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Autor: Hans Brass
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Titel: Ahrenshoop, 1942
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Entstehungsdatum: 1942
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Kurzbeschreibung: Tagebuchauszüge zum Thema Ahrenshoop, 1942
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Einführung

Der Artikel Ahrenshoop, 1942 zeigt die von Stefan Isensee im Rahmen seines Werkes „Ahrenshoop vor und im Krieg“ zusammengestellten Tagebuchauszüge zum Jahr 1942. Textauslassungen wurden mit [...] gekennzeichnet, eingefügte Erläuterungen von Stefan Isensee in eckigen Klammern kursiv [Erläuterung]. Während seiner religiös-schwärmerischen Zeit nannte Hans Brass sich „Johannes“ und Martha Wegscheider nannte er „Maria“. Am 15. Oktober 1942 heiratete Hans Brass Martha Wegscheider. Seit der Hochzeit nannte er sie wieder „Martha“. Er hatte eingesehen, dass sie sich nicht an den Namen „Maria“, den er ihr aus religiöser Schwärmerei gegeben hatte, gewöhnen wollte und konnte (Bemerkungen dazu im Tagebucheintrag vom 30. November 1942).

Tagebuchauszüge

[1]
4. Februar 1941.     

[...] [1] Das Wichtigste Ereignis der zurückliegenden Zeit ist meine am 15. Okt. vollzogene Verheiratung mit Maria. Seit diesem Tage nenne ich sie mit ihrem gewöhnlichen Taufnamen: „Martha“. Es scheint, daß es fast unmöglich ist, einem Menschen, der sein Leben lang einen Taufnamen getragen hat, später einen anderen Namen zu geben, wenigstens ist der Name Maria für meine jetzige Frau immer fremd geblieben. Allerdings ist sie ihr Leben lang auch nie Martha gerufen worden, sondern Molly; aber gegen diesen Namen habe ich eine solche Abneigung, daß ich mich gegen ihn wehre.

[2]
Donnerstag, 10. Dezember 1942     

[2]      Gestern Besuch von Herrn .... u. seiner Frau, um bei uns Weihnachtseinkäufe zu machen. Aßen bei uns zu Mittag. Er erzählte, der Forstmeister M. in B. habe nicht weniger als acht Pferde auf Sundische Wiese stehen, – zugleich aber bekommen die Fuhrleute hier so wenig Futter [3] zugeteilt, daß sie die Pferde kaum durchbringen können. Eins dieser Pferde hat der Forstmeister an den Reichswirtschaftsminister Funk verkauft, der es seiner Gattin zum Geschenk machte, die irgendwo in Süddeutschland auf ihrem Gute lebt. Um das Pferd dorthin zu bringen, mußten ein Feldwebel u. ein Forstgehilfe nach Berlin fahren, damit von dort ein Güterwagen gestellt wurde, – denn weil dieser Wagen nicht in einen gewöhnlichen Güterzug einrangiert, sondern an einen D=Zug angehängt werden sollte, besaß man in Stralsund keinen Wagen, der diese Geschwindigkeit ausgehalten hätte. Endlich ist denn das Pferd in Begleitung des Feldwebels u. des Forstgehilfen losgefahren u. ist auch glücklich angekommen. Die gnädige Frau war sehr entzückt u. gab dem Feldwebel 500,– Rm. – dem Gehilfen 100,– Rm. als Spesen. Diese beiden braven Männer haben dann geschildert, wie der Pferdestall des Herrn Reichswirtschaftsministers von Marmor, Messing u. Kupfer nur so gestrotzt habe. – Und das alles 1942, wo jeder Volksgenosse alles an Kupfer u. Messing abzuliefern hat, selbst kleinste Schrauben.

     Weiter erzählte Herr ...., er habe selbst einen persönlichen Brief des Feldmarschalls Keitel gelesen, in dem es hieß: „und das sage ich Ihnen, – der Russe pfeift auf dem letzten Loch!“ – Alles das sind treffliche Illustrationen zur „Reichsidee“. – Wie sehr der Russe auf dem letzten Loche pfeift, das erleben gegenwärtig unsere Soldaten bei Stalingrad. Der Name dieser Stadt ist wohl schon seit etwa 10 Tagen aus den Heeresberichten verschwunden, – also werden wir diese Stadt wohl geräumt haben. Was sonst noch in den Räumen zwischen Wolga u. Don u. im großen Donbogen vor sich geht, weiß der Himmel! Herr Keitel ist jedenfalls ein ahnungsloser Engel. – In seiner vorletzten Rede verkündete der Führer: „Wir werden Stalingrad nehmen, – darauf können Sie sich verlassen!“ In seiner letzten Rede vor vier Wochen, als die Amerikaner in Nordafrika gelandet waren, sagte er: „Eigentlich haben wir ja Stalingrad schon längst, aber ich will Menschen schonen, deshalb lasse ich die Russen ruhig in den letzten Resten, die sie noch halten u. mache das mit Stoßtrupps!“ – Und heute? – – Er ist genau so ahnungslos wie sein Feldmarschall. – –

     Seit gestern haben wir das Geschäft wieder täglich von 2 – 5 Uhr offen, bisher nur Mittwochs. Es war gestern ein starker Andrang, sehr anstrengend. Zum Glück ist das Wetter warm, bei mir am Fenster, wo die Sonne hinscheint, zeigt das Thermometer 17° Wärme.

[3]
Dienstag, 15. Dezember 1942.     

