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Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, August 1945
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Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, August 1945
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, August 1945 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge von August 1945. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung].

Tagebuchauszüge

[1]
Freitag, 3. Aug. 1945.     

[...] [1]      Um 1/2 1 Uhr Nachts hörten wir im Radio das Kommuniqué, das von der Potsdamer Konferenz herausgegeben worden ist, die vorgestern ihr Ende gefunden hat. Es ist bemerkenswert, wie geheim man alles behandelt hat u. mit welcher Schnelligkeit die Partner das Feld geräumt haben. Der amerikan. Präsident war nur wenige Stunden in England u. ist gleich weitergefahren.

     Das Kommuniqué selbst ist sehr allgemein gehalten. Es ist ein ständiger Rat der fünf Außenminister von England, Amerika, Rußland, Frankreich u. China gebildet, der in London tagt u. den Frieden mit Italien, Bulgarien, Rumänien u. Finnland vorbereiten soll. Der Friede mit Deutschland liegt noch in weiter Ferne, ebenso die Bildung einer deutschen Regierung. Königsberg wird Russisch, Polen reicht bis zur Oder u. Netze bis zur Tschecho-Slowakei. Polen, Ungarn u. die Tschecho-Slowakei werden die Deutschen ausweisen. Rußland wird zur Wiedergutmachung auch weiterhin Industrie=Einrichtungen nach Rußland schleppen, sodaß Ost=Deutschland tatsächlich ein Kartoffelacker werden wird.

     Für Ahrenshoop ergibt sich, daß es mit dem Fremdenverkehr endgültig aus sein wird. Andererseits kann das Dorf kein Bauerndorf werden, es sei denn, es würde etwa auf 1/4 seines Bestandes zurückgebracht. Hotels, Pensionen u. Sommerhäuser [2] sind dann natürlich überflüssig, ebenso die Bunte Stube. Man könnte sie vielleicht abreißen u. das Gelände mit dem jetzigen Vordergarten mit Obstbäumen u. Obststräuchern besetzen u. im Hintergarten einen Geflügelhof anlegen.

[2]
Montag, 6. August 1945.     

[...] [2] Inzwischen geht aber der Abtransport der Flüchtlinge, den ich in der letzten Woche eingeleitet habe, weiter. Morgen um 8 Uhr geht der Dampfer von Althagen ab, der dann den größten Teil der Flüchtlinge, die noch hier sind, fortbringen wird. Von da ab wird Ahrenshoop dann ziemlich leer sein, u. es wird eine fühlbare Erleichterung der Ernährungslage geben. [...]

[3]
Dienstag, 7. Aug. 1945.     

[3]      Heute früh sind 132 Flüchtlinge abgefahren. Ich hoffe, daß damit eine fühlbare Erleichterung der Ernährungslage für den Ort eintreten wird. Die Leute, die abgefahren sind mit dem Dampfer ab Althagen, gehen einem schweren Schicksal entgegen, möge ein gütiger Gott sie schützen. [...]

[3]      Herr Dr. Hahn erstattete Bericht über seine Reise nach Barth, die äußerst schwierig war. Ueber die Zingster Brücke ist er nur gekommen mit falschen Pässen, die ihm der russ. Wachtposten gegeben hat, da Dr. H. sein Schreiben des hiesigen Kommandanten aus dem Mohnheim'schen Hause an ihn vorwies. Es war nicht ungefährlich, aber die Reise hat sich gelohnt. Leplow, der mitgefahren war, hat seine Handelserlaubnis für Damgarten bekommen. Dr. H. hat mit dem stellvertr. Landrat verhandelt, der unmittelbar im Begriff stand, nach Schwerin zur Regierung zu fahren u. der sich alle Klagen genau notiert hat. Ebenso hat Dr. H. mit dem Forstmeister wegen Holzlieferung günstig verhandelt.

[3]
Mittwoch, 8. Aug. 1945.     

