Textdaten
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Autor: Jacob Venedey
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Titel: Alexander Dumas
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 55–56
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[55] Alexander Dumas, der berühmte Dichter der „drei Musketiere“ und des „Grafen von Monte-Christo“ hat das Leben in aller Stille verlassen. Die Nachricht von seinem Hinscheiden lief nur als flüchtige Notiz durch die Zeitungen, dann war sie auch schon von dem gewaltigen Kanonendonner der Schlachten an den Ufern der Loire und von dem Lärm der Kämpfe unter den Mauern von Paris übertönt. In einer Dorfkirche, nahe bei Dieppe, am Strande des Meeres, wohin der Dichter vor den Riesenstürmen der Zeit geflüchtet, war er ohne allen Prunk begraben worden, er, der Glanz, Herrlichkeit und Aufsehen so sehr geliebt und gewiß gehofft hatte, noch ein letztes Mal durch ein prunkvolles Leichenbegängniß mitten durch die breiten, volkgefüllten Straßen der „heiligen Stadt“ die Aufmerksamkeit von Paris, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu lenken.

Die Erfüllung dieses Wunsches blieb ihm versagt, und gewiß, es liegt ein eigenthümliches Geschick darin, daß derjenige, der als ein Hauptförderer der Verkommenheit der französischen Gesellschaft so hochberühmt, gefeiert und den glänzendsten Namen angereiht war, gerade jetzt, da diese ganze französische Wirthschaft und Gesellschaft krachend und berstend in sich zusammenbricht, still, unbeachtet und halbvergessen von hinnen gehen muß.

Doch – „von den Todten nur Gutes!“ Nun, ich möchte nichts „Böses“ von dem Todten sagen. Er war gut, sehr gut; ich denke, nie ist ein Freund in der Noth zu ihm gekommen, ohne daß ihm geholfen worden wäre, wenn eben Geld oder sonst das Nöthige vorräthig war. Aber – einmal trat ein Mann, mit hohem Namen angemeldet, bei Alexander Dumas ein; und als sie Beide sich gegenüberstanden, sagte Dumas, halb lustigen Blickes, halb verdutzt: „Ah, das sind Sie, Herr So und so?“ Es war sein Schneider. Er hatte zehnmal angefragt, immer war Dumas nicht zu sprechen gewesen. So hatte der Schneider sich zu der kleinen Lüge verstiegen, sich als Marquis de Poussignac anmelden zu lassen. Das hatte geholfen. –

„Sie wollen Geld haben,“ sagte Dumas, „aber ich habe jetzt keines.“

„O, bei Leibe nicht, lieber Herr Dumas; „aber ich weiß, daß Sie nie Geld für Unsereins haben. Aber ich bitte Sie, geben Sie mir eine Anweisung auf Ihren Buchhändler, auf eine Zeitung, oder einen Wechsel, ich muß so Etwas haben, denn ich bin in der größten Verlegenheit.“

„Einen Wechsel?“ frug Dumas lächelnd. „Was wollen Sie damit?“

„Ich kann ihn in Zahlung geben.“

„So! Das hätte ich nicht gedacht. Aber der Curiosität wegen werde ich Ihnen einen Wechsel geben.“

Er nahm ein Blatt Papier, fing an zu schreiben, der Schneider sah ihm über die Schulter und sagte: „Herr Dumas, ein Wechsel von zweitausend Franken muß auf einem Stempelbogen von zwei Franken stehen –“

„Stempelpapier habe ich nicht,“ sagte Dumas.

„Hab’s mir gedacht,“ erwiderte der kluge, vorsichtige Schneider, „und hab’ deswegen welches mitgebracht.“

Mit Grazie überreicht er das Blatt dem Dichter, der es lachend hinnahm. Dann dictirte der Schneider die Form des Wechsels, und Dumas schrieb’s, wie jener es wünschte.

Der Schneider mußte doch wohl sicher sein, den Wechsel in Zahlung geben zu können, weil er so fröhlich war, als er denselben in seinen Händen hatte; Dumas aber sagte lächelnd, als er das Blatt hingab, das unter Umständen für ihn doch verhängnißvoll werden konnte:

„So, das Papier war zwei Franken werth, so lange es unbeschrieben war. Jetzt ist’s Nichts mehr werth! Bon jour, mon ami.“

Der Zufall wollte, daß ich eines Tages in Paris in einer quasiliterarischen Gesellschaft eine Dame traf, die, auffallend gekleidet, einst schön gewesen sein mochte, jetzt sich nur noch durch ihre kecke und laute Sprache und ein ziemlich ausgesprochenes, dem Blicke preisgegebenes Embonpoint auszeichnete. Geist hatte sie nicht, aber ein gewisses Gehenlassen, das ihr jung einen Reiz gegeben haben mochte, das sie jetzt als vollkommen geschmacklos erscheinen ließ. Es war Madame X., vor ein paar Tagen noch war sie Madame Dumas gewesen. Sie hatte eine Art restitutio – natürlich nicht in integrum – über sich müssen ergehen lassen. Dumas hatte sie in Gnaden entlassen, sie war Madame Dumas auf Wartegeld, Madame Dumas außer Diensten, wie man bei alten Generalen sagt.

