Ahrenshoop, Oktober 1944

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Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, Oktober 1944
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Entstehungsdatum: 1944
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Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, Oktober 1944
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Einführung

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Der Artikel Ahrenshoop, Oktober 1944 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von Oktober 1944. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

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[1]
Sonntag, 1. Okt. 1944.     

[...] [1]      Gestern brachten uns die Soldaten den letzten Rest vom Koks ins Haus.

     Gestern Nachmittag Kaffee u. Kuchen im Seezimmer. Gastgeber waren Erika Wollesen u. Mann. Sie baten, meine Bilder sehen zu dürfen, doch war das Verständnis, wie zu erwarten, nicht groß. – Gestern untermalte ich das neue Stilleben.

     Gestern abend Lotte Daubenspeck, die anschaulich vom Osteinsatz in Schneidemühl erzählte. Der Transport kam abens 10 Uhr dort an u. mußte bis 1/2 1 Uhr Nachts auf dem Bahnhof stehen, weil nichts vorbereitet war. Erst dann wurden die Menschen auf Quartiere verteilt, – der Teil mit den Ahrenshoopern kam in eine Schule, die jedoch auch erst von anderen Flüchtlingen geräumt werden mußte. Erst gegen 2 Uhr morgens kamen sie hinein. Inzwischen war Fliegeralarm. – Die Menschen liegen dicht gedrängt auf der Erde auf dünner Strohschütte wie Vieh, die sanitären Verhältnisse sind skandalös, bzw. überhaupt nicht vorhanden. – Frau Schultze-Jasmer u. Frau v. Groß aus Prerow fallen besonders auf wegen ihrer betont nationalsozialistischen Gesinnung, Frau v. G. tut sich in hohen Stiefeln u. Reithosen als Lagerführerin besonders hervor. – Es ergibt sich daraus, daß es Paul sehr schlecht gehen muß, daß er aber darüber nichts schreibt. Man merkt nur aus dem Ton seiner Briefe, wie sehr er leidet. –

     Wollesen fährt morgen früh in den Einsatz. Sein Urlaub ist eigentlich heute zu Ende, doch besteht keine Möglichkeit, nach Ribnitz am Sonntag zu gelangen. – Von heute ab [2] bekommt selbst der Arzt Dr. Meyer kein Benzin mehr. In dringendsten Fällen muß er ein Pferdefuhrwerk benutzen, falls er ein solches bekommt. Herr „General“ Lorenz aber fährt im Auto von Berlin nach Born zum Besuch u. wieder zurück. Das Maaß ist übervoll. – [...]

[2]      Freitag Abend brachten uns Krappmanns eine große Menge Champignons, die wir gestern aßen. Sie haben sie auf einer Wiese bei Born gepflückt. [...]

[2]
Donnerstag, 5. Oktober 1944.     

[...] [3]      Heute das Blumen-Stilleben vollendet. Sehr naturalistisch, – ein Bild, welches dem Publikum gefallen wird.

[3]
Sonnabend, 7. Oktober 1944.     

[3]      Nach ziemlich langer Pause hatten wir vorgestern Abend wieder einmal Fliegeralarm, der sich gestern Vormittag u. gestern Abend wiederholte. Gestern Vormittag flogen sehr starke Verbände über uns weg bei wolkenlosem, klarem Wetter, sie griffen Berlin, Hamburg, Harburg u. verschiedene kleinere Plätze in diesen Gebieten an. Gestern Abend sollen sie angeblich Stralsund angegriffen haben. Gestern Vormittag schoß auch unsere Flak, u. zwar, ehe Luftalarm gegeben wurde, die Granaten krepierten teilweise über unserem Grundstück. – Im Westen sind die Fliegerangriffe überaus stark, es werden fast täglich fünf, sechs, sieben Städte gleichzeitig angegriffen, wobei immer viele Lokomotiven u. Güterwagen zerstört werden, neben den Fabriken. Es ist undenkbar, daß wir in der Lage sind, für diese Zerstörungen kriegswichtigster Betriebe u. Verkehrsanlagen Ersatz zu schaffen. So ist auch der Dortmund-Ems-Kanal völlig zerstört worden, die Schleppkähne liegen auf dem Grunde. [...]

[4]
Sonntag, 8. Oktober 1944.     

[4]      Auch gestern wieder Fliegeralarm. Es sind jetzt täglich Angriffe über ganz Deutschland, schwerer als je. [...]

[4]      Der Milchmann erzählt heute, daß er morgen eingezogen würde zum Schanzen in Holstein! – Man erwartet also doch von dort eine Invasion. – Wer uns nun die Milch bringen wird? [...]