[3]      Gestern abend kam der Dampfer, der die Flüchtlinge abgefahren hatte, mit Lebensmitteln zurück: Kartoffeln, Rübenschnitzel, Mehl u. Graupen. Mit dem Mehl war es besonders hohe Zeit, sonst hätten wir heute kein Brot mehr gehabt.

     Nach dem Dienst half ich bei Paetow, die Scheune aufzuräumen, weil er heute den Roggen einfahren will. Er hat viel vorjähriges Stroh übrig behalten, da er es nicht gebraucht hat, nachdem ihm seine Pferde gestohlen worden sind. Abends kam die kleine Enkelin u. sagte, daß Kämmerer bei Paetow Klee abmäht u. abfährt. Es stehlen nicht bloß die Russen, sondern auch die Deutschen. – [...]

[4]
Donnerstag, 9. Aug. 1945.     

[4]      Am heutigen Tag hat Rußland an Japan den Krieg erklärt, u. zwar auf Ansuchen der amerikan. u. engl. Regierung. Dies gab gestern Abend der engl. Sender durch.

     Ebenfalls wurde gestern die Anwendung der neuen Atom=Bombe gegen Japan bekannt gegeben. Es ist das die geheimnisvolle Wunderwaffe, welche die Nazis immer erfinden wollten u. die nun die Engländer + Amerikaner wirklich erfunden haben. Nach dem engl. Sender muß die Wirkung dieser neuen Waffe furchtbar sein u. alle Vorstellungen übersteigen. Man hat nur eine Bombe auf einen japan. Kriegshafen geworfen u. es heißt, daß damit alle Lebewesen einschl. Pflanzen vernichtet worden seien. Die entwickelte Hitze soll alles getötet haben. Man will nun Japan einige Tage Zeit geben, ehe man mit dieser Waffe fortfährt. – Mit dieser Bombe ist der Anfang gemacht zu einer neuen technischen Entwicklung, deren Ausmaße sich überhaupt nicht übersehen lassen. Die Wirkung ist so ungeheuer, daß Kriege künftig schlechthin unmöglich sein werden. Wer diese Waffe besitzt, ist in der Lage, ganze Länder u. Kontinente zu vernichten. [...]

[4]      3 Uhr nachm. – Der Wustrower Kommandant war per Auto hier am Baltischen Hof. Er hat dort Gardinen abreißen lassen u. a. Dinge beschlagnahmt unter der Devise, daß die Fazisten keine Gardinen brauchten, wenn die russ. Soldaten keine hätten. Dann ließ er mich rufen. Er saß schon im Auto am Steuer, der Althäger Kommandant war auch da. Als ich kam, zeigte er mit dem Finger auf mich u. sagte [5] irgend etwas Gehässiges gegen mich zu dem Althäger. Daschewsky, der mich geholt hatte, übersetzte, warum die Evakuierten den Ort noch nicht verlassen hätten. Ich antwortete, daß das vorgestern geschehen sei. Er fragte, ob alle raus wären, die noch nicht fünf Jahre in Ahr. wohnten. Ich verneinte das, da mir von Brüssow schriftlich mitgeteilt worden sei, es brauchten nur die den Ort zu verlassen, die noch keine 18 Monate hier wohnten. Darauf erklärte er mir, daß bis zum 15. Aug. kein Mensch das Fischland verlassen dürfe. Ferner solle ich alle noch vorhandenen Radiogeräte u. alle Schreibmaschinen einsammeln u. in Wustrow abliefern. Schließlich solle ich wieder eine Liste der ehem. Parteigenossen bei der Batterie abliefern. – Damit ist es also nun mit dem Radio endgültig vorbei, u. man wird nun nichts mehr erfahren, was in der Welt los ist, wenn nicht gelegentlich mal eine Zeitung her kommt. Das Ganze ist nichts als eine gemeine Schikane. Der Kerl hat eine große Wut, daß Dr. Hoffmann durchgegangen ist, seinen Nachfolger Dr. Grantz hat er auch abgesetzt. [...]