Gegen Mitternacht, als nur ein kleinerer Kreis noch übrig war, wurde sie gesprächig; sie erzählte von Alexander. Aber ich mußte stets an den guten Gottfried Börne’s denken, dem ich einmal begegnete, als er nach Börne’s Tode Bedienter bei Meyer-Beer war, und den ich ausfragen wollte, um etwas Charakteristisches von Börne zu hören. Aber er wußte Nichts zu sagen, als daß Börne viel besser gewesen sei als Meyer-Beer, da Letzterer viel strenger fordere, daß kein Stäubchen auf dem Rock und die Schuhe und Stiefel wie Spiegel glänzen müßten.

„O, da war Herr Börne doch viel guter!“ seufzte schließlich der gute Gottfried, der eine so große Rolle in Börne’s Pariser Briefen spielte.

Und so ging es Madame Dumas außer Diensten. Sie konnte nicht genug erzählen, was er für ein „guter“ Mann gewesen, ihr Alexander. Er habe ihr nie den geringsten Kummer gemacht, was sie gewünscht, habe sie bekommen, und noch jetzt bekomme sie, was sie wünsche, von ihm.

„Aber wie kommt es denn, daß er Sie verlassen hat?“ sagte ein vorwitziger Blaustrumpf.

„Verlassen? Er hat mich nicht verlassen. Er hat mich nur ausgemiethet, mir eine prachtvolle Wohnung herrichten lassen, und mich gebeten, sie zu beziehen.“

Wir lachten; der wißbegierige Blaustrumpf aber wollte genau wissen, weswegen denn Alexander Mad–, fast hätte ich den Namen genannt, doch nomina sunt odiosa – also Madame Dumas außer Dienst und auf Wartegeld gesetzt habe. „Gründe, Gründe!“ frug sie wie Falstaff.

„Gründe hatte er keine,“ antwortete Madame, „aber ich vermuthe, ich war ihm – zu fett geworden. – Lachen Sie nicht,“ setzte sie hinzu. „Sie haben Madame X. gekannt, die jetzt in Italien lebt, und Madame Y., die in den Pyrenäenbädern heute eine Rolle spielt, Beide wurden fett, und – dann hat Alexander sie entlassen.“

Es ist nicht zweifelhaft, die moralische Fäulniß unter dem Kaiserscepter Napoleon’s des Dritten ist die Ursache, daß Frankreich so schauerlich zusammenbrechen konnte. Aber das Kaiserthum Napoleon’s des Dritten ist in dieser Beziehung doch nur der Erbe des Julikönigthums, oder besser der Fäulniß, die unter diesem überall gehegt wurde und dann Alles so untergrub, daß in ihr auch Napoleon den Boden für seine Schöpfung fand.

[56] Alexander Dumas hat durch seine Schauspiele, seine Tragödien, seine Romane die liederliche Sittenlosigkeit, die großthuende Patzigkeit, das Maulheldenthum – das zuletzt das ganze Heer des Kaiserthums angesteckt hatte, in alle Schichten des Volkes übergetragen. Sein Talent war groß, die Müßigen zu fesseln, die Nervenschwachen zu kitzeln, die Launengeplagten zu unterhalten. Man las und ließ sich gehen. Aber wer diese bodenlose, gewissenlose, grundsatzlose, sittenlose und in Wahrheit auch muth- und ehrlose Aufschneiderei nicht am Ende mit Ekel aus der Hand warf, der nahm ein Giftkorn in sich auf, das Wurzel faßte, und ihn schließlich selbst zum ehr- und sittenlosen Großsprecher machte.

Ehre dem Ehre gebührt, vor Allem – der Wahrheit! Diese Alexander Dumas und Genossen haben die französische, die Pariser Gesellschaft zu Dem gemacht, was sie unter dem Kaiserthum war, zur „Demi-monde“.

Zu Anfang des Julikönigthums hatte man in Paris – wo immer Zuchtlosigkeit genug im Zwielicht des Halbgeheimnisses herumschlich, – noch keine Ahnung von dieser in Gold und Prunk umherfahrenden frechen Zuchtlosigkeit, die die ganze französische Gesellschaft nach und nach durchdrang. Sie wurzelt in den Kreisen, in der Literatur, in dem Gedankenfluge, aus denen die Dumas’schen Schriften hervorgingen; – vielleicht, daß sie unter den Trümmern des Jahres 1870 mit dem „Vater“ Dumas, dem glänzendsten Typus der geistreichen Verkommenheit, der prunkenden und prahlenden Fäulniß des Kaiserthums, begraben wird. Zum Heile Frankreichs! Zum Heile der Menschheit!
J. Venedey.