[4]
Montag, 9. Oktober 1944.     

[4]      Heute das neue Blumenbild in Rahmen gesetzt, es sieht recht gut aus wenngleich es auch sonst nichts Besonderes ist. Ich habe die Studie mit diesen selben Blumen in Verbindung mit der Madonnenfigur noch einmal neu gezeichnet. Ich glaube, daß es so etwas werden kann. – [...]

[5]      Gestern Nachmittag waren die beiden Soldaten, die uns den Koks in den Keller schafften, zum Kaffee bei uns. Der ältere mit Namen Maass ist Studienrat an der holl. Grenze, der andere ist Textilkaufmann. Beide waren glücklich, ein paar Stunden in einem gemütlichen Hause sitzen u. frei sprechen zu können. [...]

[5]      Die noch vorhandenen Männer in Mecklenburg sind aufgerufen zum Schanzen in Schleswig-Holstein. Und das jetzt mitten in der Ernte! – Vor einigen Tagen bombardierten den Engländer unseren großen U=Boot=Stützpunkt Bergen in Südnorwegen. Dies in Verbindung mit der neuen Schipp=Aktion läßt darauf schließen, daß man doch noch eine neue Landung in der Deutschen Bucht erwartet, trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit. [...]

[5]
Dienstag, 10. Oktober 1944.     

[5]      Von Otto Wendt Nachricht, daß es ihm leider unmöglich ist, von Günter Wagner Oelfarben zu beschaffen. Einige Pinsel schickte er mir vor einigen Tagen. [...]

[6]      Es scheint, daß heute die lange angekündigten evakuierten Mütter mit Kindern angekommen sind. Im Nachbarhause Dohna ist jedenfalls erheblicher Kinderlärm u. ich sehe eine Dame dort hantieren. Frau Booth hat den Schlüssel von Monheims abgeholt, es sollen dort gleich vier Mütter mit Kindern einquartiert werden. Es ist zwar unverantwortlich, denn das Haus läßt sich ja nicht heizen [...]

[6]
Mittwoch, 11. Okt. 1944.     

[6]      Die evakuierten Mütter sind also da. Aus Stralsund. Sie sind einfach in Häusern untergebracht, in denen es am Notwendigsten fehlt. Sie haben kein Brennmaterial, um sich Essen zu kochen, unser schwaches Stromnetz reicht schon für unseren Bedarf nicht aus, sodaß jeden Abend wenigstens einmal das Licht ausgeht. Nun kommt dies noch dazu. – [...]

[6]      Heute das neue Bild untermalt, verspricht, sehr schön zu werden.

     Gestern Abend brachte Spangenberg einen Rucksack, den Fritz als Wehrmachtsgut an uns aufgegeben hat. Er enthielt für mich einen dunkelblauen Overall, den ich heute beim Malen an hatte. Er ist sehr schön warm, sodaß ich im Atelier nicht heizen brauchte, ferner noch eine Ueberzieh=Hose für die Gartenarbeit, ein grünes Hemd, viele Zigarren, die er nicht geraucht hat u. für Martha u. mich je ein Stück prachtvolle Palmoliveseife. Es ist rührend von dem Jungen. Auch eine Flasche Cognac war darin mit der Aufschrift: „Für meinen Vater“. [...]

[6]
Donnerstag, 12. Okt. 1944.     

[...] [7]      In der Zeitung steht, daß sich 70% der Hitlerjugend des Jahrganges 1928 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hätten. Also die Sechzehnjährigen! Und die „Freiwilligkeit“ solcher Jungens ist bekannt! [...]

[7]
Sonnabend, 14. Okt. 1944     

[...] [8]      Von Herrn Otto Luke, der jetzt Gefreiter bei der Marine-Artillerie bei Hamburg ist, erhielt ich gestern einen Brief mit inliegendem Reichsbezugsausweis für Künstlerbedarf. Ich kann darauf in Berlin zwei große Tuben Weiß u. 29 sonstige Farbentuben bekommen, sowie Firnis. Sehr erfreulich, besonders nachdem Otto Wendt mir keine Farben über Günther Wagner beschaffen kann. Nun werde ich in absehbarer Zeit mit Farben nicht in Verlegenheit sein. [...]

[9]
Mittwoch, 18. Okt. 1944.     

[...] [10] Ein sehr bemerkenswertes Vorkommnis hat sich in Hamburg ereignet. Bei einem der letzten nächtlichen Fliegerangriffe war die Stadt hell erleuchtet. Die Lichter gingen erst nach u. nach straßenweise aus, nachdem die ersten Bomben gefallen waren. Dies ist die erste, große u. offene Sabotagehandlung im Reich, von der ich gehört habe, man kann erwarten, daß weitere Sabotageakte bald folgen werden. – [...]