[5]
Sonnabend, 11. Aug. 1945.     

[...] [6]      Die Russen erzählten mir gestern, daß Japan kapituliert habe. Radio höre ich nun nicht mehr. [...]

[7]
Dienstag, 14. August 1945.     

[...] [7] Die Felder von Ripke besichtigt, die ich für die Gemeinde abernten lassen werde. – Hoffentlich bekommen wir bald Strom, damit der Roggen gedroschen werden kann. –

     Nachm. 4 Uhr. – Ueber Mittag in Wustrow, Wäsche u. Haushaltsgegenstände für das neue Fischland-Krankenhaus abgeliefert. Man war dort über die Sachen sehr erfreut. – Ich suchte Herrn Brüssow auf in seiner Privatwohnung, wo ich jedoch nur seine Frau antraf, die ein seichtes u. nuttenhaftes Puttchen ist. Die Wohnung ist entsprechend mit Klubsesseln usw. eingerichtet. Die Frau ließ mich wissen, daß der Herr Kommandant fast jeden Abend bei ihnen sei u. Radio höre. Herr Brüssow verfügt über einen fabelhaften Radio-Apparat, verbunden mit Grammophon. Er hat den Apparat also nicht abgegeben.

     Jetzt eben haben wir Strom bekommen. – [...]

[8]
Freitag, 17. Aug. 1945.     

[8]      Leplow war gestern endlich wieder einmal unterwegs nach Damgarten, um Vieh zu kaufen. Es gelang ihm tatsächlich, zwei Tiere zu erstehen, doch wurden sie ihm dann wieder vom Bürgermeister durch die Russen abgenommen. Er kam ohne Vieh zurück.

     Gestern kam der Althäger Kommandant, um mir zu sagen, daß Munition gesprengt werden würde. Alle Fenster sollten geöffnet werden, alle Menschen sollten in den Häusern Deckung nehmen. Ich ließ es bekannt machen, aber es erfolgte nichts.

     Der Darss ist immer noch gesperrt, weil die Russen dort irgendetwas suchen, angeblich Spione. Das Brennholz kann nicht abgefahren werden. [...]

[8]
Montag, 20. Aug. 1945.     

[...] [8] Mit dem Strom habe ich als einziger in Ahr. Radio, aber am Sonnabend habe ich eine Lautsprecher-Anlage unter dem Vorbau der Bu-Stu anlegen lassen, wo ich Bänke aufstellen ließ. Gestern funktionierte die Sache zum ersten Male, die Leute freuten sich, Neuigkeiten u. Musik zu hören.

     Der Kommandant ist auffallend liebenswürdig zu mir. Er versichert mir immerfort, daß er mich sehr schätze. Gestern war er da mit einem Freunde u. dessen Frau. Für die Frau mußte Maß genommen werden für ein Kostüm, für den Freund für eine Jacke. Die Stoffe dazu stammen aus dem Kumpf'schen Hause. Es war ein schöner, dunkler Anzugstoff dabei u. er schenkte mir davon einen Anzug. [...]

[9]
Donnerstag, 23. Aug. 1945.     

[9]      Gestern abend mußten wieder Sofas, Sessel, Spiegel u. Gardinen beschafft werden, der Althäger Kommandant kam selbst, offenbar um zu verhindern, daß bei dieser Gelegenheit wieder geplündert wurde, wie es das letzte Mal geschehen ist [...]

[9]      3 Uhr Nachm. – Liebers sagt mir, daß die Russen in Wustrow abrücken. Der ekelhafte Kommandant ist schon weg. Es besteht die Gefahr, daß sie unsere beiden LKW's mitnehmen. [...]

[10]
Montag, 27. Aug. 1945.     

