Aerztliche Strafpredigten gegen das „in’s Freie Müssen“ kleiner Kinder

Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Aerztliche Strafpredigten gegen das „in’s Freie Müssen“ kleiner Kinder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 683
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Aerztliche Strafpredigten
gegen das „in’s Freie Müssen“ kleiner Kinder.


Mütter! Mütter! lernt doch endlich einmal „ordentliche Mütter“ sein. Ich sage: „lernt’s!“ denn beim Heirathen und im Schlafe zieht der mütterliche Verstand wahrlich nicht in Euer Gehirn ein; ebenso können Euch die alten, größtentheils unverständigen, von der Großmutter auf die Mutter und Tochter vererbten Kinderstuben-Regeln und Erfahrungen nur verdummen, und was sich gar die Frauen Mütter in Kaffee’s und Thee’s von der Behandlung und Erziehung der Kinder erzählen, das ist keinen Pfifferling werth. Lernt’s doch ja durch Schrift und Wort von Lehrern und Aerzten.

Warum ich stets so „grob“ gegen die Frauen und besonders gegen die Mütter schreibe, lieber Herr Keil, fragen Sie mich im Namen vieler Damen? Weil man Krebsschäden nicht mit Rosenwasser curiren kann, und die Frauen nur, wenn sie tüchtig aufgerüttelt werden, zum Insichgehen gebracht werden können. Nur durch sie sehe ich aber Heil in die Welt kommen, wenn sie nämlich in ihren Kindern von Jugend auf andere Menschen an Körper und Geist als die jetzigen erziehen lernen, und zwar Menschen, denen nicht, wie den meisten unserer Tage, Aberglaube, Ehrsucht, Selbstsucht, Eitelkeit, Herrschsucht oder Servilismus, Heuchelei und Intoleranz etc. anerzogen sind. Anerzogen, nicht etwa angeboren, sind aber den Menschen diese Laster, und stets ist der Grund dazu in den ersten Lebensjahren, meistens von den Müttern, gelegt worden. Wenn ich mich also über die Frauen, besonders aber über die Mütter, auch öfters erbose, so stelle ich sie doch, als die zukünftigen Erlöserinnen der Menschheit von Schwachheiten und Lastern sehr hoch; mit dem Mannsvolke nehme ich mir gleich gar nicht die Mühe.

Zu den unglücklichen Ideen der Mütter gehört nun auch die, daß kleine Kinder, so oft als nur möglich, bei Wind und Wetter, in’s Freie hinaus müssen. Sie meinen, daß nur freie Luft gute sei und daß ein Kind im Zimmer nicht gedeihen könne. Als ob in Zimmern durch gehörigen Stuben- und Luftwechsel nicht ebenfalls auch eine gute, reine und frische Luft herzustellen sei, und als ob die Luft im Freien nicht weit leichter eine nachtheilige Beschaffenheit annehmen könnte, als die Zimmerluft! Es versteht sich übrigens ganz von selbst, daß bei milder Witterung Kinder nicht oft und lange genug das Freie genießen können. Allein auch hierbei ist mit einer Vorsicht zu verfahren, die ebenso Müttern, wie Kindermädchen und Muhmen sehr selten eigen ist. Es muß vor Allem die freie milde Luft auch eine reine, nicht mit Staub, Rauch, Dünsten und Gerüchen etc. verunreinigte sein; sie sei nicht zugig und von kalten Luftströmen unterbrochen.