[...] [4]      Am Sonntag war Frau Dziallas, welche seit vielen Jahren als Schneiderin in unserem Geschäft tätig ist, mit ihrem Mann zum Besuch bei uns. Der Mann ist Maurer aus Oberschlesien u. Katholik, die Frau Protestantin, aber katholisch getraut. Martha u. ich waren Trauzeugen in der Kirche in Marlow. Der Mann ist Soldat, hat die Eroberung von Sebastopol mitgemacht u. liegt jetzt im Kaukasus vor Tuapse. Er erzählte schlicht und anschaulich von seinen Erlebnissen. Dieser Krieg im Osten ist fürchterlich. Es sieht alles sehr hoffnungslos aus, am bedrohlichsten aber sind die Ereignisse in Nordafrika. Feldmarschall Rommel kann nicht mehr [5] tun, als sich verzweifelt seiner Haut zu wehren u. an der Front von Tunis kann es nicht gut stehen, sonst würden unsere Heeresberichte nicht so kurz u. schweigsam sein. Ich erwarte das Ende von dorther. – Frau Prof. H. war vor einiger Zeit in Italien, – ihr Mann sollte an der Universität Mailand einen Lehrstuhl erhalten, doch hat es sich zerschlagen. Aus ihren Andeutungen glaube ich entnehmen zu können, daß der Grund dafür die sehr schlechte, italienische Stimmung gegen Deutschland ist. Man liebt uns heute dort weniger denn je.

     Die Frauenschaftsleiterin im Ort, Frau Siegert, hat gestern abend einen „Weihnachtsabend“ für die Kinder des Dorfes veranstaltet. Mir wurde erzählt, daß „Weihnachtslieder“ gesungen worden seien, d.h. es wurden Umdichtungen alter Weihnachtslieder auf modernen, „zeitgemäßen“ Text gesungen unter Ausschaltung jeglichen christlichen Inhaltes. Dann hat Frau S. den Kindern einen Vortrag über die Verworfenheit der jüdischen Rasse gehalten. –

[5]
Donnerstag, den 17. Dezember 1942.     

[...] [5]      Heute wurde im Heeresbericht zum ersten Male zugegeben, daß Rommel von neuem weiter zurückgegangen ist, nachdem man schon seit einer Woche gerüchteweise davon spricht.

[5]
Sonntag, den 20. Dezember 1942.     
4. Advent.     

[5]      Noch drei Nachmittage haben wir das Geschäft geöffnet, dann ist Schluß bis zum Frühjahr. Gott sei Dank! – Seit dem 1. November sind 64 Pakete oder Päckchen gepackt u. fortgeschickt worden, der Erlös dafür dürfte 6 – 7000 Rm. erbringen, wovon wir bis zum Frühjahr gut leben u. neue Ware einkaufen können, falls es welche gibt. Es ist [6] freilich kaum noch etwas zu bekommen.

[...] [6]      Im Geschäft war gestern unser Kohlenhändler aus Niehagen, den ich bisher noch nie persönlich kennengelernt habe. Er ist Oberfeldwebel bei der Luftwaffe u. hat am Hohen Ufer die Luftwache unter sich. Er erzählte mir allerhand interessante Dinge u. scheint ein auffallend vernünftiger Mann zu sein, der einen sehr guten Eindruck machte. Er sagte mir, daß in seinem ganzen Zug nur ein wirklicher Nationalsozialist sei, alle andern sind es nicht.

     Unser Amtsvorsteher, der natürlich Nationalsozialist ist u. der es bisher meisterhaft verstanden hat, sich von der Front zu drücken, ist nun endlich doch eingezogen worden u. alles freut sich. Als sein Vertreter ist der Beamte des Landratsamtes Maßmann ernannt worden, ein vernünftiger Mann, Teilnehmer des ersten Weltkrieges u. Schwerkriegsverletzt. Da auch unser Ortsgruppenleiter, der Lehrer, vernünftig ist, so ist jetzt unser ganzer Amtsbezirk ziemlich rein, denn unser Bürgermeister, der Malermeister Emil Gräff ist ein ziemlicher Trottel u. hat nichts zu bedeuten. Jedenfalls sind nun die beiden eigentlichen sog. Hoheitsträger der Partei zwar Mitglieder der Partei, aber im Herzen nicht dabei. Der Führer schreibt in „Mein Kampf“, daß es der Tod der Partei sein würde, wenn einmal diese Partei eine Massenpartei werden u. dadurch von innenher ausgehöhlt werden würde. Das ist nun nach neun Jahren bereits weitgehendst der Fall!

[6]
Montag, 21. Dezember 1942.     

[6] Gestern Nachmittag Besuch von Oblt. Dr. Krappmann, der mir einen Bericht über die allgemeine Kriegslage, herausgegeben vom Oberkommando der Marine, zur Durchsicht gab. Wenngleich in diesem Bericht auch nicht alles gesagt wurde, z. B. garnichts über die katastrophale Lage bei Stalingrad, so waren doch verschiedene sehr interessante Einzelheiten darin enthalten, aus denen, – wenn man zwischen den Zeilen liest – zu erkennen ist, wie gefährlich die Lage in Nordafrika ist. – Dr. K. erzählte auch, daß der Generalstabschef des Führers wirklich entlassen ist, was ich schon gerüchtweise gehört hatte. Generaloberst Halder soll nach dem Durchbruch bei Charkow entweder die Offensive gegen Stalingrad, oder die Offensive gegen den Kaukasus gewollt haben, der Führer aber wollte beides zugleich. Nachdem nun beides schief gegangen ist, wird Halder als Sündenbock davongejagt. –