[10]      Sonnabend Abend kam der Althäger Kommandant geritten mit dem neuen Kommandanten, einem Leutnant, der bemittleidenswert unbedeutend aussieht. Anscheinend ist die neue Truppe Marine-Infanterie. In der Nacht rückten die Kosaken ab. Sie nahmen wiederum unsere Wagen u. Pferde mit u. schleppten alles ab, was irgendwie beweglich war. Aus der Batterie haben sie Türklinken u. Schlösser u. Fensterrahmen mitgenommen u. von dem Pferdestall, den wir mit unseren Brettern gebaut haben haben sie ebenfalls alle Wände u. Bretter mitgenommen. Der Althäger Kommandant hat die ganze Zimmereinrichtung des Zimmers in dem er gewohnt hat, mitgenommen. – In Wustrow ist es noch viel schlimmer. Dort hat der Kommandant beide Lastkraftwagen mitgenommen, sowie das Rohöl des Dampfers, sodaß wir nun überhaupt keine Verbindung, mehr mit dem Inlande haben u. nicht wissen, wie wir künftig unsere Lebensmittel heranbringen werden. Ich habe heute morgen zunächst einmal Frl. Neumann nach Wustrow geschickt, damit sie beim dortigen Kommandanten vorfühlen soll. Ich werde dann selbst hinfahren u. mein Glück versuchen. Der Bürgermstr. Brüssow in Wustrow, der ja vom bisherigen Kommandanten gestützt wurde, wird sich nun ja auch unsicher fühlen, man spricht bereits von einem abermaligen Wechsel. [...]

[10]      Gestern Nachmittag veranstaltete ich wieder mal eine Volksversammlung im Balt. Hof. Es war die zweite seit meiner Amtszeit. Ich sprach wohl 1 1/2 Stunden sehr umfassend über alles, was die Leute interessiert. So weit ich gehört habe, hat meine Rede sehr gefallen u. die Leute haben neuen Mut bekommen. Am Sonnabend Nachmittag hatte ich eine Vorstands-Sitzg. einberufen, die ebenfalls sehr harmonisch verlief. Dieser Gemeindevorstand ist sehr gutwillig u. ohne jede Opposition. [...]

[11]
Dienstag, 28. Aug. 1945.     

[...] [11]      Gestern Abend Verfügung aus Barth, aus der zu ersehen ist, daß wir neu mit Flüchtlingen belegt werden sollen. Es wird sich um die Flüchtlinge handeln, die aus Polen ausgewiesen werden. Wir sprachen mit Küntzels darüber u. kamen zu der Ansicht, daß diesmal eine Belegung mit Flüchtlingen wahrscheinlich auf sehr viele Jahre erfolgen wird, denn wo sollten die Menschen sonst hin? [...]

[12]
Freitag, 31. Aug. 1945.     

[...] [12]      Heute früh war Dr. Hahn in Wustrow zur Besprechung mit dem Kommandanten. Es ergibt sich, daß der eigentliche neue Kommandant in Müritz-Graal sitzt, in Wustrow [13] ist nur ein Vertreter von ihm. Offenbar sind die Grenzen seines Bezirkes nicht klar abgesteckt, denn von Ahrenshoop wußte er nichts. Es scheint so, als rechneten wir nun doch zur Zone der Kosacken im Darss. Es ist höchst unangenehm, daß darüber nie Klarheit besteht u. man nie weiß, an wen man sich halten soll. – In Wustrow wurde nun wieder eine neue Ansicht über das Rundfunkhören propagiert. Es hieß dort, die Bevölkerung dürfe, ja sie solle Radio hören, u. zwar ohne Ausnahme, auch die ehemal. PG's, die bisher davon ausgeschlossen waren. Man ist jetzt sogar der Meinung, daß grade die PG's Radio hören sollen, damit sie einsehen lernen, was für einen Unsinn sie bisher gemacht haben. Aber die Russen sollten zuerst einmal den Unsinn einsehen lernen, den sie gemacht haben, als sie uns sämtliche Apparate fortnahmen. [...]