[10]
Donnerstag, 19. Oktober 1944.     

[10]      Der Abgrund, in den Deutschland versinkt, öffnet sich immer grauenvoller. Gestern, am Jahrestage der Schlacht von Leipzig, fand in einer Stadt in Ostpreußen eine Kundgebung statt, bei welcher ein Aufruf des Führers zur Bildung eines „Volkssturmes“ verlesen wurde. Alle Männer zwischen 16 u. 60 Jahren, so weit sie wehrfähig sind u. nicht schon bei der Wehrmacht stehen, sollen zu bewaffneten Bataillonen zusammen gefaßt werden zur Verteidigung des Landes. Die Schießausbildung untersteht dem sog. Stabschef der SA, die ganze Organisation der einzelnen Gaue den Gauleitern, also nicht der Wehrmacht, sondern der Partei. Der Wehrmacht traut man wohl bereits nicht mehr. Heinrich Himmler, – ich weiß nicht, ob mit einem oder zwei m, führte die Bedeutung dieses Unternehmens in einer langen Rede aus, in der allein zu bewundern war, wie dieser Halunke es verstand, die Redeweise u. das Organ des Führers nachzuahmen. Dieser Kerl hat sicher mit nicht geringer Mühe erlernt, das rollend r des Führers nachzuahmen die lange Dehnung der Vokale u. vor allem den ganzen Tonfall. Er führte aus, daß dieser sog. Volkssturm die Aufgabe haben würde, jedes Dorf, jedes Haus, jeden Graben u. jeden Busch mit dem Gewehr zu verteidigen, besonders auch dann, wenn der Feind bereits das Land besetzt haben sollte. Es dürfe niemals Kapitulation geben. – Was also bei den anderen bisher als feiger u. hinterhältiger Heckenschützenkrieg genannt wurde, das soll uns jetzt zur Pflicht gemacht werden. – Nach diesem Schwätzer trat der Gauleiter von Ostpreußen, Koch, auf den Plan u. schrie und kreischte eine Rede herunter, als ob das Messer schon an seinem eigenen Halse säße. – Es mag wohl sein, daß er etwas Aehnliches fühlte.

     Damit ist denn also die entscheidende Maßnahme getroffen, die den vollständigen Ruin Deutschlands herbeiführen muß. Unsere Gegner werden dadurch direkt zur grausamen Ausrottung des Volkes gezwungen, ob sie nun wollen oder nicht, besonders, wenn es so gehen würde, wie Herr Himler es verlangt, daß nämlich notfalls auch Frauen u. Mädchen zum Gewehr greifen. Man kann nur hoffen, daß die überwiegende Mehrheit des Volkes diesen Wahnsinn nicht mitmachen wird, ja daß das Volk die Waffen umkehren u. diesen Verbrechern den Garaus machen wird.

[10]
Freitag, 20. Oktober 1944.     

[10]      Gestern Mittag Erich Seeberg. Er wollte sich bei mir Rat holen, was er tun solle, wenn er zum Volkssturm eingezogen wird. Er wies mir seinen Militärpaß vor, nach dem er Divisionspfarrer ist u. somit eigentlich der [11] der Wehrmacht angehört. Das wird ihm aber garnichts nützen, so wenig mir selbst mein eigener Militärpaß etwas nützen wird. Dagegen besitzt er zwei ärztliche Atteste, von Prof. Jaensch u. von Prof. Curschmann, die ihm nützlich sein könnten, wenn er Gelegenheit haben sollte, sie anzubringen denn eine ärztliche Untersuchung wird es ja wahrscheinlich garnicht geben. Ich bin freilich der Meinung, daß seine Einziehung sein Tod sein würde, – aber das wäre den Nazis ja egal, möglicherweise sogar erwünscht. Seeberg hat dann noch die Möglichkeit, sich vom Armeebischof als Divisionspfarrer anfordern zu lassen, doch ist es sehr fraglich, ob dazu ein Bedarf vorliegt. Ich habe ihm geraten, vorläufig nichts zu unternehmen u. abzuwarten. – [...]

[11]
Sonnabend, 21. Oktober 1944.     

[11]      Die Ruinen von Aachen sind nun im Besitz der Engländer. Zehn Tage hat der Kampf gedauert. In Ungarn haben die Russen Debreczen erobert u. auch Belgrad ist jetzt von Deutschen gesäubert, nachdem von uns behauptet, worden war, wir hätten die Lage wieder hergestellt u. in Belgrad herrsche Ruhe. [...]

