Textdaten
Autor: Hans Brass
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ahrenshoop, Februar 1943
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1943
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, Februar 1943
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, Februar 1943 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge vom Februar 1943. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge


[1]
Dienstag den 2. Februar 1943.     

[...] [1] Die frühlingshafte Wärme dauert immer noch an. – Generalfeldmarschall Paulus hat sich mit 16 Generalen u. dem Rest seiner Truppen den Russen übergeben, nur eine Armeegruppe unter Befehl eines General Stricker hält sich noch in einem nördlichen Stadtteil, doch dürfte auch die Uebergabe dieses kleinen Restes inzwischen erfolgt sein. Damit ist dieses furchtbare Drama zuende. –

     Im übrigen scheint nun einzutreten, was ich längst befürchtete u. vorausgesagt habe: der Kriegseintritt der Türkei. Churchill ist nach der Konferenz mit Rooseveld in Casablanka nach Ankara geflogen u. hat dort sowohl mit dem Staatspräsidenten wie mit dem Ministerpräsidenten eine Konferenz gehabt, zu welcher die Generalstabschefs der Engländer und der Türken zugezogen worden sind.

[...] [1]      Die beiden Reden von Goebbels u. Göring am 30. Januar hatten übrigens das Bemerkenswerte, – besonders Görings Rede, – daß ausschließlich vom Krieg gegen Rußland die Rede war. Man konnte fast den Eindruck haben, als wäre der Krieg mit England u. Amerika nicht der Rede wert. Ich bin mir nicht klar darüber, ob das pure Dummheit [2] ist, oder ob man absichtlich die Aufmerksamkeit des deutschen Spießers von diesen beiden Gegnern ablenken wollte, um ihm nicht noch mehr Angst zu machen. Diese beiden Gegner aber sind wichtiger als die ganze russische Offensive, das wird sich schon in den nächsten Wochen oder gar Tagen zeigen. Wenn es Absicht ist, die Aufmerksamkeit des Spießers ganz auf Rußland zu lenken, dann scheint das ja geglückt zu sein, denn vor einigen Tagen sprach ich vorsichtig mit unserem Lehrer Deutschmann, der hier Ortsgruppenleiter der Partei ist, u. erwähnte leise die Gefahr, die von der Türkei her droht. Dieser Mann ist sonst ganz vernünftig, aber hier versagte er. Er meinte wegwerfend, daß die Türken ja nichts taugen, daß die Bulgaren ja auch noch da wären u. daß wir außerdem da unten schon genug Soldaten stehen hätten. Hauptsache wäre, daß wir die Russen nicht weiterkommen ließen. Ich dachte mir mein Teil u. schwieg still. – Dieser Krieg wird früher sein Ende finden, als Herr Hitler u. seine Genossen es sich träumen lassen. Er wird nicht dazu kommen, den letzten Deutschen zur Verteidigung seiner Macht verbluten zu lassen, [...]

[2]
Mittwoch, 3. Februar 1943.     

[...] [2] Das Drama von Stalingrad ist nun zuende. Herr Goebbels hat angeordnet, daß alle Theater, Kinos, Konzerte usw. bis Sonnabend zu schließen haben. Man macht Reklame mit deutschem Heldenmut. – Es sind Flieger in der Luft, in der Ferne hört man Kanonendonner. [...] [2] In der letzten Woche machte die Batterie am Hohen Ufer wieder Uebungsschießen, jedoch nicht, wie sonst immer, auf eine Zielscheibe auf See, sondern über den Bodden in Richtung auf Born. Es kommt mir dabei der Gedanke, ob das schon ein Einschießen sein kann für den Anmarschweg von Stralsund her? [...] [2] Gestern Nacht ist Köln wieder schwer bombardiert worden. –

[3]
Mittwoch 17. Februar 1943.     

[...] [4] Ob unser Geschäft geschlossen wird, wissen wir immer noch nicht. Wahrscheinlich haben die Arbeitsämter so viel zu tun mit dieser unsinnigen Erfassung, daß sie dabei zu unserem entlegenen Dorf garnicht kommen. [...]

[4]
Freitag den 19. Februar 1943.     