Betrachten wir nun aber das Gebahren der Wärterinnen von Kindern im Freien, so braucht man sich nicht zu wundern, wie selbst in der schönsten Jahreszeit das Freie die Ursache von Kinderkrankheiten, zumal von Hustekrankheiten, werden kann. Hier kosen einige von den jungen Kindermädchen, mit Halbjährigen auf dem Arme, am staubigen Fahrwege mit rauchenden Liebsten; dort paddeln Zwei- bis Vierjährige mit entblößten Beinen und halb nacktem Hintertheile im Sande Wolken auf, in denen stillende Ammen mit ihren Säuglingen, so wie gesetzte Kindermuhmen mit Entwöhnten ihre Madamens stundenlang durchhecheln; da klatschen schlabbernde Truppe von Einspännerinnen mit ihren zweikindrigen Korbwägen den Staub auf und zerren am Arme krächzende Läuflinge nach sich, während dort wimmernde Zwillinge aus einem umgestürzten Wagen purzeln; hier erhitzen sich im kühlen, zugigen Schatten ausgezankte Dirnengemüther über ihre knurrigen, knauserigen, herrschsüchtigen Herrschaften, während sich unterdessen die von der Sonne erhitzten Kinder zum Tode verkühlen; dort stopft eine milcharme Amme dem von seinen Eltern vergötterten, eben hungernden Erstling gekautes Brod in’s Mäulchen und befeuchtet dann mehrere Windeln mit Wasser, um die Frage der Mutter und des Hausarztes: „wie vielmal naßgemacht?“ mit erkünstelten Thatsachen beantworten zu können; da hat sich ein blühendes Wickelkind schon seit geraumer Zeit hinter dem Rücken seiner eingeschlummerten Wärterin aus seiner Verunreinigung herausgestrampelt und legt eben durch Erkältung des warmen Bauches den Grund zum tödtlichen Durchfall. Wie viel Kindern durch unvorsichtiges Trockenlegen und Abhalten im Freien gefährlicher Brechdurchfall zugezogen wurde, ist kaum zu glauben.

Kurz, das Gebahren der unbeaufsichtigten Kinderwärterinnen gegen ihre Pfleglinge, zumal im Freien, ist ein solches, daß eine vorsichtige Mutter ihr Kind womöglich nicht aus den Augen lassen und entweder in’s Freie begleiten oder lieber zu Hause im geräumigen, trocknen, sonnigen Zimmer bei reiner warmer Luft behalten muß. Von Müttern, die ihre Kleinen nur deshalb in’s Freie schicken, um zu Hause Ruhe vor ihnen zu haben, oder um mit ihnen, die wie Aeffchen mit nettem Hütchen und schönem Mäntelchen aufgeputzt sind, zu kokettiren, von diesen Müttern schweigen wir hier; sie mögen sich als von uns verachtet betrachten.

Das meiste Unglück richtet nun aber in der Kleinkinderwelt die rauhe, kalte Luft, zumal die im Freien an, indem sie so leicht lebensgefährliche Krankheiten entweder im Athmungsapparate oder in den Verdauungsorganen veranlassen kann. Erstere führen als hauptsächlichste Krankheitserscheinung „Husten“, letztere „Durchfall und Brechen“ mit sich; jene werden durch das Einathmen der rauhen Luft veranlaßt, diese durch das Kaltwerden der untern Körperhälfte, vorzugsweise aber des Bauches (d. Gartenl. 1854 Nr. 17). Bei größerer Kälte, beim Nord- und Ostwinde, sollten deshalb kleine Kinder gar nicht in’s Freie gebracht werden; bei kalter Luft müssen sie aber, natürlich wenn sie ganz gesund (ohne Husten) sind, nur in den wärmern Tagesstunden und an ruhigen, sonnigen Orten das Freie genießen; Kaltwerden des Bauches durch Entblößung desselben beim Trockenlegen und Abhalten, durch zu dünne und abstehende Kleidung, durch solches Tragen auf dem Arme, daß die Luft unter die kurzen, herausgeschobenen Kleider dringen kann etc., ist ängstlich zu vermeiden. Eine warme Leibbinde gehört darum auch bei kleinen Kindern zu den unentbehrlichsten und heilsamsten Kleidungsstücken; sie ist ganz besonders bei strampligen Kindern in der Nacht anzulegen. Da nun bei kalter Witterung im Freien die meisten lebensgefährlichen Krankheiten des Kindesalters veranlaßt werden, die sehr oft trotz alles Wehklagens der Mutter und trotz aller ärztlichen Behandlung zum Tode führen, so ist hier bei den Müttern nicht genug Vorsicht, Umsicht und Aufsicht anzurathen. Am besten ist es aber, wenn kleine Kinder bei nur etwas rauher Witterung ganz zu Hause, freilich in gutgelüfteter Stube bleiben.

Bock.