[11]
Montag, 23. Oktober 1944.     

[...] [11]      Deutschmann sagte zu Martha, daß ich nun doch in die Liste des Volkssturm aufgenommen sei mit dem Vermerk „Invalide“. – Die Partei verlangt jetzt wieder einmal Listen aller 50%igen Judenstämmlinge. – Das ist der wahre Grund des plötzlichen Todes der alten Frau Caspari. Sie ist mit einem Juden verheiratet gewesen u. hat zwei oder drei Töchter. Als sie von dieser neuerlichen [12] Aktion hörte, erregte sie sich so, daß ein Herzschlag eintrat. So häufen diese Mörder immer neues Blut.

[...] [12]      Am Sonnabend habe ich das Stilleben Maria mit Blumen vollendet. Es ist wirklich sehr schön geworden, sowohl in den Farben Gelb, Braun, bis ins Rot u. dazu die grünen Blätter, wie auch in der Linienkomposition. Ich glaube, daß ich nun einige Landschaften malen werde. Ich habe meine alte Mappe mit Naturstudien vorgeholt, die ich 1931 u. 32 gemacht habe, alle hier in der Gegend aus dem Jahre 1931, als ich nach dem Autounfall wieder anfing, etwas gehen zu können u. einige aus dem Jahre 1932, als ich mit Frau H. in Neu=Kunersdorf in der Nähe von Schneidemühl war. – Diese Landschaften werden allerdings wohl sehr abstrakt werden, ich will es versuchen.

[12]
Dienstag, 24. Oktober 1944.     

[...] [12] Himmler soll gestern in Budapest das Ziel eines Attentates gewesen sein. Sein Stabschef soll tot sein, Himmler selbst nur verwundet. Gott verzeih mir, wenn ich wünsche, daß dieses Gerücht sich bewahrheiten möge! –

     Mit dem Tode Himmlers würde dann auch die Schmarotzer=Existenz des Herrn Lorenz vorbei sein. Grade gestern wurde davon gesprochen, daß dieser Kerl sich überall in Deutschland Grundstücke gekauft habe u. sein errafftes Vermögen in Industriewerten angelegt habe. Einem anderen Gerücht zufolge, sollen alle führenden Industriellen des Rhein= u. Ruhrgebietes verhaftet worden sein, weil sie für den Abschluß eines sofortigen Friedens agitiert hätten. Auch diese Leute verdienen nichts Besseres. Sie haben von Anfang an Hitler unterstützt, weil sie wußten, daß Hitler Krieg bedeutet u. sie am Kriege verdienten. Nun, wo es schief gegangen ist, sie aber dennoch ungeheuer verdient haben, – nun wollen sie Frieden, um ihre Kriegsgewinne zu retten, denn sie wissen, was sie verlieren werden, wenn es dem ganzen Industriegebiet geht wie Aachen. –

     Ueber Aachen u. seine Evakuierung werden nach u. nach grauenhafte Einzelheiten bekannt. Die SS=Männer [13] Himmlers sind mit grausamster Brutalität vorgegangen u. nachdem die Bevölkerung abgeschoben war, haben diese selben SS-Männer u. deutsche Soldaten sich an's Plündern gemacht. Vor allem sind die Juwelierläden ausgeräubert worden u. in den Taschen der gefangengenommenen deutschen Soldaten haben die Amerikaner das Gold wiedergefunden. –

     Eine nette Scherzfrage hörte ich gestern: Wer hat die größte Flotte! – Antwort: Deutschland, – nämlich 80 Millionen Kohldampfer u. einen Zerstörer.

     Gestern Mittag war Herr Söhlke hier. Seine Frau war in der Nacht vorher schwer erkrankt u. in akuter Todesgefahr. – Wir sprachen natürlich vom Volkssturm u. über seine Organisation, die völlig unklar ist Klar ist nur, daß Himmler jetzt Chef der Polizei ist, Chef der SS sowohl an der Front wie in der Heimat, Chef des Heimatheeres u. nun auch Chef des Volkssturmes. Nach Soehlkes Meinung soll der Volkssturm in der Heimat als Ersatz des Heimatheeres eingesetzt werden, wenn es zu Aufruhr kommen sollte nachdem dieses Heimatheer jetzt restlos an die Front kommen soll. Diese Ansicht ist einleuchtend. Es fragt sich nur, woher man die Waffen für den Volkssturm nehmen soll, u. vor allem die Offiziere. – Erich Seeberg kam dazu u. sagte, sein Schwiegersohn, der für einige Tage hier ist u. Oberleutnant u. Adjutant bei irgend einer Dienststelle in Halle ist, habe ihm von der immer sichtbarer werdenden Vorbereitung einer neuen Waffe berichtet, welche furchtbare Wirkungen haben soll. –