[4]      Gestern Abend fand eine große Kundgebung im Berliner Sportpalast statt, auf der Dr. Goebbels redete. Die Veranstaltung wurde, wie das jetzt immer üblich ist, erst kurz vorher bekannt gegeben, teils, um eine Störung durch die Engländer zu vermeiden, teils wohl auch aus Angst vor Attentaten oder sonstigen Störungen. Dr. Goebbels redete zwei geschlagene Stunden. Seine Rede bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil war eine sehr alarmierende Darstellung der Lage an der Ostfront mit einem kaum noch verhüllten Appell an die Engländer, doch endlich die Gefahr des Bolschewismus einzusehen, der an der Kanalfront nicht Halt machen würde. Dieser Teil war stark mit Hassausbrüchen gegen die Juden gewürzt. Dann schwenkte er plötzlich um u. versicherte, daß wir stark genug wären, die Ostfront zu halten, ja, daß wir im Frühjahr wieder zur Offensive übergehen würden, – u. zu diesem Zweck solle nun der totale Krieg noch totaler werden. Dieser zweite Teil stand wieder unter dem Motto [5] „Das Volk will Taten sehen!“ – Diese Taten bestehen nach Dr. Goebbels zunächst einmal darin, daß alle Nachtlokale, Amüsierbetriebe u. Luxusrestaurants geschlossen worden sind u. Herr G. nahm Gelegenheit, hierbei aufreizend von den Besuchern dieser Lokale zu sprechen. Sodann verkündete er, daß er das Reiten auf Straßen u. öffentlichen Plätzen verboten habe, damit die schlichte Arbeiterfrau von solchem Anblick nicht schockiert werde. Im Grunewald u. sonstwo ist das Reiten demnach also auch weiterhin erlaubt. Es ist also praktisch so, daß die reichen, draußen wohnenden Leute davon unberührt bleiben, während die in der Stadt gelegenen Reitinstitute, die ihre Pferde stundenweise vermieten, nun sehen können, wie u. wo sie künftig ihre Pferde bewegen können. „Das Volk will Taten sehen!“ – Sodann kündigte Herr G. rücksichtslose Maßregeln gegen Drückeberger, besonders Frauen der höheren Kreise an u. erging sich in aufreizenden Bemerkungen über diese „Nichtstuer“. Zum Schluß stellte Herr G. zehn Fragen, die natürlich alle mit Begeisterung bejaht wurden: ob das deutsche Volk noch das Vertrauen zum Führer habe, – ob es den Krieg bis zum Weißbluten fortsetzen wolle, – ob das Volk sechzehn Stunden täglich arbeiten wolle usw. – – Vor einiger Zeit erzählte Herr Dr. W. –, der wieder einmal in Berlin bei seinen Parteifreunden gewesen war, – wie diese Freunde, die ausnahmslos gut bezahlte Parteiposten haben, im Luxus schwelgen. Sekt wird wie Wasser getrunken u. die Speisetafel biegt sich unter der Last der Speisen, wenn diese Leute ihre Gelage veranstalten. Einige seiner Freunde waren bei Herm. Göring zum Geburtsag gewesen, dort war dasselbe Bild. Göring schenkte seiner Frau ein schweres, goldenes Armband. Wenn wir Gold haben, ohne es abzuliefern, steht darauf Zuchthaus. – Die gestrige Veranstaltung im Sportpalast wirkte auf mich wie ein gellender Schrei der Angst, – man kann vermuten, daß es noch viel schlimmer steht, als wir ahnen. Zugleich war die Veranstaltung eine Kampherspritze für das Volk u. eine zunächst noch etwas vorsichtige Aufreizung zum Klassenhaß. Die Wut des Volkes soll rechtzeitig abgelenkt werden.

[5]
Sonntag, 21. Februar 1943.     

[5]      Gestern den Entwurf für Fritzens Kriegstrauungs=Anzeige fertig gestellt. Nachmittags rief Erichson an, der grade gekommen war. Ich fragte ihn, ob Klischierung u. Druck möglich sei. Er sicherte mir zu, daß er alles machen wolle. Abends Dr. Wessel, ein politischer Kannegießer. Als er kam, war er voll Zustimmung zur Goebbels=Rede. Ich fragte ihn dann nach u. nach aus über das, was er von der Geburtstagsfeier Goerings wußte. Danach muß es also sehr hoch hergegangen sein. Eine z. Zt. berühmte Sängerin – ich kenne ihren Namen nicht weiter – hat dabei mitgewirkt u. für ihre Bemühung ein goldenes Armband mit Brillanten erhalten. Der ganze Festrummel soll einschließlich der Geschenke, die deutsche Firmen gemacht haben! – einen Totalwert von schätzungsweise 5 – 6 Millionen Mark gehabt haben. Also auch hier „totaler Krieg“. – Ich fragte dann weiter, ob Emmy Goering [6] ihr sämtliches Dienstpersonal entlassen habe, – oder wenn nicht, ob sie als Rüstungsarbeiterin in die Fabrik ginge, – wie Dr. Goebbels es in seiner Rede von allen Frauen, „ob hoch oder niedrig“ verlangt habe. Dr. W. wußte es nicht, glaubte es aber nicht. Ich fragte weiter, ob er derartiges von anderen Frauen der Minister oder hohen Bonzen, etwa von der Frau des Herrn Dr. Goebbels wisse oder glaube. Er verneinte. Ich fragte dann weiter, ob dann wenigstens die Frau des Bürgermeisters von Ribnitz dergleichen täte. Er verneinte auch das. Ich fragte dann, ob wenigstens seine eigene Frau in die Fabrik ginge, – etwa zu Bachmann. Auch das verneinte er, doch fügte er hinzu, daß sie es erst dann tun würde, wenn die Frauen der Bonzen das Gleiche tun würden. – Ich fragte, ob er glaube, daß die Minister u. Bonzen wie wir monatlich nur eine einzige Glühlame zu 25 Volt erhielten, ob sie sich zur Kohlenersparnis auf ein einziges oder zwei Zimmer beschränkten. In dieser Weise fragte ich immer weiter, bis er wutschnaubend auf alle diese Minister u. Bonzen, vor allem auf Dr. Goebbels schimpfend abzog. Eine Viertelstunde genügte also, um seine Begeisterung in das Gegenteil zu verkehren. [...]

