. Versprecht mir, wenn Ihr zu Eurer Familie zurückgekommen seyn werdet, mir irgend eine, wenn auch noch so unbedeutende Kleinigkeit zu schicken, die aber aus Eurem Lande kommen muß, so daß ich sehe, daß Ihr an mich gedacht habt; denn nicht Eure Erkenntlichkeit wünsche ich, sondern Euer Andenken.“ Lebhaft gerührt von diesen Worten, drückte ich seine Hände, und versprach was er wünschte. „Verzieht einen Augenblick,“ sagte er, „wir gehen zusammen; ich habe Eure Pferde vorausgeschickt; die Straßen der Stadt sind eng, es ist bequemer zu Fuß zu gehen, und ich erhalte Gelegenheit, noch länger bei euch zu seyn.“ Wir machten uns langsam auf den Weg, und als wir über den Bazar kamen, bemerkte ich, daß uns Leute seines Hauses mit großen Brodkörben folgten, die sein Neffe an den Buden des Bazars noch mehr anfüllen ließ. Da sagte ich: „Hadgi Hassan, Ihr habt uns genug Brod auf unsern Weg gegeben.“ „Dieß ist auch nicht für Euch bestimmt,“ war seine Antwort. Vor der Stadt trafen wir unsere Pferde. Eine Menge Volks war uns gefolgt, und wir sahen uns, wie immer, von Armen umgeben, denen wir eben Almosen austhheilen wollten, als unser Wirth seine Stimme erhob: „Stellt euch alle hieher! Fordert nichts von den Fremden! Hier ist alles Brod, was sich heute auf dem Markte fand; es wird unter euch vertheilt werden: vereinigt eure Gebete mit dem meinigen, damit Gott diesem Freunde und den Seinen gnädig sey auf ihrer Reise.“

Trefflicher Mann! der, den du so freundlich aufnahmst, ist zurück bei seiner Familie; er hat von seinen Mitbürgern eine Huldigung erhalten, die er entfernt nicht erwartet hatte [1]; er ist sehr glücklich; aber noch bleibt ihm Zeit an Hadgi-Hassan zu denken, und ihm alles Glück zu wünschen, was seine Tugenden verdienen.
  1. De la Borde ward bekanntlich gerade im Augenblick seiner Rückkehr in die Kammer der Deputirten gewählt.