     Neuerdings sollen nun die Russen auf einer sehr breiten Front etwa 30 km. tief in Ostpreußen eingedrungen sein. Auch in Ungarn haben sie anscheinend recht bedeutende Fortschritte gemacht. –

     Gestern machte ich eine Zeichnung für ein Landschaftsbild nach einer Studie aus Neu-Kunersdorf: zwei schlanke Erlen am Wasser, dahinter eine weite Landschaft mit leicht gewellten Hügeln. Sehr räumlich u. sehr einfach.

[13]
Donnerstag, 26. Oktober 1944.     

[...] [14]      Heute einen neuen Bogen aufgespannt für die neue Landschaft. Das Marien-Stilleben habe ich auf die letzte Sperrholzplatte aufgezogen, die ich besitze, – wie ich die künftigen Bilder behandeln soll, ist mir unklar. Habe Papenhagen gebeten, daß er mir Sperrholz besorgen soll, doch scheint es aussichtslos.

[14]
Freitag, 27. Okt. 1944.     

[14]      Gestern Nachricht von Fritz vom 11. Okt. Er schickte einige Dosen Oelsardienen aus seiner Verpflegung die, wie er schreibt, immer noch sehr gut u. reichllch sei. Sonst schrieb er weiter nichts.

     Heute Morgen kamen Briketts für Küntzels, 30 Centner, die vor die Gartentür geworfen wurden. Mir blieb nichts übrig, als sie eimerweise reinzuschleppen. Bis Mittag war ich fertig, sowohl mit den Briketts, wie mit mir selbst.

[15]
Dienstag 31. Oktober 1944.     

[15]      Meine Landschaft macht Fortschritte u. verspricht, sehr gut zu werden, ein Bild mit großer Tiefe u. sehr klar gegliedertem Raum. Heute habe ich die beiden dunklen Stämme der Erlen im Vordergrunde hineingesetzt, sodaß die räumliche Illusion jetzt klar zum Ausdruck gekommen ist. Das Wasser im Vordergrunde fehlt aber noch, durch dieses soll der Raum erst voll zur Entfaltung kommen. [...]

[16] Jetzt fängt man auch langsam an, zu merken, was es mit den sog. „Volksdivisionen“ auf sich hat, von denen so viel die Rede ist, seitdem Herr Himmler das Heimatheer befehligt. Es sind das neu aufgestellte Formationen, die sich aus all den Leuten zusammensetzen, die bisher noch nicht Soldaten waren, besonders die Parteifunktionäre, die bisher irgend einen Druckposten in der Heimat hatten, aber auch alle, die sonst bisher u. k. gestellt waren oder auch solche, die bisher wegen mangelnder Gesundheit nicht Soldaten wurden. Diese Formationen hat man nach 14tägiger Ausbildung als Kanonenfutter an die Front geschickt, manche sind nicht einmal 14 Tage ausgebildet. Es läßt sich denken, was das für Soldaten sein werden. Nur die Offiziere u. Unteroffiziere sind Leute mit Fronterfahrung. –

     Dennoch läßt sich nicht ersehen, wann dieser Krieg ein Ende finden soll. Das Luftbombardement der Städte im Westen, der Industrie= u. Verkehrsanlagen geht in schärfster Form seinen Gang u. nach dem, was man hört, kann im Westen von einem Eisenbahnverkehr schon längst keine Rede mehr sein. Auch Fritz schreibt, daß die Straßen am Tage für den Autoverkehr unbenutzbar seien u. daß der ganze Verkehr über Feld= u. Nebenwege gehe, die freilich in einem tollen Zustand sind; aber dennoch wird gefahren. Wenn die Anglo-Amerikaner in demselben Tempo weiterkommen, wie bisher, seitdem sie an unserer Grenze stehen, dann ist der Krieg auch Ostern nicht zu ende. Zwar werden wir in diesem Winter eine Hungersnot durchmachen, wie wir sie in Deutschland wohl selbst im 30jähr. Krieg nicht erlebt haben; aber den Nazis ist das egal, – sie hungern schon nicht. Eine hier aus Berlin evakuierte Dame erzählte mir kürzlich, daß in Berlin schon seit längerer Zeit überhaupt kein Gemüse zu bekommen sei infolge der Verkehrsschwierigkeiten. Es sei der Weißkohl in Scheiben zu 200 Gramm verkauft worden. –