[7]
Donnerstag, den 25. Februar 1943.     

[...] [7]      Wie ich gerüchtweise höre, soll morgen eine Versammlung stattfinden [8] wegen des Arbeitseinsatzes. In Mecklenburg ist man schon tüchtig dabei, die Leute einzuziehen, in Althagen sollen vier Mädchen eingezogen sein, – sonst nichts. Das wäre nicht viel. In den Städten ist man eifriger, denn: „Das Volk will Taten sehen!“ Man hat bereits viele Geschäfte geschlossen u. die vorhandene Ware beschlagnahmt, – zum Einkaufpreis – oder vielmehr zum Preise, der in der Inventur angegeben ist, d.h. also, daß Gegenstände zu hohen Preisen, die jahrelang im Geschäft liegen u. an denen man in der Inventur Abschreibungen vorgenommen hat, auch weit unter dem eigenen Einkaufspreis beschlagnahmt werden. So zahlt der Mittelstand den Krieg. Auch Büromöbel, Schreibmaschinen usw. werden beschlagnahmt, selbstredend auch zum Inventurpreis, – da ist es schon besser, wenn eine Fliegerbombe das Geschäft einschmeißt. All die kleinen Geschäftsleute, die auf diese Art stillgelegt werden, werden niemals wieder zu einer eigenen Existenz kommen, – besonders für deren Söhne, die an der Front stehen, eine erfreuliche Aussicht. Sie verteidigen an der Front mit Einsatz des Lebens die Heimat u. das sog. Vaterland, während dieses selbe Vaterland ihnen im Rücken die Existenz ruiniert. Das ist nun diesmal wirklich ein „Dolchstoß in den Rücken“. Inzwischen fahren die Herren Lorenz u. Genossen in ihren Autos zur Jagd.

     Ein Fall in Warnemünde. Die Frau eines Offiziers, der an der Front steht, ist Aerztin. Sie besucht Kranke. Sie kommt in eine Familie, wo Freundinnen der Hausfrau grade zu Besuch sind. Man redet über allerhand, natürlich auch über Politik. Die Aerztin sagt, daß der Gauleiter Hildebrandt eine Geliebte haben u. mit ihr ein Kind haben soll. Die Geliebte soll sehr feudal in irgend einer prächtigen Villa untergebracht sein. Die Aerztin geht weiter, kommt nach Hause u. wird vor die Polizei geladen. Es ergibt sich, daß eine der Freundinnen diese Geschichte ihrem Mann erzählt hat, der ist sofort zur Polizei gelaufen u. hat Anzeige gemacht. Die Aerztin hat Gift genommen u. ist tot, der Mann an der Front? –

     Jetzt werden die fünfzehnjährigen Schuljungens zur Flak eingezogen. Sie bekommen eine Uniform an u. werden militärisch ausgebildet. Der Unterricht soll in verkürzter Form nebenher weitergehen durch besondere Lehrer, die ebenfalls Uniform tragen müssen. Diese Jugend wird einmal im gewöhnlichen Leben stehen müssen, dazu die jungen Soldaten, die schon lange an der Front sind, vielleicht das Ritterkreuz tragen. Sie werden nach dem Kriege von vorn anfangen müssen. Das war schon nach dem ersten Weltkrieg ein schweres Problem, nach diesem Kriege wird es noch schwerer sein, besonders, wenn diese jungen Leute in ihre von Bomben zerstörten Heimatstädte zurückkehren werden u. keine Existenz mehr haben. [...]